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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020920013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092001
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-20
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
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Er erklärt Maios als Landcsverräthcr, weil er sich bereit erklärt haben soll, für den Fall des Gelingens der Revolution fremden Capitalisten die Contrvle der venezolanischen Finanzen in ähnlicher Weise zu überlassen, wie es in Egypten der Fall ist. Wir wissen nicht, ob Matvs in der That eine derartige Absicht hegt. Wenn aber die Behauptung Castro s der Wahrheit entspricht, so kann Matos sich daraus berufen, daß derselbe Gedanke schon vor Jahren in den Köpfen venezolanischer Politiker von nnzweifelhaft patriotischer Gesinnung Raum gefunden hat. Als im Winter 1899/1900 in venezolanischen Zeitungen gemeldet wurde, Guatemala beabsichtige, mit zwei europäischen Großmächten ein Ab kommen über die Zolleinnahmen durch Liese Mächte zu schließen, wurde dieser Plan nicht etwa scharf kritisirt, sondern angesehene venezolanische Politiker sprachen offen die Meinung aus, daß es auch in Venezuela nach Lage der Dinge kaum anders werden würde. Man dachte damals, wo ja die venezolanischen Finanzen durch eine lange andauernde Revolution zerrüttet warcch die Sanirung der Finanzlage dadurch herbcizuführen, das; die Verwaltung der Zölle und der Salinen einem Syndi- cate oder auch einer einzelnen Bank unter fremder Leitung übertragen werden sollten, und daß an diese Stelle alle Einnahmen abzuführen wären. Dieser Plan ist zum Nachtheile Venezuelas und noch mehr zum Schaben der venezolanischen Staatsgläubiger nicht zur Durchführung gelangt. Die venezolanischen Finanzen aber sind durch die neuen, nunmehr auch schon wieder über ein Jahr dauernden auswärtigen Verwicke lungen und revolutionären Zustände im Inneren des Landes vollständig in die heilloseste Verwirrung gerathen. Unter diesen trostlosen Zuständen leiden sowohl die fremdländischen Gläubiger, wie auch die Venezolaner selbst. Ein vor einigen Wochen aus Venezuela zu kurzem Besuche in Deutschland eingetroffener Herr erzählte uns, daß cs beispielsweise in Caracas seit vielen Monaten nicht mehr möglich sei, die Hausmiethe gezahlt zu erhalten, so daß Leute, die mehrere Häuser besäßen, nicht einen Pfennig Einnahme hätten. In Caracas befindet sich eine von Deutschen geleitete Brauerei, die zugleich künstliches Eis herstellt, das natürlich in einem Lande mit tropischem Klima ein sehr begehrter Artikel ist. Die Brauerei aber wird jetzt weder ihr Eis, noch ihr Bier los, weil Leute, die für reich gelten, es sich nicht gestatten zu dürfen glauben, 25 Pfennige für ein Glas Bier anszugeben. Man sieht aus diesen Beispielen, wle Handel und Wandel in Venezuela Larniederliegen. Darunter aber leiden auch die dort sehr stark vertretenen deutschen Interessen. Mcht nur die Venezuela-Bahn ist mit deutschem Capital gebaut worden und noch in deutschem Besitze, sondern auch andere Unternehmungen, wie Kaffee plantagen, der Schlachthof in Caracas, Schwefelgruben bei dem in letzter Zeit viel genannten Orte Carupano be finden sich in deutschem Besitze. Nicht nur an der Küste, in Caracas, Puerto