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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.09.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110925024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911092502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911092502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-25
-
Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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Ein Vertrag zwischen Italien und Frankreich, von dem man nicht recht weiß, ob er 1902 abge schlossen oder damals erst den beiden anderen Drei bundmächten notifiziert wurde, sichert Italien gegen den Einspruch Frankreichs, wenn es bei passender Gelegenheit die afrikanischen Besitzungen der Türkei einstecken will (Gegengabe: kein Einspruch gegen Frankreichs Vorgehen in Marokko). Nicht immer hat der kolonisatorische Ehrgeiz Italiens einen so be scheidenen Gegenstand wie Tripolis und Barka ge golten. Tunis, das war einst die Losung — bis Frankreich ihm das zukunftsreiche Land 1881 vor der Nase wegschnappte. Die schäumende Entrüstung, die damals durch Italien ging und Anlass wurde, das; es Len Bund mit dein Deutschen Reich und Oester reich suchte, hat sich längst verloren. Man ist be scheiden geworden. Und der Ehrgeiz nimmt vorlieb mit Tripolis, das im Vergleich mit der tunesischen oder gar der marokkanischen Taube nur als recht magerer Spatz bezeichnet werden kann. Immerhin, etwas mehr als Sumpf- und Urwald strecken im äquatorialen Afrika taugt es schon. Ge sund ist es wenigstens dort. Und weil es auch nie mals zu einer Kornkammer werden wird, so ist es doch mit seiner Anbaufähigkeit besser bestellt, als man bisher annahm. Ein deutscher Forscher, Grothe — neben ihm sind Vogel, Nachtigall. Barth, Nohlss die klassischen Autoren über Tripolis, Fezzan und Barka —, hat den anbaufähigen Boden des türkischen Afrikas auf eine Fläche größer als das Deutsche Reich angeschlagen, wo die Nutzpflanzen der gemäßigten und subtropischen Zone leicht Frucht bringen würden. Voraussetzung ist frei lich, daß für gute Bewässerung gesorgt würde. Das ist trotz der verhältnismäßigen Trockenheit des Landes nicht allzu schwierig. In den trockenen Flußläufen, den Wadis, trifft man in einiger Tiefe überall auf Wasser; und selbst der sandige Wüstengürtel, der die Stadt Tripolis an der Küste umschließt, birgt in ein paar Metern Tiefe Wasser und fruchtbaren Boden. Kein Zweifel, daß moderne Jngenieurkunst die Aufschließungsarbeit ohne weiteres zu leisten vermag. Aber eine recht kostspielige Sache würde es fürs erste werden. Und da Italien nicht gerade an Kapitalreichtum erstickt, so dürfte das einigermaßen langsam gehen. Der Gedanke, daß Italien diesen Riesenbcsitz einstecken könnte, bietet alfo nach der wirtschaftlichen Seite nichts Aufregendes. Tripolis hätte damit einmal wieder den Herrn gewechselt, wie es das oft getan hat. Griechen an der Küste, Karthager, Römer, sie alle hat es gesehen und vergessen. Die Araber nahmen das halb und halb christliche Land, das dann im allgemeinen das Schicksal der Nordländer Afrikas teilte. Interessant ist die kurze Episode christlicher Herrschaft in Tripolis: Peter von Navarra nahm 1509 die Stadt und Montag, üen 25. September lSN- los. Mhrgsng. etwas von der Umgebung für das Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Karl V. verlieh sie 1530 den Johannitern. Nicht für lange: 1551 schon kamen die Türken und eroberten Land und Stadt. Dann stellte das Land sein redlich Kontingent zu den Piraten flotten der Barbareskenstaaten. Freilich, so gut wie der marokkanische Riff fuhr es