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il Nr. 10 — 10. Jahrgang Freitag den 13. Januar 1011 MchsischeWksMimg Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn-und Festtage. «nSgabe L mit .Die Zeit in Wort und «ild- vierteljährlich 2>IV ^ In Dresden durch Boten 2 40 In ganz Deutschland frei HauS 2,88 in Oesterreich 4,4» X. AuSgabc I> ohne illustrierte Beilage vierteliSdrlich 1,^0 In Dresden durch Boten 2,IV In ganz Deutschland srei Haus 2,22 in Oesterreich 4,vv ^ — Einzcl'Nr, 1U Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die »gespaltene PelitMe oder deren Raum mir IS Reklamen mit S» ,, die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdrnlkerei, Redaktion und NcfchäftSstellr: Dresden, Piliniger Strafte 4». - Fernsprecher I»»« Für Rückgabe unverlangt. Tchristftiiche keinePerbiudlichkeit RedaktionS.Sprechstunde: I I bis 12 Uhr. Die Arbeitskammervorlage gescheitert? Nach einer offiziös bedienten Korrespondenz soll dis Regierung die in zweiter Lesung verabschiedete Arbeits- kanimervorlage als gescheitert ansehen und sich keine Mühe mehr geben, eine Verständigung herbeizusühren. Diese Nachricht klingt wenig glaubhaft und würde die vielen Zu sagen der Regierung in einem eigenartigen Lichte erschei nen lassen, zumal die Differenz, doch mir eine relativ unter geordnete Frage ist. In der Frage der Unterstellung der Eisenbahner und Staatsarbeiter unter daß Gesetz kann die Regierung auf ein volles Entgegenkommen rechnen, sie hat somit hier einen Erfolg zu verzeichnen, der ihr ein Ent gegenkommen auf dem zweiten strittigen Gebiete erleichtern kann: in der Frage der Zulassung der Arbeitersekretäre. Die Regierung hat bis heute nur die Form der glatten Wahl der Arbeitersekretäre abgelehnt, aber nicht die Zu lassung derselben überhaupt. Angesichts dieser Verhältnisse muß es doch eine Klei nigkeit sein, eine Verständigung zu erreichen, zumal es der Wege so viele gibt: 1. Man lasse die Arbeitersekretäre nur auf 30 bis 40 Jahre zu und wiederhole das Experiment mit dem Spra chenartikel. Nach einem Menschenalter hat sich die ganze Institution so eingelebt, daß sie allein marschieren ko--»; die Arbeiterschaft ist dann ganz anders geschult und kmm ihre Interessen allein vertreten. Wenn man schon einmal einen solchen „Frist"-Artikel genehmigte, kann man es auch hier versuchen. 2. Man gebe den Arbeitskammern das Recht der Bci- ivahl. Beide Gruppen — Arbeitgeber wie Arbeitnehmer — sollen das Recht erhalten, sich einige Mitglieder ans dem Kreise früherer oder jetziger Bernfsgenossen wählen zu dür fen. Man kann die Voraussetzungen einer solchen Beiwahl genau umschreiben, wie es bei anderen Körperschaften auch der Fall ist. - 3. Die Regierung kann einige Mitglieder zuwählen. In der Arbeitskammcr wird von jeder Gruppe eine Vor schlagsliste ausgestellt I die Arbeiter sorgen vann schon da für, daß ihre Sekretäre auf diese kommen-, die Regierung hat dann Hatz Recht, aus dieser Liste eine bestimmte Anzahl als Mitglieder auszuwählen. Ist die Liste derart aufge stellt, daß die Regierung keine Auswahl zu treffen vermag, dann wird sie der Kammer znrückgesendet, die dann eine neue Vorschlagsliste ausarbeitet. Reicht sie keine mehr ein oder trifft die Regierung wiederum keine Wahl, so bleibt eben für die betreffende Wahlperiode der Arbeits.kammer es bei den anderen, durch allgemeines Stimmrecht gewählten Vertretern, ein Fall, der in der Praxis sehr selten Vorkom men wird. Die Regierung aber hat hier alle Garantien in der Hand, um „Hetzer" und „Agitatoren" fern zu halten. Von diesen drei Auswegen dürfte einer gangbar sein und so das ganze Werk gerettet werden. Man würde es in den weitesten Kreisen nicht verstehe», wenn die Vorlage an dieser Frage scheitern würdees müßte dann der allgemeine Eindruck der sein: man will die Arbeitskammern überhaupt nicht oder nicht mehr! Wenn sie jetzt nicht zustandekommen, dann ist gar nicht abzusehen, wann sie erreicht werden sollen und kaum mehr wird eine