Cabello, La Guayra, sind die deutschen Interessen vertreten, sondern der deutsche Unternehmungs geist hat sich auch nach dem abgelegenen Orinokogebiere gewandt. Die an der Orinokomündung gelegene Asphalt mine Pedernales ist in deutschem Besitze, und in der be deutendsten Stadt am Orinoko, in Ciudad Bolivar, überwiegt b ei Weitcin der d c u t s ch c H a n d c l. Sv sind die deutschen Interessen in Venezuela sehr groß und vielseitig, und man kann deshalb nur wünschen, daß der Gedanke, eine wirksame Contrvle für die Staats einnahmen und Ausgaben zu schaffen, zur Durchführung gelangt. Wenn Präsident Castro, wie es den Anschein hat, von seinem Gegner Matos verjagt wird, so könnte Matvs nichts dem Lande Heilsameres thun, als auf diesem Wege die Finanzen zu ordnen. Die Bewohner des von der Natur so verschwenderisch bedachten Landes werden nicht mehr in so barbarischer Weise von der eigenen Regierung bestohlen und ausgesvgen werden, Zufriedenheit würde sich cinstellen und damit werden die revolutionären Gelüste abgeschwächt werden, und das fremde Capital wird wieder den Mn.th finden, sich in Venezuela bethätigen, um Geld ins Land zu bringen. Deutsches Reich. Berlin, 19. September. (Das Centrum und die Wahlvorbereitungen.) Aus den Er örterungen bei der Versammlung des Bundes der Land- wirthe in Düsseldorf, bei dem Verbaudstage der Vereine der nationalliberalen Jugend au demselben Orte und bei dem socialdemokratischen Parteitage schließt die „Köln. Volksztg.", daß die n ä ch st e n R e i ch s t a g s w a h l e n e i n e n A n st u r m v o n u n g c w ö h n l i ch e r S t ä r k e gegen das Centrinn bringen werden. An diesen Schluß knüpft sie die Mahnung: „Es drängt sich immer wieder die Krage auf: wie steht es mit der Organi- sationin den einzelnen Wahlkreisen? So viel ist sicher, daß die Organisation in mehr als einem Wahlkreise recht mangelhaft ist und daß diese mangelhafte Organisation nicht genügt, um den Angriff von rechts und links und aus der Mitte erfolgreich abznwchrcn. Man sehe also zum Rechten, und zwar frühzeitig." Mit der Behauptung von der mangelhaften Organisation sollen wohl nur die Gegner sicher gemacht werden. Die Organisation des Centrums in allen Wahlkreisen functionirt zuverlässiger, als selbst diejenige der Socialdemokratie, weil die kleri kale Organisation ein festes Rückgrat hat: die katholische Geistlichkeit. Damit hat das Centrum einen so großen Vorsprung, insonderheit vor allen anderen bürgerlichen Parteien, daß diese, wenn sie diesmal wirklich dem immer wachsenden Ucbcrgewichtc deS Centrums cntgcgentrcten wollen, gar nicht früh genug mit der Agitation und Organisation beginnen können. In diesem Sinne be grüßen wir es, daß im Decembcr ein Parteitag der freisinnigen Volk spartet Bayerns statt finden soll. Auf diesem Parteitage wird hoffentlich an dem Beschlüsse des Zusammengehens aller Liberalen Bayerns bei den nächsten Reichstagswahlen festgchalten werden. Unter den Parteien, denen gegenüber das Bündniß durchzuführen ist, kommt das Centrum in erster Reihe in Frage. Es handelt sich dabei zunächst um den Wahlkreis München I, wo schon bet den vorigen all gemeinen Wahlen Freisinnige und Nationallibcralc zu- sammengingen und wo dadurch verhindert wurde, daß das Centrum in die Stichwahl kam. Es handelt sich ferner um den soeben in der Ersatzwahl eroberten Wahl kreis Forchheim, sodann nm Landau und endlich um Kemptcn - I m m e n st a d t. Dieser letztere, gegen wärtig klerikal vertretene Wahlkreis könnte bei einem Zu sammenschlüsse der übrigen Parteien gegen das Centrum diesem abgenvmmen werden. 