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Wochenblatt Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlelm und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichts»^ Wilsdruff und de» Stadtrath daselbst. 17 87. Dienstag, den 5. November 1872. Bekanntmachung. Wiederholt ist das störende Knallen mit Peitschen in den Straßen hiesiger Stadt verboten worden. Da neuerdings dieses Verbot öfters übertreten worden ist, so bringt man solches mit dem Bemerken,in Erinnerung, daß man Zuwider handlungen dagegen unnachsichtlich nach Maßgabe § 366 sud No. 10 des Reichs-Strafgesetzbuches mit einer von —- 10 Ngr. —- nach Befinden bis auf 20 Thlr. —- —- ansteigenden Geldstrafe oder mit Haft bis zu 14 Tagen ahnden und, wenn solche von Dienstleuten oder Kindern beim Biehtreiben oder sonst veranlaßt worden, deren Dienstherren und rosx. Aeltern dafür verantwortlich machen wird. Königliches Gerichtsamt Wilsdruff, den 30. October 1872. Leonhardi. Die Hauptgcbrechen der häuslichen Erziehung. (Vortrag, gehalten im Arbeiterverein zu Chemnitz.) Wenn die Behauptung einiger Pädagogen, daß der Mensch bei seiner Geburt nicht viel mehr, als nichts sei und durch die Erziehung nicht viel weniger, als Alles werden könne, auf Wahrheit beruht; dann kann es auf Erden kein wichtigeres Geschäft geben, als das Er- zichungswerk, keine heiligere Pflicht, als die, auf die Erziehung An derer möglichst förderlich einzuwirken. Dann ist die Erziehung die Grundlage zur Erlangung aller idealen Güter der Menschheit, die Voraussetzung, von welcher die Ausbildung der Religion, Kunst und Wissenschaft abhängt, uud selbstverständlich wird dann auch die Art der Erziehung zu einem großen Theile den Grad der Bildung eines Volkes, den Stand seiner Cnltur bestimmen. Man kann daher kaum in besserer Weise für das Volkswohl sorgen, schwerlich eine segens reiche Zukunft seiner Nation sicherer anbahnen helfen, als dadurch, daß man seine volle Kraft dem Gebiete der Erziehung zuwcndet. Leider ist noch immer auf diesem Gebiete, welches eine reiche, ver lockende Ernte verheißt, die Zahl der wahrheitsliebenden, mulhigen und treu ausharrenden Arbeiter gering, groß dagegen die Menge der zu bekämpfenden Jrrthümer, Thorheiten und Vorurtheile. Es er scheint deshalb um so dringender nothwcndig, daß man dieses Ar beitsfeld nach allen Richtungen hin mit der Fackel der Wissenschaft beleuchte, um das Gesunde von dem Kranken, das Wahre von dem Falschen unterscheiden, den Arbeitsboden mit den darin wirksamen Kräften, die Bedingungen, unter denen er die erhofften Früchte zu bringen vermag, kennen zu lernen. Die dabei gewonnenen Erkennt nisse werden später für eine naturgemäße und darum erfolgreiche Bearbeitung jenes Feldes von heilsamstem Einflüsse sein. Besonders schlimm sicht es noch auf dem wichtigsten Eczichungsgebiete, auf dem häuslichen aus, und wir glauben deshalb Manchem einen erwünsch ten Dienst zu leisten, wenn wir in dem Nachstehenden die Haupt- gebrcchen der häuslichen Erziehung etwas genauer betrachten. Wir können hierbei aus dem von allen Seiten uns znqucllcndcn Materiale nur das Allcrwichtigste hcrausgrcifen und wollen dasselbe um fünf Satze gruppiren, von denen der erste lautet: Die häus liche Erziehung wird häufig zu spät begonnen. Bei dem Worte Erziehung denkt man in der Regel an eine plan mäßige und geordnete Einwirkung, welche von einem bestimmten Zeitpunkte an bis zu einem gewissen Zeitpunkte hin dauert. Die nach wissenschaftlichen Grundsätzen normirle Erziehung oder die Er ziehungskunst beginnt ihr Werk mit dem Tage der Geburt des Kindes. Dasselbe bringt ja doch körperliche uud geistige Anlagen mit auf die Welt, die gestärkt und entfaltet, Functionen, die geregelt sein wollen. Eine regelmäßige Pflege verlangt in dieser Zeit vor Allem der Kör per, wenn er sich normal, d. h. in Gesundheit, Kraft und Schönheit entwickeln soll; aber auch