Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960228020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896022802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-02
- Tag 1896-02-28
-
Monat
1896-02
-
Jahr
1896
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k» b« Hauptexpedition oder den im Stadt« beztrt und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung m» Hau» -4l S.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung In» Ausland: monatlich ^l 7.b0. Di« Morgen-AuSgab« erscheint um '/,? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Ltdactto« »nd Lr-e-itio«: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen ,«öffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: DU» Klemm'» Gortim. (Alfred Haha), UniversitätSstraße 1, Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. U'eip.riger Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Ämisgenchies Leipzig, des Mathes und Mokizei-Äintes der Ztadt Leipzig. Freitag den 28. Februar 1896. Anzeigen'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfß. Reclamen unter dem Redactionsstrich ^ge spalten) 50/ijj, vor deu Familiennachrichtra (6 gespalten) 40/^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Wrrnsatz »ach höherem Tarif. Etztra-Beilagen (gefalzt), n«r mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poftbefördernng SO—, mit Postbesördernng 70.—. Ännahmeschluß für Aryel-en: Abend-Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Für die Montag.Morgen-Au»gabe: Sonnabend Mittag. Del den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dre Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SO. Jahrgang. Anzeigen für die am Montag früh erscheinende Nummer, welche die bis Sonntag Nacht eingegangenen wichtigeren Nachrichten enthalten wird, erbitten wir bis morgen, Sonnabend, Abend ? Abv. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Februar. Die Partei Ttöcker, die sich in Frankfurt a/M. constituirt hat, schließt sich sowohl nach der Richtung der konservativen Fractionen, wie nach der Seite Naumann und seinen Freunden als selbstständiges Gebilde ab. Ihre parlamentarische Ver tretung findet sie im preußischen Abgeordnetenhaus« vorläufig nur in dem Abg. Stocker, und im Reichstage ist ihr einziger Repräsentant der Abg.Hüpeden. So ist zunächst der neueste Partei splitter, der neben den Konservativen, den Deutsch-Socialen, den Socialreformern, den „Jungen" unter Naumann'S Führung als christlich-sociale Partei in die bunte Mosaik unseres Parteilebens sich einfügt, ein Factor von minimaler ziffernmäßiger Bedeutung in den Parlamenten. Trotzdem muß vor einer Unterschätzung des Vorganges in der Mainstadt gewarnt werden. Denn daß Stöcker in vielen Gegenden des Reiches einen starken Anhang hat, beweisen die Sympathiekundgebungen aus Bayern, Sachsen, Baden, Württemberg, Hessen, Rhein land, Westfalen, Berlin, Schlesien, Pommern u. s. w. (LS wird nun darauf ankommen, ob diese zersprengten Schaaren sich in eine feste Organisation fassen lassen und ob außer dem großen Meister der Agitation, Stöcker selbst, rührige und geschickle Führer der Bewegung sich finden werden. Die »Hamb. Nachr." meinen freilich, Herrn Stöcker werde in absehbarer Zeit nichts Anderes übrig bleiben, als der Socialdemokratie sich völlig in die Arme zu werfen, und motiviren diese Ansicht folgendermaßen: „Der Frankfurter Parteitag der Christlich-Socialen hat nach Stöcker'» Vorschlag eine Resolution angenommen, worin es beißt, die Partei erstrebe eine größere ökonomische Gleichstel- lnng zwischen Armen und Reichen nnd bekämpfe die übergroßen Vermögen. Da die Gesetzgebung des bestehenden Staate» sich schwerlich zu den Vermögcnsconfiscationen hergeben wird, die zur Ausführung des Stöcker'schcn Programms erforderlich wären, wüßten wir nicht, auf welchem Wege Herr Stöcker seine Resolutton verwirklichen könnte, es sei denn, er schlösse sich