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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. PrSnunnrationS- Preis 22^ Sgr. (Z Thlr.) vierteliährlich, Z Thlr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prämimenrt auf dieses Literaiur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuAande bei den Wohllöbl. Post-Acmtern. Literatur des Auslandes. 131 1841. Berlin, Montag den 1. November Griechenland. Sophokles und die Antigone. Kunst und Alterthum! wie große Gedanken knüpfen sich nicht schon an jeden einzelne» dieser beiden Begriffe; um wie viel mehr aber erfüllt es uns mit heiligem Gesiihle, wenn sie sich vereinigt dar- bicten! Kaum denkbar ist aber wohl eine edlere Vereinigung dieser verwandten Begriffe, als diejenige war, die kürzlich allen Freunden der klassischen alten Welt durch die Aufführung der Antigone des Sophokles dargeboten wurde. Es ist in diesen Blättern nicht der Ort, auf eine nähere Würdigung des Kunstgenusses einzugehen, den wir der erhabenen Munifizenz Sr. Majestät des Königs ver danken, doch glauben wir den Wünschen eines großen Theiles unserer Leser entgegen zu kommen, wenn wir ihnen hier nach verschiedenen Quellen und unter Benutzung der kürzlich vom Professor Borberg in Bern herausgegebenen Zusammenstellung der Dichter des Hellenischen Alterthums eine Skizze von dem Leben des Sophokles und von dem Cyklus der drei großen dramatischen Dichtungen mittheilen, dessen Schlußstein gleichsam die „Antigone" bildet: Sophokles ward 495 vor Ehr. in dem Flecken KolonoS bei Athen geboren, wo sein Vater eine Massen-Fabrik besaß. Seine sorgfältige Erziehung in allen Künsten, frühzeitige Entwickelung, Schönheit des Leibes, seltene Anmuth in seinem ganzen Wesen zeich-- neten ihn schon als Jüngling aus. Die großartigen Bewegungen, welche in die Zeit seiner Jugend fielen, die Perserkriegt, gaben seinem milden und empfänglichen Gemüthe früh einen hohen, mann- lichen Ernst. Nach der Schlacht bei Salamis sang er bei der Siegesfeier das Epinikion zur Laute vor.") — Aus seiner wei- teren Jugcndgeschichte ist wenig bekannt; die außerordentlich schnell sich entwickelnde und von AeschyloS mit dem grandiosesten Pompe umgebene dramatische Kunst mag frühzeitig sein seltenes Talent ge. weckt und ihn zu eigenen Versuchen angereizt haben: bei der Auf. führung von Aeschplos' Persern war er 23 Jahr alt. Im 25stcn Jahre trat er zuerst selbst als Dichter auf. Alle seine früheren Stücke vor der Antigone (in feinem 5Zsten Jahre aufgeführt) sind verloren gegangen; in der „Nausikaa" und dem „ThamprtS" spielte er selbst die Hauptrolle (was er später wegen zu schwacher Stimme nicht mehr that): in jenem Stücke erregte sein graziöses Ballspiel, in diesem sein schöner Gesang allgemeine Bewunderung. Er lebte in sehr glücklichen Verhältnissen; wohlhabend, von heiterem, freiem Gemüthe und beseelt von echter, den Genuß des Schönen nicht verschmähender Lebensweisheit; — bewundert als Dichter, von Allen geehrt und geliebt als der edelste und liebens würdigste Mann: in ihm konzcntrirte sich die ganze Fülle der An muth und Schönheit, der frischen Lebenskraft und des tiefsinnenden Ernstes, der großartigen Begeisterung und der heiligen Kunstliebe, wodurch sein Jahrhundert (v. 495 — 404) so einzig in der Hellenischen Geschichte dasteht: eine Frucht und weitere naturgemäße Entwickelung der großen Marathonischen Zeit, welche das ganze Athenische Leben bis zu den bewundernswürdigsten Kpastanstrengungen erschütterte und begeisterte: PcrikleS, Phidiaö, Sophokles. Zweimal war er vcrheirathet und zeugte mehrere Kinder; sein Sohn Jophon und Enkel Sophokles waren ebenfalls tragische Dichter. — Er verließ seine Heimat, wo er so heiter und allgechrt lebte, nie und starb, wahrscheinlich an dem Eindrücke der Freude über einen unerwarteten Sieg im tragischen Wettkampfe, 404 v. Ehr., 9l Jahr alt, lange nach Aeschplos und kurz nach Euripides (über dessen Tod, obgleich dieser sein Gegner war und dessen Kunstmanier ihm sehr mißfiel, er Trauer anlegte). Die Spartaner, welche unter Lysander damals die Landschaft besetzt hielten, boten den Athenern Waffenstillstand an, um einen Mann feierlich zu bestatten, „den die Götter vorzüglich liebten". Es fand die Errichtung eines Tempels statt, worin ihm als Heros jährlich geopfert wurde. — Kaum ist je ei» Dichter so allgemein verehrt worden, schon von seinen Zeit genosse», wie Sophokles; der strenge Aristophanes, Platon, Aristoteles priesen ihn als Muster in der Tragödie: er hieß der „am meisten Homerische". PhrynichoS, der Komiker, sagt in seinen „Musen": ) Chronologisches Pephältniß der drei Tragiker: AeschyloS kämpfte sßst-.