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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190209215
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020921
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020921
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-21
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen oud Offerteuanuahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuog SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgaLe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeige» sind stet- an d» Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 481. Sonntag den 21. September 1902. 96. Jahrgang. Abonnement auf das vierte Vierteljahr 1S02. Im Interesse rechtzeitiger Lieferung wolle die Bestellung durch die Post bereits jetzt veranlaßt werden. Ter Preis beträgt wie bisher bei allen Postanstalten 2 monatlich und 6 vierteljährlich. Das Abonnement sowie die Zahlung des Zeitungsgeldes können auch durch die Briefträger erfolgen. Unsere Filialen in Dresden (Strehlener- straße 6) Tel. I 1713, und Berlin (König- grätzerstraße 116) Tel. 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Aber «ine weitgehende Uebereinstimmung ist keine volle Uebcrein- stimmung und wenn man jene doch erfreulich nennt, so kann es nicht anders geschehen als mit süßsaurer Miene. Die Ent scheidung ist einfach vertagt, daher die Fixirung des Standpunktes, daß „im Allgemeinen" an den Be schlüssen erster Commissionslesung festzuballen sei und der Rückgriff auf den Berlegcnhcitsantrag über die Verwendung der Mehrerträgnisse auS den Zöllen zur Begründung einer LLitlwen- und Waisenversichenlng „Im Allgemeinen" ist eine Wendung, die gar nichts bedeulet, wo Zahlen und Ziffern die Hauptsache sino, und die von der Commission vorläufig beschlossene beträchtliche Vermehrung der Mindestzollsätze auch nur „im Allgemeinen" scsthalten wollen, bieße di- Zollgesetze zu Falle bringen wollen. Dies aber darf das Centrum nicht beabsichtigen, denn wenn es die Nothwendigkeit herbeiführt, daß unter dem Zeichen der Tarifgestaltung in die Wahlen eingctrcten werben muß, weil ihm, dem Centrum, die Bundesrathsvorlaze noch ein Zuwenig an LebenSmitlelzöllcn bietet, so werden die der Partei anhängendcn Industrie-Arbeiter zum großen Theile versagen, ohne daß die bäuerliche Wählerschaft durchweg sicher sestgebalten würde. Dieser ist vielfach das, womit die Cenlrumspartci sich „begnügen" will, auch noch zu wenig. Der negative AuSgang der Berathung der C-ntrumS- fraction ist deshalb von Bedeutung und zwar von einer recht unerfreulichen, weil er für die zweite Commissiontlesung un gebührlich viel Zeit zu rauben droht, und die Zeit ist, so nahe vor dem natürlichen Ende des Reichstags, ein doppelt kostbares Dina. Die Mittheiluuzen de- CentrumS über den Verlauf seiner Berathung stellen stillschweigend in Aussicht, was die socialdemokratische Parteileitung durch den Mund de- Herrn Rosenow auf dem Münchener Partei tag ausdrücklich hat ankündigen lasten. Die Verschleppung durch übermäßig vieles Reden soll nun erst recht angeben. In gewissem Sinne kann unS das recht sein. Tie Zahl der Industriearbeiter, die durch die frivole Behandlung de- ge- werblichenZollschutzeS wahrend bereitsten Commissionöberathung böckst unzulrieden gemacht worden sind, muß wachsen und die Lahmlegung der Arbeiten eines auf breitester demokratischer Grundlage aufgebauten Parlaments, wie