nicht dabei: 1685 schon bombardierte ein französischer Admiral die Stadt so gründlich, daß der Dey sich den Frieden mit einer halben Million Franken erkaufen mußte. Ganz hat die Piraterci aber nie aufgehört, bis die Eroberung Algiers auch dem tripolitanischen Seeräuber das Geschäft zu risikoreich machte. Die lose Abhängigkeit, in der diese türkischen Besitzungen seit langem stan den, getrennt und gesichert durch das fast unabhängige Aegypten — was das Aufkommen einer gleichfalls fast unabhängigen Dynastie in Tripolis, der der Karamanli, ermöglichte —, wurde vor rund 75 Jahren beseitigt. Tripolis wurde zu einem tür kischen Wilajet gemacht; Fezzan, die bewohnbaren Oasen in der nordöstlichen Sahara, soweit die Fran zosen sie nicht (wie erst 1906 die Oasen Bilma und Dschanet) für sich oder für — Tunis in Anspruch genommen haben, wurde als Kaimakamat dem Mali von Tripolis unterstellt, während Barka, das alte Kyrenaika im Osten, als selbständiges Mutessarifat Bongasi der Pforte unmittelbar untersteht. Daß diese sich jetzt, unter dem naturgemäß natio nalistischen Jungtürkenregime, so leichten Kaufs in den Verlust ihres afrikanischen Besitzes schicken würde, ist höchst unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich auch, daß die Einwohner mit der Christcnherr- schaft sich leicht befreunden würden. Gewiß könnten sie, seit Frankreich und England den früher blühenden Sudanhandel erfo'gleich nach ihren Be sitzungen abgelenkt haben, die Befruchtung durch abendländisches Kapital gut brauchen. Aber die Leute sind stramme Moslems, die paar Türken (gegen 25 MO, fast nur Beamte) noch nicht so sehr, wie das Gemisch von Arabern, Berbern, Tuaregs, Negern, das die bodenständige Bevölkerung bildet. Ist doch in Barka oder Bengasi die türkische Herrschaft noch heutigestags im Innern rein nominell; die wahren Herren sind dort die fanatischen Senussi, jene 1834 von einem algerischen Gottesmann in Mekka gestiftete Sekte oder Brüderschaft, die den Jilam in Altväter reinheit wiedcrherstellen und von allen Kompromissen mit den Giaurs reinigen will. Was da werden mag, haben wir gewiß allen Anlaß, aufmerksam zu verfolgen. Direkt aber wer den deutsche Interessen durch Vorgänge in Tri polis wenig berührt. Die paar Europäer dort sind Malteser, Italiener und Griechen. Der Handel des Wilajets wie des Mutessarifats ist höchst un bedeutend. Tripolis' Einfuhr wird auf 8, seine Aus fuhr auf 9—12 Millionen Mark angeschlagen; aller dings wird viel geschmuggelt. Und auch an diesem spär lichen Handel sind Deutsche kaum beteiligt. Unter 900 Schiffen mit ca. 250000Registertons. die Tripolis 1899 anliefen, waren zwei deutsche, und 1904 waren wir an dem seit dem Aufhören der Sudankarawanen immer mehr abflauenden Handel mit einer halben Million an der Ausfuhr, 30000 an der Einfuhr beteiligt. Viel ist das nicht. Und viel dürfte es nie werden: von Unteritalien nach Tripolis und Barka ist's ein Katzensprung; von Hamburg und Bremen eine Reise um dreiviertel Europa Gerüchtweise verlautet, daß in Tripolis italie nische Truppen bereits gelandet seien, doch hat Vieles Gerücht bisher noch keine Bestätigung gefunden. Fest steht, daß im 12. italienischen Armeekorps eitrige Vorbereitungen getroffen werden, und daß man die Einschiffung der Truppen nach Tripolis ins Auge gefaßt yat. Fest steht ferner, daß ein italieniichcs Geschwader von zwei Divisionen mit unbekanntem Fahrtziel den Hafen von Augusta Berta bei Syrakus in der Nacht zu Montag verlaßen hat und vermut lich heute vor Tripolis— dorthin nur kann die Fahrt gehen — erscheinen wird. Die Stimmung in Italien und in der Türkei wiro immer