Volltext Seite (XML)
Nr. 851. Leipzig. Erscheint «ußrr S»»»Ia>0 täglich. Preis vierteljährlich » Thlr., jede einzelne Nummer » Ngr. DcnW Allgtniciiie Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Ersetz!» Donnerstag, 27. October 1870. Inserate find an haalenslew lk Vogler in Leipzig oder an deren üdrig« Häuser zu senden. Zusertiourgebühr für dicepaltcnjc>lcl!/,Ngr„ unter Siugesandt Ngr. Nachabounements auf die Deutsche Allgemeine Zeitung fiir die Monate November und December werden von der Expedition der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Leipzig (Querstraße Nr. 29) angenommen. Der Preis beträgt siir Leipzig 1 Thlr. 10 Ngr., fiir auswärts (bei frankirter Zusendung) 1 Thlr. 25 Ngr., und ist dieser Betrag franco an die Expedition einzuseuden. Die im October noch erscheinenden Nummern werden vom Eintreffen der Bestellungen an gratis geliefert. Bei den Postämtern ist das Nachabonnement auf das ganze Vierteljahr (October bis December) zum Preise von 2 Thlr. zu richten, doch kann von den neuen Abonnenten die Nachlieferung der im October erschienenen Nummern nur insoweit beansprucht werden, als es der Vorrath erlaubt. Leipzig, 26. Oct. Unsere gestern entwickelte Ansicht, daß, wenn England überhaupt einen Schritt in der Waffen stillstandsfrage gethan habe, dies nur eine ganz allgemeine Anregung gewesen sein werde, findet heute mehrseitig ihre Bestätigung. Von London aus wird der Berliner Börsen-Zeitung telegraphirt, der eng lische Vorschlag sei „ganz allgemein gehalten", spreche sich weder über die Dauer des Waffenstillstandes noch über die während desselben von den Kriegführen den einzunchmenden Positionen aus, und bezwecke wesentlich nur den Zusammentritt einer französischen Nationalversammlung. Dies letztere bestätigt das Journal de St.-Peters- bourg mit dem Zusatze, daß diese Versammlung „als dann die Friedensfrage zu prüfen habe". Nur in diesem Sinne ist daher auch die Unter stützung zu verstehen, welche dem englischen „Vor- schlage" (wenn man eine so allgemeine Anregung einen Vorschlag nennen will) andere neutrale Mächte, zu nächst, wie es heißt, Oesterreich und Italien, nach den Andeutungen des für officiös geltenden Journal de St.-Pc'tersbourg wol auch Rußland, haben angedeihen lasten. Daß dabei von irgendeiner Pression auf die Krieg führenden, insbesondere auf die Sieger, nicht entfernt die Rede ist, bestätigt unter anderm eine Mittheilung der Neuen Freien Presse (die in dieser Hinsicht als ein unverdächtiges und auch als ein gutunterrichtetes Organ gelten kann), der zufolge die Neutralen bisher über „sanfte Vorstellungen nach beiden Seiten hin, das blutige Spiel nicht bis aufs Aeußerste zu treiben", nicht hinausgekommen, auch diese Vorstellungen aber „mehr privater Natur" gewesen und „keinesfalls in collectivcr Form gemacht worden" sind. Wenn ein wiener Correspondent des Dresdner Journals vom 23. Oct. bereits von förmlichen „Waffen stillstandsverhandlungen" spricht, welche „über englische Initiative (auf deutsch: infolge eines von England gegebenen Anstoßes) in Gang gebracht" seien, so ist dieser Ausdruck wol etwas verfrüht. Förmliche Ver handlungen setzen eine bestimmte Verhandlungsbasis voraus, und davon hat wenigstens biSjetzt noch nichts verlautet. In der bezeichneten Richtung und Beschränkung können wir deutscherseits derartige „gute Dienste" der Neutralen uns wohl gefallen lasten. „Wenn sich die neutralen Mächte zu Schritten verstehen, die darauf abzielen, Frankreich eine Negierung zu geben, die, Zu Moltke's siebzigjährigem Geburtstage. Leipzig, 26. Oct. Heute sind es volle siebzig Jahre, daß Moltke dem deutschen Volke geboren ward, in einer Zeit voll Noth, Zwietracht und schmachvoller Knechtschaft für eine Zeit kräftigen Emporrasiens und glorreichen Zusammenwirkens aller deutschen Stämme zur Ehrenrettung, Befreiung und Einigung des Vater landes. Mit dem heiligen Ernst der Kämpfe von 1813, in die seine Jugend fiel, paart sich in Moltke eine strategische Genialität ohnegleichen, die alle Machtmittel, welche die Cultur unserS Jahrhunderts an die Hand gibt, mit scharfem Blicke ausbeutet und mit fast unfehlbarer Sicherheit beherrscht. Der Auf gabe, Näheres über die Bedeutung dieses Mannes zu sagen, fühlen wir uns um so mehr überhoben, als ja seit dem Beginne dieses Kriegs fast jede Nummer dieser Zeitung, ja jeder deutschen Zeitung, sich in die angenehme Nothwendigkeit versetzt sieht, von dieser Bedeutung Zeugniß abzulegen