^avbokles nahm ms Funfzehnsähriger an dem Chorreigen des Sieges- keßes Antheil, Euripides ward an diesem Tage geboren. „Glücksel'ger Sophokles, der den langen Lebenslauf Nottbracht, ein friedlich beiUrer, wohlberath'ner Mann. Nachdem er viel' und schöne Trauerspiel' erdacht, Verschied er ruhmvoll, keines Unrechts sich bewußt." — Man schrieb ihm 130 Stücke zu; viele mit Unrecht: wie viele der ihm beigelegtcn wirklich von ihm waren, darüber ist man nicht einig; Welcker („die Griechischen Tragödien re." 1839) nimmt an: 80 Tragödien (6 unsichere) und 18 Satyrnspicle. Sieben haben sich erhalten. Er gewann zwanzigmal den ersten Preis; sonst jedes mal den zweiten; den dritten nie. Sophokles hob die tragische Kunst zu ihrer größten Höhe und Vollendung empor: er milderte das überströmend Gigantische, Schroffe und Herbe in der Aeschyleischen Poesie und drängte alle Elemente in das durch besonnene Kunstübung scharf begränzte Bette eines pracht voll dahin rollenden, göttlich klaren und den ewig heiteren Himmel in sich abspiegelnden Stromes. Dahin zielten schon seine Veränderungen in der äußeren Dar stellung (auch von Anderen angenommen): — er verwendete weniger auf den Effekt durch Scenerie, Maschinerie rc., als AeschyloS, führte dagegen die perspektivische Scenen-Malerei ein; — etwas niedrigere Kothurne (weiße Stiefeln). — Er schränkte den Chor so ein, daß die Handlung zur Hauptsache wurde; daher Haden erst seine Tragödien eine dramatische Katastrophe, ein» organische Entfaltung der Handlung von dem Anfänge durch die Verwickelung aller Elemente zu dem abrundenden, Alle» zu Einem Total-Effekte vermittelnden Schluffe. Dazu war ihm der dritte sprechende Schauspieler nöthig; endlich löste «r die Aeschyleischc Trilogie auf und brachte nur einzelne Stücke zur Darstellung, welche eine zu sehr gegliederte und reiche Handlung enthielten, als daß sie zur Trilogie sich gefügt hätten. Der Grund-Charakter seiner Dramen ist Ruhe und ideale Schönheit, ganz analog der idealen Plastik seiner Zeit. Diese zeigt sich zunächst tn dem wunderbar schönen, harmonischen Verhältnisse aller Theile, in dem mit eben so klarem Bewußtscyn, als tiefem Kunst gefühle durchgeführten Ebenmaße und in der über Alles ausgegoffc- nen zauberischen Anmuth. — Die Charaktere, der Herocnzeit ent lehnt, gehen auch in den gewaltigsten Leidenschaften nicht über das Maß menschlicher Ideale hinaus; es sind hohe verklärte Menschen gestalten, welche in höheren Regionen wandeln, wo Licht und Schat ten mit ätherischem Glanze umflossen ist. — Die Handlung schrei tet mit streng abgemessenen Schritten ihrem Ziele entgegen: wir sehen dieses schon oder ahnen es wenigstens in ihrem Beginne oder in ihrer weiteren Entfaltung; während den Handelnden selbst dasselbe großentheilS — oft ganz — verborgen bleibt. Daher unsere innige Theilnahme mit den Verblendeten; tiefe Wehmuth, wenn die groß artige Kraft oder die edelste Gesinnung ihren eigenen Untergang her- beiführt, — Mitleid selbst mit dem Frevler, wenn er die über ihm schwebende Nemesis nicht gewahrt: wir werden überall an unser eigenes Loos gemahnt und zu frommer Demuth gestimmt, wenn wir, ein so viel nichtigeres Geschlecht, selbst die gewaltigen Heroen der Vorzeit hinsinken sehen, sobald sie das Maß zu durchbrechen stre ben, das die ewig waltende Gottheit allem Irdischen gesetzt hat. Das Schicksal nämlich steht bei Sophokles nicht, wie meist bei AeschyloS, als ungeheure Gewalt außer dem Menschen, gerecht rich tend und versöhnlich, aber mehr auf den Menschen, als in ihm wirkend; noch weniger ist es eigensinniger Zufall, wie so oft bei Euripides. Vielmehr wohnt es in dem Menschen; hier webt es in der unergründlichen Tiefe des Gemüthes seine dunklen Fäden: die Menschen selbst ziehen seine ewigen Schlüsse in ihrem eigenen Inne ren groß, indem sie sich in Widerspruch mit ihm versetzen und aus der unabänderlichen Gesetzmäßigkeit der Natur hcraustreten, die Schranken ihrer Individualität verkennen, indem sic entweder das Verkehrte wollen, oder das Rechte mit verkehrten Mitteln erstreben. Den Fluch des Schicksals ziehen Einzelne auf sich und selbst auf ihr gan zes Geschlecht herab: aber der Dichter will nicht hart und schonungslos vernichten; aus den herbestcn Widersprüchen, ja aus den schauerlich sten Verirrungen heraus weiß er den Faden zu finden, der den Kno ten entwirrt und die Menschennatur gekräftigt und geläutert aus dem furchtbaren Kampfe hervortreten laßt. Der Tod versöhnt: auch an der Leiche des Mörders schweigt jedes Rachegefühl. Kein anderer Dichter steht der christlichen Weltanschauung so nahe, als Sophokles: — bei keinem tritt die sittliche Weltordnung in so glorienumstrahlter herrlicher Kraft hervor; — bei keinem hat die Frömmigkeit einen so tief ideellen Charakter.