den Socialdemokraten an, die auf den geeigneten Moment lauern, wo sie der jetzigen Gesellschaft an die Gurgel springen und die von Herrn Stöcker erstrebte „größere ökonomische Gleichstellung zwischen Armen und Reichen" auf dem Wege und mit den Mitteln der Pariser Commune praktisch ausführen können. Die neue Erklärung Stöcker's liefert, zusammengehalten mit Aeußerungen, die er früher in unbewachten Augenblicken gethan hat, z. B. mit der be- kannten Adressirung geldbedürftiger Arbeiter an den Tresor des Herrn von Bleichröder, den Beweis, daß aus dem früheren Be- kämpfer der Socialdemokratie Stöcker allmählich ein Bundesgenosse derselben geworden ist, der sich nur noch durch sein Christenthum von ihr unterscheidet. Wie lange dieser Unterschied Vorhalten wird, sobald die unausbleiblichen Confltcte eiutretrn, warten wir ab." Das Hamburger Blatt vergißt aber augenscheinlich, daß die „größere ökonomische Gleichstellung zwischen Armen und Reichen" nicht der einzige Programmpunct der neuen Partei ist und daß diese sich ferner vorgesetzt hat, jede conservative Politik zu bekämpfen, die der Politik der Miktelparteien Zugeständnisse macht. Hiermit wird eine Politik angekün digt, die ganz ähnlich ist der, welche die „Krcuzzeitung" mit ihrer Empfehlung eines VolkSschulgesctzeS nach dem Muster des Zedlitz'schen in Vorschlag bringt. Die neue Partei wirbt also nach verschiedenen Seiten, nach der klerikal-conservativen wie der Naumann'schen und weiter nach links, und da es überall der unzufriedenen nnd unklaren Köpfe genug giebt, die von den bestehenden Parteien kein Heil mehr erwarten, so ist cs keineswegs unmöglich, daß Herr Stöcker für seine neue Partei zahlreiche Anhänger erwirbt. Setzte sich sein bisheriger Anhang doch aus den heterogensten Elementen zusammen, die nur durch sein Agitationstalent und sein Geschick in der Anpassung an die jeweilige Stimmung seiner Hörer zusammengehalten wurden. Findet er ähnliche Talente unter den neuen Partei genossen, so ist trotz alles Vorgefallencn ein Erfolg der Frank furter Gründung nicht ausgeschlossen. Freilich wird dieser Erfolg hauptsächlich darin bestehen, daß die im Gange befind liche Zersetzun g der alten Parteien noch raschere Fortschritte machtj aber auch ein solcher Erfolg ist zu bedeutsam, als daß man ihn unterschätzen dürfte. Da die agrarische Ueberreizung, die in der Reichstags commission für das Margarinegesetz sich gezeigt hat, die gesetzliche Bekämpfung des durch Mischung von Butter mit Margarine betriebenen Betrugs ernstlich gefährdet, erkält das soeben erschienene Buch von Alfred Lavalle „Die Margarine-Gesetzgebung und ihre Entwickelung in den ein zelnen Culturstaaten" besonderen Werth. Der Verfasser verwirft die übertreibenden Aenderungen der Commission durchweg und mit guten Gründen, aber er hat den Muth, dem verdammenden Unheil der öffentlichen Meinung über ein zweifellos wirksames Mittel zur Verhütung der kleben vortyeilung des Publicums und einer unlauteren Concurrenz für dieNaturbutterproducenten entgegenzutrelen. Er befürwortet daS Verbot der Färbung der Margarine gar nicht, weil er glaubt, daß daöPublicum fick niemals damit befreunden werde, aber er rechtfertigt es. Wir möchten nicht für alle Zeiten an der Entwöhnung von demAbscku vor der Farbe eines beliebt ge wordenen und werthvollen Naurungsmittels verzweifeln. Unsere Hoffnung stützt sich auf die Fähigkeit der Feinschmecker, höchst unappetitlich — unappetitlicher als ungefärbte Margarine — auSsehendc Speisen mit Genuß zu verzehren. Es wird nun allerdings gegen die Zulässigkeit deS Färbeverbots an geführt, dieses wäre ungerecht, da doch das Färben von Naturbutter erlaubt bleiben solle. Das ist aber doch Zweierlei. Wer weißer Butter eine gelbliche Farbe giebt, der verbessert das Aussehen einer Sache, ohne dadurch den Abnehmer über ihre Natur täuschen zu wollen, oder zu können; er giebt der Butter