die seelischen Vermögen bedürfen einer ge ordneten Leitung, uin sich ungestört kräftigen, einer steten Zucht, um sich von fehlerhaften Bildungen möglichst frei zu erhalten und zu tadellosen Gebilden verschmelzen zu können. Sich selbst überlassen, müßte das Neugeborene verderben, zufälligen Einwirkungen anheim gegeben, würde es nach Körper und Geist verkümmern. Letzteres findet nun auch leider Gottes bei Tausenden von Kindern statt. Auf die ersten-Lebensjahre dieser armen Geschöpfe ist das Wort Erziehung seinem wahren Sinne nach nicht anwendbar. Ihre Erzeuger begnü gen sich damit, ihnen das Leben nothdürftig zu fristen und erstrecken ihre Fürsorge kaum auf Abfütterung und gelegentliche Reinigung der Kleinen, so daß von einer planmäßigen und geordneten Einwirkung in dieser Zeit nicht die Rede sein kann. Man kann die ersten 3—6 Lebensjahre solcher verwahrlosten Kinder weit eher ein Vegetiren, als ein selbstbewußtes Leben nennen. Bei vielen Kindern tritt erst später, wenn der Körper zu gewissen Arbeiten tauglich geworden, durch dieselben eine Art von Erziehung auf, indem die regelmäßig wiederkehrende Beschäftigung zur Aufmerksamkeit, vielleicht sogar zum Nachdenken zwingt, die Einbildungskraft erregt, den Willen stärkt und die körperliche Entwicklung befördert. Aber freilich, welcher Schaden ist bis zum Beginne dieser erziehlichen Einwirkungen bereits ange richtet worden! Der Geist des so vernachlässigten Kindes zeigt sich nicht selten stumpf und träge, zerstreut oder trotzig. Die niedern, nur auf Sinn liches gerichteten Triebe, denen kein Gegengewicht in der Gewöhnung an das edle und Gute gegeben wurde, haben die ganze Seele über wuchert und zeigen sich als Neigungen zur Lüge, zum Stehlen, zum Betrüge, zu Rohheiten. Diese schlimmen Neigungen werden ffch aber später, wenn kein mächtiger rettender Einfluß dazwischen kommt, zu den gefährlichsten Lastern ausbilden. — Traurig genug, wenn bittere Armulh und Stumpfsinn, eingetreten infolge dauernder Noth, derar tige entsetzliche Uebelständc herbcigeführt; aber noch betrübender ist es, wenn dieselben durch verabscheuungswürdigen Leichtsinn und nichts würdige Faulheit verschuldet wurden. — Achten wir nun auf die häusliche Erziehung selbst, auf die Art und Weise, in welcher sie sich kund giebt, so stellt sich als ein -weites Hauptverbrechen derselben heraus: Sie entbehrt in der Regel der Einheit und der C o n s e q u e n z. Wir entdecken in der Hauscrziehung einen Mangel an Einheit, wenn wir die einzelnen hierbei in Frage kommenden Factoren ins Auge fassen, einen Mangel an Consequenz, wenn wir die verschiede nen Einwirkungen jedes einzelnen Factvres unter einander vergleichen. Die Factoren der häuslichen Erziehung sind: Vater, Mutter, Ver wandle, ältere Geschwister und die Dienstboten. Kann man nun auch keineswegs verlangen, daß alle die genannten Personen bei ihren er ziehlichen Einwirkungen nach einem bis ins Einzelnste geordneten Plane verfahren, so sicher doch das Eine, daß sie dabei gewisse Grund züge cinhalten und in gewissen Grundsätzen übcreinstimmcn. Leider zeigt sich aber gar ost an Stelle dieser geforderten Einheit des Gan zen nur eine Zusammenhangs- und prinziplose Mannichsaltigkeit ver einzelter Erziehungsmaßregcln, die nicht selten einander völlig wider sprechen. Zwar ist es noch keineswegs als ein solcher Widerspruch zu betrachten, wenn der Vater in der Erziehung durchgängig den Ernst, die Mutter die Güte, die Geschwister die Theilnahme walten lassen; wohl aber tritt diese Entgegensetzung der Erziehungspriucipen dann ein, wenn der Vater durch einen Ernst, der zur draconischcu Strenge geworden ist, der Liebe der Mutter zu den Kindern entgegen wirkt, wenn die Herzensgüte der Mutter, zur Willensschwäche gesun ken, den väterlichen Ernst aufzuhcben sucht, oder, wenn die Theil nahme älterer Geschwister zu eigem verderblichen Vertuschen oder Be-