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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.11.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190811225
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19081122
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19081122
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-11
- Tag 1908-11-22
-
Monat
1908-11
-
Jahr
1908
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Be-ugS-Prri» >ür Letp-ig und Vororte durch u»I«re lräger «ad Spediieure ia» Hau« gebracht. 00 H uwnatl., L.7V »ierteljibrl. Bei unlern gilialen u. Annahmestellen abgeholl: monatl., r.LL »iertellihrl. Lurch dte Poft: innerbald Leutjchland« und der deutschen Kolonien uierteljLhrll U.<0 monatl. lL4 au«Ichl. Postdeftrklaeld. Ferner in Belg.en, lanrmark, den Donaustaaten. Italien, lluremburg, Niederlande, Nor- weaeu, Oesterreich-Ungarn, Rutland, Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch die Seschäftliielle de« Blatte« erhältlich. Da« Leipziger Lag,blatt erscheint wöchent lich 7 mal und zwar morgen«. Aboanement-Annalnn«: Nugustulplatz 8, bet unseren Drägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Nummer kostet Ist H. «edaktioa uud Geschistbstell«: Johan»i«gaste 8. Fernsprecher: 14SS2, 14 SR. 14«4. MiMgerTagMM Handelszeitung ÄmLsvlatt des Rates und -es Rotizeiamkes der LLadt Leipzig. Sonntag 22. November 1908. »m»MMWch^»^ stn^t^Antigen 7SH, > uno Umgebung 8b stnanztell- I^aten-Vestteden i« «nStchan Detl äo ch. «ug^n-Unnich-oi Ungmstnhilatz 8, b« ltmrltchmi Mliat« a- Ll« Snnöncrn- bM Im- und Auslände«. Ha>w1.»vtal» lver ttn: »arl Dnncker, Lerzogll Banr. H^bnch- Handlung, Lsttzoinstrah« 10. (Telephon VT, Nr. 4S03). Haupt-FlNale Lrrsbrn: Seestraß« 4,1 (Telephon 462). lv2. Jahrgang. Da» wichtigste. * König Friedrich August hat am Sonnabend hei seiner Reise durch Wien dem Kaiser Franz Josef einen Besuch ab- gestattet. (S. Dischs R.j * Si»e »e»e Mordtat ist iu Leipzig entdeckt worden. Der Arbeiter Ra»scheabach in Gautzsch hat am 15. Rovestnber seine Ehe frau iu der Pleiße ertränkt. Der Mörder wurde verhaftet uud ist ge ständig. (S. Lp-g. Ang.) * Der Alldeutsche Verband hält heute in Leipzig einen außerordentlichen Verhandstag ab, um zu den politischen Fragen der Gegenwart Stellung -u nehmen. * Römische Meldungen dementieren, daß Deutschland aus eine Erneuerung des Dreibundes vor 1914 dränge. * Aus Pola wird gemeldet: Das ganze österreichisch-ungarische Wintergeschwader geht zu Hebungen in die Bocche di E a t t a r o. Zwischen Frankfurt und Vebra. Zwischen Frankfurt und Bobra soll ein Attentat verübt worden sein auf den kaiserlichen Hofzug, der Wilhelm H. der Aussprache mit dem verantwortlichen Leiter der deutschen Politik und in dieser An gelegenheit auch dem Träger einer Volksmission, entgegenführte. Offenbar ist der 'Sachverhalt noch völlig ungeklärt. Mau bvaucht glücklicherweise noch nicht daran zu glauben, daß wirklich ebenso dumm«, wie verbrecherische Menschen die Propaganda der Tat nun auch in Deutschland einführrn wollten. Ader die Möglichkeit ist ja immerhin gegeben, und damit ge winnt di« Sache eine Bedeutung, deren Tragweite heute noch gar nicht übergehen, aber auf keinen Fall unterschätzt werben darf. Wir sind im Deutschen Reiche, wenn wir von den paar politischen Wahnsinnstaten unter der persönlich vorbildlichen Regierung Wilhelms I. abschen, von einer systematisch betriebenen, anarchistischen Gewaltpolitik ver schont geblieben. Das hat wohl verschiedene