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Nummer 127 — 25. Jahrgang «mol wöch. Bezugspreis für Juni 8^- -K einschl. BesteUqelo. Anzeigenpreise: Die Igesp. P-titzette S»^. SteNenpesuche 20 L . Di« Petitredlamezett«. 8S Milli. Meier breit. 1 ^t. Offertengebühren für Selbstabholer Lü ^ bei Uedersendung durch di« Post außerdem Porto-uschlag. Einzel-Nr. 10 Sonntags-Nr. IS L. ^cschäftl. Teilt I. Dillebrand in Dresden. SiilillWw Freitag, il. Juni 1926 „Leistung . . , ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Per. antwortung. Unverlangt eingesandt« u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte werü. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—Z Uhr nachmittag«, dauptschristleit.: Dr. Joseph «lhert. Dresden. Mn«>»»elsn Ourte Leiienvsren o Ksdr. tisugmger 8e>>e:«iuel,dn>i»tise vresilen-g. Sslinsgssse 10 kstvmmmgZtr 4. vegi.lSLl-smwIlbli! volfsrmuna 0e«»etn«e' d.-o. >V»d»r«»»»« 17 411m. ». 1. 5eU,) n«Anii r>oz< . rnsa >r.»5 U»«,chaUsfteU«. Lruct »nd Verla«! Sara,II» Buchdrurkerei GmbH.. DreSden-A. I, PoUerjlraiie N- sseriirii- 21012. PolUdieikkonlo Dresden I»7»7 Uonkkonlo: «assenac «- griolitie. Dresden. Für christliche Politik und Kultur Redaktion »er Sächsische» Volk«»»«»»», Dresden-Altstadt 1. Polierstrak- 17. grrnr»« 20711 und 2IVI2. Vandervelde über Gens Keine unüberwindlichen Schwierigketten mehr für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund Die Aalionalkirche -er Tschechen Von unserem Prager Z.-E.-Vertreter. Prag. 9. Juni. Der große tschechische Politiker und Geschichtsschrei ber Palacky hat wiederholt seiner Ueberzeugung Aus druck verliehen, daß der Tscheche seiner Natur nach, wie alle Slawen, tief religiös veranlagt sein. Auch Masaryk, der unentwegte Freidenker, hat in seiner GeschichtsphUo- sophie hervorgehoben, daß die führende Idee in der nationalen Entwicklung des tschechischen Volkes der reli giöse Gedanke sei. Diese Voraussetzung muß man fest stellen. wenn man die bewegten kirchenpolitischen Kämpfe objektiv werten will, die zu wiederholten Malen in der nationalen Geschichte dieses Volkes die Gemüter erregt haben. Nicht weniger drängt sich aber die Frage vor, auf welchen merkwürdigen Bahnen sich seit dem Umsturz die religiöse Entwicklung des tschechischen Volkes eigent lich vollziehe. Im alten Oesterreich galt die liberale interkonfes sionelle Gesetzgebung. Wer also in Böhmen aus pan- slawistischen Erwägungen heraus Slawentum und Ortho doxie als zusammengehörig wähnte, konnte ruhig sich der östlichen Kirche zuwenden, unter dem Einflüsse des nahen Deutschen Reiches gab es eine Periode eines protestan tischen Aufschwunges. Sogar die Nachfolger der gewe senen tschechischen Vrüderkirche konnten ihre eigenen Gemeinden bilden, nachdem sie sich unter dem Namen von Herrnhutern die staatliche Anerkennung ihrer Reli- ionsgemeinschaft erlangt hatten. Trotzdem ist ein Wie- eraufleben der durch die Gegenreformation verschütte ten Quellen der Hussitenbewegung in dieser Zeit freier religiöser Betätigung nicht zu verzeichnen. Erst nach dem Zusammenbruche des Habsburgerreiches kam es zu kom plizierten und vielgestaltigen Neugründungen und reli giösen Bewegungen, weiche die klrchenpolitische Lage der tschechoslowakischen Republik bis auf den heutigen Tag beherrschen, und deren Entwirrung noch längere Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Die Grundidee aller dieser neuen Bewegungen, die nur formell eine Anlehnung an frühere historische Er scheinungen suchten, ist in der Anschauung verankert, daß der nationale Staat zu seiner Ergänzung einer nationalen Kirche bedürfe. Die Hauptforderungen betrafen daher vor allem die Einführung der tsche