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Auflösung von Sejm und Senat ln Polen WsMi will dir Warschau, 30. Aua- Durch Verordnung des Staatspräsi denten v. Moscicki wurden heute Sejm und Senat aufgelöst. In dem Schreiben heißt es: Nach reiflicher Ueberlegung habe ich sestgestcllt, daß die wichtigste Ausgabe für die Arbeit sämtlicher Bürger die Verbesserung der grundlegenden Rechte ist, durch die der Staat regiert wird, da dieselben die Grundlagen sämtlicher im Staate bestehenden Gesetze bilden. Die Verbesserung ist not wendig, da sich das gegenwärtig herrschende Chaos bisher leider nicht beseitigen ließ. Nachdem ich z« der Uebcrzeugung gelangt bin, daß ich dies trotz meiner Bemühungen durch den gegenwärtigen Sejm nicht erreichen kann, habe ich be schlossen, aus GEund des Art. 2« der Verfassung laut Beschluß des Ministerrats Sejm und Senat mit dem 8». August aus- znlösen und bestimme als Mahltermin den 1K. November für den Sejm «nd den 23. November 188« für den Senat. » Die Auflösung von Sejm und Senat, die der polnische Staatspräsident im Auftrag des Regierungschefs Pilsubski vollzieht, ist die erste logische Konsequenz der persönlichen Machtergreifung durch den Marschall. Cr hat sich über den Sejm und seine Abgeordneten so drastisch geäußert, daß man über seine weiteren Absichten dem Parlament gegenüber nicht im Zweifel sein konnte. Das Ziel der Auflösung ist, wie auch aus dem Dekret in etwas gewundenen Worten hervorgeht, eine radikale Verfassungsänderung, die die Rechte der VvlkSvcrändcrung erheblich beschneiden und die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten und der Negierung in demselben Umfange erweitern soll. Mit anderen Worten: Pilsndski will sich für das persönliche Regiment, das er seit viereinhalb Jahren führt, die gesetzliche Grundlage schaffen. Die Diktatur soll endlich legalisiert werden. Eine andere Frage ist es. ob für die Absicht eine Mehrheit in den Wahlen aufzubringen ist. Die Opposition gegen Pil- sudskiS unmoralisches „System der moralischen Sanierung" ist im ganzen Lande im Wachsen, und es hat nicht den An schein. als ob bis zum November ein so gewaltiger Stim- mungsnmschwung eintrcten könnte, daß die Negierung vom Volk eine Blaükvvvllmacht für ihre BerfassungSplänc er hielte. freilich wird Pilsndski dann nicht vor Gewalt zurück- schrecken. Er wird versuchen, auch ohne Parlament, gestützt aus das ihm ergebene Heer und seine Legionärsorganisa- Bersxssimg lliwem tionen, die nackte Diktatur auszuliben. Irgendeine Verände rung der polnischen Außenpolitik, insbesondere der feindseligen Einstellung gegen Deutschland, ist aus diesen inneren Wirren nicht zu erwarten. Immerhin sind die Vorgänge auch im Hinblick aus die deutsche Ostpolitik wichtig genug, um unsere gespannte Aufmerksamkeit für die weitere Entwicklung in Polen in Anspruch zu nehmen. Der Skjnwizemarillmll von SMerm verprügelt Warschau, 3N. Aug. In die Wohnung des Vizemarschalls des polnischen Sejms, Dombski, die in der Warschauer Vorstadt Zoliborz liegt, drangen am Freitagabend vier Offi ziere ein, die den oppositionellen Politiker überfielen und ihn verprügelten. Ein Unteroffizier hielt inzwischen aus der Straße Wache. Als Leute aus der Nachbarschaft her- bciciltcn, verschwanden die Offiziere. Dombski ist einer der Führer der Zcntrolinksoppvsitivn, die Pilsudski in seinem letzten Interview heftig beschimpfte. WiMe SvtvimgMigkei« tel den Manövern Berlin, 80. Aug. Bei den Manövern, die zur Zeit in der nördlichen Grenzmark Posen-Westpreuhen stattsinden, werden