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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh S Uhr. Preis vierteljährlich IS Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag« S Uhr^ für die nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit S Pfennigen berechnet. 140. Ein Besuch im türkischen Lager. Von den vielen Berichten, welche über türkische Zustände in europäischen Zeitungen verbreitet werden, sind die meisten Reisebeschreibungen entnommen, welche schon vor einer Reihe von Jahren verfaßt wurden. Interessant ist es natürlich, Be schreibungen zu vernehmen von einem Manne, der erst neuer dings, also aus unmittelbar gehabter Anschauung die türkischen Verhältnisse kennen gelernt und sie ausgezeichnet hat. Einem solchen Berichte, der erst im vorigen Jahre entstanden ist und dessen Verfasser ein allgemein bekannter Mann ist (Wachen husen), wollen wir einige Notizen den Lesern unseres Blattes Vorhalten. Das Merkwürdige seines „Besuchs im tür kischen Lager" ist das, daß er als enthusiastischer Verehrer der Türken hinreist und als entnüchterter und getäuschter Tür- kenfrcund wiederkommt. Die eigne Anschauung so vieler tür kischen Zustände hat dies bewirkt. Hören wir ihn selbst zu nächst über militärische Angelegenheiten. Dem gemeinen türkischen Soldaten spendet er alles Lob; seine militärischen Tugenden sind vorzüglich, wenn ihn die Be dingungen unterstützen, welche den Soldaten vor Allem unter stützen müssen, nämlich ein in allen Abstufungen tüchtiges Commando. Schwerlich findet man in irgend welchem Heere einen Soldaten, der anspruchsloser wäre, als der türkische, der mit so Wenigem, so unendlich Wenigem zufrieden wäre, wie er. Mit einem Stückchen Brot, Zucker und Käse in der Tasche erträgt dieser Soldat die größten Strapazen, er murrt nicht, wenn sein Führer von ihm das Unmögliche verlangt, und mit einer Geduld, einer Zähigkeit und Ausdauer, Lie alle Begriffe übersteigt, legt er einen Tagesmarsch von sechszehn Stunden zurück, unbekümmert, ob ihm die Sohle uneer den Schuhen fehlt und ob ihm der Hunger in den Eingeweide« wühlt; er fragt nicht, wohin, noch zu was, er folgt dem Rufe seines Führers, und wenn ihn die Müdigkeit überwältigt, singt er eines seiner patriotischen Lieder, die in Ler Regel den Türken in eine wahre Verzückung versetzen und bei dem Soldaten die beste Verpflegung ersetzen. Unermüdet sitzt der Cavalerist auf seinem kleinen beweglichen Pferde, das eben so wenig Ansprüche wie sein Reiter macht, und ein Cavaleriemarsch von zehn Stun den ist im türkischen Heere etwas ganz Alltägliches, trotzdem daß die Bodenbeschaffenheit denselben zu einem doppelt schwie rigen macht. Mit gleicher Ergebung wartet der türkische Sol 1855. dat auf die Auszahlung seines Soldes, ja er wartet nicht einmal auf denselben, sondern nimmt ihn dankend hin, wenn er ihm gereicht wird, und murrt nicht, wenn man ihm densel ben, wie oft der Fall, acht und zehn Monate hindurch vorent- hält. Letzteres ist ein Vorzug, der besonders für einen Staat mit so zerrütteten Finanzen, wie die Türkei, von ungeheurem Gewichte; denn es bedarf nur einer sehr oberflächlichen Berech nung, um zu Ler Ueberzeugung zu gelangen, daß die Türkei ohne diese Langmuth ihrer Soldaten, und wenn sie zu wer ben gcnöthigt wäre, nicht im Stande sein würde, den Krieg so lange zu führen, wie sie es bis jetzt gethan hat und noch ferner thun wird. Man muß Zeuge sein, mit welchep Todesverachtung der türkische Soldat in den Kampf geht; er weiß, sein Schicksal ist beschlossen seit seiner Geburt; er weiß, daß ersterben muß, wenn er sterben soll, und daß ihm eine ganze Reihe von Feuerschlünden nichts anzuhaben vermag, wenn sein Schicksal es nicht so will; endlich weiß er, daß er, im Kampfe fallend, geiadeweges in das Paradies eingehen wird — und sollte eS dort nicht besser sein, als hier? Hat ihm nicht Muhamed die Glückseligkeit da droben so verlockend geschildert, daß es wohl der Mühe werth, lieber früher, als später in dieselbe einzuge hen? Hat nicht der Prophet den Soldaten verheißen, Gott werde sie belohnen mit einem Garten und mit seidenen Gewän dern, und sie würden dort ruhen auf Lagerkissen und weder Sonne noch Mond erblicken, die Schatten würden sich nahe über ihnen ausbreiten und die Früchte tief herabhängen, damit sie leicht gepflückt werden können; und die Aufwärter würde« um sie herumgehen mit silbernen Kelchen und Bechern und mit glashellen Silberflaschen; man würde ihnen zu trinken geben aus einem Becher mit Jngwerwasser, aus einer Quelle, Wesche Salsabil heißt; zu ihrer Aufwartung würden um sie herum gehen ewig blühende Jünglinge (der Jungfrauen gar nicht z« gedenken), und wenn man sie sähe, werde man sie für ausge streute Perlen halten, und wo man hinsehe, da werde man Wonne und ein großes Reich erblicken; ihre Gewänder seien aus seiner grüner Seide und aus Sammet, durchwirkt mit Gold und Silber, geschmückt seien sie mit silbernen Armbändern, und ihr Herr werde ihnen das reinste Getränk geben und sa gen: „dies ist euer Lohn und der Dank für euer eifriges Be streben." Allah selbst beschützt den Gläubigen im Kampfe; seine Hülfe anrufend, mit einem lauten „Allah! Mahl" flürK Mittwoch, den 20. Juni