eine bei Butter vorkommende Farbe. Wer aber der Magarine Aus sehen von Butter verleiht, der giebt ibr eine diesem Stoff fremde Farbe, und cS läßt sich niemals entsckeden, ob er die Veränderung vornimmt, um dem Auge seiner Abnehmer woklzuthun, oder ob er über die Natur des Stoffes zu täuschen gedenkt. Es kann „stürzen über Nacht", das radicale Cabinet in Frankreich, denn es ist keinen Tag vor Interpellationen, die auf sein Leben gerichtet sind, sicher, aber wenn es weiter geschickt zu balancircn versteht — und in dieser Kunst hat eS schon Proben erstaunlicher Virtuosität ab gelegt — so kann es auf dem schwanken Seil, auf dem vor der Welt sich zu produciren nun einmal das Loos aller französischen Ministerien ist, noch eine ziem liche Strecke vorwärts kommen. Von dem ominösen „Er- pressnngsbrief" deS Unlcrrichtsministers Combcs, der einige Tage lang viel Staub anfgewirbelt hatte, war eS plötzlich ganz rubig geworden und man mußte ver- mulhcn, daß der „Figaro", der denselben ausgegraben, wieder einmal der — Balbirte war. Die gestrige Interpellation in der Kammer, welche den Brief zum Gegenstand hatte, hat denn auck nickt den Sturz des Ministers, sondern im Gegentheil der Negierung ein neues Vertrauensvotum mit sehr großer Mehrheit eingebracht, nachdem Combes nachgcwiesen, daß der Brief höchst unschuldigen und uneigennützigen Charakters war. Ob das Cabinet Bourgeois über die progressive Einkommen steuer zum Fall kommen wird, darf auch noch nicht als sicher angenommen werden. Denn ist in Frankreich die Antipathie gegen diese Steuer so außerordentlich groß — und sie ist wirk lich eine sehr tiefgehende, — wie erklärt man es sich dann, daß ein so erfahrener Politiker und parlamentarischer Taktiker wie Herr Bourgeois daS Wagniß, die Kammer mit einem Einkommenstenerentwurf zu befassen, unternommen hat? Sehr thöricht wäre e» doch von ihm gewesen, anzunehmen, daß die Kammer, Weil sie gegen den Senat mit ihm zusammen gegangen ist, nun auch den FinanzmisterDoumer ebenso wie,Herrn Ricard unter ihre Flügel nehmen werde. Man muß sich die Sache so zurechtlcgcn, daß es Bourgeois für nützlich ge halten hat, dem linken Flügel der Radicalen und den Socialisten ein anscheinend sehr großes Zugeständniß zu machen. Das hat er mit der Eindringung der Vorlage gethan. Daraus scheint aber noch nicht zu folgen, daß er aus der Annahme des Entwurfs eine CabinetS- srage machen wird. Ja nicht einmal Herr Doumer braucht mit seinem Rücktritt zu drohen. Darin scheint auch die Kammer dem Ministerium cntgegenkommen zu wollen. Denn wie gemeldet wird, will die Budgetcommission die Einkommensteuervorlage vom Gesammtvoranschlag trennen und über sie zuerst berathen. Der Bericht soll der Kammer rasch erstattet und dieser die Möglichkeit geboten werden, über das Schicksal der Vorlage unverzüglich zu entscheiden. Wird sie nun, was kaum einem Zweifel unterliegt, verworfen, so kann sie Bourgeois auf sich beruhen lassen und sehr ruhig zu seinen Anhängern auf der äußersten Linken sagen: Liede Freunde, ich habe meinerseits gethan, was ich konnte, da ihr mir aber keine Mehrheit zu Gebote stellen konntet, ja, da ihr selbst auch nicht einmal über die einzelnen Pnncte der Einkommensteuer-Vorlage unter einander einig wäret, so habe ich mich in die Umstände schicken müssen. Oder wäre es euch vielleicht lieber gewesen, wenn ich zurückgelrelen wäre und den Opportunisten den Platz geräumt hätte? — Nun wird wahrscheinlich die Artdn- Affaire Gelegenheit zum nächsten Vorstoß gegen das Ministerium geben, da der „Figaro" — immer der „Figaro" — behauptet, der ehemalige Chef der allgemeinen Sicherheit Soinoury habe zum UntersuckungSrickter gesagt: „Aber Sie sprechen immer nur von Nibot und Loubet, der heutige Ministerpräsident Bourgeois, damals Minister der Justiz, ist ebenso gut an der Asfaire betheiligt, wir diese beiden", d. h. auch Bourgeois soll den Agenten Dupas dahin