Gründe. Klima und Volkscharakter sind solchen Auswüchsen hierzulande nicht günstig. Unsere staatlichen Einrichtungen sind zu festkonsolidiert, unsere Ver waltung ist zu gesund, als daß di« Saat der politischen Toren bei uns gedeihen könnte. Etwas trägt wohl auch die große Verbreitung und straffe Organisation der Sozialdemokratie mit dazu bei, den politischen Leidenschaften andere Ziele zu stecken. Es mag auch anerkannt werden, baß bei dieser Gelegenheit die Leitung der sozialdemokratischen Partei im Parlament und in der Presse und in Versammlungen eine kluge und für uns alle wertvolle Mäßigung gezeigt hat. Welche besonderen Parteiinteressen dabei mitgesprochen haben mögen, kann hier unerörtert bleiben, doch würde auch die Existenz solcher Gründe an per Politischen Bedeutung dieser .Haltung nichts ändern. DaS bleibende Gut aus den Vorgängen der letzten Zeit, aus den Interpellationen im Reichstag« wie dem überwältigenden Chorus der Presse, ist der starke innere Drang nach Vermehrung der Volksrcchte, also der Zug nach links, und damit der Verlust der Reaktion an Macht und Selbstbewusstsein, der einer verlorenen Schlacht gleich kommt. Wer die Haltung der Parteien recht verstehen will, wer ins besondere di« konservative Gebarung auf ihre Ursachen zurückzuführen versucht, muh diese Tatsache sorgfältig beachten, und er wird auch damit zugleich die politische Bedeutung dieser Attentatsgerüchte klar erkennen. Wenn wirklich «in ernsthaftes Attentat auf das Leben des Kaisers versucht, wenn gar das Entsetzliche Tatsache werden sollte und auch nur ein Tropfen Blut fliessen würde, so wäre das geradezu ein natio nales Unglück. Mit Sinern Schlage wäre die heute notdürftig ge bändigt« Reaktion wieder obenauf, und wir könnten unter emem neuen Vorwand von Recht Repressionen erleben, di« uns in unübersehbare Wirrnisse stossen müssten. Man denke nur an den historischen Moment, als der grösst« politische Praktiker des Deutschtums, als Bismarck von der Verwundung des ersten Wilhelm durch Nobillng erfuhr, und sofort, die politischen Möglichkeiten erkennend, das Sozialistengesetz im Hafen hatte. Es ist heute Gemeingut aller irgendwie massgebenden Politiker mit Verantwortungsgefühl, dass jenes Gesetz kein Segen für das Deutsche Reich gewesen ist, uud dass ein« Wiederholung jenes Ex- pevitmentS, in dem sich di« größte Irrung de» Riesen BiSmarck mani festierte, der deutschen Kultur, wie der ökonomischen und politischen Entwicklung unsere» Vaterlandes den schwersten Schaden -ufügen würde. Nur di« kleine, über mächtige Partei der konservativen Ultras, die gerade am Hofe die Wurzeln ihrer Kraft hat und durch diesen No vember ihre nie ausgegeben en Hoffnungen hat zuschanden werden sehen, würde wieder Boden unter ihren Füßen fühlen und in stets geübter hieran twordungslosigkoit ein« neue Aera der Reaktion herauf zuführen versuchen. Der Wahnsinnige, der in Verblendung und verbrecherischer Lust das Lebeu des Deutschen Kaisers antastete, würde daS grösste politische Verbrechen, daS denkbar wäre, begehen, wobei womöglich auch ein sehr erklärlicher Stimmungsumschlag im Volke die sowieso nur gefühls mässigen Ergebnisse der deutschen Krise iu Frage stellen könnte. Mit einem Schlag wäre die ganz« Situation verändert, denn bei allen diesen Dingen gehen Stimmung«« über die Gebote der Vernunft hinweg, und das deutsche Volk würde vielleicht gezwungen sein, die traurigen Ent- wicklungSphasen durchzumachen, dte den meisten anderen Nationen bei der modernen freiheitlichen