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Jas Urteil im Barmat-Prozeß. Die Amnestievoriage in stürmischer Reichstags-Sitzung abgelehnt. Strafen nur wegen Bestechung, im übrigen Freispruch. (Eigener Drahtbertcht.) Berlin. 30. März. Der Barmat-Prozeß. der nun schon seit dem N. Januar IV27 in fast 200 Sitzungen das Gericht beschäftigt hat. iand heute blich seinen Abschluß. Die Schluß- sitzung wies alle Zeichen eincö großen Tages auf Sämtliche elf Angeklagte haben mit ihren Verteidigern im Saale Platz genommen Auch eine Reihe von Sachverständigen, die im Laufe des Prozeßes tä'ia waren, lind erschienen Der Unter, suchungsauöschuß des Reichstages ist durch den Abg. Tauch (D. Vv-l. der des Landtages durch den Abg. Suttner lSoz.j vertreten Der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Reumann er- öffnete Punkt 9 Uhr die Sitzung mit dem Aufruf der Ange klagten. Nachdem die Angeklagten aus die Möglichkeit, noch mals das Wort zu nehmen, verzichtet hatten, verkiindete der Vorsitzende das Urteil: 1. Der Angeklagte Julius Barmat wird wegen aktiver Bestechung in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von elf Monaten Gefängnis vernrteilt. wovon 18» Tage durch Untersuchungshaft als verbüßt angercchnet werden. Im übrige« wird er freigesprochen. » 8. Der Angeklagte Hellwig wird wegen fortgesetzter Passiver Bestechung z« sechs Nochen Gefängnis verurteilt, die durch die UnterluchungShaft verbüßt sind. I« übrige» wird er srclgesprochen. >. Der Angeklagte HeuryBarmat wirb wegen aktiver Bestechung in einem Falle zu sechs Monaten Gefängnis ver urteilt, wovon 187 Lage durch Untersuchungshaft verbüßt sind. Im übrigen wird er sreigesprochen. 4. Der Angeklagte Walther wird wegen «Vergehens gegen 8 138 des Gesetzes über die privaten Vcrsicherungsunter- nehmnngen vom 18. Mai 1831 zu einer Geldstrafe von 833 Mk. verurteilt, an deren Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit 8 Lage Hast treten. Im übrigen wird er freigesprochen. 8 Der Angeklagte Stachel wird wegen eines Falles der sortgesetzten schweren passiven Bestechung und wegen eines Falles der etnsachen passiven Bestechung zu einer Gcsamtstrasc von drei Monaten und drei Dagen Gefängnis vernrteilt. Im übrigen wird er sreigesprochen. Dem Angeklagten Stachel wird die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter ans die Dauer von drei Jahren aberkannt. 8. Die Angeklagten Klensky. Langc-Hegcrmann. Alfred Staub. Nabinowitz, Hugo Staub und Hahle werden frei- gesprochen. 7. Folgende Geldbeträge nnd folgende Gegenstände oder deren Wert sind dem Staat verfallen: 1. Gegenüber dem Angeklagten Julius Barmat 41847,53 Reichsmark. 8. Gegenüber dem Angeklagten Hellwig 133 Zentner Koks- anlribr dev Stad« Altenbnrg. 433 Stü«k Aktien der J.-Rotb- Akticngescllschast in Berlin, 833 Stück Aktien der Eiscn- Matthcs-A.-G. 8. Gegenüber dem Angeklagten Stachel ein Schrankkoffer. ein Grammophon, eine» Uhr. fünf Stück Bema-Aktie», zehn Stück Gcnußscheine der Schubert L Salzer A. G. und 733 Mk. Die Kosten des Verfahrens fallen, soweit Verurteilung erfolgt ist. den verurteilten Angeklagten, sowett Freisprechung erfolgt ist, der Staatskasse zur Last. Zur Begründung des Urleils führte der Vorsitzende auS: Wenn heute nach eineinhalbjähri- ger Verhandlung das Urteil verkündet wird, so ist sich das Gericht der ungehueren Schwierigkeiten, die in diesem Prozeß der Wahrheitsfindung enlgcgenstanden, wohl bewußt und macht sich daher nicht anheischig, in allen Punkten die absolute Wahrheit gefunden zu haben. Dabei bot nicht die Fülle des Prozeßftoffes die Hauptschwierigkeit, sondern die Ausgabe, sich In