Regierung die Vorlage einbrin- gen. Dann aber bleibt noch immer nneingelöst das Kaiser wort vom Februar 1300, das in bestimmtester Form Ar beitskammern in Aussicht stellte. Wie viel Arbeit und Kraft wäre nutzlos verloren? Aber das ist nicht das Schlimmste. Mag man die Wirksamkeit dieser neuen Einrichtung hoch oder nieder anschlagen, das eine läßt sich nicht in Ab rede stellen, daß sie beide Teile einander näher gebracht hätte. Schon der Umgang mit dem anderen Teile schleift ab; man macht diese Erfahrung auf den Rathäusern und in den Parlamenten. Auch der radikale und umstürzlerischs Teil der Arbeitskammer würde vernünftiger werden. Wer von den Sozialdemokraten des Reichstages sicht denn aus wie ein Danton, Barrikadenkämpfer oder Moabiter? Die allermeisten machen einen sehr behäbigen spießbürgerlichen Eindruck und mancher Radikale ist schon durch die praktische Mitarbeit der größte Opportunist geworden. Damit soll die sozialdemokratische Gefahr nicht verkleinert werden, aber durch die Arbeitskammern wird sie auch nicht vergrößert, sondern eher gehemmt. Wenn man die Gründe gegen die Zulassung der Arbeitersekretäre insgesamt auf sich wirken läßt, so laufen sie eigentlich in dein Satze zusammen: Wir wollen keine nnabhängigen entschiedenen Vertreter der Ar beiterinteressen in diesen Kammern! Der nicht ausgespro chene Nachsatz aber lautet: Mit den anderen werden wir allein fertig' Es ist aber doch nicht anziinehmcn, daß die Industrie in ihrer Mehrheit diese Anschauung teilt; es scheinen vielmehr politische Gründe mehr in den Vorder grund geschoben zu werden, als geboten ist. Sollte trotz aller Bemühungen das bedeutsame Werk scheitern, so müßte man sagen, daß im Reiche kein erheblicher sozialer Fort schritt zu machen ist, weil die Sozialdemokratie alle sozialen Einrichtungen für ihre Parteizwecke ansznnntzen sucht. Aber wohin kommt man mit dieser Politik der künstlichen Zurück haltung? Ein nur flüchtiger Blick in die Geschichte lehrt, daß als Frucht dieser Taktik dann über kurz oder lang sich ein gewaltsames Voranstürmen und tiefgreifende Umwäl zungen ergeben, die dann weit mehr mit sich reißen, als eine Arbeitskammervorlage. Es ist Aufgabe der Staatsmänner, die Lokomotive nicht überheizen zu lassen, sondern für Ven tile zu sorgen. Die Arbeitskammervorlage ist den Augen der weitschanendcn Sozialpolitiker ein solches Ventil, daS die heutige Staatsmaschinerie braucht. M. Erzberger, M. d. R. Geistliche im politischen und wirtschaftlichen Leben. Unter diesem Titel bringen die „Köln. Zeitg." (Nr. 27, Morgenausgabe vom 0. Januar 10!l) und nach ihr andere Blätter (zum Beispiel „Rhein. Zeitg." vom 0. Januar 1011) verschiedene Kundgebungen von Leo Xtll. und Pins X.. um darzutun, daß sich diese Päpste gegen die politische Tätigkeit der Geistlichen ausgesprochen haben. Es handelt > sich vorerst um ein Schreib.-» Leos Xlll. vom 8. Dezember ^ 1882 an die spanischen Bisch fe. In diesem Schreiben warnt - Leo XIII vor einer Verwischung von Religion und Po litik, weil dadurch letztere auf das erhabene Gebiet de: i Religion gedrängt und die brüderliche Eintracht zerrissen werde. Insbesondere sei es im Widerspruch mit ihrer Stellung, wenn Geistliche sich ganz in das politische Leben vertiefen, so daß dadurch der Anschein erweckt werde, als ob sie sich mehr um weltliche als um kirchliche Dinge kümmer ten: sie möge» also erkennen, daß sie sich davor zu hüten haben, daß sie nicht über Würde und Maß hinausgehen. Dieses an den spanischen Episkopat gerichtete Rundschreibei.' bezieht sich ans den spanische» Klerus, dem übrigens niclsi gänzliches Fernbleiben von den politischen Angelegenheiten, -ondern nur Mäßigung auferlegt wird. Die spanischen Geistlichen sollen Politik und bürgerliche Partei nicht „ver mischen und gleichsam in eins znsammenfließen lassen bis zu dem Grade, daß sie diejenigen, welche zu einer anderen Partei gehören, geradezu als vom katholischen Namen Ab gefallene bezeichnen". Ein solches Extrem ist