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beschäftigte sich Prokofjew gleichzeitig mit der dritten Klaviersonate und der Dosto jewski-Oper „Der Spieler”. Das Konzert besitzt einen reichbedachten virtuosen Solo part. Seine grundsätzliche Haltung ist jedoch mehr - dem Soloinstrument entsprechend - lyrisch, gesangsvoll, ohne weichlich zu sein, mit sinfonischem Formbewußtsein konzipiert. Daß in dem liebenswürdigen Werke, das Prokofjew wegen einiger „träumerischer Motive“ besonders schätzte, auch die humorvoll-spritzige, spielerisch-anmutige Seite seines ausgeprägten Personalstils zur Geltung kommt, versteht sich fast von selbst. Ungewöhnlich ist die formale Anlage dieser reifen, klaren und von kontrastreicher Thematik getragenen Komposition: Zwei lyrische langsame Sätze umrahmen einen schnellen Scherzosatz. Den ersten Satz (Andantino) bestimmt ein zartes, träumerisch-sangliches Thema, das später noch einmal, in der Coda des Finales, erklingt. Virtuose Passagen und Triller leiten zum chromatischen, humorigen Nebenthema über, dessen muntere Kapriolen in denkbar großem Gegensatz zur melodischen Lyrik des Hauptthemas stehen. In der geist vollen Durchführung werden die beiden Themen vollständig verwandelt, einaml durch die steigende Beschleunigung des Zeitmaßes, zum anderen durch die für Prokofjew so typische sarkastisch-ironische Verzerrung ihres ursprünglichen Charakters. Aber in der Reprise erklingt das kantable Hauptthema in seiner originalen Gestalt im Orchester, während es die Violine figurativ umspielt. Der zweite Satz (Vivacissimo), formal einem fünfteiligen Rondo entsprechend, hat ausgesprochenen Scherzocharakter (man beachte auch die Verwandtschaft zum Scherzo des zweiten Klavierkonzertes). Ununterbrochene Bewegung zeichnet diesen grotesk-launischen, brillanten Satz mit seinem prägnanten, chromatisch aufsteigenden ersten Thema aus. Der temperamentvolle musikantischc Übermut, der in den melodischen Sprüngen, Glissandis und Flageoletts dieses Scherzos steckt, wird auch nicht durch vorübergehende trübere Stimmungen, die Episoden bleiben, beeinträchtigt. Die lyrische, lichte Atmosphäre des ersten Satzes wird im dritten Satz (Moderato), „der Bilder eines heiter-klaren Traumes enthält“ (W. Delson), wieder aufgenommen. Starke Gefühlskräfte prägen das Hauptthema, das die Violinen gleich zu Anfang anstimmen. Auch hier gewinnen die dunklen Gegenkräfte nicht die Oberhand. In der umfangreichen Coda, die den Satz beschließt, werden auf dem Höhepunkt das lyrische Hauptthema des Eröffnungssatzes (in der Solovioline und den ersten Geigen) und das Hauptthema des Schlußsatzes (im Orchester) miteinander verknüpft. Strahlende Klanglichkcit fasziniert den Hörer. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte war der große italienische Geigenvirtuose Niccolö Paganini, der geradezu berauschende Wirkungen auf seine Zeitgenossen in Italien, Deutschland und Frankreich ausübte. Das Dämonisch-Aben teuerliche seiner Person führte im Bunde mit seinen einmaligen, phänomenalen gei gerischen Fertigkeiten dazu, daß man ihn sogar der Zauberei verdächtigte oder ihn mit Geistern und der Hölle im Bunde glaubte. Paganini, von gelegentlichem Geigenunterricht abgesehen eigentlich Autodidakt, vereint in seiner Person „was andere vereinzelt aus zeichnete: einen hinreißend ausdrucksvollen Vortrag, einen wunderbar großen und dabei doch der verschiedensten Stärkegrade sowie des mannigfaltigsten Timbres und Kolorits fähigen Ton, ein zauberhaftes, wie in Sphärenklängen verhallendes Flageolett, Gegen sätze im Legato und Stakkato, wie man sie vor ihm nicht gekannt, doppelgriffige Gänge, die niemand außer ihm auszuführen vermochte, Pizzikatos, gleichviel, ob mit der rechten oder der linken Hand, deren springende Passagen jedem anderen Geiger den Hals gebrochen