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Nr. 172 2S. Juli 18S« Mutscht MgtMinc Zeitung «Wahrheit uud Recht, Freiheit und ErsehI» Preis für da« Bierteljahr l'/r Thlr.; jede einzelne Rümmer S Ngr. Zu beziehen durch alle Postänlter de« In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Freitag. ' Leipzig. Li« Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittags 4 Nhr aus gegeben. Ein Blick i» die nächste Zukunft Europas, hauptsächlich in Bezug auf Deutschland. n. «d Leipzig, 24. Juli. Da wir zu den Ungläubigen hinsichtlich der Stabilität des jetzigen Rigime in Frankreich gehören, so drängt sich uns die Furcht auf, daß der oder die Nachfolger desselben, um sich die Sym- pathie der Armee und der Nation zu erwerben, auf die Idee kommen möchten, die im Anfänge dieses Jahrhunderts erhaltenen Schlappen auch bei dem derzeit hauptsächlich mitwirkcnden Deutschland auszuwehen, umso mehr, da die französische Armee in Rußland nicht durch die Russen, son- dern durch das Klima geschlagen wurde, während cs in Deutschland und vorzüglich in Preußen die erwachte Nation war, die das fremde Joch mit kräftiger Halid abwarf, die Unterdrücker vom heimischen Boden jagte und bis in das Herz ihres eigenen Landes verfolgte. Hierzu braucht nur noch die LieblingsideeZedes Franzosen von der limit« nstursllo angeregt zu wer- den und die alsvan« am Ruder der französischen Regierung Stehende» dürf ten sich bei der ÄuSführung dieser Operation der unbegrenzten Sympathie und Mithülfe der ganzen Nation zu erfreuen haben, umsomehr, da man in Frankreich die im letzten Kriege durch Deutschland, vorzüglich durch Preu ßen beobachtete, scheinbar jedoch mehr nach der einen als der andern Seite hin au-geübte Neutralität mit sehr ungünstigem Auge betrachtet hat. Ob gleich unser Vertrauen zur deutschen Kraft rin unbegrenztes ist, so bleibt Frankreich doch immer ein gefährlicher Gegner, weil dessen große Macht, in Einer Hand ronrentrnt, der Zerrissenheit Deutschlands gegenüber zu sehr im Vortheil ist und schon da« stete Rivalisiren der beiden deutschen Großmächte dem Gegner leichtes Spiel verschafft. Auch wenn Oesterreich sich der deutschen Sache mit Aufrichtigkeit annehmen wollte, so hat solche- am eigenen Körper so viele verwundbare Stellen, daß es genug mit sich selbst zu lhun haben würde; denn das Erscheinen einer nur kleinen fran zösischen Armee in Italien zu Gunsten der dort unterdrückten Partei würde einen Brand daselbst anfachcn, zu dessen Löschung Oesterreich sicher beiz größten Theil 'seiner verfügbaren Macht nöthig haben würde, weil noch obendrein Sardinien einen so günstigen Augenblick nicht vorübergehen lassen würde, um zu versuchen, die ihm schon jetzt von allen Italienern zugedachte Suprematie über Italien zu erringen, während Ungarn noch immer wie eine drohende Gewitterwolke im Rücken Oesterreichs schwebt. Auf Ruß- lands Unterstützung dürfte nach dem letzten Gebahren Oesterreichs Rußland gegenüber bei einem neuen Ausbruch in Ungarn wol schwerlich zu rechnen sein, denn Rußland vergißt derartige ihm feindselige Vorgänge wie die dro hende Haltung Oesterreichs während des letzten Kriegs und später den Ab schluß des Separatvcrlrags nicht. Die entonte oorstisl« zwischen diesen beiden Mächten ungeachtet der Geschmeidigkeit der österreichischen Politik möchte für lange Zeit einen unheilbaren Bruch erlitten haben; was wir jedoch als ein Glück für Deutschland betrachten