unser Reichstag ist, durch Obstruktion müßte der demokratischen Partei am meisten zum Nachtbeile selbst dann gereichen, wenn sie nicht erst die Mutier aller Hindernisse gewesen wäre, was aber die Socialdemokratie zu werden beabsichtigt. So weit wäre da» Verbleiben des Herrn Stadthagen an der Spitze der socialdemokratischen Zollpolitik freudig zu begrüßen. Aber wir möchten eine schwere innere Krista, die die Verfassung gefährden könnte, auch nicht um den Preis einer starken und lange währenden Zurückstauung der Socialdemokratie nicht erleben. Daß der „Brodwucher"-Eifer der revolutionären Partei zum großen Theile durch die in ihren Reihen allseitig an erkannte Notbwendigkeit befeuert wird, innere Zwistigkeiten in den Hintergrund zu drängen, ist auch auf dem Münchener Parteitage deutlich und mehrfach in starken BesckwöruugS- redcn bervorgetreten. Die ausführlichen Berichte über diese Veranstaltung liegen noch nickt vollständig vor. Einstweilen mag auf einen scharf illustrirenken Beitrag zu den Differenzen innerhalb der Partei, die bekannt lich noch viel mit der Verelendungstheorie operirt, hin gewiesen werden. Er wurde am Donnerstag in der Ber liner Stadtverordnetenversammlung von dem socialdemo- kratiscken Mitgliede Borgmann geliefert. Der Herr äußerte aus einem Anlaß, auf den wir hier nicht einzugeben brauchen — eS bandelte sich um ferneren Urlaub sür die Arbeiter der Stadtgemeinde — das Folgende: „Die Lasten, welche die Socialgesetzgebuag der Industrie auf erlegt, sind dieser gut bekommen. AIS Partei sind wir gegen die Socialreform, weil sie uns nicht weit genug geht. Aber wir muffen doch zugeben, daß durch sie die Lebenshaltung und damit die Leistungsfähigkeit der Arbeiter wesentlich verbessert worden ist." DaS ist eine Ketzerei, die selbst vielen Socialdemokratcn, die sick nicht mehr zu der V-relendungstheorie zu bekennen den Theoretiker - Muth haben, praktisch als ein fatales Eingeständniß erscheinen wird. Denn „wir sind gegen die Socialrcform" und vor allen Dingen: wir waren gegen die Socialreform, als es sich darum bandelte, sie entweder — insbesondere mit den Versicherungsgesctzen — al'ogleich in Angriff zu nehmen oder auf Jahrzehnte hinaus auf jede einschneidende Socialxolitik zu verzichten. lieber die Begegnung deS Kaiser- mit dem Posener Erzbischof v. Stablewski wurde bekanntlich hockossiciös entgegen anderen Mitthellungen geschrieben: „Weder wollte Herr v. Stablewski während der Festtage dem Kaiser ausweichen, noch dachte der Kaiser daran, bei seiner Anwesen heit in Posen den Kirchenfürsten zu ignoriren. Für ihre Begegnung wurde nach beiderseitigem Wunsche die Form einer Privataudienz des Erzbischofs gewählt. Die näheren Umstände deS Empfanges hatte man schon vor dem Eintreffen des Kaisers in Posen festgesetzt. ES ging über diese Verabredung hinaus, war also eine spontane Aufmerksamkeit des Herrn von Stablewski, daß er zur Be grüßung Les Monarchen im Generalkommando erschien. Der Kaiser ist denn auch — natürlich nur angenehm — überrascht gewesen, dem Erzbischof dort wider Vermuthen zu begegnen." Der „Reichsbote" bemerkt hierzu: „Diese Darstellung dürste mancherlei Commentare finden, da sie deutlich die Connivenz der amtlichen Kreise gegenüber dem Erzbischof verräth. Ec erscheint darin wie eine souveräne Macht, von deren Entschlüssen der Kaiser sich noch geehrt fühlt. Das ist viel nach der bekannten Haltung des Griesener