erregter. Es ver lautet, die Türken hätten einen italienischen ^Passa- gierdampter gekapert. Anderseits sollen die Italie ner vor Tripolis ein türkisches Munitionsschiff weg genommen haben. In Paris sympathisiert man mit dem Vorgehen Italiens in Tripolis, in Deutschland bewahrt man vorläufig große Zurückhaltung. Im einzelnen liegen folgende Depeichen vor: Truppenlandung in Tripolis? Paris, 25. September. (E. D.) Der „Temps" bringt eine Depesche aus Nom, nach der die Ita liener an drei verschiedenen Punkten in Tripolis gelandet seien und Truppen ausgeschifft hätten. Paris, 25. September. (E. D.) In Paris war gestern bis 10 Uhr abends noch keine offizielle Bestätigung einer Landung italienischer Truppen in Tripolis eingetroffen. Berlin, 25. September. (E. D.) Auf der hiesigen türkischen Botschaft war bis gestern abend noch keine Nachricht von einer Truppenlandung Italiens in Tripolis eingegangen. Rom, 24. September. (E. D.) General Grandi, der Kommandant des 12. Armeekorps, hat, wie ein hiesiges Morgenblatt meldet, die Lebensmittel und Munitionsdepots kontrolliert und an geordnet, daß diese sobald als möglich vervollständigt werben. In den Arsenalen von Brescia und Tarent wird mit Ueberstunden gearbeitet. Die Kreuzer und Torpedoboote werden kriegsbereit ge halten. In ungefähr zwei Wochen wird die italie nische Negierung über 15 bis 20 große Dampfer von je 3000 Tonnen Inhalt verfügen, die je zirka 2000 Mann an Bord nehmen können. Alarmnachrichten. Port Said, 25. September. Hier werden Ge- rüchre verbreitet, daß der italienische Passagier dampfer „Regina Margherita" in Mersina von den Türten weggenommen sei. Der ita lienische Dampfer „Bosforo" hat infolgedessen seine Abreise von hier nach den syrischen Häfen verschoben, weil er ebenfalls Wegnahme fürchtet. Paris, 25. September. (E. D.) Aus Konstanti nopel wird weiter gemeldet, daß dort verbreitete Gerüchte wißen wollen, daß die in Tripolis ge landeten italienilchen Truppen einen türkischen Dampfer, der Lebensmittel und Munition an Bord gehabt habe, mit Beschlag belegt hätten. Ausfahrt eines italienischen Geschwaders. Paris, 25. September. (E. D.) Ein aus zwei Divisionen gebildetes Geschwader von italienischen Kriegs chifsen verließ gestern abend 9 Uhr den Hafen Augusta Vesta bei Syrakus. Das Geschwader wird von zahlreichen Torpedobooten und Tor pedozerstörern beg.eitel. Der Bestimmungsort wird offiziell geheimgehalten, man glaubt, daß die Schiffe auf der Reede von Tripolis Anker werfen werden. Eine Truppenlandung soll nicht beabsichtigt sein. Die Haltung der deutschen und der französischen Presse. Nom, 25. September. (Eigene Drahtm ) Die Vor bereitungen für die Expedition nach Tripolis nehmen die ganze öffentliche Meinung in An spruch, so Lag die deutsch - französischen Mcrioliover- handlungen ein wenig in den Hintergrund treten. Man zeigt sich in Rom äußerst befriedigt von der Haltung der französischen Preße, die mit den Bestrebungen Italiens sympathisiert, greift da gegen die deutsche Presse an. die trotz der Dreibundverpflichtungen Deutschlands sich nicht be müßigt suhle, Italiens Pläne durch eine deutsche Propaganda zu unterstützen. Die deutschen Blatter, meinen italienische Zeitungen, gingen über eine kühle Objektivität nicht hinaus und legten sich eine Reserve auf, die nicht dazu angetan ist, das sreundschaftliche Verhältnis der beiden Völler zu fördern. Marokko. Eine Veröffentlichung des „Matin". Paris, 25. September. (Erg. Drahtmeld.) Der „Matin" schreibt: „Aus Höflichkeit gegen die Ne gierung in Berlin ist das größte Stillschweigen über die gestrigen Entschlüsse des Ministerrates