in erster Linie im kreise Flatow Fluhüberschreitungen geübt und der Wert der Radsahrerverbände erprobt. Im Zu sammenhang mit diesen Manövern macht sich eine außer ordentlich verstärkte polnische Spivnagetätigkeit bemerkbar, so daß für die Manöver ein besonderer Nebcr- wachungsschutz durch die Kriminalpolizei sich als not wendig erwies. Das hat die Verhaftung von drei Reichs deutschen in Ncu-Bentschcn, die des Landesverrats zugunsten Polens bezichtigt werde», bewiesen. Sn Rimdslus »er Minen Entente Warschau, 30. August. In dem Nundflug der Kleinen Entente Hai Polen eine schwere Niederlage erlitten. Von den sechs polnischen Maschinen mußten vier aus dem Wettbewerb zurückgezogen werden, die zwei übrigen stehen an letzter Stelle. Die Oppositionspresse weist daraus hin. daß die pol nischen Militärflieger für diesen Nundflug gar nicht aus reichend vorbereitet gewesen seien, obwohl diesmal der pol nische Aeroklub den Rundslug veranstaltet habe. Die Flug zeuge einheimischer Konstruktion erwiesen sich als unbrauchbar. Am besten schnitten beim Nundflug die südslawischen Flieger ab, die von den gestarteten sechs Maschinen fünf hcim- brachten. Zwischenruf an Dietrich Der Neichssinanzminister Dietrich hat sich den Dresdner Wählern als ein sehr temperamentvoller Herr vor gestellt. Er kam gerade aus der Kabinettssitzung, die das große Finanzprogramm beschlossen hatte, das die Regierung Brüning im Herbst durchführen will. Er kam aus tagelanger Beratung und abendfüllenden Wahlversamm lungen. Und cs ist daher verständlich, daß diese sorgenvolle Tätigkeit eines modernen deutschen Ftnanzministers und die anstrengende Ncdnerarbeit als Haupteinpeitscher der neuen Ttaatspartei auch einen Badenser Demokraten um seine Gemütlichkeit bringt. Das hat jedenfalls ein Versammlungs teilnehmer sehr zu fühlen bekommen, der das vom Minister entwickelte Finanzprogramm glaubte durch den Zwischenruf „Wahlmache" verdammen zu können. Wütend fixierte der 51jährige Dietrich den armen Sünder, und schon schleuderte er ihm die entrüsteten Worte entgegen, er solle sich schämen, einem weißhaarigen Manne so etwas zu sagen. Der Herr Finanzministcr möge verzeihen. Wir wollen nicht zur Ent schuldigung des Zwischenrufes davon sprechen, daß in der Demokratie alle Gemalt vom Volke ausgcht, daß Volkes Stimme Gottes Stimme ist. daß das Recht der freien Mei nungsäußerung seinerzeit in Weimar auch von dem Demo kraten Dietrich mit beschlossen wurde, wir wollen nur beschei den daraus Hinweisen» wieviele schöne Finanzprogramme das deutsche Volk schon versprochen erhalten hat und daß es der Finanzministcr dem schlichten Manne aus dem Volk nicht übelnehmen darf, wenn er zwischen ihm und seinen AmtS- vorgängern nicht die nötigen Unterschiede zu machen versteht. Zumal wenn die großen Ncformpläne des Kabinetts so un mittelbar vor einer Wahl einem verehrlichen Publiko verkün det werden, und man sich scrner erinnert, daß Dietrich, da mals allerdings noch Ernährungsministcr, im Rundfunk gegen den Volksentscheid genau so wie Severing mit dem Argument arbeitete, man müsse den Boungplan annchmcn, weil er Er leichterungen bringe, die man zur Steuersenkung verwenden iverüe. Leider weiß aber alle Welt, daß statt der versprochenen Erleichterungen bis jetzt bereits drei neue Steuerivcllen über unser Volk hinwcggcbraust sind. Das soll aber niemand hin dern, die Rcformpunktc des Kabinetts mit Unvoreingenommcn- hcit zu prüfen. Freilich, bas Mißtrauen galt schon immer als die größte Tugend der Demokratie, und zwischen ihm und dem