chischen Sprache im Gottesdienst und einige demo kratische Abänderungen der Kirchenverfassung durch Lok- kerung der hierarchischen Disziplin, schließlich die Gestat tung der Prlesterehe. Anfänglich schien die Bewegung nicht wesentlich über die Ziele des Altkatholizismus hin- auszugehen. Dem Widerstand der römisch-katholischen Bischöfe folgte dann am 8. Januar 1920 der Beschluß der reformischen Geistlichkeit, die nationale tsche chische Kirche zu gründen und die Loslösung von Rom zu vollziehen. Alsbald begannen Streitigkeiten wegen Mitbenützung der katholischen Kirchen, die wie derholt zu einem blutigen Handgemenge führten. Aber die Bewegung umfaßte doch verhältnismäßig nur einen kleinen Teil des tschechischen Volkes, während sie im slowakischen Teste des Landes überhaupt kreinen Anklang fand. Immerhin wies die neue Glaubensgemeinschaft 1921 bereits 525 333 Anhänger auf. Die Regierung, die aus nationalen und innerpolitischen Gründen auf die Unterstützung der starken katholischen Volkspartei nicht verzichten konnte, entschloß sich zwar im September 1920, der neuen Kirche die staatliche An erkennung zuteil werden zu lassen, aber sie legte ander seits den sich neubildenden Gemeinden nicht geringe Schwierigkeiten in den Weg. Erst im November 1923 kam es durch den Zusammenschluß von neun Gemeinden zur Gründung der mährischen Diözese, der dann eine w e ft b ö h m i s ch e, eine ostböhmische und eine schlesische folgten. Erst 1924 erfolgte die Wahl der vier Bischöfe, lieber die innere Entwicklung des reli giösen Lebens dieser neuen Reform Kirchen waren sich die verschiedenen Faktoren gar nicht im klaren. Es wurde nur immer der gemeinslawische Charakter der neuen Kirche betont, und so segelte man gradaus dem Anschluß an die orthodoxe serbische Kirche entgegen. Die Belgrader Rationalsynode entsandte einen hervorragen den Kirchenfürsten in die Tschechoslowakei, um die un mittelbare Fühlung mit der tschechischen Kirche auzuneh- men. Die führenden Priester dieser präsentierten jedoch dem serbischen Bischof ein ganzes Memorandum, das un zählige Forderungen enthielt, darunter solche, die im grundsätzlichen Widerspruch zu dem Geiste der östlichen Kirche standen. Sie forderten unter anderem die tsche chische Kultursprache, die Beibehaltung der gottesdienst lichen Gebräuche, eine autonome Kirchenverfassung, Wahl der Bischöfe und Pfarrer unter Teilnahme von Laien. Brüssel, 10. Juni. (Drahtb.) Außenminister Vandervelde hat dem Vertreter der Belgischen Telegraphen-Agentur in Genf erklärt, der vorherrschende Eindruck aus den Besprechungen, die außer halb der Sitzung des Völkerbundsrates stattgefuuden habe, sei, daß die Frage des deutschen Eintritts auf der kommen den Sitzung keinen neuen Hinderpiissen begegnen werde, oder wenigstens keinen unüberwindlichen. Der Vorschlag Lord Cecils, auf den man sich schon inner halb des Völkerbundsausschusses zur Reorganisation des Rates geeinigt habe, dürfte angenommen werden. Da nun auch die Delegationen Brasiliens und Spaniens an der Sitzung des Rates teilgeuommen haben, könne man hoffen, daß der Eintritt Deutschlands nicht mit dem Aus tritt beider Mächte zusammenfallen werde. Argentinien — Brasilien — Spanien Buenos Aires, 10. Juni. Das argentinische Ministerium des Aeußcren erhielt ein brasilianisches Memorandum, das die Haltung Brasiliens zum Völkerbund darlegt und betont, daß Rio de Faneiro lediglich eine Einhcitspulitik Amerikas unter Mit wirkung Argentiniens wünsche. Die Negierung Argentiniens erwiderte, daß sie im Prinzip dem Memorandum znstimmc, daß aber zu ihrem Bedauern eine Praktische Nnterstütznug «»möglich sei, da der argentinische Kongreß den Beitritt zum Völkerbund