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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Prci» 2Sj Sgr. (- Tblr.) vierteljährlich, Z THIr. für da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in alle» Theilen der PreuSischen Monarchie. z i n für die Man pränumerirt aus dies"» Reiblatt der AUg. Pr. SraatS- Aeitung in Berlin in der Exredition (Mohren-Seröse Nr. 34); in ter Provinz so wie im Äuglande bei den Wodllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. ^4/ 109. Berlin, Montag den 11. September 1837. Spanien. Spanische Zustände. I. Galicien. Corukia, 14. Juli 1837. Während Spanien in fast allen seinen Provinzen der Verwirrung und dem Elende eines Bürgerkrieges von unabsehbarer Dauer zur Beule wird, genießt Galicien für den Augenblick einer liefen Ruhe, an deren Anblick auch der Reisende sich erhall. Stur wird er leider bald gewahr, daß diese Ruhe nichl von dem Wohlstand und der zufriedenen Lage des Volkes, nicht von dem Lericaucn zu der bestehenden Regierung, sondern lediglich von der äußersten Erschöpfung der Kräfte bcrrührt, die sich in langen, schweren und doch nichts entscheidenden Krisen aufgerieben habe»; es ist die Rube der Ohnmacht, ein todäbnlichcr Schlummer. Wie sollt' es anders sehn? Spanien Hal seit dreißig Jahren zu viel gelitten, eS ist keiner Energie mehr fähig. Durch Angriffe von außen erschüttert, durch innere Zwietracht zerrüttet, Hal es vor beiden Uebeln nur in der Uulcrwersuug unter einen bigotten Despotismus eine Zeil lang Schutz gesunden; zwei Einfälle fremder Kriegsheere und zwei Restaurationen sind über das Land ergangen; eine volkslhümliche Ver fassung ist gegründet und gestürzt, wieder aufgerichtet und abermals umgestürzt und zum dritten Male erneuert worden. Wenn ein Volk binnen weniger aie einem Menschenalter solche Erfahrungen durchmacht, wenn es die Staatsgewalt >» beständigen Wechseln und Formänderungen au« einer Hand in die andere geben, liberale und absolute Negierungen «ine nach der anderen stürzen steht, und erkennt, daß beide ihm nicht zu helfen, beide »ichlS Gute« zu wirken vermögen, — woran soll es dann noch glauben s woran Muth und Vertrauen fassens Wenn gleich daher Galicien sich ausnahmsweise einer sonst überall in Spanien beispiellosen Ruhe erfreut, so ist doch auch im Zustande und in der Stimmung dieser Provinz nicht zu verkennen, was sich auf der ganzen Porenäischen Halbinsel aussprichl: Ermüdung, Hoffnungs losigkeit, passive Ergebung in die Leiden der Gegenwart. Eoruna, der Hauptort von Galicien und ter Sitz de» General-CapuauiS, müßte von Rechtswegen, wo nicht einer hohen Blüthe, doch eines im Vergleiche gegen da« übrige Land bedeutenden Wohlstandes genießen. Sein herr- sicher Hafen hat zugleich die schönste Lage für den Welthandel; nicht allein für Schiffe, die von England und der Westküste Frankreich-, sondern auch für solche, die aus Amerika über den Atlantischen Ocean verkommen, ist Eoruna die nächste Station und sollte eigentlich schon längst den Eadixer Kausleuien da« Monopol des Havannab-Handels «ntriffen haben. Der Boden Galiciens ist durchgängig fruchtbar, das Klima mild und feuchter, al» im übrigen Spanien, und die Provinz zeichnet sich durch frisches Grün der Landschaften, durch saftige üppige Vegetation sehr zu ihrem Vortheil vor den dürren, kahlen Hochflächen und Bergen der Mitte und des Süden» von Spanien au». Kein an derer Küstenstrich ter Halbinsel Hal so zahlreiche und vortreffliche na türliche Häsen, wie dieses felsige Gestade mit seinen vielen Vorsprüngen und Einduchten. Der Menschenschlag ist zwar nicht besonder« schön, ober überaus kräftig, arbeitsam, ausbarrend, gegen Strapazen und Ge fahren abgehärtet, recht sür Seesahrt und Handel geschaffen. Da« sind die Grundlagen sür Coruila « dercinstige Blüthe und Größe, die gewiß nicht ausbleiben wird, sobald sich nur überhaupt eine Zukunft für Spanien austhiit und das Land nicht mehr in beständiger Aengstigung awn einem Tage zum anderen lebt. Wenn man sich Eoruna von der Seefeste her nähert, so bietet sich die Stadt sammt der ganzen Umgegend und Küste wie ein einziger un- gebcurer Granitblock dar. Ja, ganz Galicien steht mit seinen Gestaden eigentlich da, wie ein granstncr, in den Ocean gerammter Eckstein sür die ganze Svanische Halbinsel, wie eine felsenfeste Bastei, an deren ragenden Wägen und vorqcstrecktcn Klippen die Fluch des unermeß lichen Oceans sich brich,. ' Ans dieser Reise von Brest bis Eoruna ist inir Plan und Veranstaltung der Vorsehung im Bau unseres Konti- ment» erst recht anschaulich geworden. Die ganze Westküste von Europa entlang sieben von Strecke zu Strecke Brustwehren und Dämme von Granit oder Basalt aufgrrichttt; an ihnen zerarbeilel sich der Sturm und das Meer, dessen Wetzen hier mit voller Gewalt etliche hundert Meilen weit angerollt kommen, und die Länder dahinter liegen geschützt. So «drecken Norwegen, Irland und Lie Bretagne ihre Gebirgsarme und Vorgebirge, ihre unerschütterlichen Granitpfeiler und Basasimauern tief in da» Gebiet de« Ocean» hinan». In den Zwischenräumen aber, wo der zerreibliche Kalkbvdcu dem Anspälen der Fluch nichl widerstehen würde, wie an den Küsten der Normandie und Gascogne, lagern sich aus weite Strecken die Sandbänke und Dünen quer vor, sangen mit ihrer trägen Masse den rastlosen Anprall der Wellen auf, und leisten eine zwar nicht so heroische, aber gleich wirksame und erfolgreiche Gegenwehr. Noch nie in meinem Leben habe ich die unergründliche Weisheit und Voraussicht in dem scheinbar zufälligsten Wirken der Natur wir solcher Ehrfurcht erkannt, noch nie ist die Ucberzeugung, daß eine er habene Intelligenz bei der Schöpfung und Gestaltung unserer Erde ge waltet haben muß, so klar und siegreich in meinen Geist eingedrungen, wie vor etlichen Tagen, als unser Fahrzeug zwischen den gefährlichen Riffen und Klippen hindurchsegelte, in bereu Mille die weite Rhede von Brest wie ein tiefer Trichter eingeschloffen liegt. Eine doppelte Reihe von Felsenbänken, Untiefen und Strudeln dehnt sich wie eine sperrende Kette auf der einen Seile bis zur Insel Ouessant, und reicht auf der anderen Seile mit der Chanssäe des Sein» stundenweit ins Meer hinaus. Bei allem Vertrauen auf die Festigkeit des Fahrzeuge«, das uns trägt, auf die Geschicklichkeit und Erfahrenheit des Looiscn, dec uns führt, kann man sich doch einer inneren Angst unter diesen Umgebungen nicht erwehren. Da» weile, offene Meer mit seinen Ge» fahren und Abgründen erscheint als ein ruhiger Zufluchtsort in, Ver gleich mit diesem losenden Gestade, wo seil der Schöpfung die Bran dung noch keinen Augenblick zu wülben aufgehört, die Flulh und der Slrudel noch keinen Augenblick geruht hat. Als wir bei sinkender Däm merung an der Chaufföe des Sein» vorübersuhren, streckten die Felsen ihre grauen Häupter aus den schäumenden Wellen empor, und sahen gleichsam grimmig drohend dein Fahrzeuge nach, das ihrer surchibaren Nähe Trotz geboten. Zur Seite lag in trübem Duflo die Küste der uralten Bretagne; aus den weiten, öden Flächen ragte hier und da die einsame Kuppe eines „Dolmen" hervor; ihm zu Füßen rauschte die Flutb, wie sie seit ewigen Zeilen rauscht, und cs war, als schlüpslc ter Nachen einer Druidin, zur Feier des nächtlichen Mysteriums, geisterhaft durch die Brandung. Ein frischer Landwind erhob sich, das Schiff neigte sich anmuthig und glitt über die leblose Flulh dahin, wo jeder Schritt und jede Wendung ihm von der Kunst vorgeschrieben, wo e« unrettbar verloren ist, wenn es eine Hand breit rechts oder links ab weicht. Die Nacht brach ein; e« war meine erste Seereise, die erste, wo ich Theil nahm an der vertrauten Gemeinschaft de» Menschen mit dieser gcheimnißvollstcn und drohendsten Macht der Natur: eine Nacht der Trauer und Sehnsucht für solche, die einen lhcurcn Gegenstand der Liebe und Erinnerung an dem Lande zurücklasscn, aber eine Nacht voll stillen Genusses, voll freudiger und mulhigcr Ahnungen für die, welche an dem Meere eine zweite Heimalh gewonnen und die erste darüber vergessen haben. Drn Matrosen ist Sorglosigkeit und Gleichmuth zur zweiten Natur geworden, und selbst die Gefahr regt sie nicht mehr auf, — so hat die Gewohnheit den Eindruck bei ihnen abgestumpft. Mag cs zu Lustbar« keitcn oder zum Gefecht, zur Ruhe oder zur Arbeit gehen, mag da« Meer sich in Windstille legen oder ein plötzliches Unwetter losbrechcn, st« sind in jedem Augenblicke zu Allem bereit, was man von ihnen ver langt. Der plötzliche Uedergang von der müßigen Geschäftigkeit, die zu Zeilen der Ruhe am Bord herrscht, zur raschesten, angestrengtesten Thä- tigkeit ist ihnen nichts Neues; sie sind es gewohnt, in jeder Minute ihr Leben zu wagen, an der Spitze eines Maste« zu hängen, der sich unter ter Gewalt des Sturmes wie ein Rohr beugt und hart über die Wellen dahinsäbrt; ihr Leben ist eine beständige Kette von Selbstver leugnung und Aufopferung. Vielleicht giebt es außer den Matrosen keine» anderen Stand, bei dem die Vorstellung und das Bewußlschn der Pflicht so in jedem Momente gegenwärlig und mächtig ist, keinen, der unter so schlichten, einfältigen, ja groben Formen, einen so sclbst- vergeffendcii Heldenmulh des Gehorsams besitzt. Der Matrose und der gemeine Soldat sind sich darin gleich, daß ihr Berus der Gehorsam ist; aber der Matrose begreift allemal Grund und Zweck de» Bescbls, den er vollzieht. Wenn der See-Offizier durch ein falsches Manöver da« Fahrzeug in Gefahr dringt, so wird die Mannschaft da» Kommando richtig bcurlbcilen, aber es doch auSsührcng gehorsam, ohne Murren werden sie mit dem Bewußlseyn, daß sic eigentlich gerettet werden könn ten und sollten, in den Tod geben. Wie manchmal blieb ich in diesen schönen Sommernächten, die nur auf Lem Lande so schwül, auf dem Verdecke eines Schiffes aber, selbst unter südlicheren Breiten, so frisch und erquickend sind, bis Mit ternacht an da» Geländer des Hinterdecks gelehnt, und wurde de» stet« neuen und lebendigen Schauspiel» nicht satt, da« auch die kürzeste Ser« fahrt dem Auge und den Sinnen de« Neuling« birkel. Unsere Brigg