Ausgestaltung ihrer Staatseinrichtungen beschieden worden sind. Das deutsche Volk will keine gewaltsamen Um wälzungen. Auch die Sozialdemokratie geht heute kaum noch über theo retische Erwägungen hinaus, «nd gerade darum wäre da» Unheil eines Attentats unübersehbar. Wir brauchen von persönlichen Gefühlen bei der Erörterung solcher Möglichkeiten nicht z« reden. Es ist ausgeschlossen, dass ein normal emp findender, politisch reifer Mensch dem Deutschen .Kaiser persönlich grollen kann. Wenn je, so darf man hier sagen, das alles Geschehene mit Natur notwendigkeit aus der Psyche des Kaisers entsprang, dass von üblem Wollen auch nicht die Spur zu finden ist, und dass Wohl Trauer, aber nie und nimmer Rachsucht uns erfüllen darf. Die Hrrn-evtjnhvfeiev -er KtR-tesr-nrrng in Berlin. Iw Berliner Rathmrse fand am Sonmrbendvornvittlm, wre wir bereits kurz berichteten, eine von der Stabt Berlin veranstaltete Feier anläßlich der lOVjährrgcn Wiederkehr der Einführung der Stadte- orimung swtt, der das Kaiserpaar, das Kronprinzenpaar, ber Reichskanzler und amdere hohe Würdenträger beiwohnten. Obervürgermelster Kirschner hielt zur Einleitung der Feier eine A n 1 pra ch e, in der er zunächst dem Kaiser und der Kaiserin für ihr Erscheinen dankte. Der Nsdner gedachte dann der Zeiten, in denen die ^tädteordnung entstanden, die das unsterbliche Verdienst Köüig Friedrich Wilhelms HI. sei, und bat den Kaiser, auch in Zukunft den preussischen Städten, und insbesondere der Stadt Berlin, seine vertrauensvolle, gnädige Gesinnung zu bewahren. Der Oberbürger meister schloß mit dem Gelübde, dass die Bürgerschaft auch künftig in gut«n und in schweren Zeiten mit ihren Kräften unablässig bemüht sein werde, in unwandelbarer Treue und Hingabe an das Vaterland und daS angestammte Königshaus sich des Vertrauens des Kaisers würdig zu zeigen. Hierauf verlas der Kaiser folgende, ihm vom Reichskanzler übermittelte Rede: Mein verehrter Herr Oberbürgermeister! Es war mir eine be- sondere Freude, durch Ihre Einladung Gelegenheit zu erhalten, an der heutigen Feier des hundertjährigen bestehens der Steinschen Stödteordnung teilzunehmen und unter den Bürgern meiner Haupt- und Residenzstadt zu tveilen. Ihren Worten über die Be deutung dieser Städteordnung für utffer Vaterland stimme ich aus voller Neberzeugung zu. Der mit d«r Gewährung der Selbstverwaltung von meinem Ahnen sei nem Volke gegebene Beweis des Vertrauens und der damüt verbunden« Appell an die ge'stige und sittliche Kraft des Bürgertums hat reiche Früchte gezeitigt. Echtes Gold wird klar im Feuer. Dis echt« Gold deutscher Treue und Tüchtigkeit, die die Bürgerschaft der preußischen Städte erfüllen, ist im Feuer der Befreiungskriege geklärt und in hundertjähriger ernster, opfer- freudiger Arbeit für das Gemeinwohl bewährt. Dieses Ergebnis gibt mir die Zuversicht, daß die preußischen Städte, und ihnen voran meine Haupt- und Residenzstadt Berlin, auch in Zukunft die großen Aufgaben kommunalen und staatlichen Vorwärts schreitens in Treue, Gewissen haftigkeit und Kraft erfüllen. Und weiter hege ich das feste Ver trauen, daß daS Band der Treue und Zuneigung, das in unserem Vaterlande von altersher König und Bürgerschaft, Fürst und Volk so eng verbindet, sich immerdar als unzerreißbar er- weisen werde. Wenn nach den Worten des Preussenliedes nicht immer hell«r Sonnenschein leuchten kann und es auch trübe Tage geben muß, so sollen auf steigende Wolken ihre Schatten niemals trennend zwischen mich und mein Volk werfen. Zur