bewahrt worben, und trotzdem können wir die großen Li nien des Akkords der zwischen beiden Mächten geschloffen werden wird, veröffentlichen: 1. Deutschland willigt in die Errichtung eines französischen Protektorats über Maroko ein. 2. Frankreich zeigt in großen Linien die Art und Weise an, wie es sein Protektorat errichten wird. 3. Deutschland verpflichtet sich, die Ein. willigung sämtlicher Signatar-, Mächte zur Errichtung des französischen Protek- torates in Marokko einzuholen. Dieses Projekt, das gemeinsamer Arbeit Cail- laux', de Selves' und Cambons entstanden ist, ist äußerst geschickt gemacht. Es bietet für die Zukunft alle Garantien. Anderseits bietet es auch den fremden Mächten alle Garantien zur freien Aus übung ihres Handels, ihrer Industrie uns ihrer Unternehmungen in Marokko. Außerdem entspricht dieses Projekt den von Deutschland ausgesprochenen Wünschen. Es ähnelt im großen und ganzen dem Vertrag von 1881, der unser Protektorat über Tunis errichtete. In bcftunlerrichteten französischen Kreisen erwartet man, daß die kaiserliche Regierung damit einverstanden sein wird. In diesem Fall würden die Unterhandlungen über dis Kompensations frage bald wieder ausgenommen werden." -k Der historische Tag. I'. <7. Paris, 25. Sevtembcr. (Eig. Drahtmeld.) Marcel Hutin veröffentlicht im „Echo de Paris" " Mrvus rerum. Satirischer Zeitroman von Edward Stilgebauer. Als Karl die Universität bezogen hatte, war aus dem Sohns des Pfarrers von Walldorf ein junger Mensch geworden, der Welt und Wissenschaft. Leben und Menschen kennen lernen wollte und beide an dem Maßstab der Lurch Schönfdlds kritische Erziehung ge wonnenen Ideale maß. Dem Wunsche des Vaters zunächst nachgebend, hatte sich Karl dem Studium der Theologie zuqe- wandt, und die Art, wie dies Studium damals be trieben wurde, mar der weiteren Ausbildung seines zersetzenden, kritischen Geistes nur zu Hilfe gekommen. Der Schüler Platos und Kants hatte mit Hilfe einer modernen kritischen Forschung damit begonnen, die Berichte der Bibel an den Systemen der klastischen Philosophen zu messen. Eine negative, nicht eine aufbauende Kritik war langsam das Ziel seines eigentlichen Strebens geworden, und da alles Positive unter dieser seiner Betrachtungsweise als unhaltbar Lahinqesunken, waren Fleiß und Ausdauer praktisch für ihn wertlos gewesen. Außerdem war ihm seine Vertrautheit mit dem Leben, das er in seinen Licht- und Schattenseiten schon als Gymnasiast und sväter als Student kennen gelernt hatte, für seinen Beruf als Pfarrer verhängnisvoll geworden. Die beiden Examina hatte er glänzend bestanden, allein schon seine Predigt war von der Prüfungs kommission als ungeeignet, als für eine Gemeinde von Laien unverständlich, mit einem Worte als zu „aka demisch" zurückgewiescn worden. Und als er sich nun daran gemacht, den Lizentiaten der Theologie zu erlangen, um so vielleicht in die akademische Karriere cinzubiegen und hier seine kritischen Fähigkeiten zu verwerten, da hatte er zwar den Titel erhalten, allein die venia lexencki war ihm nicht erteilt worden, da selbst der Dekan der Fakultät, an die er sich ge- wandt, seine absprechende aber geistvolle Abhandlung über die Wunder im Neuen Testament als gewagt und unzulästig bezeichnen mußte. Da hatte Karl Schäfer wieder ganz von vorn an- gefangen und nun, seinen Neigungen folgend, in dem Studium der Medizin sein eigentliches Gebiet ge funden. Von diesem Tage an datierte sein völliger Bruch mit dem alten Pfarrer in Walldorf, der zu spät ein gesehen. daß er sich in dem Sohn, da er ihn. einen Knaben, aus keinem Hause entfernt batte, not wendigerweise einen