selbstverständ lich zu verwerfen, es drängt, wie der Papst sagt, die Politik auf das hohe Gebiet der Religion und zerstört die brüder- liche Eintracht. Ebenso ist es natürlich ein arger Fehler, nenn Geistliche derartig in politischer Tätigkeit aufgehen, daß sie sich, wie das päpstliche Schreiben sagt, anscheineno mehr um weltliche als um kirchliche Dinge kümmern. Akr Spanien war die päpstliche Mahnung besonders angebracht, weil sich dort katholische Parteigrnppierungen in scharfem politischen Kampfe geqenüberstanden, und die Teilungen sind leider heute noch vorhanden. — Dasselbe gilt betreffs eines päpstlichen Schreibens vom Jahre 1800 an den Pri mas von Brasilien, wodurch Leo XIII. in Anbetracht der dortigen heftigen und oft blutigen politischen Kämpfe zu weiser Mäßigung warnt (moclonto ntc-iulnm iure! rnkkraxsii). Es ist bekannt, daß die Katholiken romanischer Länder vielfach getrennt sind und sich gegenseitig ans rein politi schen Motiven scharf bekämpfen. In Frankreich und Spa nien sind diese interne,: politischen oder auch wirtschaftlichen Zwistigkeiten der Katholiken sogar ein Hauptgrund für die siegreiche Bekämpfung der katholischen Kirche durch deren äußere Feinde. Wenn daher ein Geistlicher sich unter sol chen Verhältnissen ganz in den Dienst einer Partei stellt und mit übermäßigem Eifer dafür eintritt. so vertieft er die Kluft unter katholische» Parteien, die vor der Kirche gleichberechtigt sind und er schürt bei de» Katholiken der Gegenpartei eine in religiöser Beziehung gefährliche Er bitterung. Darum hat Leo XIII. in Anbetracht dieser Ver hältnisse mit Recht zur Mäßigung gemahnt. Man darf aber nicht verkennen, daß die päpstliche Mahnung vor den geschilderten Auswüchsen allgemeine Bedeutung hat, daß »ainentlich eine Gleichstellung zwischen Religion und Po litik und ein gänzliches Anfgehe» in politischen Bestrebun gen überall verwerflich ist. Die „Köln. Zeitg." zitiert einen Bericht des früheren Bischofs Lacroir von Tarantaise in Südfrankreich über seine Audienz bei Pins X. im Jahre 1004. Der jetzige Papst habe, so erklärt Bischof Lacroix in seinem UuUotin rl-Iixn-ux, vor der Beteiligung des Klerus an den Wahl kämpfen gewarnt und diese Warnung als für alle Länder gültig erklärt. Msgr. Lacroix, der mittlerweile auf sein Bistum resignierte und seit einigen Jahren staatlich ange- stellter Professor der Kirchengeschichte an der Pariser „Ecole des Hantes Etudes" ist, teilte damals der Zentral- anSknnftsstelle der katholischen Presse mit, daß Pius X. ieine Worte auf die deutschen Verhältnisse nicht gemünzt wissen wollte. Auch andere Tatsachen deuten darauf hin, daß bei der Audienz des Msgr. Lacroir Mißverständnisse unterlaufen sind. Wie sollte inan sonst das Vorgehen meh- icrer französischer Bischöfe — an ihrer Spitze des Erz bischofs von Paris — verstehen, die noch gelegentlich der letzte» französischen Wahle» Klerus und Laien ermahnten, für katholische Kandidaten z» stimmen? Zahlreiche frai^ö- sisch- Geistliche haben sich daraufhin an der letzten Wahl- lainvagne aktiv beteiligt. Pins X. selbst hat bekanntlich von Fall zu Fall wiederholt das „Xan oxpockit" für die Katholiken gewisser italienischer Wahlkreise aufgehoben, wen» dadurch die Wahl eines sozialistischen Kandidaten cerhindert werden konnte. VolWche Rundschau. Dresden, den 12. Januar >9ll. — Ter Reichstag beendete am Mittwoch die Inter pellation der Freisinnigen betreffend die Zündholzsteuer Eine Weltanschauung für Gesunde und Glückliche. In katholisclien Gegenden liebt man es, an Wegen und Stegen das Bild des krcuztragcnden oder gekreuzigten Heilandes aufzustellen als eine ernste Mahnung an alle, die des Weges ziehen, daß das Erdenleben des Menschen ein Leidens und Kreuzweg ist, den zurüznlegen Leidens- und Duldermut notwendig ist. Dein modernen Antichristentum ist das alles ein Greuel. Es will nichts mehr wissen von Leiden und Dulden, sondern — von Genießen, oder wo man aus Reinlichkeits gründen nicht in diesem Sumpf