Erinnerung an die heutige Feier und als Zeichen meines Wohlwollens habe ich der Stadt Berlin mein Bildnis verliehen, welches Ihnen später »uqehsn wird. Gott segne mckme Hauptstadt Berlin! Sodann ergriff Bürgermeister Dr. Re icke daS Wort zur Festrede. Er entwarf eine Charakteristik des Begründers der Stödteordnung, des Frciherrn vom Stein. Dieser Mann, so führt der Redner aus, ist unser geistiger Städtebauer, ohne dessen geistige Tatkraft die deutschen Städte nicht die mächtigsten Pfeiler des mäch tigen und gesunden Staates geworden wären. Wenn bereits seine Zeit genossen in ihm den Retter des Vaterlandes sehen, wenn er Deutsch lands politischer Martin Luther genannt wird, so erweckt unS dies das Bild eines ManneS, in dem eine große und starke Idee flammt. Diese Idee ist die Erweckung des Gemeinaeistes gewesen. Stein wollte die ganze Masse der in der Nation vorbandeneu Kräfte auf die Besorgung ihrer öffentlichen Geschäfte lenken. Der feste Grundstein, den er legte, heißt Selbstverwaltung. Wenn die Städte nun den hundertsten Geburtstag der Städteordnung festlich be gehen und sich dabei der Teilnahme der Regierung und sogar deS Staatsoberhauptes freuen dürfen, so sind sie sich bewußt, diese Teil nahme nicht für eine rein häusliche Feier in Anspruch zu nehmen, denn den Anlaß zur Feier gibt der Triumph der Idee, die in Wahr heit die Keimstätte unserer ganzen modernen StaatS- verfassung geworden ist. Aus zwei grundlegenden Gedanken beruht die ganze schöpferische Wirkung der Städteordnung. Der eine ist der Kampf gegen die Bureaukratte, der andere die Heran» -iehung deS Laienelementes der Bürger zum Beam ten. Stein ist eS gewesen, der die deutsche Idee dem neuen Preussen in die Wiege gelegt hat. Von ihm geht die Flutbewegung auS, die BiSmarck getragen und in den Hafen geführt hat. ES war eine politische, moralische Kraft, die Begeisterung und Mut zur Durch- se^un^ grosser Ziele auSstreute. Komme sein Geist über an» Weiter wird zu dieser Feier noch berichtet: Der Hundertjahrfeier der preussischen Städteordnung >m großen Festsaale deS Rathauses wohnten der Kaiser und die Kaiserin, das Kronprinzenpaar, Prinz Fried rich Leopold mit Gemahlin und Tochter, der Reichskanzler, die Minister, der Oberpräsident von Trott, der Polizeipräsident, die Generale, die EhefS des Zivil- und MilitärkabinettS und viele andere bei. Um 11 Uhr erschienen der Kaiser und die Kaiserin und wurden vom Oberbürger meister Kirschner, Bürgermeister Dr. Reicke und Stadtverordneten- Vorsteher Michelet empfangen und in den Festsaal geleitet. Der Ber liner Lehrergesangverein trug Beethovens „Die Himmel rühmen de» Ewigen Ebre" vor. Oberbürgermeister Kirschner hielt eine Ansprache. Hierauf überreichte Reichskanzler Fürst Bülow Seiner Majestät dem Kaiser eine Rede, welche der Kaiser, an das Rednerpult tretend, verlas. Lebhaftes Bravo folgte den Worten des KafferS. Sodann hielt Bürger meister Dr. Reicke die Festrede, die beifällig ausgenommen wurde. Der Kaiser und die Kaiserin unterhielten sich dann längere Zeit mit den Bürgermeistern und dem Stadtverordnetenvorsteher Michelet und ver ließen um 12 Uhr unter den Hochrufen der Versammlung den Saal. — Der Kaiser verlieh dem Oberbürgermeister Kirschner den Stern zum Kronenorden zweiter Klasse, dem Stadtverordnetenvorsteher Michelet und dem Geheimen Justizrat Cassel den Roten Adlerorden vierter Klasse. — Auffällig ist, daß der Festredner deS Lage», Bürgermeister Dr. Reicke, keine Auszeichnung erhalten h<rt. Gins --ritsche