instruirt haben, Arton zwar nicht zu verfolgen, aber nicht zu verhaften, oder doch mit dieser Praxis wenigstens einverstanden gewesen sein. Man wird ja bald erfahren, was an dieser neuen „Figaro"-Sensation ist. Nun bat auch der erste Lord der Admiralität in England, Mr. Goschen, seinen Gelegenheits-Speech gethan nnd er hat, wenn dies überhaupt möglich ist, die rednerischen Leistungen seiner Collegcn an Groß—spurigkeit noch über troffen. Der „hochbedeutsame deutsche Staatsmann" in ver antwortlicher Stellung, der in den letzten Jahren die Ueber- zeuguug gehabt und ausgesprochen haben soll, England werde es niemals wagen, seine Interessen im Ausland mit Gewalt zu schützen, ist nach der Versicherung Gvschen's nicht B iSma rck gewesen, umso interessanter ist e«, zu erfahren, daß dieser mit dem hochbedeutenden Unbekannten vollständig überein stimmt. „Wir wissen nicht", schreiben die „Hamb. Nachr.", „wer der deutsche Staatsmann ist, halten ihn aber für wohlunterrichtet, soweit nicht englische Unternehmungen gegen nntergeordnete Staaten oder halbwilde Völker schaften, sondern gegen Großmächte in Betracht kommen. Gegenüber den Angaben des englifchen Ministers, betreffend Bündnißanträge, mit denen England durch die ver schiedenen Gruppen der Großmächte gleichsam verfolgt werde und denen es sich versage, um sich die Freiheit des eigenen Handelns zu wahren, wird Vielen eine gewisse Skepsis an gebracht erscheinen. „Wir glauben nicht", schreiben die „H. N." — und sie geben damit der allgemeinen Auffassung Ausdruck—, „daß es irgend einen leitenden Minister irgend einer Großmacht giebt, der trotz der notorischen Bündnißunfähigkeit, die in Eng land aus parlamentarischen und sonstigen Gründen besteht, den Versuch gemacht haben sollte, England zum förmlichen Anschluß an eine Gruppe von Mächten zu bewegen. Wir glauben, daß dir Jsolirung Englands nicht seinem Unabhänaig- keitSbedürfnisse und seinem Bewußtsein, seine Interesse» allem vertreten zu können, entspringt, sondern daß sie da» Ergebniß der englischen Politik der letzten Zeit ist, die Überall FiaSco gemacht, alle Mächte mit Mißtrauen erfüllt und zu einer russisch-türkischen Annäherung geführt hat, deren Folgen für die englischen Interessen in Asien und am Mittelmeer nicht abzusehen sind. England dürfte kaum, FaitiHetsir. Seine „dumme" kleine Frau. IS) Roman von F. Kliack-LütetSburg. Nachdruck verboten. Die junge Frau war anfangs auf das Peinlichst« dadurch berührt gewesen, aber sie hatte nicht den rechten Weg gefunden, den Gatten zurückzuhalten. Es machte sich immer von selber, daß er ging. Seit jenem Tagt, als es zum ersten Streit zwischen beiden Gatten gekommen war, befanden sie sich nie mehr in Uebereinstimmung. Täglich gab eS Meinungs verschiedenheiten, so redlich auch Frau Gertrud bemüht war, sie nicht auffällig zu machen. Sie batte sich jeden Morgen mit dem festen Vorsatz, daß der kommende Tag ohne Störung deS ehelichen Friedens verlaufen solle, von ihrem Lager erhoben, nnd allabendlich sich mit der Ueberzeugung nirdergelegt, daß auch der redlichste Wille nicht im Stande sein werde, einen Ausgleich zwischen zwei sich einander so feindlich gegenüber stehenden Naturen berbeizuführen. Anfangs war sie verwirrt, erschreckt. Sie hatte nach einem Grund für die fortgesetzten Reibereien gesucht und keinen gefunden. Es widerstrebte ihr, den Charakter deS Gatten zu verurthrilen. Lange Jahre hindurch war sie gewohnt geworden, in ihm einen Mann zu sehen, der allerdings auch an kleinen Fehlern keinen Mangel hatte, daneben aber eine ganze Anzahl fchätzcnSwerther Eigenschaften vereinigte, in welchen die Eltern eine Bürgschaft für da» Glück ihres einzigen Kindes gesehen. So konnte nur sie die Schuldige sein. Und sie war eS auch. Sie suchte unausgesetzt nach Gründen, die eine stetig wachsende Abneigung erklärlich machten, und einmal auf diesem Wege fand sie reichliche Nahrung. Aber