Domkapitels unter Stablewski. Mit dieser noblen Romantik gegenüber dem römischen Cirrus wird man Rom und auch Stablewski gegenüber noch weiter seine sonderbaren Erfahrungen machen, sie scheint aber unausrottbar zu dem jetzigen Regierungssystem zu gehören, trotz der bitteren Erfahrungen, die mit ihm bereits vorliegen. Nun versteht man auch besser, warum der Erzbischof so rasch Len Mantel der korrektesten Loyalität umhing; man hat ihm Lazu goldene Brücken gebaut und es ihm leicht gemacht, sie zu betreten. Er wird jeden falls am angenehmsten „überrascht" gewesen sein." Die „Germania" glaubt zu dieser Ausführung nichts Weiler sagen zu sollen, als „Armer Neichsbote!", und in der That bätte daS nationale Blatt, wenn es Recht behielte, Anspruch auf das Mitleid des klerikalen. Wir befänden uns in derselben Lage. Nachklänge Mm Landesfeste des Evangelischen Lundes. 6. Nördlingen, IS. September. Daß der Evangelische Bund in Bayern keine unbcdeut- same Erscheinung mehr ist und daß insbesondere seine letzte Tagung zu Bayreuth sich als eine bcachtenswerthe Erscheinung unter den mancherlei kirchenpolitischen Vor gängen der jüngsten Zeit darstellt, das zeigen die Nach klänge derselben in der Presse. Es ist ja nicht verwunder lich, daß in der Centrumspressc hierbei der schrill schmetternde Fanfarenton mit langgezogenen wehmijthig- schmerzlichen Klagetöncn wechselt. Denn wo man in dem Dasein des Evangelischen Bundes schon eine Beleidigung und Provokation des Katholicismus erblickt, da stellt mau sich begreiflicher Weise je nach dem Temperament ent rüstet oder betrübt über jede Blüthe „protestantischer In toleranz", welche er treibt. Und wo man das Klagelied über die angegriffene, zurückgesetzte katholische Kirche so oft sich und Anderen vnrgesungcn hat, daß man selbst daran glaubt, da hält man wohl Katholikentage und Een trums tage im Reiche und in den B u n d e s st a a te n für g a n z a n g e b r a ch t, um das katholische Volk warm zu halten; wenn aber von pro testantischer Seite einmal die Hand angelegt wird, die zer splitterten Kräfte zu sammeln, — ja, Bauer, das ist ganz was Anderes. Jenen politischen Massenaufgeboten des Katholicismus cs gleich thun, will und kann der Evangelische Bund nicht. ES liegt in der evangelischen Achtung vor der Individualität und der freien Uebcrzcugung des Einzelnen, sowie in der principiellen Scheidung des.Religiösen von dem Poli tischen, wie sie der Protestantismus vollzieht, begründet, daß auf protestantischer Seite niemals eine politisch religiöse Partei wie das Centrum möglich sein wird. Man wird das in den weitesten protestantischen Kreisen auch keineswegs als wünschenswerthes Ziel betrachten. Des halb mögen sich auch die besorgten Gemüthcr beruhigen, welche in dem Aufruf zur „Sammlung der Pro testanten in unserem engeren Vatcrlan d", wie derselbe von Bayreuth ausging, in erster Linie e i n Wahlmanöver gegen das Centrum gewittert haben, oder Diejenigen, welche Ansätze zu einer kirchlich politischen Partei in seiner Organisation zu erblicken meinen. Die Aufgabe, die der Bund sich laut Programm gestellt hat, geht vielmehr dahin, evangelisches Bewußt sein und Erkenntniß der ultramontancn Gefahr bei den Protestanten aller Kreise und Parteien zu wecken. Daß das in seiner Weise auch auf politischem Ge biete sich äußern kann, steht außer Frage. Denn so heilig auch dem Protestanten sein religiöser Besitz nach der Richtung hin