und glän zende Proben derselben vorzuführen. Ueberdics haben wir auch eine specielle Charakte ristik des großen Strategen schon in Nr. 173 gegeben. Der Name Moltke wird mit der Erinnerung an den gegenwärtigen Kampf für alle Zeiten ebenso eng ver flochten sein, wie der Gneisenau'S mit dem Andenken an den Befreiungskrieg gegen den ersten Napoleon. DaS Volk weiß dies auch recht gut, und selten wird man jetzt eine militärische Großthat der Unsern rüh men oder die Unterlassung irgendeiner Bewegung ver- theidigen hören, ohne daß hinzugefügt würde: „Das hat Moltke wieder einmal gut gemacht!", oder „DaS versteht Vater Moltke bester!" fern von Parteileidenschafien und ohne die Schlag wörter derselben Friedensverhandlungen einleiten will, welche den thatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen, so können wir diesen Bestrebungen nur unsern Bei- fall zollen, da sie von vornherein den Gedanken an eine Intervention in die Kriegführung auöschließen." So sagt die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, und diesem AuSspruche ist gewiß beizupflichten, um so mehr, als dadurch auch der Schein uns erspart wird, als wollten wir in die innern RegierungS- und Ver- fastungsfragen Frankreichs uns mischen. Als eine solche Einmischung in die innern Ange legenheiten Frankreichs betrachtet die Times sogar den englischen Vorschlag und hat deshalb ihre Bedenken dagegen. Gerade in dieser Beziehung ist der Schritt, den eine Anzahl ehemaliger Deputirter Frankreichs bei Gambetta gethan haben, von so großer Wichtig keit, weil diese dadurch auf den Theil der provisori schen Regierung, welcher (Gambetta an seiner Spitze) sich der Einberufung einer constituirenden Versamm lung bisher beharrlich widersetzte, einen Druck im Namen der öffentlichen Meinung Frankreichs selbst zu üben versuchten. Eben diese Wichtigkeit der Sache hat uns veranlaßt, den angedeuteten Vorgang in einem besonder» Artikel, der sogleich hier unten folgt, zu besprechen. Eine Schwierigkeit stellt sich allerdings unsererseits dar, wenn man Waffenstillstand schließen wollte zum Zwecke der Herstellung einer französischen National versammlung, welche erst ein Organ schaffen soll zum Abschluß des Friedens. DaS ist die Unmöglichkeit, vorher eine Friedcnsbasis zu gewinnen. Soll der künftigen französischen Versammlung, beziehentlich der von ihr zu schaffenden Regierung, darin gänzlich freie Hand gelaffen werden, wo bleiben da die nöthigen Garantien für uns, daß wir nicht unsere militärischen Operationen jetzt unterbrechen und eines Theiles der errungenen Bortheile uns begeben, ohne doch damit der Erreichung unserer Friedensbedingungen irgendwie näher zu kommen? Diese Schwierigkeit deutet ganz richtig ein brüffe- ler Artikel des Neuen Wiener TagblatteS an, dessen thatsächliche Mittheilungen im übrigen nur mit Vor sicht aufzunehmen sein möchten. Jedenfalls wird in Anbetracht dieser Schwierigkeit unsere Kriegführung beim Abschluffe eines Waffenstill standes doppelt vorsichtig zu Werke gehen, damit der- Wie aber alles wahrhaft Große sich dadurch kenn zeichnet, daß es nicht spurlos verschwindet, so besteht auch Moltke's eigentliche Bedeutung darin, daß er für einen kräftigen Nachwuchs gesorgt hat, daß er durch seine langjährige unermüdliche Thätigkeit als Chef des Generalstabs, durch seine geistvolle und anregende Lei tung eine Schule von Talenten herangebildet hat, die im Stande sein werden, ihn würdig fortzusetzen und bereits jetzt seine Operationen durch verständnißvolle Ausführung und, wo eS noththut, auch durch selbstän- diges Eingreifen und Nachhelfen unterstützen. Unter dem Lärm der Waffen schweigen nothge drungen die sanftcrn Empfindungen, kann selbst die Dankbarkeit eines ganzen Volks nicht zu ihrem vollen Ausdruck gelangen. Aber von selbst wird nach der Beendlgung des Kriegs die Siegesfeier, die das froh aufathmende Volk jubelnd begehen wird, zu einer nachträglichen Geburtstagsfeier für Vater Moltke werden, zu einer Geburtstagsfeier, wie sie kaum je mals ein Held auf deutschem Boden gefeiert hat; denn ganz Deutschland, das wiedergeeinte, wird sie begehen! Gegen Ludwig Simon. Von einem Deutschen, der lange in Frankreich lebte, also das französische Volk genau kennt, jetzt aber auch von dort auSgewiescn ist, erhalten wir fol gendes Schreiben: 's'Aus Süddeutschtand, im October. Der Brief Lud wig Simon's (Trier) erweckt dasselbe peinliche Gefühl, wel che« in Pari» fast alle Deutsche ergriff, so