trotzdem batte sie die Hoffnung nicht aufgegrben, daß diese Zeit einer beinahe vollständigen Entfremdung, einer friedvolleren weichen werde. So konnte eS nickt fortgehen. Sir mußte sich mit den Fehlern des Gatten auSsöhnen lernen und vor allen Dingen den Versink machen, ihn an eine idealere Auffassung seines Berufe» zu gewöhnen. Hirr war entschieden die Wurzel alle» Uebel». Nie würde sie begreifen lernen, daß die Ausübung seiner Praxis lediglich den Zweck habe, seine Kundschaft auSzudehnen und di« Easie z« fülleü. Wilhelm Herrengrund hatte seit jenem verbängnißvollcn Tage nicht mehr mit seiner Frau von seinen geschäftlichen Angelegenheiten gesprochen; aber trotzdem fehlte es nicht an Gelegenheit, bei welcher sein Egoismus in einer für sie schreckenerregenden Weise zu Tage trat. Von einem großen Pflichtgefühl durchdrungen, war sie dann anS Werk gegangen. Sie hatte sich selbst überwunden, und war bemüht gewesen, ihm Liebe zu zeigen, als schon nichts mehr von dieser beiligen Flamme in ihrem Herzen zu spüren war. Ein Umstand kam ihr bei diesen Bestrebungen zu Hilfe und hielt sie fern von Heuchelei. Die Freude, daß eS dem Gatten gelungen war, Wolf von Grci- fingen's Freisprechung zu bewirken. Aber lange batte diese Freude nicht Stand gehalten. Die Gerichtsverhandlungen waren ihr in einer Damengesellschaft in allen Einzelheiten auseinandergesetzt worden, und eS gab dock in G. eine, wenn auch nur klein« Partei, die dem von Glück begünstigten Herrengrund eine kleine Schlappe gönnte. In der Ver- theidigung deS Herrn von Greifingen sollte er entschieden nicht auf dem Damm gewesen sein, es würde sonst sbfort die Verhaftung Gustav Biedermann'- beantragt nnd da durch eine glänzende Freisprechung seine- Mandanten bewirkt haben. Dann wurde «S dunkler und dunkler um Frau Gertrud. Sie war bei einer Besprechung des Falles Greifingen zwischen dem AmtSricher Börner und Wilhelm Herren- grunz anwesend gewesen. Letzterer hatte die Gelegen heit nicht Vorbeigehen lassen mögen, seine Frau, Börner'« Ansichten über den Hauptmann entwickeln zu hören. Die junge Frau war empört, aber auch angsterfüllt der wegwerfenden Berurtheilung eine« Männe gefolgt, für den ein mächtige» Gefühl in ihrem Herzen sich regte. Hatte anfang« ausschließlich Mitleid sie beherrscht, so gesellte diesem alsbald das heiße Verlangen sich zu, dem so grausam Angefeindeten zu helfen. Unablässig stand ihr da» Bild desselben, wie sie ihn dem Gatten gegenüber gesehen, vor ihrer Seele. Dieser schöne, stolz« Mann, förmlich ge brochen durch die ihm drohende Gefahr, die Ehre seine» Namen- vollständig vernichtet zu sehen. Wie würde e« ge wesen sein, wenn Wilhelm Herrengrund ihm wahren Trost hätte gewähren können. Die junge Frau war den ganzen Tag allein. Nachdem die Besuche gemacht und erwidert worden, sah sie tagelang Niemanden, der sie auck nur vorübergekend von ihren Ge danken hätte ablenken können. Der gesellige Verkehr, der sich auf Kaffee-Gesellschaften beschränkte, war vollständig ins Stocken gerathen. Die eine oder andere Familie machte eine Badereise, und so war es besser, man verschob ein Beisammen sein bis zu deren Rückkehr, um nicht in die Verlegenheit zu gerathen, zum Herbst zum zweiten Male eine „Gesellschaft" m Scene setzen zu müffln. So war Frau Gertrud sich selbst und ihrem auf rührerischen Herzen überlassen. Sie täuschte sich über die Gefährlichkeit ihrer Gedankenbeschäftigurg nicht, und anfangs hatte sie sich derselben zu entziehen versucht. Es war ihr aber nicht gelungen, und später — sie begann Alles geben zu lassen, wie es wollte. Sie hatte die Hoffnung verloren, zwischen dem Gatten und sich ein Einvernehmen herzustellen, daS dazu geführt haben würde, ihre Mädchenträume zu verwirklichen, dann verlor sie auch den Muth. Aber bis zum heutigen Tage war sie sich der Gefühle, von welchen sie bereits vollkommen beherrscht war, noch nicht bewußt