und den aufrichtigen, aber nur leider! jetzt vergeblichen Wunsch aussprechen, daß eine andere Groß macht seinerzeit mit eben der Energie wie Oesterreich ausgetreten wäre, wo durch die Dauer unnützen Blutvergießens bedeutend abgekürzt, ja solches vielleicht ganz verhütet worden wäre, und eben diese Macht in die ihr schon vor beinahe einem halben Jahrhundert durch Tractate verbrieften Rechte eingetreten sein, sowie sich für immer der russischen Suprematie entledigt haben würde. Allein das sind leere Wünsche pv8t ksstuin, halten wir nun also an Das, waS wirklich geschehen kann, und sehen wir uns um, auf welche Bundesgenossen Deutschland, das engere Deutschland ohne Oester reich, bei der Eventualität eine- Angriffs von französischer Seite zu rech nen haben würde. Wahrscheinlich würden sich die ersten Blicke nach dem Norden richten, nach dem sich nun einmal alle deutschen Regierungen wie die Nadel deS Compaß hingezogen fühlen; allein welche Hülfe ist von da aus zu er- warten? Vorläufig hat man daselbst genug mit der Ausbesserung der eige nen, im letzten Kampfe erlittenen Schäden zu thun, und das ermattete Ruß land wird sich wohl hüten, zu Gunsten Deutschlands abermals mit jenem furchtbaren Gegner anzubinden, der ihm noch kürzlich die schlagendsten Be weise geliefert hat, daß er ihm zu Wasser und zu Lande überlege» ist. Sollte die befürchtete Katastrophe ober später eintreten und Rußland sich wirklich wieder stark und geneigt fühlen, Deutschland bcizustchen, was wird dann aber im Fall des Gelingens der Preis für diese Hülfe sein? Nach den Kriegen mit Napoleon l. begnügte es sich mit dem Königreich Polen, von dem es jedoch aus besonder« Rücksichten an Preußen und Oesterreich einige Provinzen abließ, alsdann aber würde es sich, um sich besser zu ar- rondiren und nicht zu weit zu greifen, vielleicht mit den preußischen Ostsec- provinzen, Ost- und Westpreußen, die doch nicht zum Deutschen Bund« s gehören, und der Provinz Posen begnügen, denn der Gedanke, dem besieg- , ten Frankreich auch nur ein Dorf zu nehmen, würde den Siegern alsdann ebenso fern liegen als in den Jahren 1813 und i8I5, wo der richtige Zeit punkt war, Frankreich die ehemaligen deutschen Provinzen Elsaß und Lolhrin- gen wieder zu entreißen und somit auf diesem ganz gerechten Wege es ihm für immer unmöglich zu machen, unaufhörlich den Frieden der Welt zu stören. Man wollte damals aus übelangebrachtcr Pietät vor der Lcgiti- mität des altersschwachen, sich längst überlebt habenden altern Stammes der Bourbonen, demselben Frankreich wieder so übergeben, wie cö seine Vor fahren per las und per ae ku8 zusammengerafft hatten, und zog eS vor, um doch eine Entschädigung und einen Sündcnbock zu haben, Sachsen einen Theil seiner schönsten Provinzen zu entreißen. Also auf eine Hülfe von Rußlands Seite dürfte fürs erste nicht und später vielleicht nur unter großen Opfern und mit Aufopferung des kleinen noch übriggebliebencn Theils moralischer deutscher Selbständigkeit zu rechnen sein; denn lassen wir es uns nicht verhehlen, ebenso schwer wie es dem deutschen Volke wird, sich von seinen angestammten Fürsten zu trennen, ebenso schwer wird es den deutschen Regierungen, sich von der Idee zu trennen, in Rußland, ungeachtet seiner in letzterer Zeit erhaltenen Schlap- pen, die dessen Nimbus bedeutend geschwächt haben, ihren sichern Hort zu erblicken. Wenden wir nun unsern suchenden Blick nach Westen, so kann un- sere