nicht ratifiziert habe. Madrid, 10. Juni. Wie die Zeitungen melden, gab gestern im spanischen Ministerrate der Minister des Auswärtigen UanguaS eine längere Erklärung über die Haltung Spaniens hin sichtlich der gegenwärtigen Erörterungen im Bölkcrbnndsrat ab. Er teilte die Telegramme de-S spanischen Vertreters Boule mit, der infolge der Schritte gewisser Mächte bei der spanischen Negierung den Sitzungen beiwohnte. Der spanische Vertreter habe dabei im Namen de? Madrider Kabinetts betont, daß seine Anwesenheit einzig und allein eine Höf- lichkeitskundgeb ung Spaniens gegenüber den Mächten bedeute, die es gebeten hätten, den Sitzungen bei. zuwohnen. Briand habe erklärt, er gäbe die Hoffnung nicht aus. daß die spanische Frage in befriedigender Weise gelöst werden würde. Der Munsterrat genehmigte einstimmig die .Haltung Aanguas in dieser Frage. MoskausInduslriebestellungen Die deutschen Firmen sind zu teuer. — Unter- brechung der deutsch.französischen Wirtschafts verhandlungen. Moskau, 10. Juni. (Drahtb.) Die Moskauer Blätter veröffentlichen den Wortlaut eine Weisung Rykosss an das Handelskommissariat, das bc> auftragt wird, sofort einen Teil der auf Grund des deutschen Garantiekredits für Deutschland bestimmten Bestellungen an andere Länder zu vergeben. Rykoss begründet seine Maß. nähme mit Schwierigkeiten beim Erhalt des den deutschen F!r- men von seiten der Regierung garantierten langfristigen Kredit» und mit den unvorteilhaften Bedingungen einiger deutscher Fir men. Das Volkskommissariat wird jedoch angewiesen, die Be. stellungen bei anderen Ländern nur zu solchen Kredit-, Preis-, Oualitäts- und Lieferungsbedingungen vorzunehmen, die nichi unvorteilhafter als die von Deutschland gestellten feien. Berlin, 10. Juni Die Morgenblätter melden aus Paris: Von französische: Seite wird amtlich mitgeteilt: Da die deutsch-französischen Wirt, schastsverhandlungen vor den Reichstagsferien nicht mehr zu Ende geführt werden können, wurde ein neues Provisorium vorgeschlagen. Ein Teil der deutschen Delegation ist schon nach Berlin abgereist, der andere Teil, ebenso wie der Dele. gationsführer Posse, bleibt m Paris. — lieber die Gründe, die zu der neuen Unterbrechung der Ver. Handlungen geführt haben, glaubt die „Vossische Zeitung" mit. teilen zu können, daß die Festlegung der Sätze des künftigen Zo'Itarises, über die seit Wochen verhandelt wird, infolge der durch das ständige Sinken des Franken geschaffenen Unsicherheit auf zurzeit unüberwindliche Schwierigkeiten ge. stoßen ist. und daß man sich deshalb geeinigt hat, die Besprechun. gen darüber bis zur Klärung der Situation zu vertagen. endlich sollte den Frauen das Wahlrecht in der Pfarr- gemeinde zuerkannt werden. Die orthodoxe Kirche aber bestand auf der bedingungslosen Anerkennung ihrer Leh ren. Dazu erklärte sich aber nur ein Teil der Geist lichkeit der tschechischen Nationalkirche bereit, der andere und zwar der einflußreichere dagegen nicht. Der geistig hervorragendste Mann der Bewegung, der Prager Dr. K. Farsky, vertrat bald einen Standpunkt, der an die Ziele des deutschen Protestantismus gemahnte. Die Mehrheit der mährischen Priester, unter der Führung des Bischofs Pavlik, betrieben, offenbar unter dem Ein flüsse panslawistischer Gedankengttnge, den Eintritt in die orthodoxe Kirche. Pavlik wurde zum orthodoxen Bischof geweiht, nahm den Namen Corazd an »nd wirkte nun außer in seiner Diözese im Einvernehmen mit Belgrad auch für den Uebertritt der unierteu Ruthenen in Karpathorußland zur Orthodoxie. Der Gegensatz zwischen den beiden Lagern vertiefte sich aber immer mehr. Der Meinungsstreit wurde mit einer solchen Erbitterung geführt, daß schließlich der