Autorität über die MSglichkekt -er wahrsagens rrnd ^rophezeienr. (Nach Mitteilungen von Dr. Max Dessoir, Professor an der Universität Berlin.) Der Telegraph meldete vor einigen Tagen aus Petersburg, daß der Zar einen Okkultisten namens Miller empfangen habe, einen Mann, dem die Fähigkeit gegeben sein soll, in die Zukunft zu schauen. Der Okkultist hat dem Kaffer zwei Dinge für das kommende Frühjahr prophezeit: einen Krieg Rußlands mit dem Balkan und einen furchtbaren Krieg zwischen Deutschland und England! Die Petersburger Depesche schließt mit der Mitteilung, daß die Prophezeiung einen geradezu nieder schmetternden Eindruck auf den Zaren gemacht habe. Diese Depesche ist durch einen großen Teil der Presse gegangen, sie ist bisher unwiver- rufen geblieben, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln liegt um so weniger Veranlassung vor, als im Laufe ver letzten zehn Jahre vielfach ähnliche Nachrichten vom Zarenhofe gekommen ^ind, dessen mystische Neigung in eingeweihtcn Kressen alS ein offenes Geheimnis behandelt wird. Der Glaube hochmöaender Persönlichkeiten an solche Wundertaten kann natürlich unter Umständen von größter praktischer Bedeutung werden; die Frage, ob es möglich ist, in die Zukunft zu schauen, ist außerdem für alle Kreise, ob hoch oder niedrig, naturgemäß von allergrößtem Interesse und deshalb müssen auch die nachstehenden Ausführungen einer deutschen Autorität über die Frage, ob es möglich ist, in die Zukunft zu schaueu, das allergrößte Interesse für sich in Anspruch nehmen. Es gibt, so ungefähr führte Professor Dessoir auS, gegenwärtig eine ganze Anzahl Olknltisten und Madien, die behaupten, sie könnten in die Zukunft sehen, und es ist ein offenes Geheimnis, daß einige von ihnen gern gesehene Gäste auf den Schlössern der Hocbaristokratre und wohl auch gelegentlich der Fürstenhöfe sind, ohne jemals mit der missrn xlsbs der Gelehrten in Berührung zu kommen, in denen sie weniger dankbare und gläubige Zuhörer vermuten, als sie in den Kreisen der europäischen Aristokratie finden, wo, wie es scheint, «in kritikloser Mystizismus immer mehr um fichgreift. Wie weit dabei mit dem Namen allerhöchster Persönlichkeiten Mißbrauch getrieben wird, ist natürlich schwer zu sagen; so wurde seinerzeit von Maximilian Harven aus Grund ihm zuverlässig erscheinender Berichte hochstehender Personen mitgeteilt, daß Kaiser Wilhelm in seiner Taschenuhr ein Stückchen Zeug trage, daS von dem Gewände einer Mateiialisation innerhalb einer spiritistischen Sitzung abaeschnitten wurde. Diese Mit teilung ist seinerzeit dementiert worven, doch halten gewisse Kreise noch immer an der Glaubwürdigkeit derselben fest. Bekanntlich habe» wir besonder« au- älterer Zeit eine große An zahl politischer und sonstiger Prophezeiungen, die, wie man behauptet, pünktlich in Erfüllung gegangen finv und die natürlich ein überaus wert volles Propagandamittel in den Händen unserer heutigen Okkultisten sind. Solche Prophezeiungen haben u. a. Swedenborg und Nostradamus massenhaft gemacht. Wir haben heute uur in den allerseltensten Fällen noch ein Mittel in der Hand, die Behauptung deS „EingetroffenseinS" dieser Prophezeiungen auf ibre Richtigkeit zu prüfen. Ein Fall, der mir ganz besonders im Gedächtnis haften geblieben ist und der wohl typisch genannt werden darf, ist die berühmte Prophezeiung de« Nostradamus, daß daS zweite französische Kaiserreich 17 Jahre, weniger V« Jahr existieren werde. Die .Bofsische Zeitung" hat damals, am 28. August 1870, diese mehr