ist, daß er denselben nur schwer und widerwillig da in die Waagschale wirft, wo das politische Leben sich abspiclt, so offensichtlich hat die Behandlung, welche protestantische Gefühle in Bayern jüngst erfahren haben, tiefe Erregung hervorgcrufcn. Man müßte doch die Protestanten jedes Ehrgefühls für bar halten und es müßte die „Selbstauslösung" des Protestantismus bereits vollendete Thatsache geworden sein, wenn man es nicht in allen protestantischen Kreisen als einen Schlag ins Gesicht empfunden hätte, daß — nicht die Centrumspresse nur und nicht nur einzelne Heißsporne und Broschüren —, sondern daß die Führer der Ceritrumspartei, noch dazu angesehene, hochgestellte Geistliche der anderen Confessio n, sich in Be sch i m p f u n g e n d e r N e f v r m a t o r e n n n d i h r e r Lehre das denkbar Schroffste leisteten. Wenn die Entrüstung über diese verletzenden Angriffe vfficicller ultramontaner Größen, wie Anzeichen dafür vorhanden sind, selbst ans conservativ- pro testantischer Seite, auf welcher man sich so oft durch die Schlagwörter des Centrums vom „christlichen Staat" oder der „christlichen Schule" einnehmen ließ, sowie auf links stehende Kreise, welche im Banne eines doctrinär- idealistischen absoluten TolcranzbcgriffcS für die ultra montane Gefahr kein Auge hatten, die Wirkung auSgeübt hat, daß cs in der protestantischen Bevölkerung Bayerns Parole wird: Keinem Ultramontanen in Wahle ntscheibnn gen eine Stimme! — dann wird der Evangelische Bnnd mit Freuden darin einen Erfolg seiner Thätigkeit auch ans politischem Gebiete er kennen. Wir glauben auch, daß immerhin von keiner Seite, ans welcher der ultramontane Druck liegt und die ciu Interesse an dessen Beseitigung hat, die Bedeutung deS Bundes in dieser Beziehung unterschätzt werden sollte. Wir haben freilich, wenn wir von solchem Drucke sprechen, schon angcdentet, daß der Widerwille gegen die ultramontane Präponderanz in unserem Volksleben nicht nur Erzengniß momentaner Erregung und Erbitterung ist. Das hierüber vorhandene unbehag liche Gefühl, von vielen Katholiken mit ge- tl> cilt, rührt auch vor Allem daher, daß man durch den Ultramontanismus alle freicEntwickelung ans geistigem, kulturellem Gebiete bedroht sicht. Daß aber instinktiv der Protestantismus diese Gefahr am deutlichsten empfindet, rührt daher, daß er diese Güter unserer Zeit mit erworben und erkämpft hat, und daß mit ihrer Beseitigung ein gut Theil seines eigenen Wesens dahinginge. Es ist doch wohl gerade nm deswillen der Evangelische Bund der unversöhn lichen Feindschaft des Ultramontanismns ausgesetzt, die ihn direkt hinter den Freimaurern einrangirt, weil er Ernst macht in i t p r o t c st a n t i s ch c r F r e i h c i t und auf Grund derselben dem freien Suchen nach Wahrheit ans allen Gebieten menschlichen Wissens Recht rind Bedeutung zncrkcunt, und weil er auch als Pionier dcutscherArt n n d d e u t s ch e n V o l k s- t Hurns der deutschen Volksseele Erstarrung und Tod darin sähe, wenn Unifornnität und Dressur an die Stelle der Innerlichkeit träten, welche vordem auch des d c u i s ch e n r e l i g i ö s c n K a t h v l i c i s m n SS t ä r k e gewesen ist. Wir glauben, daß jede tiefere und ein gehendere Beobachtung der Arbeit des Bundes auch auf diesem Gebiete eine ticfeinschneidende Wirksamkeit der selben wird ersehen können, und daß derselbe je länger je mehr nicht allein als religiöser, sondern auch als