berufsmäßigen rosaroten Optimismus eines jeden deutschen Ftnanzministers wird man in nüchterner Abwägung sine ira ot Studio eine gerechte Beurteilung finden müssen. Die Negierung verspricht zunächst, daß über die 169 Mil- ioncn Senkung der Ausgaben „ein weiterer namhaf ter Betrag cingcspart werden" soll. Niemand in Deutschland, der zu diesem Entschluß nicht sein lautes „Bravo" sagen wird. Nur eines erscheint uns bedenklich. Warum nennt die Negierung nicht die einznsparende Summe? Warum will sie den Eindruck entstehen lassen, es handle sich um eine nur zu oft gehörte schöne Versprechung? Wenn das Kabinett Einsparungen beschließt, so gehört doch dazu ein fester Plan, mit runden, glatten Summen. Sonst kann man es wirklich niemandem verdenken, wenn er nach vielen trüben Erfah rungen bis zum Beweis des Gegenteils das tugendhafte demo kratische Mißtrauen vor allzu freudiger Hoffnung iiberwiegcn läßt. Kommt es dann doch noch anders, um so besser und an genehmer. Ein zweiter wichtiger Punkt des Negierungsprogramms ist der, daß der Neichshaushalt gegen die unbe grenzte und unvorhergesehene Beanspruchung durch die Arbeitslosenversicherung geschützt wird, „ohne daß dadurch die notwendigen Leistungen ge fährdet werden" sollen. Auch die Grundtendenz dieses Punktes ist zweifellos anzuerkenncn. Aber wenn man weiß, daß immer gerade das Danaidenfaß der Arbeitslosenversicherung es war, das bisher alle Deckungspläne und alle Ftnanzreformcn ver schlungen hat, und wenn man sich vergegenwärtigt, wieviele Köpfe sich bis jetzt vergeblich um die Lösung im Sinne des Regierungsprogramms bemüht haben, dann fragt man sich, hat nun die Negierung wirklich das Ei des Kolumbus gesun den. Und wenn ja, warum läßt sic die Ocsfentlichkcit darüber nach wie vor tm Dunkeln? Soll die Rcichsversicherungsansbalt auf eigene Füße gestellt werden und in Zukunft, ohne Reichs zuschüsse durch Staffelung der Beiträge, namentlich für die Saisonarbeiter, durch Ausschaltung von Mißbräuchen, durch innere Reformen und durch Anpassung der Höhe der Beiträge an den Bedarf von UnterstützungSgeldcrn ihr Auskommen suchen? Nichts läßt sich sagen, denn die Regierung gibt keine Einzelheiten. Sie betont nur, daß die Leistungen nicht gefähr det werden sollen. Der dritte Punkt beschäftigt sich mit der Neuorganisation des Wohnungsbaues. Auch er ist kurz gehalten und bezieht sich lediglich darauf, daß die Regierung beabsichtigt, vor allem den Klein- und Kleinstwohnungsbau zu beschleunigen, um das be sonders krasse Wohnungselenb der unbemittelten Schichten zu mildern und tragbare Mictsähe zu ermöglichen. Die Negie rung geht von der Tatsache aus, daß bisher aus Mitteln der Hausztnssteuer in zu hohem Maße der Bau von größeren Wohnungen begünstigt wurde, von denen jetzt Tausende leer stehen, weil sie angesichts der hohen Mieten nur für einen ge ringen Bruchteil der Wohnungsuchenden in Frage kommen können. Die Finanzierung der größeren Wohnungen soll jetzt »witlomll an die Bauen»»« Konmo. 30. Ang. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat die Sowjetrcgicrnng angesichts des katastrophalen Fortganges -er Erntecrsassung an die Mitglieder der Kollcktivwirtschasten einen neuen Aufruf erlassen. Darin zählt sie alle Maßnahmen ans. die sic im Verlaus der letzten Monate zugunsten der Kollektivwirtschaften durchgcsührt habe. Diese hätten tm laufenden Wirtschaftsjahre allein eine halbe Milliarde Rubel vom Sowjetstaat erhalte» und seien vollkommen ausreichend mit bestem Saatgctreidc versorgt worden. Ueber 400 Mil lionen Rubel habe der Staat für die Traktorisicrung der Lcindwirtschast ausgcwvrfc». Es sei außerdem eine Reihe weiterer Erleichterungen für die Mitglieder der Kollektiv wirtschaften in steucrlielrcr Hinsicht geplant und es sei nun mehr an den Kollektivbauern, auch die Verpflichtung für die Ablieferung des Getreides an den Staat zu übernehmen. Die Sorgen des proletarischen Staates und die Entwicklung der Wirtschaften müßten von diesen anerkannt werden und die ausreichende Versorgung des Landes mit Brot und damit die Sicherstellung der Er- nährnng sei deshalb als eine Ehrcnfrage für jeden Bauern anznschcn. Maffenflucht der Sowjetarbeiter Riga, 30. Ang. Der Mangel an Lebensmitteln nimmt in Sowjetrußland immer schärfere und gefährlichere Formen an. Tie wachsenden Bcrsorgungsschwicrtgkciten veranlassen die Arbeiter in den industriellen Werken. Gruben »nb Eisenbahn- betrieben zur Masse nflucht. Die Moskauer Blätter bringen darüber aufsehenerregende Nachrichten. Nach Mel dung der „Ekonomitscheskaja Shisn" verließen in den letzten Monaten 950 qualisizierte Arbeiter die Eisenbahnlinie Lenin grad-Moskau. Dieselbe Erscheinung ist auch auf anderen Eisenbahnlinien bemerkbar. Ans der Miirman-Etsenbälm, die Moskau mit den anderen Gebieten der Sowjetunion ver bindet, wo die Versorgungsschwierigkciten besonders akut sind, flüchteten etwa 6500 Eiscnbahnarbciter, b. h. 45 Prvz. der Gesamtbelegschaft. Auch ans dem Kohlcngebiet des Donczbcckenü entlaufen die Bergarbeiter in Massenschare», da die staatlichen Behörden »nd Konsumgenossenschaften nicht imstande sind, die Arbeiter mit Lebensmitteln zu versorgen- der Privathandel aber gedrosselt ist, Krestinski geht Berlin. 30. August. Der Botschafter der Sowjetunion in Berlin, Krestinskt, wird sich am 6. September von Moskau wieder nach Berlin begeben, um dem 'Reichspräsidenten von Hindcnburg sein Abberufungsschrciben zu übergeben, da nun mehr bestimmt ist, daß Krestinski seine» Berliner Posten nicht wieder übernehmen wird. Die Frage seiner Nachsvlgcschast wird erst Mitte September geklärt werden. Gleichzeitig mit dem Botschafter Krestinski wird auch der bisherige Pressechef der Botschaft, Stern, seinen Posten verlassen. Seppelin kommt nach Moskau kowno, 80. August. Wie aus Moskau gemeldet wird, werden über den bevorstehenden Besuch des „Graf Zeppelin" in Moskau Einzelheiten bekaniftgegeben. Nach amtlichen Mit teilungen wird „Graf Zeppelin" von russischen Flugzeugen an der Grenze empfangen und nach Moskau begleitet wer den. In Moskau wird bas Luftschiff auf dem Flugplatz Frunse landen, wo ein besonderer Mast angelegt wirb. Da „Graf Zeppelin" sich nur kurze Zeit in Moskau aufhaltcn wird, sind Empfänge vorgesehen bei der Somjctrcgicrung, bei der deutschen Botschaft, bet dem Stadtrat von Moskau sowie bet der Gesellschaft Ossoaviachim. Ein Besuch des „Graf Zeppelin" in Leningrad kommt vorläufig nicht in Frage. Kreuzer „Köln" in Kopenhagen Kopenhagen, 80. Aug. Der hier eingetroffene deutsche Kreuzer „K ö l n" war gestern nachmittag dem Publikum zur Besichtigung freigegeben und wurde von vielen Tausenden besucht. Am Abend veranstaltete die Deutsche Kolonie ein Fest für die Besatzung, an dem auch der Kommandant des Kreuzers, Fregattenkapitän v. Schröder, und der deutsche Gesandte Freiherr v. Nichthofen mit den Mitgliedern der Gesandtschaft teilnahmen. Das dänische Marineministe- rinm gab den Offizieren des Kreuzers ein Fest, an dem auch der Bruder des Königs, PrtnzHaraId. mit drei Töchtern und die Mitglieder der deutschen Gesandtschaft mit Damen teUuahme». ..