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30. Jahrgang. ^S256 1878 Wünsche verfolge er und seine Freunde mit ihrem Anträge. um das Gedeihen der Ge- sammtheit, nur um die Ausfüllung einer Lücke zwischen in unnützen Klagen ergehen und uns die nothwend ge Arbeit durch übertriebene Befürchtungen verbittern. Die Franzosen haben keinen Augenblick müssig die Hände in den Schooß gelegt und gejammert; sie haben rüstig gearbeitet und sich nicht mit schönen Betrachtungen aufgehalten. Mag ihr Bei- piel uns zeigen, wie schnell ein Volk wieder in die Höhe kommen kann, wenn es nur den ernsten Willen dazu zeigt. Dem Mulhigen, sagt ein Sprichwort, gehört die Welt'- Wir Deutschen sind objektiv genug, diese Beweise für die Thatkraft, für die Betriebsamkeit und den Reichthum des französischen Volkes ohne Neid anzuerkennen. Freilich, wenn man an die Vorhersagen über den Niedergang der fran zösischen Nation denkt, welche bald nach dem deutsch-fran zösischen Kriege auf deutscher Seite laut wurden; wenn man sich in's Gedächtniß ruft, wie manche Deutsche in sträflicher Verblendung und Selbstüberschätzung an der französischen Nation nur Mängel, an dem deutschen Volke nur Vorzüge entdeckten — dann kann man sich eines Ge fühls der Beschämung kaum erwehren. Frankreich damals und heute, Deutschland damals und heule — welch ein Unterschied! Dieses Gefühl der Beschämung mag uns abyalten, in Zukunst voreilig über andere Völker abzusprechen; es wird hoffentlich unsere deutschen Schriftsteller dazu führen, bei Beurtheilung der Zustände eines Volkes künftig tiefer auf Thatsach en einzugehtn als früher. Hoffentlich aberführt es nicht dazu, das, was früher nach der einen Seite hin gefehlt wurde, jetzt nach der anderen Sette hin zu wieder holen und der früheren Ungerechtigkeit gegen Frankreich jetzt Ungerechtigkeit gegen Deutschland hinzuzufügen. Diese Gefahr ist keine geringe. Es giebt bei uns jetzt Leute genug, welche den Kopf verloren haben und nun den Niedergang des deutschen Volkes verkündigen, wie sie früher den Niedergang des französischen Volkes voraus sagten. Solche Unglückspropheten benehmen nur den Muth zu frischem, kräftigem Handeln und lähmen die Neigung zur Besserung der Zustände. Es ist wahr, die Zustände in unserem Vaterlande sind nicht gerade rosig. Mancher tief sitzende Schaden ist zu Tage getreten; viel ist zu helfen und zu bessern. Aber darum braucht man den Muth noch lange nicht zu verlieren — wenn man nur den ernsten Willen hat, an der besseren Gestaltung der Zustände mit zu arbeiten. Aber gewöhnlich find Diejenigen, welche jetzt am lautesten über die Ver- derbniß der Zeit klagen und die jetzt Anklage auf Anklage Wider unser Volk häufen, gerade dieselben Personen, welche am allerwenigsten sür die sittliche Erstarkung unseres Volkes gethan haben, so sehr sie auch dazu berufen gewesen wären. Jetzt, da die Spatzen das Lied von den Gebrechen des deutschen Volkslebens von den Dächern pfeifen, ist es wahr lich keine Kunst, Jeremiaden anzustimmen. Wo seid ihr klugen Leute mit eurer Weisheit denn früher gewesen? Habt ihr den irgend etwas gethan, nicht blos geredet, um dem „Verfall" vorzubeugen? Davon aber abgesehen ist die Lage der Dinge auch keineswegs so schlimm, wie sie vielfach dargestellt wird. Den trüben Erscheinungen in unserem Volksleben stehen auch recht Helle und erfreuliche gegenüber. Es ist wahr, die Verwilderung, welche in den Attentaten eines Hödel, eines Nobiling offenbar geworden ist, schmerzt tief; aber zeugt nicht die Abscheu, welche in ganz Deutschland bei Arm und Reich, bei Hoch und Niedrig gegen solche Entartung ost in der rührendsten Weise sich kundgab, von dem gesunden Gefühl unseres Volkes in allen feinen Schichten? Es ist wahr, in dem harten Kampfe um Er werb hat unser Volk wenig Zeit, wie in früheren Jahr zehnten in Idealen sich zu bewegen; aber lehrt nicht die lebhafte Betheiligung, die sich fortgesetzt bei tausend Werken der Barmherzigheit kundgiebt und die sich nicht nur im letzten Kriege, sondern auch später noch bei vielen Anlässen gezeigt hat — daß eS mit dem Ueberwuchecn der materia listischen Gesinnung denn doch nicht so gar schlimm bestellt ist? Und hat nicht die allenthalben gepflegte Vereins- thätigkeit, insbesondere die Blüthe