Antipoden hatte erziehen müßen. Während Karls medizinischer Studienjahre, da der Vater ihn auch pekuniär im Stiche gelaßen, hatte sich der unbeugsame Wille des Jungen im Kampfe mit den Widerwärtigkeiten des Lebens nur um so kräf tiger entwickelt. In dem großen Berlin, wo er leinen Studien oblag, hatte er Rückhalt und die Möglichkeit, sich über Waßer zu halten, gefunden. Den Vormittag hatte er seiner neuen Wissenschaft, den Nachmittag und Len Abend dem Broterwerb gewidmet, und die früher gesammelten Kenntnisse auf dem Gebiets der alten Sprachen hatten es ihm ermöglicht, sich mit Stunden, die er erteilte, mit literarischen Arbeiten, die er über nahm, durchzuschlagen. In einer Zeit, da der Vater einst in seiner Jugend den Hafen von Walldorf glücklich erreicht, hatte der Sohn, ein werdender Mann, den harten Kampf mit dem Leben allein auf die Schultern genommen, und seine Schultern waren stark genug gewesen, diese Last zu tragen, so daß er seinen Kampf siegreich zu Ende führen konnte. Nun war er geworden, was er immer gewollt batte, ein auf sich selbst Gestellter aus eigener Kraft, da er die Nstistentenstelle an der Bonner Augenklinik durch Empfehlung seines Berliner Ordinarius er halten, und nun brauchte er als glänzender Dia gnostiker und Operateur nach keinem mehr zu fragen. Seine Karriere war jetzt nach menschlichem Ermessen gesichert. Allein Vaterhaus und Heimat. Liebe und Freundschaft hatte er in diesem Kampfe verloren, und so stand er auf der Höhe seines Lebens, ein ein samer, aber aus sich selbst heraus gewordener Mann. . . . Die Erziehung im Elternhaus«, die dem Sohne gefehlt hatte, der Mangel, der diesen zu dem Menschen gemacht, der er geworden, war der Tochter in reichstem Maße zuteil geworden. Das Pfarrhaus von Wall dorf hatte seine düsteren Schleier über Friedas Kind heit und Jugend gebreitet. Es war ia nur zu natür lich. daß Pfarrer Schäfer sich nie dazu hatte ent schließen können, das einzige, was ihm blieb, diese Tochter, zu fremden Leuten in die Ferne zu geben, da der Sohn jahraus, jahrein in der Stadt geweilt, da seine Frau, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, an seiner Seite einhergegangen war. So war denn Frieda das eigentliche Opfer Haus- licher Verhältnisse geworden. Vom Vater hatte sie den Unterricht erhalten. Das war Jahre hindurch die einzige Erholung und geistige Anregung für den Pfarrer von Walldorf gewesen, und da das Mädchen herongewachsen und die Mutter gestorben war, hatte sich aus der Tochter die Freundin, die Vertraute des Vaters entwickelt. Sie war die einzige, der sich der verschloßene und einsame Mann, der jahrelang inmitten der Bauern von Walldorf das Leben eines Einsiedlers führte, anvcrtraute. Mit achtzehn Jahren, mitten in der Blüte der Jugend, am Anfänge ihrer geistigen und körperlichen Entfaltung war Frieda die Genoßin eines alten und einsamen Mannes geworden. Es hatte sich zwischen ihr und dem Vater eine Art von Seelenehe yerausgebildet. Unhörbar und voll Angst den Ruf der Freude hinter die Lippen zurückbanncnd, war das Kind, da die Mutter noch gelebt und ihr Anblick ihm Schauder eingeflößt hatte, durch die Zimmer des Pfarrhauses von Walldorf geschlichen, und still und in sich selbst versunken, hatte das Mädchen später an der Seite des wortkargen Vaters die Wirtschaft geführt. Wie die Mauern eines Klosters hatte das Pfarr haus in Walldorf ihr junges Leben eingeschloßen, und kein Mensch, mit Ausnahme des Vaters, der sie mir Liebe und Sorgfalt hegte, hatte jemals nach ihr gefragt. In den langen Wintermonatcn waren die wenigen Bücher in der Studierstube des Vaters ihre Ver- trauten