als 300 Iadre alte Prophezeiung aufgefrischt und daran erinnert, daß in wenigen Tagen die Frist für dieselbe abgelaufen sei. Am 2. September wurde Seda» übergeben und vamit war die Prophezeiung Nostradamus' fast auf den Tag in Er füllung gegangen. Man kann nicht umhin, sich über die Merkwürdigkeit dieses Falles zu wundern, aber wie so ost bei diesen scheinbar ganz un erklärlichen und wunderbaren Fällen, so kann auch hier der Pferdefuß Hinlennach. Ein Freund von mir hat im Anschluß »u den Vorfall reu ganzen Nostradamus durchgearbeitet, aber die berühmte Prophezeiung fand sich nirgends. Wenn der Glaube an ihre Richtigkeit sich in größeren Kreisen bi« auf den heutigen Tag erhalten hat, so ist auch dies ftlr diese ganze Art von Wunderglauben von typischer Bedeutung: die nüchterne, meistens viel uninteressantere Wahrheit findet immer viel weniger An hänger als da» Wunder. E« ist in hohem Maße interessant, daß selbst ein so eminenter und klarer Kopf wie der Philosoph Arthur Schopenhauer rückhaltsloS an die Möglichkeit eines Jn-die-Zukunft-Schauenö glaubte. Die Erklärung dafür ist aber leicht darin zu finden, daß die kritischen, die Kontroll maßregeln früherer Jahrhunderte lange nicht so entwickelt waren, wie beute. Alles in allem ist mit den Vorgängern deS Herrn Miller wissen schaftlich nicht viel Staat zu machen, alle die berühmten politischen unv sonstigen Prophezeiungen früherer Zeiten sind mit der größten Vorsicht aufzunehmen. In den meisten Fällen ist eS bei all' diesen Prophezeiungen ganz offensichtlich, daß eS sich um einfache Kombinationen deS Prophezeienden bandelt, nm Wahrscheinlichkeits-Rechnungen, und zwei menschliche Eigen schaften kommen den Propheten dabei in hohem Maße zu Hilfe; die falsche Statistik des menschlichen Gedächtnisses und die Suggestibilität! Wenn von 100 Prophezeiungen eine zutrifft, dann behält daS Ge dächtnis diesen einzigen Fall und vergißt die übrige« 99, ia denen die Prophezeiung nicht in Erfüllung ging. Zweitens treffen Prophezerungen dadurch öfter ein, daß sie von suagettiven Personen ausgenommen werden. Es ist zweifellos schon vor gekommen, daß Menschen von sogenannten Wahrsagern ihre Tovesstunde vorauSgesaat wurde und daß die Betreffenden genau zu dieser Stunde gestorben find. Sie sind gestorben, nicht weil der Wahrsager ihre Todesstunde richtig vorau-gesehen hatte, sondern sie sind an den Folgen dieser Prophezeiung gestorben, an den Folgen de« feste« Glauben-, daß sie zu dieser Stunde sterben müßten, sie find, wie die Wissenschaft sich auSvrückt. psychisch gestorben.WennsolchePropbezeinngen suggeftiblen,sehr empfinvlichen Personen gemacht werden, die leicht beeinflußbar sind, so richtet sich von da ab ihre ganze Denkweise, ihr ganze« Sinnen und Trachten auf diesen einzigen Punkt, so unterliegen immer mehr der Ueberzeugung, an dem vorauSaesagten Tage sterben zu müsse», da- unter dem Einfluß dieser festen Ueberzeugung ihr Körper immer mehr verfällt, bi« er oft pünkt lich auf Tag und Stunde unter den Folgen dieser Selbstzerstörunz in de« Wortes wahrstem Sinne zu Grunde geht. Dies ist ein sehr ernste« Kapitel, da» ia engem Zusammenbang mit dem steht, wa- man in früheren Jahrhunderten mit der .bösen Magie" -ezeichnrte und »a« in den Hexenprozessen de« Mittelalter« eine so große Roll« spielte. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, find diese Menschen, die sich brüsten, ia di« Zuknaft schaaen ,« können, oft v« grä-ter Gefahr für
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