nicht unwichtiger nationaler und kultureller Factor unserer Zeit wird angesehen werden müssen. Die ultramontane Presse glaubt, den Bund neuerdings nicht nur den Katholiken, sondern insbesondere den offi- ciellcn Kreisen und derRcgierung in — aller dings nicht empfehlende — Erinnerung bringen und ins besondere die in Bayreuth hervorgctretcnc entonto oorckiale zwischen Kirchenregiment und Bund an jenen Stellen denuneiren zu müssen. Begrüßt eine untergeordnete evan gelische Kirchenbchürde eine Corporation» mit der sie vielleicht nicht in allen Einzelheiten einverstanden ist, sich aber doch im evangelischen Sinne und Geiste verbunden weiß, da findet man kaum genngWorte der Entrüstung, und Herr Domkapitular Or. Pichler hat die Sache in ent sprechender Weise bereits in einer großen Rede gelegentlich einer Centrnmsversammlung zu Straubing zur Sprache gebracht. Wenn aber die höchsten kirchlichen ka- „Es ist nichts so fein gesponnen . . Von Charles Montagne. dkiboten. I. Herr Turbi war später als sonst aufgewacht. Er gähnte, seufzte, stand auf, ging langsam ans Fenster und zog mit einer müden Bewegung die Zuggardine, die das Tageslicht abhielt, auseinander. „Welch' ein Prachtwetter zum Angeln!" stöhnte er. „lind dabei soll man nun aufs Bureau gehen! ' „Geh' doch nicht hin", ricth Frau Turbi, „schreib' Deinem Chef, daß Du krank bist." „Verführe mich nicht, Evastochter!" „Oder noch besser, ich werde selbst an Herrn Aperaß schreiben, dann denkt er gleich, daß cS etwas Acngstliches ist!" „Schreiben, daß ich krank bin, scheint mir recht un vorsichtig! . . . Wenn der Chef mir nun den Vcrcinsarzt auf den Hals schickt?" „Bis hierher nach Barennc, gleich heute? Gott, bist Du feige!" antwortete die „Evastochter". „Es ist freilich höchst unwahrscheinlich", gestand Herr Turbi nach einem Augenblick der Ucberlegung zn. Das Ehepaar ging ins Wohnzimmer, und Frau Julie fing an, in einem Handbuch der Mcdicin zu blättern, das dem Doctor Talol, ihrem Micthcr und Nachbar, gehörte. Herr Turbi mar nämlich Grundbesitzer, und zwar lag seine Besitzung unmittelbar am Ufer der Marne und be stand auS zwei kleinen Villen, die vollständig gleich gebaut waren, so gleich, wie die siamesischen Zwillinge, und von denen die eine an Doctor Salol vermiethet war. Frau Turbi nahm Papier, Feder, Tinte und schrieb: „Lehr geehrter Herr! Mein Mann hat während der ganzen Nacht die heftigsten Schmerzen in dem linken Bein gehabt und heute früh bemerkt, daß seine große Zehe bis zur Un förmlichkeit angcschwollen ist. Er hatte dennoch die Absicht, ins Bureau zu kommen, aber es war ihm ganz unmöglich. Er bittet durch mich für sein Fehlen um Entschuldi gung und beauftragt mich, seine verbindlichste Empfeh lung auszurichtcn. Julie Turbi." „Eiufach und gewandt", sagte Herr Turbi beifällig. „Nichts, was für den Augenblick schadet oder für morgen verpflichtet. Komm! Dafür muß ich Dir einen Kuß geben! Und nun, bester aller Privatsekretäre, trage dieses Briefchen zum Bahnhof. Ans die Art habe ich den Vor schriften des Bureaus genügt . . . wenn auch nicht gerade meinem Gewissen ... der Chef ist von meinem Fehle» bc- nachrichtigt ... der Anfang der Bureaustunden wird gc- nau mit dem Anfang der Nngelzeit zusammenfallcn. . ." N. Als Herr Aperaß, der Burcauvorsteher, den Brief Turbi's gelesen hatte, fiel ihm dessen Steckenpferd, der Angelsport, ein. „Hm, hm", meinte er für sich nnd zog die Branen zu- saimnen: „Mir deucht, ich wittere Fischgeruch." Sofort ließ er sich bei dem Chef melden, und die beiden Herren sprachen längere Zeit über den Kranken, und -war so, daß dieser sicherlich sofort gesund geworden wäre, wenn er es hätte hören können. Turbi saß inzwischen seelenvergnügt in seinem Boot, unmittelbar bei seiner Villa, und angelte. Klar, im hellsten Sonnenschein, zog das Wasser der Marne an dem Angler vorbei und auch die Stunden schwanden ... So gegen 12 Uhr kam Frau Turbi vom Haus her; sie brachte ein sehr schmackhaftes kaltes Frühstück, und die Ehegatten machten sich mit bestem Appetit an dessen Vertilgung. Plötzlich trat ein Schatten zwischen die Sonne und daS Wasser. Der Angler wendete sich schon, um nach der Ursache zu forschen, als der Pfropfen an der Angel merk lich tanzte. Ohne sich um etwas Anderes zu kümmern, machte Turbi den im entscheidenden Moment noth- wendigcn Handgriff, und gleich darauf zappelte ein Pracht, voller Hecht in der Lust. „Bravo!" rief eine Stimme hinter Herrn Turbi. Diesem „Bravo" folgte aber sofort ein Schrei deS Schreckens. Unter der Wucht eines fallenden Körpers spritzte das Wasser klatschend so hoch auf, daß auch die In sassen deS BootcS eine kleine Taufe erhielten. Ohne Zögern sprang Turbi inS Wasser, tauchte unter und packle Jemand an den Rockschößen. Wieder hochkommen, sich an den Kahn anklammern und mit Julic'S Hilfe eine regungslose Masse in den Kahn befördern und hinlegcn, war das Werk einer Minute. „Welch' Unglück! . . . Der Aermstek . . . Trag' ihn rasch inS HauS . . . und nun muß Doctor Salol gerade in der Stabt sein!" Frühstück und Angelgrräth wurden Im Stich gelassen; Julie mußte den Kahn verankern, und Turbi stieg mir seiner Last langsam die Steinstnfcn hinauf, die vom Ufer cmporführten, eilte darauf hastig über den Weg und in die Wohnung, wo er den Verunglückten auszog und sich um ihn bemühte. Frau Julie war ihrerseits auch nicht müßig, als sie n:r Hause angekommcn war. Sie trug die Sachen des Ver unglückte» in die Küche und breitete sic am Herdfeucr zum Trocknen aus. Als sie den Rock in den Händen hielt, siel ans einer der Scitcutaschen ein Brief. Er war vom Wasser aufgcweicht; Frau Julie bückte sich, überflog den Inhalt des Schreibens und stand eine Minute wie ge lähmt, um daun laut nach ihrem Manne zu rufen. Ohne ein Wort zu sprechen, reichte sic ihm das Schreiben, und er las: „Geehrter Herr Doctor! Haben Sie doch die Güte, noch heute, nnd zwar so bald als möglich, nach Varenne, Colombicrstraße 100, zu fahren. Einer unserer Beamten, Herr Louis Turbi, theilt uns mit, daß eine Geschwulst an der großen Zehe ihm den Burcaudicnst unmöglich mache. Sie wollen »ns bitte umgehend über diesen cigenthümlichcn Fall Be richt erstatten. Hochachtungsvoll Aperaß, Burcanvorstchcr." III. Als Doctor Bork auS seiner Ohnmacht erwachte, sah er Turbi gleich dem mitleidige» Samariter über sich geneigt. „Sie haben mich gerettet, ich danke Ihnen!" „Wie fühlen Sie sich?" fragte der mitleidige Sama riter, und in dem Ton der Frage lag etwas wie Angst. Der Doctor merkte nichts und sagte: „Biel besser, ich danke Ihnen, nnd weiß, was ich Ihnen schuldig bin." Diese Antwort gab Turbi die Gelegenheit, daS Terrain zu recvgnvseiren. Wenn der Gerettete von seinem Retter nichts wußte, so konnte er einen kühnen Plan, den er mit Hilfe seiner Frau ansgchcckt, zur Ausführung bringen.
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