6. Berlin, 19. September. (Die Welfen als Historiker.) Der böse, seit vier Jahren schon ver storbene Bismarck ist auch heute noch an Allem schuld, sogar daran, daß die kleinen Nachbarstaaten, die Nieder lande, Luxemburg und die Schweiz, zu einem engern An schlüsse an Deutschland nicht bereit sind. So meint wenigstens das wölfische Centralvrgan, das Bismarck das Mißtrauen aller europäischen Staaten gegen einander vorwirft. Von 1815 bis 1860 habe das System des europäischen Gleichgewichts geherrscht und in dern. Be harrungsvermögen des Deutschen Bundes seinen Stütz punkt gefunden, bis dann Bismarck das euro päische Concert gesprengt habe. Seit dieser Zeit fehle es an einem gesicherten Fricdensgefühle, da alle Volker das Empfinden hätten, daß es nur eines zweiten Bismarck bedürfe, um die Weltkriegsexplosion herbei- zuführcn. Diese historischen Ausführungen haben den Reiz der Neuheit. Im Jahre 1848/49 donnerten die Kanonen von eimm Ende Europas zum anderen, 1854 bis 1855 waren die Jahre des Krimkrieges, an denen nicht weniger als fünf Staaten betheiligt waren und der seit den Zeiten Napoleons I. der größte europäische Coalitionskrieg war: die Jahre 1859/60 brachten die schweren Kämpfe in Italien. Von europäischem Gleich gewicht war also in deu 20 Jahren vor 1866 recht wenig zu merke», und das Beharrungsvermögeu deS Deutsche« Bundes bestand nur darin, daß die anderen Mächte ihn am Kayentische beharren ließen und die Karte Europas veräudcrten, wie es ihnen beliebte. Bismarcks Politik aber brachte Europa einen nunmehr länger als ein Menschenalter — abgesehen von den Kämpfen auf der Balkanhalbinsel — bestehenden Frieden, und ein „zweiter Bisma r ck" wäre nicht nnr vom deutschen, sondern auch vom allgemeinen Friedensstanüpuncte aus sehr zu begrüßen, weil er den Frieden für ein weiteres Menschenalter sichern würde. Im Uebrigen wissen wir nicht, daß Holland und die Schweiz sich vor 1886 zum An schlüsse an Deutschland heraugcdrüngt hätten. 4ß Berlin, 19. September. tErfolge der letzten Reorganisation der preußischen Eisen bahn v c r w a l t u u g.) Daß die höhere Rente, welche die preußischen Ltaatsbahncn im Vergleich zu den Staats bahnen anderer Bundesstaaten abwcrfen, theils von der größeren Leistungsfähigkeit und Elasticitüt des großen preußisch-hessischen Vcrkehrsunternchmens, theils von der planmäßigen Fürsorge für die Wirthschaftlichkeit im Ban und Betriebe herrührt, ist bekannt. Besonders deutlich tritt der finanzielle Effect beider Momente in den Wir kungen hervor, welche die Reorganisation der Eisenbahn verwaltung im Jahre 1895 in Bezug auf die persönlichen Ausgaben mit sich bringt. In Folge dieser Vereinfachung und zweckmäßigeren Gestaltung und Einrichtung der Ver waltung sind im laufenden Jahre in dem inneren Ver waltungsdienste, also im Bureau- und Schrcibdienstc, 7500 bis 8000 höhere, mittlere und untere Beamte weniger beschäftigt, als bei dem jetzigen Umfange des Betriebes nothwendig wären, wenn die ältere Organisation noch be stünde. Tie Ersparniß, welche