ost derselbe eine der öffentlichen Versammlungen benutzte, um seine Ansichten selbe nicht bloS zur Stärkung des Gegners und da mit zur Verlängerung des Kriegs diene. Die gestrige Nachricht über kleine Gefechte im Oberelsaß wird heute durch eine Mittheilung der Karlsruher Zeitung dahin ergänzt, daß in allen diesen Gefechten die deutschen Waffen siegreich gewesen sind. Hiernach läßt sich die Glaubhaftigkeit der ganz ent gegengesetzten Berichte, die der General CambrielS nach Tours gesandt hat, beurtheilen. Eine Friedensdemonstration gewichtiger Art in Frankreich. — Leipzig, 26. Oct. Noch ganz am Schluffe unserer gestrigen Nummer gaben wir eine Nachricht, welche ihrer Wichtigkeit wegen eigentlich verdient hätte, sogleich an der Spitze des Blattes, mindestens in unserer Tagesübersicht aufgesührt zu werden. Es war die Nackricht von einem sehr bedeu tungsvollen Schrille, den eine Anzahl von Mitglie dern der Linken und des linken Centrums des ehe maligen Gesetzgebenden Körpers, an ihrer Spitze eins der einflußreichsten dieser Mitglieder, Hr. Grevy, Ba- tonnier des pariser Advocatenstandes, bei Gambetta gethan, einem Schritte, der nichts Geringeres bezweckte, als die möglichst baldige Einberufung einer constitui renden Versammlung, um durch diese zu einer regel mäßigen Regierung und dadurch wiederum zum Ab schluß des Friedens zu gelangen. Sagen wir zuerst, warum wir nicht in der Lage waren, eine so wichtige Nachricht da, wohin sie ge hört hätte, zu erwähnen und zu würdigen! Die Jndependance belge war es, welche diese Nachricht in einer Correspondenz aus Tours enthielt. DaS genannte Blatt hat bekanntlich die feststehende Gewohnheit, in einer täglichen politischen Ueberstcht alle Thatsachen von Belang, ja selbst bloße Gerüchte von solchen, sorgfältig zu registriren und in ein Ge- sammtbild der politischen Lage zusammenzufaffen. Da uns das Blatt gewöhnlich erst zu einer Zeit zugeht, wo wir unsere eigene Tagesübersicht bald unter die Presse geben müssen, so bleibt uns in der Regel nur noch so viel Zeit, jene Tagesübersicht der Jndepen dance belge rasch zu durchfliegen und, wenn etwas Neues von Wichtigkeit sich darin findet, dies in un serer eigenen nachzutragen. So geschah es auch gestern. In der ganzen Ueber- sicht der Jndependance belge aber stand von jenem so bedeutungsvollen Vorgehen des Hrn. Grevy und kundzugeben. Die Zeit seit 1848 hat für L. Simon still- gestanden, für die Gegenwart har er kein Verständniß. Im Jahre 1848 war es zu entschuldigen, wenn Deutsche hoffen mochten, durch ein enges Bündniß mit dem franzö sischen Volke dis Freiheit zu erringen und festzuhalten. Heute hätte die Freiheit bei uns viel mehr zu fürchten, als zu hof fen, bei einem innigen Bündniß mit Frankreich. L. Simon ist immer in selbstvergessener Bewunderung vor den Resultaten der Französischen Revolution 1793, und eine Ausgleichung der von Frankreich an uns begangenen schweren Sünden scheint ihm Hochverralh. Daß die Fran- zösische Revolution ohne die vorhergegangene Englische kaum möglich gewesen, und daß Europa vor allem uns Deutschen das höchste moralische Gut, die religiöse Freiheit, verdankt, ist für L. Simon kein hinlänglicher Grund, uns gleich berechtigt Frankreich zur Seite zu stellen. Und doch wäre gerade ohne die Reformation und die Feststellung der reli giösen Freiheit durch un» heute Frankreich nicht in dem Falle, auf eine Erlösung seines religiösen Druckes zu hof fen. Sowie dieser Bann fällt, fällt auch der eiserne Druck Napoleon'S durch unser Einschreiten. Leider scheint Frankreichs mobile Natur dasselbe unfähig zu machen, erlangte Freiheiten zu wahren; mit Sicherheit ist anzunehmen, daß wiederum gewissenlose Führer es ge gen uns Hetzen werden, um gewissen Forderungen nach jenen auszuweichen. Es ist deshalb unsere heilige Pflicht, dieses Land in die Unmöglichkeit zu versetzen, künftig noch nach außen gelenkt zu werden und es dadurch in den Fall zu bringen, nach innen aufzuräumen unv so seiner Rege neration entgegenzugehen. In seiner bisherigen Macht ist dieses wilde, rohe, in seiner Mehrheit fast ohne Unterricht ausgewachsene Volk eine ständige Gefahr für die Lultur- entwickelung Europas. Elsaß und Lothringen aber, Deutschland znrückgegeben, werden kein Venedig für dasselbe werden. Besserer Unter- richt al» bisher, strenge, parteilose Handhabung der Ge- rechtigkeit und Kenntniß der Geschichte werden in verhält- nißmäßig kurzer Zeit auch die Sympathien dieser so lange