geworden. Und da sie nun herangewachsen, hatte cs sich mit einem Male mächtig geregt in ihrem Inneren. Da war der Drang, sich zu entfalten, aus sich herauszugehen, der Wille ihr eigenes Seelen leben zu begreifen, die Zukunft zu gestalten auch in ihrem Herzen mächtig erwacht. Vor dem Vater hatte sie das alles ängstlich ver borgen. Der hatte nichts gewußt von den Klagen ihrer Sehnsucht, die draußen im Pfarrgarten von ihren Lippen kamen, wenn sie unter dem alten Nuß baum saß und sich vergeblich bemühte, den Lauf des Flusses, der dicht hinter Walldorf seine Biegung machte und sich so ihren Blicken entzog, weiter zu verfolgen. Nichts hatte der Vater geahnt von den Tränen, mit denen die Tochter des Nachts die Kissen genetzt hatte. Denn die große Sehnsucht der Jugend war auch über Friedas Seele gekommen. In dieser Stimmung hatte sie ein Brief der Frau Katinka Norden getroffen. Sie sollte in die große Stadt, in die Welt . . . . als Gesellschafterin in ein vornehmes Haus. Ein paar Zeilen ihres Bruders Karl erklärten dem Vater und ihr diese plötzliche Wendung in ihrem Schicksal. Ganz nach seiner eigenwilligen Art hatte Karl hier hineingegriffen in den Gang ihres Lebens. Sie fügte sich dem Willen der Bruders, der in diesem Falle ihr eigener Wille war. Sie nahm an trotz des Vaters, trotz der in Walldorf verbrachten Jugend, denn die Sehnsucht, die große ihrer Mädcyen- seele, brachte sie fast um. Tränen standen dem alten Pfarrer von Walldorf in den Augen, als der mit einem neuen Koffer be ladene Leiterwagen des Bauern Kilian, auf besten Bocke Frieda neben dem Knechte saß, um die Ecke der Dorfstraße bog. als er der Tochter mit dem Tuck)« einen letzten Schcidegruß zuwinkte. Sie fuhr nach der Bahn, um den Zug in die Stadt zu nehmen, denn ihre Sehnsucht war zu groß. III. Katinka Norden kannte nur einen Herrn und nur einen Gott, den alleinseligmachenden Geldbeutel. Diese materielle Grundlage ihrer Weltauffassung war aus ihrer Jugend und Erziehung leicht zu er klären. Als ihre Mutter, eine blendende, aber mitgiftlose Schönheit von neunzehn Jahren, den über fünfzig jährigen vreußischen Oberstleutnant Helmut von Vielau geheiratet, hatten noch wenige in der Welt eine Ahnung davon gehabt, in welchem Maße sich die Macht des Kapitals in kurzen Jahrzehnten ent wickeln sollte und wie sehr der Besitz von Geld dazu berufen war, dem Grundeigentum altadeliger Geschlechter zunächst die Wagschale zu halten und ihn alsbald durch seine Bedeutung für Handel und Industrie an Wert zu überbieten. Das Rittergut Riedwald, in besten Herrenhaus der Oberstleutnant von Vielau, nachdem er seinen Abschied vom aktiven Dienst genommen, seine junge Gemahlin geführt und das seit Jahrhunderten der Erbsitz der Familie gewesen, lag im Osten der Monarchie. Helmut von Bielau hatte jahrelang nie daran gedacht, Schloßherr von Riedwald zu werden. Denn nach den in der Familie geltenden Hausgesetzcn ging der Besitz des Stammgutes immer auf den ältesten Sohn über. Allein, als der ältere Bruder, Eberhard von Bielau, aus Riedwald ohne Erben gestorben war, hatte sich Helmut zur Ehe und zur Uebernahmc des Gutes entschließen müssen. Gewohnt in der Großstadt zu leben und keinen eigentlichen Wirkungsplatz auf dem Kasernenhofe, dem Manöverfelde und in der Hofgesellschaft zu finden, war er nicht der Mann ge- wesen, das von Eberhard schon stark vernachlässigt« Riedwald in einer Zen, da der Landwirtschaft große Schwierigkeiten infolge der Teuerung der ländlichen Arbeitskräfte erwuchsen, wieder emporzubringen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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