durch diesen Minderbedarf an Burcauversonal erwächst, beziffert sich für das laufende Jahr auf mehr als 18 Millionen Mark: die Ersparnis beläuft sich auf mehr als 2 Procent der gcsammten Be triebskosten. Der Betriebscoefficient wird dadurch um 1,8 Proceut vermindert, der Ucberschuß der Einnahmen über die Ausgaben der Staatsbahnen dagegen um 4 bis 5 Proccnt erhöht. Endlich steigert sich in Folge dieser I Ersparniß der für allgemeine Staatsausgaben verwend bare Theil deS Eisenbahnüberschusses um nicht weniger als 11 bis 12 Procent. Gegenüber den Angriffen, welche in Bezug auf die Höhe der Pcrsonentarife noch immer gegen die preußische Eisenbahnverwaltung erhoben werden, mag es endlich von Interesse sein, darauf hiii- zuweisen, daß die minder wohlhabenden Classen der Be völkerung in England sehr viel weniger billig ans der Eisenbahn befördert werden, als in Preußen. Sv beträgt z. B. der Preis der billigsten Fahrkarte für die Strecke Lvndvu-Ediiiburg 33,82 .//, während er für die gleich lange Strecke im Bezirk der preußisch-hessischen Eiscnbahu- gemcinschaft sich auf 12,80 d. h. auf weniger als 40 Procent des englischen Fahrpreises, stellt. D Berlin, 19. September. (Telegramm.) Der Pro fessor Oncken in Gießen hat in Veldagen L Klasing'S „Monatsheften" einen Aufsatz veröffentlicht, betitelt „Tic Flucht dcs Prinzen von Preußen in den Märztageu 1848", auS dem die Tageszeitungen einzelne Abschnitte gebracht haben. Der Inhalt des Aufsatzes beruht auf Er innerungen, die die damals 75 Jahre alte Palastdame Gräfin Luise Oriola dem Professor Oncken mittheilte und wonach der Prinz von Preußen von der Spandauer Citatelle aus die aus Berlin ausgewiesenen Truppen in Auslösung und ohne Waffen ankommen gesehen haben soll. Im „Militärwochenblatt" giebt der Generalleutnant und Chef der kriegsgeschichtlichen Abtheilung II des großen General stabes v. LeSzczynSki an, daß tbatsächlich das Gegeu- theil der Fall gewesen sei und die Truppen mit Übermensch- licher Selbstverleugnung eine glänzende soldatische Haltung bewährt hätten. — Die ständige Erhöhung der Preise für Nind- sowie Schweinefleisch u. s. w. in Berlin hat auch einen wesent lichen Mehrverbrauch an Pferdefleisch zur Folge. Die Nachfrage nach diesem billigen Nahrungsmittel ist so gestiegen, daß die hiesigen Pferdeschlächter für die Erwerbung von Schlacktpserden 15-7-25 Proc. mehr zahlen als bisher und demgemäß auch die Preise für Fleisch- und Wurstwaareu erhöht baden. Dieser Mehrumsatz an Pferdefleisch har auck einen Mangel an Schlachithieren zur Folge. Da der Be darf aus dem Bestände in Beilin und Umgegend nicht gedeckt werden kann, sind die Pferdeschlächter genöthigt, Ausläufer zu halten, welche in der Provinz umherreisen, um Schlacht pferde aufzukaufen. * AuS Schleswig schreibt mau den „Berl. N. N.": Das in HaderSleben erscheinende gemäßigte dänische Blatt er richtet eine Filiale in Apenrade, dem Wohnort seines bittersten Gegners, des Landtagsabgeordneten Haussen. Für das von der fanatisch dänischen Seite behauptete Sicchihum des HaderS- lebener Blattes ist das Wohl gerade kein Zeichen; freilich hat der Terrorismus des genannten Herrn ihm nolbweudig im eigenen Parteilager persönliche Feinde schaffen müssen, zumal sich dieser Terrorismus auch in geschäftlichen An gelegenheiten äußerte und