untergeben will, von Schaffen und Erringen, von Erfolgen und Siegen, von Preis und Nachruhm bei den Menschen. Daß solche Bot schaft heute vorgetragen werden kann und Beifall findet, ist auch ein Zeichen dafür, mit welcher Tilettantenhaftigkeit und Weltunkenntnis in unseren Tagen Weltanschauungen feilgeboten werden können. Da glaubt einer dag Christen- tum schmähen zu sollen, weil es das Leiden und Dulden ver herrliche und die Menschheit in die Schule des Kreuzes schicke. Das sei nichts mehr für unser so knlturstolzes Zeit- alter. Wörtlich schreibt der Mann: „DaS durch daS Christentum sanktionierte Symbol des Leidens beherrschte anderthalb Jahrtausende das Denken der weißen Rasse. Quälende Schreckbilder, wie Opfertod, Sühne. Schuld, Erbsünde, ewige Verdammnis, suggerieren unS das Leiden als höchste Form menschlicher Werte. Nichts ist also natürlicher als die daran geknüpfte Vergöttlichung des Leidens. Der Opfertod, den Jesus für die ganze Mensch heit erlitten, wird zum Ideal. Märtyrer muß man sein, um Heiliger zu werden. Stilles Dulde» und demütiges Ertragen aller Erdennot und alles Wcltleides, werden als vornehmste Tugend gepriesen. Das Kreuz wird zun: Leidenssymbol unseres Kultnrsystems ..." Davon will die moderne Welt nicht mehr wissön, und der Mann glaubt-nun ein aiweres besseres Ideal darbieten zu können: „Nicht die Verherrlichung des Leidens, sondern die Vorherrschaft des Tuns hat uns diese Machtfülle (der modernen Kulturerrungenschaften) verliehen. Die Wissen schaft, insbesondere die Naturwissenschaft, war es. die uns von dem tausendjährigen Alpdruck der Leidenssuggestion. der Glorifizierung des Todes, der Verhimmelung des Mar tyriums, nach und nach befreit hat. Unser Ideal ist heute nicht mehr der Heilige, sondern der Held, nicht der Büßer im härenen Gewände, sondern der tapfere Heerführer (Napoleon, Moltke), der großzügige Diplomat (BiSmarck), nicht der traumverlorene und weltvergessene Aszet, sondern der kühne Seefahrer, der beherzte Forschiingsreifendc, ver gewaltige Unternehmer, der geniale Erfinder und Ent decker, der überschauende politische Organisator (Marx), der weltumspannende Forscher und Gelehrte, der begnadete Künstler und Dichter. . . Unsere Verehrung gilt nicht mehr . . . den Mühseligen und Beladenen, den Seufzenden und Duldenden wie in: Mittelalter, sondern lediglich und ausschließlich den Schaffenden." (So der Berner Philo sophieprofessor in seinem Buche „Der Sinn des Daseins", Tübingen 1004, 10 fl.) Wir wollen zunächst absehe» von der Frage, was der Mann dann mit seiner Weltanschauung Wohl jenen vielen, allzuvielen zu bieten hat. die das Geschick keine erste Helden rolle auf der Bühne des Lebens spielen läßt, die es weder als Heerführer, noch als Diplomaten, noch als Seefahrer, noch als Forschungsreisende, »och als Unternehmer, noch als Dichter und Künstler tätig sein läßt, sondern die das harte Brot der Not und schworen Arbeit essen müssen? Man sollte meinen, wer über den Sinn des Daseins den Men schen Aufschluß geben will, daß der zuerst in der Welt und! Menschheit sich ninsieht, wie es da in Wirklichkeit anssieht, nin dann danach seine Aufstellungen zu machen! Bei einer solchen Umschau wäre es dem Manuc gewiß nicht entgangen, daß eben der Menschheit Lebensanteil Leiden und abermals Leiden heißt, und daß die Mühseligen und Beladenen weitaus die größte Mehrheit bilden. DiesS aber brauchen zu allererst eine Weltanschauung, die ihnen einen stärkende» Heiltrank darbietet und sie nicht mitleids los in ihr Elend hinabstößt. Stein stimmt mit vollen Backen ein Loblied an darüber, wie wir es in der äußeren Kultur so herrlich weit gebracht haben, ja auch das muß herhalten, wie die moderne Medizin allerlei Mittel gegen ansteckende Krankheiten entdeckt habek Allein seltsamerweise weiß er nichts davon zu erzählen, datz überhaupt alle Krankheiten aus der menschlichen Gesellschaft verbannt seien. So wird es also wohl dabei bleiben, datz „ihr Kranke allzeit bei euch habt".