des Genossenschaftswesens, hat nicht die überall, oft unter großen Opfern bethätigte Mitwirkung von Hunderttausenden bei der Selbstverwaltung ihre hohe ethische Bedeutung? Wir denken, es giebt auch in der Gegenwart noch manchen Lichtblick, an dem man sich erfreuen kann, wenn der Gesetzgebung und den tatsächlichen Verhältnissen, ge- wissermaßen um eine permanente volkswirthschaflliche En- quste. (Lebhafter Beifall.) Er stelle folgenden Antrag: „Der deutsche Handelstag wolle schleunigst eine Eingabe an die kaiserl. Regierung richten, dahin gehend, daß mög lichst bald und zwar zunächst durch kaiserliche Ernennung eine Behörde, bestehend aus den Vertretern des Handels, der Industrie (der Gewerbe, der Landwirthschaft, des Ver kehrswesens und aus höheren Beamten geschaffen werde, welche als Beirath der Nüchsregieruug in wirrhschaftlichen Fragen, ähnlich des französischen „Ovu^vll Luxöiiaur" fun- girt und daß demnächst durch gesetzliche Bestimmung die definitive Organisation einer solchen Behörde, hervorgehend einerseits aus kaiserlichen Ernennungen nnd andererseits aus den Wahlen obiger wirthschastlicher Gruppen ge regelt werde. Senator vr. Witte (Rostock): Der volkswirthschaft- liche Senat in Frankreich lei lediglich eine oft willenlose Handhabe in der Hand der Regierung und gerade dort feien es freie wirthichaftliche Vereinigung- » gewesen, welche Einfluß auf die Kontinuität der Gesetzgebung gewonnen haben. Dasselbe sei in England der Fall gewesen und die freien wirthfchaftlichen Interessengruppen seien daher auch bei uns berufen, Handel und Industrie betreffende Fragen in die betreffende Bahnen zu lenken. Die Antragsteller würden sich über die erwartete Stellung des Senats ent schieden täuschen. Der deutsche Haudelstag und der deutsche Landwirthschaftsrath würden dir richtigen Quellen sein, welche der Regierung für die wichtigsten Materien die umfassendsten Vorarbeiten und die gründlichste Sach- kenntniß entgegenbringen. Er beantrage nun deshalb die Annahme folgender Resolution: „Der deutsche HandelStag lehnt eS ab, auf den Gedanken der Errichtung eines volks- wirthschaftlichen Senats einzugehen, da er der Ansicht ist, daß der deutsche Handelstag ganz besonders berufen und geeignet ist, in allen Handels- und Industrie betref fenden Fragen den wirthfchaftlichen Beirath der Regierung zu bilden, während dieselbe Aufgabe auf landwirthschaft- lichem Gebiete dem Landwirthschaftsrath zufällt. In allen Fällen, in denen die Regierung in volkswirthschastlichen Fragen einer weitergehenden Information bedarf, empfiehlt der deutsche Handelstag Enquüten »ä üoe für deren Zu standekommen und Durchführung der Ausschuß deS deutschen Handelstages stets mitzuwirken bereit sein wird." — Un terstützt war dieser Antrag durch d e Handelskammern von Bremen, Altona, Leipzig, Hamburg, Stettin, Colberg, Stolp, Stralsund, Thorn, Halberstadt, Flensburg, Stutt gart, Magdeburg, Crefeld, Posen, Kiel und Nürnberg. — Nach langer Berathung wurde der Antrag Bueck'S dem bleibenden Ausschuß zur Berichterstattung an die deutsche Reichsregierung überwiesen. Frankreich und Veutschland. Die Vertheilung der Preise bei der Pariser Weltaus stellung und die bei dieser Gelegenheit vom Präsidenten Mac Mahon gehaltene Rede haben in Deutschland wieder vielfach den Blick auf die Wiedergeburt Frankreichs gelenkt. Mit lobenswerther Unparteilichkeit ist auf deutscher Seite anerkannt worden, daß Frankreich nicht nur einen glänzen den Erfolg mit seiner Weltausstellung erzielt, sondern daß eS noch mehr erreicht hat: dis Verwischung der S puren des Krieges von 1870/71. Das vor sieben Jahren aus tausend Wunden blutende, durch einen schweren Kampf und den mit schweren Opfern erkauften Frieden darnieder- gedrückte, durch einen Bürgerkrieg zerfleischte Frankreich hat mit seltener Energie und Spannkraft jene Tage des Un glücks überwunden. Was es damals an Volkswohlstand verlor, heute ist es wieder ausgeglichen; Frankreich hat feine wtrthschaftliche Stellung behauptet, ungebeugt, nein — durch die erfahrene Prüfung neu gekräftigt, stand es in dem Wettkampf der Nationen bei dieser Ausstellung wieder in der ersten Reihe. Inserate werden bi» Vormittag« 11 Uhr angmom- mm und betrügt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum Id Psmnige. Freiberg, 1. November. Bvra°stern begannen in Berlin die Verhandlungen des achten -eutscheu Handelstages. Die zirka 300 Theil- nehmer aus allen Theilen Deutichlands begrüßte der Han delsminister Maybach, indem er sagte: „Ich habe die Ehre, Sie auf's Herzlichste hier in der Hauptstadt des deutschen Reichs willkommen zu heißen. Obwohl ich nur Handels- minister sür das Königreich Preußen bin, so acceptire ich doch das Wort deutsch, denn der Handelslag erstreckt sich über ganz Deutschland; es giebt nur einen deutschen Handel und laut Reichsgesetz ist die Förderung und Ent wickelung des Handels Sache des deutschen Reiches. Als vor ungefähr 4 Jahren mein Vorgänger, Herr Or. Achen bach, die Ehre hatte, Sie zu begrüßen, da war bereits in allen industriellen und Handels-Verhältnisten ein Rückgang eingetreten. Die von Herrn Ur. Achenbach damals ge äußerte Hoffnung: Die kommerziellen uno industriellen Verhältnisse würden sehr bald w ederum eine bessere Ge staltung annehmen, hat sich leider nicht nur nicht erfüllt, die erwähnten Verhältnisse sind sogar noch schlimmer ge worben. Dichte Nebelschleier lagern über allen Verkehrs- Verhältnissen und selbst einzelne Lichtstrahlen, die bisweilen sichtbar sind, vermögen den Nebel nicht zu durchbrechen. Aber nicht nur auf wirthschaftlichem Gebiete sind traurige Zustände zu beklagen, auch auf dem Gebiete des öffentlichen, sozialen Lebens haben Zustände Platz gegriffen, die Trauer, Schmach und Schande über das ganze Vaterland gebracht, haben. Man hat sich selbst nicht gescheut, gegen das geheiligte Haupt unseres allverehrten Kaisers die Hand zu erheben. Gott der Allmächtig: hat jedoch das größte Unglück abge wendet und im Hinblick darauf, sowie im weiteren Hinblick auf die deutsche Einigkeit und Beharrlichkeit, im Hinblick auf den deutschen Muth wird es uns g lingen, die besagten traurigen Verhältnisse sehr bald wieder bester zu gestalten. Auf sieben fette Jahre sind sieben magere gekommen, wenn die Zeit der letzteren jedoch verflossen sein wird, dann dürfte die Besserung nicht mehr lange auf sich warten lasten. Ich wünsche um deshalb Ihren Verhandlungen das beste Gedeihen. Möge es Ihnen, den berufenen Ver ¬ tretern des deutschen HandelSstandelS, gelingen, für Besse rung unserer wirthschaftlichen Verhältnisse Sorge zu tragen. (Lebhafter Beifall.) Der erste Gegenstand der Tagesord nung betraf die Errichtung eines deutsch-volks- wtrthschaftltchen Senats. Der Referent, General- ekretär Bueck (Düffeldorf) bemerkte hierzu: ES liege eineswegS bloS im Interesse des Handels und deS Ge- werbestandeS, sondern es sei auch für die deutsche Retchs- regierung und den deutschen Reichstag wünschenSwerth, wenn schon in den Vorbereitungsstadien sobald es sich um ein Gesetz, oder um Handelsverträge, oder um allgemeine WirthschaftS-Erlaste handele, der Beirath praktisch erfah rener Männer gehört werden müsse. In dem deutschen Reichstag finde eine wirthschaftliche Interessenvertretung leider keinen Platz. Angesichts der im R-ichstage vertre tenen Parteien werden die wirthschaftlichen Fragen von den politischen leider nicht getrennt. Auch kann man bei den Abgeordneten für eine politische Körperschaft nicht von vornherein eine genügende Kenntniß der wirthschaftlichen Verhältnisse und eine unbedingt richtige Beurtheilung der wirthschaftlichen Lage des Landes vvraussetzen. Dem Senate solle eine gesetzgeberische Befugniß durchaus nicht ertheilt werden, derselbe solle vielmehr nur als Beirath iungiren. Die oft künstlich erzeugten Gegensätze zwischen Handel und Industrie, zwischen Konsumenten und Produ zenten würden nur bei Bestehen einer solchen, alle wirth schaftlichen Interessengruppen einschließenden Körperschaft verschwinden. Nicht Sonderintereffen ober schutzzöllnerische TT E WM K-in- Schwl-rd-r-i, «b-r auch »I»« „ «. Pessimismus. Wir wollen alle rüstig daran arbeiten, vor- handle sich dabei lediglich handene Schäden zu beseitigen; wir wollen uns aber nicht sammtbeit. nur um die Ar Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für dm Sonnabend, den 2. November. und Tageblatt. * Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden z« Freiberg nnd Brand. Berantwortlicher Redakteur Iuliu- Braun iu Freiberg.