das in den schlcswigscben Grenz- districten sehr auSgedebnte Casten- und Versicherungs wesen parteipolitisch zu beeinflussen suchte. Mittlerweile gebt der Kampf zwischen Herrn Haussen und dem ReichstagS- abgeordnelen Jessen unter der Hand weiter; der Erstere begünstigt nach Möglichkeit die Annäherungsversuche der Kieler Socialdemokratie an die dänische Partei, ter Letztere ist entschieden dagegen, da er mit Recht von einem solchen Bündniß eine sehr verstimmende Einwirkung auf das halb dänisch gesinnte Landvolk voraussiebt; andererseits wagt er doch nicht rückhaltlos gegen diesen Gedanken anzukämpfen, da der SocialiSmuS das dänische Protestlerthum systematisch Feuilleton. Mene tekel. Berliner Skizze von MaxKretzer. Nachdruck verboten. Johann Ropp hatte seinen großen Abend. In Frack, weißer Weste und modischen Lackschuhen, das grelle Ordensband eines Balkangewaltigen im Knopfloch, wohl- frisirt, den starken Schnurrbart schwarz aufgefürbt, den scharfen Duft von Heliotrop im seidenen Tuch, das kokett aus dem tiefen Westenausschnitt hervorlugte, fühlte er sich zum Empfang seiner Gäste genügend gerüstet. Jeder Spiegel sagte eS ihm, -aß er Figur machen würde. Wie immer! Natürlich — wie konnte eö auch anders sein. Er, Jo hann Nopp — der Mann, der aus nichts etwas geworden war, der mit eiserner Willenskraft die Verhältnisse be zwungen hatte, der rücksichtslos über das Gewissen der Zeit hinweg, immer gesund aus dem Delirium des Gcld- siebcrS hervorgegangen war, während hundert Andere daran zu Grunde gingen — er hatte schon die Berechtigung, eine Figur zu spielen; nicht nur äußerlich, wie der ge- süllige Spiegel cs ihm zeigte, sondern auch seinem inneren Werthe nach. Uebcrhanpt seinem Werthe nach. Was hatte er vor dreißig Jahren gesagt, als er mit einem elcuden Handkofferchen am Ostbahnhofe gelandet war und aus dem niedrigen Fenster einer schmutzigen Herberge in den dunstigen Abend hinauSbltckte: „Berlin, nimm Dich in Acht. Ropp ist da, Johann Ropp!" Und mau hatte sich au den Namen gewöhnen müssen. Kaum waren zehn Jahre vergangen, da konnte man in allen Zeitungen, auf alle« Plakaten, an allen Ecken und Enden die denkwürdigen Worte lesen: „Kauft Nopp's Flcckwasser! Die einzige Möglichkeit, eure Kleidung stet billig und sauber zu erhalten." Ganz Berlin las es und sprach es nach, so daß das Echo wett in die Lande ging und auch dort einen goldenen Resonanzboden fand. Der Hum bug machte sich vortrefflich; solange, bi» ein anderer findiger Kopf ihn übertrumpfte und die berühmte Fleck- wasserfeste erfand, die nach ihrer Anwendung selbst ulte Kleiber wie neu machen sollte. Dagegen war nicht aufzu- kommen. Ropp streckte die Waffen, aber durchaus nicht mißvergnügt, sondern wie ein Mensch, -er Alles vorauSge. sehen und sich in das Unabänderliche bereits gefügt hat. Im Innern lachte er über die Leichtgläubigkeit der Menge, die immer etwas Neues habe« mußte, um den ewigen Durst nach Veränderung zu stillen. Er hatte cs auch schon satt, seinen Namen aus so gewöhnliche Art in den Handel ge bracht zu sehen, wo cs ihm nach höheren Zielen verlangte. Mit dem Flcckwasser streifte er auch zugleich den Osten Berlins ab und zog nach dem Westen, wo ihn ein Con- sortium mit offnen Armen empfing. Gründung auf Grün dung folgte, manchmal schief und manchmal grade. Mochten Andere ihr Geld verlieren, Nopp verlor es nie. Er stand fest wie eine mächtige Eiche im Kiefernwald. Der Windbruch konnte die dünnen Föhren werfen, die Eiche blieb stehen. Und das machte ihn zum Manne des Ver trauens. Wo der Name Ropp stand, da sammelten sich auch andere gewichtige Namen mit Ziffern, die etwas be deuteten. Denn er war der Mann mit der glücklichen Hand — Alles, was er unternahm, hatte Erfolg . . . Ropp war nach dieser flüchtigen Gebankenschau mit sich zufrieden. Er ging in den Rauchsalon und langte die ver schiedenen Kisten hervor, gefüllt mit Upmau und Hcnrn Clay. Auch die Cigarcttendosen schnitt er auf. Fertig mit dieser Beschäftigung, durchschritt er die Flucht der noch nicht vvllerleuchtctcn Vorderräume. Man hatte heute den großen, dreifcnstrigcn Balkonsaal, der sonst zum Tanze diente, als Spcisesaal hergerichtet. Die mächtige, hufeisenförmige Tafel durchzog den ganzen Saal, der in Weiß und Gold gehalten war. Die siebzig Gedecke waren bereits gestellt »nd gelegt. Der Tafcldccker schritt emsig nm die Tische nnd güb dem glitzernden Ge schirr von schwerem Silber, Porzellan und Glas erst das duftende Leben, indem er frischen Blumenschmuck austrug. Das Treibhaus hatte heute gehörig bluten müssen. Lang stielige Winterrosen schlängelten sich lose über den weißen Damast, je eine weiße nnd rothe schräg übcrcinandergelegt. Verkehrt gelegt zwischen dein Platz von Herr und Dame, berührten sich ihre Blüthen, was sich beinahe wie eine zarte symbolische Andeutung auSnahm. In einem kleinen Durchgangszimmer, das heute als Anrichtcraum biente, klapperten die Lohndtener mit den Tellern — umso lebhafter, al» sie des Hausherrn Stimme gehört hatten. Nopp steckte den Kopf hinein. Er suchte nach feinem Diener, aber er war nirgend» zu sehen. Unmuthig kehrte Ropp wieder in den Rauchsalon zurück, wo ihm Ernst schon cntgcgenkam. „Ein Mann wünscht den Herrn . . Nopp achtete nicht darauf. „Wie gcht's Else? Hat meine Frau nichts gesagt?" fragte er hastig, von einem be stimmten Gedanken geplagt. „Gnädige Frau haben durch die Junger sag.cn lassen, daß sie gleich erscheinen werden. Fräulein Else schläft fest." „Gott sei Dank!" Ropp athmcte auf. Das Kind hatte ihm Sorge gemacht. Seit vorgestern hatte es geklagt, hatte keinen rechten Appetit und wollte nicht schlafen. Nun schien wieder Alles auf dem besten Wege zn sein. „Was sagen Sic von einem Mann?" „Er ist im kleinen Cabinet, — er sagte, er sei Ihr Schwager", brachte Ernst etwas kleinlaut hervor. Ropp glaubte nicht richtig verstanden zu haben. „Wer ist da? Was ist der Mann? Meine Frau hat keine Ge schwister. Sie sind ein Esel, wirklich ein Esel. Da muß ich doch gleich selbst . . ." Damit stürmte er in das kleine Cabinet, in das man dircct vom Entröe gelangen konnte. „Sie — Du hier? Wie konntest Du? Mas willst Du—? Gerade heute! .. . Konntest Du nicht schreiben?" Er hatte ihn sofort erkannt. Es war der Bruder seiner verstorbenen, ersten Frau, den er einst wie seinen eigenen betrachtet hatte — in jener Zeit, als er noch in armseligen Verhältnissen den Kampf mit dem Dasein führte, ehe er ans der steilen Leiter der Geschicke die erste goldene Sprosse entdeckt hatte. Ein hagerer Mann stand vor ihm, in an ständiger, sauberer Kleidung, den Ausdruck aller Bitten den im schmalen, durchfurchten Gesicht. Etwas Apostel haftes sprach auS diesem Haupt mit dem langen, leicht ergrauten Barte, nnd dem noch vollen Lockcnhaar, baS ungepflegt die Schläfe umkräuselte. „Entschuldige nur, lieber Schwager, aber ich wußte wirklich nicht . . ." Eine müde Stimme sprach, die Hand, die zur Begrüßung ansgestrcckt war, sank muthloö zurück. Nun krampften sich beide Hände verlegen in den weichen Filzhut. „Ich wollte erst nicht gehen, aber meine Frau drängte so. Und die Noth — die Kinder . . . Morgen soll Alles verkauft werden." „Was, Du lebst in Noth? Ja, davon weiß ich ja gar nichts." „Aber ich habe cs Dir doch geschrieben. Auf vier Briefe habe ich keine Antwort bekommen, und da» war e» eben, was mich so einschüchterte. Lieber Schwager, wenn Du wüßtest —!" „Geschrieben hast Du an mich? Bier Briefe?" Helles Erstaunen fprach au» seinen Worten, wie bet einem Menschen, der gern damit über gewisse Gefühle Hinweg kommen möchte. Einen Augenblick sann er nach, dann sagte er: „Ja, ich besinne mich doch — ich habe sogar meinen Sekretär beauftragt... ES gab viel zu thun dieser Tage . . . Aber so setze Dich doch." Er hatte rasch die Kapsel seiner Goldenen springen lassen und sich über zeugt, daß noch Zeit genug übrig war, um diesen einstigen Mitarbeiter wohlwollend abzufertigen. Stephan Hollnack nahm bescheiden auf der äußersten Kante des Polsterstuhles Platz, wobei er die Flügel des langen Paletots über die mageren Knice schlug. Leichte Röthe färbte ihm die Wangen. Die Wärme im Zimmer, in das er die starke Kälte dcs Winters getragen hatte, ver einigte sich mit der plötzlichen freudigen Erregung. Novo hatte sich ebenfalls niedergelassen. Er kam sich vor wie Jemand, der mit Gewalt etwas von sich abschüttcln möchte und doch von sanfter Hand davon zurückgchalten wird. Dieser Mann da vor ihm, an den er kaum mehr gedacht hatte, brachte die ganze Vergangenheit mitgeschlcppt, die er nun wieder vor Augen hatte. „Wir haben uns lange nicht gesehen", begann er wieder. „Fünfzehn Jahre nicht. Ich wagte ja nicht . . „Ja, Tu hättest nicht bcirathcn sollen. Dich so zu ver plempern! Ein Kerl mit Deiner Intelligenz. Tu könntest heute Prokurist bei mir sein." „Ich habe eine bescheidene Frau. Sic ist gut und brav." „Aber dumm ist sie und ungebildet", fuhr ihm Rvvv da zwischen. „Nicht geschaffen zum Verkehr. An EnLcn Frauen geht Ihr alle zu Grunde, sie ziehen Euch herab, statt Euch in die Höhe zu bringen. Und nachher beklagt Jbr Such über Euer Schicksal. Dadurch sind wir ja gerade auseinander gekommen." Stephan Hollnack blickte zu Boden und schwieg — schwieg wie jemand, der mit dem Bewußtsein gekommen war, Dcmütbigungen ertragen zu müssen. Endlich wagte er schüchtern etnzuwcndcn: „Sie hat tapfer gekämpft, während ich krank lag. Sin gmize» Jahr lang lag ich so. Und noch heute bin ich außer Stellung. Wer nimmt einen Buchhalter in meinen Jahren? E» sind zuviel jüngere da Auch die Damen machen uns Concurrenz . . . Denke doch an Schwester Anna. Sie war doch auch nur eine ganz ein- fache Frau und hat Alle» wacker mit Dir ertragen. Damals ging eS Dir auch noch nicht so." Das Schweigen Ropp » machte ihn redselig, so daß er unwillkürlich den Worten mit seiner dürren Rechten nach half. „Weißt Du noch, Du hattest Dich doch zuerst auf
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