Hoffnung auf eine Hülfe von Seiten Englands «btnfalls nur schwach sein, denn die englischen Blätter aller Farben haben un- nur zu deutlich gesagt, welchen Groll man daselbst gegen Deutschland wegen seiner im letz ten Kriege behaupteten und ihrer Meinung nach ziemlich zweifelhaften Neu tralität hegt, und da der Engländer gewohnt ist, bei sich zu Hause hin sichtlich der großen Principien der auswärtigen Politik zwischen Volk und Regierung keinen Unterschied zu machen, so sieht er auch in dieser Bezie- hung die deutschen Völker als mit ihren Regierungen einverstanden an, während er, wenn er sich die Mühe hätte geben wollen, die Stimmung des deutschen Volks genauer zu untersuchen, zwischen Volk und Regierten- gen einen himmelweiten Unterschied gefunden haben würde, und daß, wenn es den Völkern erlaubt gewesen wäre, auf die Regierungen zu influiren, wie dies der Fall in England ist, Deutschland eine ganz andere Politik befolgt habe». Allein dem ist nun einmal nicht so und es wird fürs erste auch wol sein Verbleiben dabei haben müssen. Deutschland. Preußen. ^Berlin, 23. Juli. Wiederum ist nicht die geringste Nachricht aus Spanien vorhanden, nicht einmal eine Nothlüge aus Pa ris. Es scheint demnach fast, als ob nian in Paris die Dinge doch noch nicht ganz geheuer fände, denn sonst wäre man dort um eine „beruhigende", wenn auch nicht eingetroffene, Depesche aus Spanien wol nicht verlegen. Zieht man die falschen Depeschen ab, so sind wir seit dem 18. Juli, also seit fünf mal 24 Stunden, ohne Nachrichten aus Spanien. Die Haupt ursache davon liegt natürlich in der Unterbrechung des Telegraphendienstes; aber auch mit voller Berücksichtigung dieses Umstandes muß die Frist von ganzen fünf Tagen, die wir nun ohne alle Nachrichten sind, manche Bc- denken Hervorrufen, und jedenfalls wird man annehmen dürfen, daß die Entscheidung, trotz des „Siegs" in Madrid, vorderhand noch in Zweifel steht. Die weitern Berichte, die aus Paris hier eingegangen sind, können, was die Zeit betrifft, unter solchen Umständen natürlich nichts Neues ent- halten; dagegen geben sie nachträglich verschiedene Notizen, die zur Beleuch tung der Situation jedenfalls von hohem Interesse sind. Daß »yan fran- zösischerseit- in Bezug auf die Vorbereitungen zum Staatsstreich stiller Mit wisser und Beförderer war, unterliegt keinem Zweifel. Erwägt man hier- neben, daß eS gerade die Folge der von O'Donnell im Jahre 1854 aus geführten Revolution war, daß die Königin Christine Spanien verlassen mußte, so liegt nichts näher als daß, wenn die Rcaclion wirklich den Sieg davonträgt und infolge dessen, was dann unausbleiblich, die Königin Chri stina wieder nach Spanien zurückkehrt, es gerade auch wieder O'Donnell sein wird, dem die Früchte seines „Siegs" am allerletzten zugute kommen werden. Das liegt für Jeden auf der Hand, und wenn man nun fragt, warum O'Donnell unter solchen Umständen das Attentat gegen die gesetz liche Freiheit dcS Landes gleichwol unternommen habe, so bleibt in der That kaum etwas Anderes übrig als die Annahme, daß er da- verblendete Werk zeug einer auswärtigen Macht sein dürfte. Die Dinge werden sich hier- über später noch mehr aufklären. Der englische Gesandte, Lord Howden, hat sich vom erste« Augenblick deS beginnenden Staatsstreich- von dem französischen Gesandten, Marquis de Turgot, entschieden ferngchallen. Mit der neuen Negierung soll er, soweit die direkten Nachrichten aus Ma-