geworden. Die Worte des Gatten batten ihr die Binde von den Augen gerissen und ihr den Abgrund ge zeigt, an welchem sie gewandelt. War es denn möglich? Sie, die mit Hohn und Verachtung auf Frauen geblickt, die, ihrer Pflichten uneingedenk, leichtfertigen Lockungen nicht zu widerstehen vermocht, sie liebte einen Mann, den sie nur ein einziges Mal im Leben gesehen. Die junge Frau war vollständig gebrochen, indem sie diese Thatsache sich vor Augen führte, suchte aber nicht einen Moment, sie hinwcgzuläugnen. Es war eine furchtbare Wahrheit, so unglaublich und unmöglich ihr dasselbe er scheinen mochte. Sie hatte die Lösung eines Rälhsels ge sunden, da» ihr seither unverständlich gewesen war. Und was sollte nun werden? Die Dämmerung war bereits bereingcbrochen und noch immer saß sie regungslos an derselben Stelle, vergebens be müht, eine Beantwortung dieser Frage zu finden. Das Abend essen im Nebenzimmer stand unberührt und die Magd wartete vergeben- auf das Zeichen zum Abräumen. Der Herr war fortgegangen, ohne zu Abend zu essen, und auch Frau Herren grund hatte wieder da« Essen und den Tbee unberührt ge lassen. So würden die Dienstboten unter einander reden. Das durfte nicht sein. Sie batte sich erhoben, aber eS lag ihr wie Blei in den Gliedern und ihr Gang war langsam und schleppend, ihre Bewegungen batten etwa» Automatische». Sie zündete aber di« Lamp« a» und ließ sich an dem Tische nitder. Di« trank eine Tasse kalten Tbees und versuchte zu essen. Es war ihr unmöglich. Schaudernd wandte sie sich ab und klingelte. Am Fenster stehend, erwartete sie dann den Augenblick, in welchem sie wieder allein sein würde. Sie war in einer fieberhaften Aufregung, ibr Kopf brannte, ihre Hände zitterten und ihr Athen, flog. Ja, was sollte nun werden? Sir wußte es nickt, aber sie mußte e» wissen, Klarheit that ihr vor allen Dingen noth, denn nur durch sie konnte sie ibre Ruhe zurück erlangen. ES gab nur einen einzigen Weg für Gertrud Herren grund, den der Pflicht. Noch wurzelten die Lehren einer vorzüglichen Mutter zu tief in ihrem Herzen, al» daß nur einen Augenblick in ihr der Gedanke an eine Aenderung des Bestehenden, soweit es Bezug auf ibr eheliche- Verhältnis; hatte, hätte wach werden können. Sie liebte den Gatten nicht mehr, sie hatte ihn nie geliebt, aber sie war fest ent schlossen, ihm eine treue Gattin zu sein, und jeden Gedanken an einen Anderen hinfort sich von fern zu halten. Ihre Gc sükle für Wolf von Greifingen, der ihr als daS Ideal edelster Männlichkeit erschien, hatten sie ungerecht gegen Wilhelm Herrengrund gemacht, und mit verdoppeltem Eifer mußte sie bemüht sein, ein Hinderniß zu beseitigen, an welche» nicht nur sein und ihr Glück, sondern auch da» geliebter Eltern zerschellen würde. Siebentes Capitel. Zu Hause angelangt, nachdem er sich von Herrengrund und seiner Frau getrennt, batte Assessor Raguhn eine Karte vorgefunden, die ihm anzeigte, daß Ernst von Rötlingen ihn am hrutigeck Tage nicht zuerst gesehen. Er erinnerte sich also deS ehemaligen Schützlings noch. Vielleicht hatte er,hn sogar an jenem Abend, al- er mit dem Amtsrichter Börner im „Schützen" gewesen war, erkannt und nur die Lage ihn abgebalten, sick ihm zu erkennen zu geben. Friedrich Raguhn dachte einen Augenblick daran, den Be such noch an demselben Abend zu erwidern, nahm aber doch nach reiflicher Ueberlegung davon Abstand. Bon Rötlingen war ibm etwa um 5 Uhr mit den beiden Damen von Grei fingen begegnet, so würde er ihn jetzt schwerlich im „Schützen" treffen können, sondern eS war anzunehmen, daß derselbe den Abend in der Greisingen'schen Familie verbringen wurde. Der Glückliche! Ein leise» Lächeln umspielte seinen Mund. DaS Lackeln galt einer eigenen Thorheit. Er hatte wirklich gedacht! Der Glückliche! Und er dachte e» noch jetzt, fand es nicht srltsam, daß dir Familie Grrifingrn ihm
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite