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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- PreiS 22-i Sgr. sj THIr.) vierteljährlich, 3 Thir. für da» ganje Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pranumerirt aus dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in Ler Expedition (Zriedrichs-Straie Nr. 72); in der Provinz s» wie im Auslande bei Lea Wohlldbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Montag den 6. August 1838. Süd - Amerika. Ein authentischer Beitrag zu dem Leben Bolivar's. Die politische Laufbahn Bolivar's ist der Gegenstand viel facher, wenngleich mehr oder weniger genügender Darstellungen gewesen, aber über sein frühestes Privatleben, seine Jünglinge- jahre und die sonderbare Erziehung, die er genoß, Hal sich keiner seiner Biographen verbreitet. Solche Linzemheilen kann nur die Hand der Freundschaft unter dein Schleier hervorlangen, und mit Dank nehmen wir die nachfolgenden Muheilungen einer edlen Spanierin auf, die in zweifacher Weise beglaubigt ist, indem sie Bolivar's Jugendleben aus dem Munde ihrer Aeliern hat, mil denen er während seines Aufenthaltes in Europa in näherer Ver bindung stand, und die späteren Ereignisse von ihrer in Peru ansässigen Familie, mit welcher Bolivar die in Europa geschloffene Freundschaft fonseyte. Wir lassen Sie in dem Folgenden selbst das Wort nehmen: „Unter allen wichtigeren Städten des Spanischen Amerika'« war um das Jahr 1700 Earaccas der Sammelplatz vielleicht der grüßten Zahl verdienstvoller Manner und verdankte diese geistige Ueberlegenheit seinem unausgesetzten Verkehr mit den Antillen und selbst mit Europa. Vor Allen wurde der Name des Senor Bolivar genannt, den sein Geschmack an den Wissenschaften mit einem jungen Ausländer Namens Don Rodriguez zusammengc- fuhn haue, der gleichfalls wissenschaftlichen Untersuchungen, be sonders der Mineralogie oblag. Ihre Zuneigung gewann einen so innigen Charakter, daß zwei Jahre später Tenor Bolivar auf seinem Sterbebette Don Rodrigncz zum Vormunde seines zwölf jährigen Sohnes einsetzle (Bolivar s Geburtsjahr ist 178«, nicht 8S, wie inan fälschlich angiebij. Kaum hatte der Daier die Augen geschloffen, so griff die Familie seine icstamentlichen Verfügungen an; aber Rodrigucz, durch einen Eid, den er dem sterbenden Bolivar geleistet, an seine Pflicht, dem Knaben Vaterstelle zu vertreten, gebunden, führte seine Sache mit so viel Feuer und veriheidigte die Wahl seines Freundes mit solcher Beredsam keit, daß die Richter, erstaunt über das Talent des fremden, vierundzwanzigjährigen Mannes und überzeugt, daß er befähig« sey, einen nützliche» Bürger aus dein Knaben zu ziehen, ihm einhellig die Vormundschaf« zuerkanmen. Don Rodrigucz iraf sogleich die nölhiaen Vorkehrungen, das Vermögen seines Mün dels sicher untcrzubringcn, und verließ daraus in Gesellschaft seines jungen Zögling, Earaccas und die neue Welt. Von da an widmete er seine Zeil und Kräfte einzig der Erziehung Simon Bolivar's, hielt ihm keine Lehrer, sondern führte ihn selbst mit seiner gründ lichen Gelehrsamkeit in die verschiedenen Gebiete des menschlichen Wissens ein- Der verstorbene Bolivar, von Natur sparsam, hatte stets sehr einfach gelebt, und es wurde Do» Rodriguez nicht schwer, in seinem Zöglinge die Uebcrzeugung zu befestigen, daß er un bemittelter Herkunft wäre- Demgemäß lebten sie auf Reisen; stet« zu Fuß, ihr Ränzei auf dem Rucken durchzogen sie Europa, nahmen ihre Herberge in den niedrigen durch ihre Billigkeit be kannten Gasthöfen, und Simon Bolivar gewöhnte sich dadurch früh an Beschwerden und Entbehrungen, lernte aber auch schnell die Sprachen und Sitten des civilisinen Europa'« kennen. In Bilbao war es, wohin Rodriguez aus unermittelten Gründen sich begab, daß sie die Bekannt,chaft meiner Eltern machten, und eben da, daß Bolivar sich in eine junge Spanierin von schönem Aeußeru und empfehlenden Sitten verliebte. Obgleich ihre zane Jugend und ihre schwache Körper-Beschaffenheit nicht gestatteten, sich so früh zu verehelichen, so war Bolivar doch zu verliebt, um an Zögerungen zu denken, oder die Vcrheirachung auszuschieben- So ""angenehm auch dieses nicht vorhergesehcne Intermezzo seinem Vormunde seyn mußte, so war er doch nicht gewöhn«, seinem Mundet einen Wunsch abzuschlagen, und gab endlich seine Einwilligung. Bolivar war damals zwanzig Jahre alt. Acht Monaie waren verflossen, seitdem mein Vaier von Bil bao forlgczogen war und sich in Paris niedergelaffen hatte, als er in den öffentlichen Blättern die Nachfrage nach seiner Adresse fand. Er begicbl sich sogleich in die unterzeichnete Wohnung, wird mit Widerstreben in eine unsaubere Straße und einen noch un- saubereren Gasthof gewiesen, muß aus seine Meldung in den drillen Stock sich verfugen und flude, M einem engen, dumpfen und schlecht möblinen Zimmer Bolivar, leidend und in der größ ten Niedergeschlagenheit über den Tod seiner Gattin, des Ge genstandes seiner ersten, heißen Liebe. Ucberdrüssig eines Orte«, wo er sein Theuerstes eingebüßt, hatte er Bilbao verlassen und sich nach Paris begeben, wo er Rodriguez wiedcrzufinden hoffte, der seit längerer Zeit in Deutschland lebte. Zwar wurde er in seinen Erwartungen getäuscht, fand aber in dem theilnehmendcn Herzen meiner Mutter die Hülfe, deren sein Schmerz bedurfte. So verflossen ihm sechs Wochen in Paris, während welcher er nur den Umgang und die Zusprache meiner Aeliern genoß, b-s er, da Ro driguez immer noch in Deutschland Ausenthalt fand, ihn zu suchen beschloß. — Erst nach zwei Jahren erfuhren wir abermals durch die Blatter, daß Bolivar in Paris wäre; abrr dies Mal lautete die Unterschrift: IlütkI-äe^-Ltrangerx, rue Vivienne. Zweifelnd, ob dies derselbe Bolivar sey, suchten meine Aeltcrn Tags darauf den armen, kleinen Amerikaner auf, wie mein Vater ihn nannte. Er war's, oder richtiger, cs war ein Anderer- Seine Gestalt, um vier Zoll höher, vereinigte Kraft mit Anmulh, ein dunkler Schnurrbart hob das Elfenbein seiner Zähne wie das Martia lische, seiner Gestalt, und der leiblichen Metamorphose entsprach die seine« Geistes. Wo war der stille, in sich zurückgezogene, melancholische Mensch, nur den Wissenschaften und der Arbeit lebend, wie meine Mutter ihn gekannt Hauck Da war Alles verändert, Geist, Herz, Geschmack und Charakicr. Er bewohnte in dem genannten Hütel ein Quartier für AXX« Franken Miethe, hielt eine reich gekleidete Dienerschaft, Equipage, herrliche Reit pferde, haue eine eigene Loge in der Oper, stand in öffentlicher Verbindung mit einer Tänzerin, war übertrieben verschwenderisch in seiner Garderobe, Alle« im auffallendsten Gegensatz zu der ärmlichen Einfachheit seiner früheren Lebensweise. Vergeblich erschöpften sich meine Aeliern in Gründen über die Ursache einer so auffallenden Veränderung. Bolivar selbst gab ihnen endlich den erbetenen Aufschluß in einem Briefe, den ich im Original, Spanisch geschrieben, besitze und in einem Auszüge hier mmhci- len will: „ „Sehr «verthe Frau und Freundin! Sie kennen mich, das gestehe ich; Sie wissen, daß man, wenn man etwas von mir heraus bekommen will, sich entschließen muß, mir zu schreiben, indem ich dadurch gezwungen werde, zu antworten und einer an genehmen Last mich zu unterziehen. Ich sage Last, verzeihen «sie, aber es ist das rechte Wort, denn Alles, was mich zwing«, nur zehn Minuten über einen und denselben Gegenstand nachzu denken, strengt mein Gehirn so an, daß ich die Feder oder die Unterhaltung muß fahren lassen, um am offnen Fenster Alhem zu schöpfen. — Sie würden viel darum gebe», sagen Sic, wenn Sie das Mittel wüßten, wie aus dem armen, kleinen Bolivar von Bilbao, dem bescheidenen, fleißigen, ökonomischen, der scklen- derische und verschwenderische, der müßiggängerische, der Bolivar aus der rue Vivienne wurde? Theure Therese, der ich keine Bitte versagen kann, nachdem sie in den Tagen meines Unglücke mit mir geweint hat, warum wollen Sie in dieses Geheimniß drin gen? Wenn Sie die Lösung des Räthscls wissen, werden Sie nicht mehr an die Tugend glauben. Nicht mehr an die Tugend glau ben, schrecklicher Gedanke! Was hat also diese Umgestaltung her- voraerusen? Ein einziges Wort, ein Zauberwort, da« der be dachtsame Rodrigucz nie hätte auksprechen sollen. Aber Sie wollen es, so mögen Sie denn hören. — Sie erinnern sich des traurigen Zustande«, in welchem ich mich befand, als ich von Ihnen Abschied nahm, um Rodrigucz in Wien aufzusuchen- Ich hegte große Erwartungen, heilsame Einflüsse von dem Umgänge mit meinem alten Freunde, dem Gefährten meiner Kindheit, dem Vertrauten meiner Freuden und Schmerzen, dem Lehrer, dessen Wort und Rach noch nie ihre Gewalt auf mein Herz verfehlt Hanen. Leider trug seine Freundschaft nicht die gewünschten Früchte. Was Rodrigucz an Liebe besaß, Hane er den Wissen schaften geschenkt; meine Thränen rührten ihn, weil er mich innig liebte, blieben aber von ihm unverstanden. Semen Eifer, seine Aufmerksamkeit nahm ein physikalisch-chemisches Kabine« jn An? spruch, das ein großer Herr cinrich<e«e und für die öffeniliche Ausstellung bestimm« hakte. Knapp daß ich ihn eine Stunde de» Tages sah; so oft ich ihn auftuchle, sagte er mir im Fluge: Freund, suche dir Vergnügen, knüpfe Verbindungen an mit jungen Leuten deine« Alter«, besuche das Theater, du mußt dich Zerstreuen, dies ist der einzige Weg, wieder gesund zu werden. Da sollte i«ch inne werden, daß diesem Manne, dem weisesten, dem edelsten