die Zeit der Tat, also ins Jahr 1884, zurttckzuvcrsetzcn. Es mar eine Zeit, in der die durch Krieg und Revolution ver ursachten Begriffs- und Gefllhlsverirrungen noch fortwirkten, in der nach Ueberwindung der chaotischen Zustände der In flation mit der Einführung der stabilen Währung zwar stabile Begriffe da waren, aber die einzelnen »och zum großen Teil der Fähigkeit entbehrten, in stabilen Werten zu rechnen. Dieser Erkenntnis durfte sich das Gericht bei Feststellung des subjek tiven Tatbestandes nicht verschließen. Daneben bot die Schckssung einer sicheren Beweisgrund lage Schmierigkeiten. Ein Teil der Zeugen versagte ganz, bei einem anderen Teil war zu prüfen, ob nicht etwa unter Trübung des wahren Bildes die Erinnerung aus früheren Aussagen welterlebte, die unter ganz anderen Gesichtspunkten gemacht waren, und eine dritte Gruppe gab zu vorsichtiger Beurteilung Anlaß, weil sie durch starke materielle Interessen mit dem Gegenstand ihrer Vernehmung verbunden war. Allerdings lagen viele Hunderte von Urkunden, also objektive Beweismittel, dem Gericht vor. Bei Ihnen ergab sich aber die Schwierigkeit der Feststellung der Verfasser. Die Wür digung dieser Schwierigkeit ergab, daß bei einem großen Komplex der Anklage die Möglichkeit einer zweifelsfreien Feststellung der Tatsachen nicht mehr gegeben war. Fast in allen Fällen sind bedenkliche Geschäftsvorfälle zu tage getreten, die vielleicht Symptome einer verirrten An schauung waren, jedenfalls mit den hentigen Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbar sind. Aber Lüge und Täuschung erfüllen allein noch nicht den Tatbestand des Be trugs. Auch sonstiges ««lauteres GcschästSgebaren entzieht sich häufig der Möglichkeit strafrechtlicher Ahndung. Das Gericht kann heute nur die wesentlichen das Urteil tragenden Gründe angeben. Der schriftlichen Begründung muß es Vorbehalten bleiben, den Tatbestand in seinem ganzen Umfange wtederzngeben und die Rechtsgrundlage darzutun. Der Vorsitzende geht dann auf die einzelnen Kapitel der Anklage ein. Keine sofortige Verhaftung der Brüder Barmai. Berlin, 30. März. Bei der Verkündung des Urteils tm Barmat-Prozeß gab der Vorsitzende bekannt, daß der Antrag der Staatsanwaltschaft, den Haftbefehl gegen Julius und Henry Barmat zu vollstrecken, vom Gericht zurück - ge wiesen wurde. fW. T. B.s Die Eisenbahn als Reparallonslriiger. Von Geh. Regierungsrat Dr. R. G. Qua atz. M. d. R. Tie Eisenbahn ist der wichtigste Reparationsträger. Sie bringt fast 40 Prozent der deutschen Tribute aus. Sie ist daher am Tawes-Plan an erster Stelle interessiert. Der Tawes . Plan ist der Versuch einer Ausführung des Ver sailler Vertrages. Er bezeichnet sich selbst als Proviso- rtum. als Uebergang zu einer Endlösung. Mit Recht sieht der Reparationsagent Parker Gilbert eine Endlösung nur für möglich an, wenn die Gesamtsumme fest begrenzt ist und in voller Freiheit bezahlt wird. Welche Summe kann Deutschland übernehmen? Der Dawes-Plan basiert auf der Annahme, daß die deutsche Wirt schaft llcbcrschüsfe abwerfen werde. Tie Wirklichkeit ist anders gelaufen Deutschlands Handels- und Zahlungs bilanz ist um mehrere Milliarden passiv. Ter Fehl betrag deckt sich ungefähr mit der Mehrcinfuhr an Lebens mitteln. Mit anderen Worten: Wir führen für 3)4 bis 1 Milliarden Getreide. Fleisch, Obst, Gemüse. Wein usw. ein und bleiben den Betrag dafür schuldig. Heute fehlt es also überhaupt an Ueberschttsien der deutschen Wirtschaft, aus denen die für die Tribute notwendigen Devisen gekauft werben könnten. Denn Frankreich kann keine Mark gebrauchen, es will Franken, England Pfunde usw. als Tribute. Ferner müsien wir die Zinsen für unsere Auslandsschulden natürlich in Devisen, nicht in Mark zahlen. Devisen erhält man für Warenlieferungen oder andere Leistungen. Was wir darin leisten können, reicht, wie eben gezeigt, nicht einmal zur Be zahlung der Einfuhr. Heute ist Deutschland also nicht leistungsfähig. Kann Deutschland leistungsfähig gemacht werden? Das ist möglich! Aus welchem Wege? Kann Deutschland durch Mchrausfuhr seine Zahlungsbilanz ausgleichen und aus dem Ausfuhrgcwinn außerdem noch die Devisen sür die Tribute erzielen? Das würde ein außerordentliches Vor dringen Deutschlands auf dem Weltmärkte voraussctzen. Einem solchen Vordringen aber würde der Widerstand der anderen Jndustrievölker entgegenstehen. Fast alle Industrie- Völker leiden darunter, daß sie daS Gleichgewicht zwischen Industrie und Landwirtschaft nicht Herstellen können. Daher der Kampf um den Absatz. Zudem ist die Bedeutung Europas im Welthandel stark zurückgegangcn. Sie beträgt rund 88 Prozent der Fricdenssumme. Deutschland ist besonders zurückgegangen. Seine Ausfuhr beträgt etwa 70 Prozent der FriedcnsauSfuhr. Auf dem Wege der Steigerung beS Ex ports wird Deutschland also nicht die Mittel sür Tribute auf bringen. wenn es nicht innerlich erstarkt. Deutschland muß sich auf dem inneren Markte er holen. Ohne Stärkung des inneren Marktes ist auch ein Auf schwung der Ausfuhr auf die Dauer undenkbar. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Agrarbasis, die schon vor dem Kriege kaum hinreichte, durch den Versailler Frieden im Osten stark verstümmelt worden ist. Im Nordosten und Osten aber liegen die Ucberschußgebiete Deutschlands. Am schlimmsten wirkt der Verlust von Wcstpreußcn, weil hier durch gleichzeitig Ostpreußen vom deutschen Wirtschastskörper abgeschnürt worden ist. Wahlkampfstimmung Die Ablehnung -er Amneskievorlage. Berlin, 30. März. Im Reichstage wurde heute die Amnestievoriage in der Gesamtabstimmung mit 888 : 143 Stimmen bei 8 Enthaltungen endgültig abgelehnt. Der Reichstag hat lchließlich die Entschließungen an genommen. die die Neichsregierung ersuchen, der geplanten Elliihnng der Eisenbahntarise die Zustimmung zu versagen, und in der Schlußabstimmnng den Etat sür 1888 genehmigt. Das Sans wir- „persönlich". (Drahtmeldung unsrer Berliner Schrlktleltung.l Die blutigen Köpfe von gestern abend sind nicht so leicht »u vergessen. Im Reichstag zittert heute die Erregung nach und jeden Augenblick muß man neue Ausbrüche der bis aufs äußerste aufgewühlten Leidenschaften befürchten. Der Regie durch den Reichstagsprästdenten Löbc gelingt es jedoch immer wieder, beschwichtigend cinzuwirken. So entlädt sich der Zorn des Parlaments lediglich in einer wahren Flut von -persönlichen" Bemerkungen, — die zum Teil indessen in per- sönliche Beschimpfungen ausarten und Ordnungsrufe nach sich ziehen. Die sachlichen Beratungen geraten immer mehr in den Hintergrund. Der Wahlkamps tobt sich auS in unerfreulichstem Hin und Her. Bei der A m n e st i e f r a g e spitzt sich abermals die Dis kussion messerscharf zu. Landsberg von den Sozialdemokraten revanchiert sich mit spitze» Bemerkungen für die Faustschläge, die seine gestrige Rede auf die Häupter seiner Parteigenossen von kommunistischer Seite herabbeschwor. Der Demokrat öe»ß geht gegen den Justizmtnister Hcrgt loS, der ihm und Üoch-Weser keine Antwort schuldig bleibt. im Reichsparlament. Tief bedauerlich ist schließlich der Zusammenstoß zwischen dem Deutschnationalen von Freytag H-Loringhoven und dem greisen Dr. Kahl von der Bolkspartet, der un erfreulichste Formen annimmt. Es gibt einen Skandal, Pfut- und Ordnungsrufe. Müllen die beiden Rechtsparteien denn durchaus der hohnlächelnbcn Linken das traurige Bild eines ins persönliche ausartenden schwarz-wciß-roten Bruderkriegs in aller Ocffentlichkett bieten? Hölletn erhebt sich und wird persönlich gegen Landsberg. Landsberg zahlt mit gleichartiger persönlicher Münze zurück. Eine Szene jagt die andere. Ter drBeutsnationale Bernbt muß sich gegen Irreführungen der Demokraten zur Wehr setzen. Wieder ein Gezerre hin nnd her. Endlich kommt man zur Abstimmung. Auf der Tribüne sagt einer: Dieser deutsche Parlamentarismus ist reif für einen Mussolini. (Sitzungsbericht des Reichstags sieh« Seite 3.) Verlängerung -er Session -es Bayrischen Lan-iaaes. München, 80. März. Der Landtag hat heute den von den bürgerlichen Parteien eingebrachten Jnltiatlvgesctzentivurf wegen Verlängerung der Dauer des Landtags bis 20. Mai in namentlicher Abstimmung mit 32 gegen 6 Stimmen angenom men. Dagegen stimmten nur die Kommunisten. Wettere Verschiebung -es Abfluges -er „Bremen". Re« york, »3. März. Die letzten Meldungen a«S Dublin kündigen eine weitere Berschiebnng des AbslngcS der ..Bremen" «m mehrere Tage an. Der geplante Flug gibt hier Anlaß zu zahlreichen Wetten, bei denen im allgemeinen mit 1:4 für de« Erfolg des Unternehmens gesetzt wird. Soll Deutschland so leistungsfähig gemacht werden, daß es aus jeden Währungsschutz (Transfers verzichten kann, so ist die Voraussetzung die Wiederherstellung seiner Agrar basis. Wir Müllen wieder dahin kommen, baß wir den Haupt teil unserer Nahrung tm Jnlande erzeugen. Mit verstüm melter Agrarbasis ist Deutschland nicht in der Lage, ein grobes und in seiner Wirkung nicht ohne weiteres übersehbares Risiko zu übernehmen. Tie Uebcrnahme einer festen Tribut summe auf eigenes Risiko und durch freiwilligen Vertrags- schluß bedeutet für Deutschland ei» hohes Spiel. Mau darf nicht vergehen, daß es heute Mark schuldet. Die Um wandlung von Mark in Devisen darf nur insoweit erfolgen, als dadurch unsere Währung nicht erschüttert wird (Transfer- schutzi. Nach dem Vorschläge beS Rcvarationsagentcn würbe cS in Dollar Pfund, Franken usw. zu zahlen haben, d. h. er beseitigt den Transferschutz. Das Risiko für die Währung ist also ungleich schwerer. Deutschland setzt da mit nicht nur Vermögen nnd Bolkskraft, sondern auch seine politische Ehre nnd. seinen kommerziellen Kredit ein. Was es aus diesem Wege übernimmt, muß unter allen Umständen ge leistet werden, gleichgültig, wie sich die wirtschaftliche Lage gestaltet. Es ist klar daß die Tributsumme bei solcher Risiko- Übernahme durch das Deutsche Reich nur einen Bruchteil der 2500 Millionen, die nach dem DaweS-Plan zu zahlen sind, be- trogen könnte. Ebenso klar ist. daß Deutschland und die deutsche Volkswirtschaft von allen Kontrollen und Zwangs maßnahmen, wie sic auch Heiken mögen, zu befreien wäre. Für die Eisenbahn würbe der Vorteil bestehen, baß Ne in ihrer Ftnanzwirtschaft wieder volle Bewegungsfreiheit erhalten würde. Welche Bedeutung das haben würde, sei durch einige Zahlen erläutert. Wir können für das Eiken- bahnjahr 1828 mit einer Gesamteinnahme voll etwa 5000 Mil lionen Mark rechnen. Legt man die Erfahrungen des Frie- benS zugrunde, so erfordert die Vorsorge für die Entwicklung des Unternehmens, baß man für Bauten und Beschaf. fungen jährlich etwa 20 Prozent dieser Summe an Kapital neu htnetnsteckt. Das.wären jährlich 1000 Millionen. Berück, sichtigt man die heutigen ungünstigen Verhältnisse, so könnte man allenfalls etwa 5. bis 300 Millionen Mark noch als auS- reichend bezeichnen. Tatsächlich aber wirb der Eisenbahn wahrschZnltch nicht viel mehr alS die Hälfte der Summe