haben würde, und, außer seiner fabelhaften Technik, jene dämonische Leiden schaftlichkeit, die ihm allein eigen war. Sprang ihm eine Saite, ja zwei Saiten, so spielte er auf den übriggebliebencn, soweit es deren Umfang erlaubte, mit solcher Vollkommen heit weiter, daß der eingetretene Mangel selbst für den Kenner kaum hörbar wurde; auch stimmte er die Saiten, um gewisse besondere Effekte damit zu erreichen, nach Bedürfnis anders, als durch den Gebrauch vorgeschrieben war (ein Wiederaufleben der früheren Scordatura), und da er das Geschick besaß, eine Saite selbst während des Spiels unbemerkt einen halben Ton hinaufzuzichen, so begannen selbst manche ihm zuhörende Geiger an Wunder zu glauben. So steht dieser mysteriöse Mensch, der die seltsamste Mischung von Genialität und Scharlatanerie, von tiefstem, bis zu Tränen rührenden Aus druck und tollen diabolischen Kunststücken in sich vereinigte, der täuschend jeden anderen Virtuosen wiederzugeben vermochte und dabei doch ein eigenes Spiel hatte, mit dem er niemand glich und alles übertraf, als ein Unikum in der Geschichte des Geigenspiels da“ (Naumann/Schmitz). Da die Paganini-Zeit, also die Romantik, die ausgefallene extrem-subjektivistische Gcfühlsbetonung liebte, vergötterte sie den genialen Einzelmenschen. Diesen Zeitgeist vertrat Paganini in typischster Weise, hatte er doch kein anderes Anliegen, als ein möglichst großes Publikum durch sein Spiel zu faszinieren. Seine wichtigsten Kom positionen - nicht alle der unter seinem Namen laufenden Werke sind echt - sind die 24 Capricci für Violine solo op. 1, die Liszt, Schumann, Brahms, Rachmaninow, Casella, Dallapiccola und Blacher zu eigenen Kompositionen anregten, die beiden Violinkonzerte op. 6, D-Dur, und op. 7, h-Moll, sowie zwölf Sonaten für Violine und Gitarre, Zeugnisse eines Schaffens, das aus engstem Zusammenhang mit Paganinis sensationellem Virtuosen tum hervorging. Von den Violinkonzerten steht vor allem das heute erklingende unverwüstliche erste in D-Dur (1811) in der Gunst der großen Geiger unserer Tage. Naturgemäß interessieren uns heute an diesem Werk nicht so sehr die musikalische Substanz oder die satztechnische Gestaltung (das Orchester ist zumeist „dürftig“ be handelt, damit der Solist um so mehr hervortreten kann), sondern vor allem die auf die Spitze getriebene Virtuosität des Soloparts. Dieser nämlich ist mit allen Kunststücken ausgestattet, mit denen Paganini seine Zeitgenossen begeisterte: Doppelgriffe in ver schiedensten Lagen, Pizzikati der linken Hand und raffinierte Springbogenpassagen, Flageoletts, das bravouröse Spiel auf einer Saite. Dennoch ist das Konzert nicht nur eine brillante Aneinanderreihung geigentechnischer Aufgaben und Effekte, auch die Musik kommt durchaus zu ihrem Recht. Man denke etwa an das innig-schlichte zweite Thema des ersten Satzes (Allegro maestoso), das nach dem markanten ersten Thema bereits in der Orchestereinleitung vorgestcllt wird, ehe sich das Soloinstrument der Themen spielerisch-virtuos bemächtigt, oder an das cantable Adagio espressivo, das mit seinem opernhaften Anklang an Rossini erinnert. Das Rondo-Finale (Allegro spirituoso) allerdings dient weitgehend virtuosen Zwecken, obwohl auch hier das thematische Material prägnant ist. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNG: 26. Oktober 1965, 19.30 Uhr (Steinsaal) 2. KAMMERMUSIKABEND der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Werke von W. A. Mozart, J. Noväk und C. Kreutzer. Freier Kartenverkauf! Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Künstlerischer Leiter: Prof. Horst Förster - Spielzeit 1965/66 Redaktion: Dr.Dieter Härtwig Satz: Landesdruckerei Sachsen, Zentrale Lehrwerkstatt Druck: EMZ Dresden 9342 1.6 965 It-G 009/Ö7/65 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1965'66