Prager Richtung Unglänbigkeit vorgeworfen wurde. Im Juli 1924 kam es endlich zu einer radikale» Lösung, in dem Corazd offiziell aus der tschechoslowakischen Kirche austrat und mit etwa der Hälfte der Geistlichkeit zur Orthodoxie ü vertrat. Der orthodoxe Flügel unterlag aber bald einer neuen Spaltung. Ein Teil der Anhänger war mit der Unterstellung der tsche chisch-orthodoxen Kirche unter das Patriarchat van Belgrad einverstanden, der andere Teil aber verlangte die unmittelbare Unterstellung unter das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, um der Gründung eines tschechisch-orthodoxen Patriarchats die Wege zu ebnen. Die erledigte mährische Diözese wurde sodann von einem Bischof der Prager Richtung besetzt, die am 29. und 30. August 1924 in Prag-Smichov die erste ordentliche Kirchensynode abhielt. Diese beschloß die Anleh nung an die hussitische und tschechische B r ü d e r b e w e g u n g, die Beibehaltung des Sakra ments der Priesterweihe, welche durch die aus der Geist lichkeit und Laienwelt entnommenen Aeitesten mittelst Handauflegung im Sinne der urchristlichen Kirche zu erfolgen habe. Damit wurde das Priestertum der neuen Kirche von der Frage der apostolischen Sukzession unab hängig gemacht. Dr. Farsky bekleidet seither das Amt eines Patriarchen. Die tschechoslowakische Kirche ist vor allem eine Nationalkirche, die Muttersprache ist die Sprache des Gottesdienstes. Sie fußt auf einem System ratio- naiistischer Theologie und stellt sich dadurch i n Gegensatz zum Katholizismus und Prote stantismus. Es ist jedoch unverkennbar, daß ihre äußere Ordnung und ihr inneres Leben, wenn gleich dieses vom Geist einer neuzeitlichen Aufklärung erfüllt ist, der ersteren Kirche verwandter sind. Insbesondere paßt sie sich in ihrem Brauche der römischen Kirche au. Die nationalistische Behauptung, daß die katholische Kirche vom Volk als fremd empfunden werde, entspricht weder der geschichtlichen Vergangenheit, noch den Er fahrungen der Gegenwart. Die einstige tschechische Na tionalkirche, der hussitische Utraquismus, unterschied sich, abgesehen vom Kelch, nur geringfügig von der päpst- lichen Kirche. Ein großer Teil ihrer Bekenner befand sich im offenen Gegensätze zu Luther und zum Prote stantismus. Auch jetzt ist die Masse des tschechischen Volkes nach wie vor mit der katholischen Lehre innig verknüpft. Daher ist die Zahl der Katholiken in Böh men. Mähren und Schlesien (die Slowakei kam über haupt nicht in Betracht) von 9 589 444 auf nur 8 201 464 zurückgegangen. Die tschechischen Protestanten. Augs burger und Reformierte, haben es trotz ihrer Anlehnung an die Hußbewegung nur zu einem Zuwachs von 70 000 Bckeiincrn gebracht. Reben den evangelischen Herrn hutern gibt es jetzt noch eine tschechische Brüdergemeinde und eine sogenannte Cheltschitzkysche Brüdergemeinde, welche alle der vormaligen Unitas fralrum folgen wollen. Sie weisen keine nennenswerte Anhängerzahl auf. Ge wonnen hat bei dieser verwirrten kirchenpolitischen Lage augenblicklich nur die Zahl der Konfessionslosen. Diese aber braucht, genau genommen, die katholische Kirche nicht als Verlust zu buchen, da sie nicht zu ihren wirk lich gläubigen Mitgliedern zählten. Hingegen umfaßt sie nach der letzten Volkszählung im ganzen Staatsgebiet 10 384 833 Bekenner. Sie hat also gegenüber den Spal tungsversuchen der nationalen Kirche unbedingt die Probe bestanden. Die katholische Volks- Partei, die in der Nationalversammlung ihre poli tischen Interessen vertritt, hat innerhalb der tschechischen Parteiengruppierung eine mächtige Stellung i n n e. Das Schicksal der tschechischen Nationalkirche aber kann heute schon als besiegelt betrachtet werden.