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ZllMlniM TlryMM Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 5« Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Eolporteurs dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. — Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 6. Sonntag, den 9. Januar 1881. Bekanntmachung. Morgen Montag, den 1v. d. M., Vormittags 10 Uhr kommen die auf dem alten Friedhöfe anstehenden Bäume gegen sofortige Baarzahlung zur Versteigerung. Im Auftrag des Kirchenvorstandes. B. Opitz. *Waldenburg, 8. Januar 1881. Die Hebung des Handwerks. I. Eine der Aufgaben des Gesetzes, und zwar eine der hauptsächlichsten im deutschen Reiche, ist die Hebung des Handwerks, welches durch die voll ständige Freigebung des Gewerbebetriebes dermaßen gelitten hat, daß das alte Sprüchwort, welches bei unseren Vorfahren eine große Wahrheit war: Das Handwerk hat goldnen Boden, neuerdings nicht mehr anerkannt wird. Trotzdem jene Blttthe deutschen Gewerbefleißes, die im Mittelalter alle Nachbarvölker an Tüchtigkeit übertraf, längst ent blättert ist, trotzdem Entdeckungen, Kriege, Erfin dungen mit umgestaltender Gewalt auf Land und Volk hereingebraust, so bildet der deutsche Handwerkerstand immer noch den eigentlichen staat- tragenden Kern des mittleren Wohlstandes. Aber es ist eben nicht Alles golden; der Handwerker sieht den Boden seiner Thäligkeit von Speculation und kauf männischer Fabrikal'on immer mehr bedroht, immer mehr die HandfertigkeüdurchMaschinenlhätigkeit ersetzt und doch vermag — das haben Ausstellungen zur Ge nüge dargethan — eine Wiedergeburt des deutschen Gewerbes nur durch Gewinnung jener künstlerisch gediegenen Gewerbsfähigkei en einzutreten, die den deutschen Namen im Mittelalter so groß gemacht. Die deutschen Bürger waren wohlhabend und ihre Städte ragten an Pracht, Ordnung und Sitte selbst über die italienischen empor. Die deutsche Goldschmiedekunst namentlich war in der ganzen Welt berühmt, die deutschen Holz schnitzer, Waffenschmiede u. s. w. hatten sich einen ehrenvollen Ruf erworben. Die Baukunst entfaltete sich zu ihrer höchsten Vollendung. Das Münster zu Straßburg, der Dom zu Köln stehen noch da als stille, bewunderungswürdige Zeugen jener großen Zeit Deutschtands. Aber kriegerische Stürme brausten auf deutscher Erde einher und vernichteten das blühende Gewerbsleben und noch jetzt, nach mehr als zwei Jahrhunderten seit dem Verfall, sind die Folgen jener traurigen Zeit bemerkbar. In unserem Vaterland hat das Gewerbe noch nicht die frühere Stellung erlangt. Damals rechnete man noch die meisten Gewerbe zu den Künsten, während sie jetzt fast sämmtlich nur als Arbeiten gelten. Die Dampfmaschinen verrichten die ver schiedenartigsten Arbeiten, deren Herstellung bisher nur von Menschenhänden möglich war. Zwar ist die Herstellung mittels Maschinen eine schnellere und oft vielfältigere, zwar werden die betreffenden Sachen dann billiger und allgemeiner, aber — was durchaus nicht zu unterschätzen ist — die Arbeiten werden stets gleichmäßig und ohne jenes Geschick und Kunftverständniß ausgeführt, das wir an vielen Werken aus dem Mittelalter bewundern. Durch die Erfindung neuer Maschinen und Ein richtungen wird das Handwerkerwesen immer mehr zurückgedrängt; an Stelle des Handwerkers tritt der Fabrikant und der Kaufmann! In England ist dieser Zustand so weit gediehen, daß es dort fast nur reiche Fabrikbesitzer und arme Arbeiter giebt; der einfache Handwerker verschwindet dort immer mehr. Und doch ist es gerade der zum größten Theil aus Handwerkern bestehende Mittelstand, wel cher die Kraft des Volkes bildet und welcher des halb unter allen Umständen und mit allen Mitteln erhalten werden muß. Einen Weg hierzu wollen wir in unserem nächsten Artikel zeigen. *Waldenburg, 8. Januar 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Bundesrath wird, wie offiziös verlaute', seine durch die Festzeit unterbrochenen Plenarsitzun gen am Montag, den 10. d. M., wieder aufnehmen. Nach der „Kreuzzeitung" soll die Festsetzung der einzelnen Bestimmungen des Gesetzes gegen die Trunksucht eine ziemlich schwierige gewesen sein, da sie die Frage wegen Beschränkung der Zurech nungsfähigkeit nothwendig mit einschließen muß. Auch der Centralverein deutscher Wollwaaren- fabrikanten hat sich für den Zollanschluß der Hausestädte erklärt. Er beschloß am 7. d. ein stimmig: Die Freihafenstellung Hamburgs und Bremens erschwert den wirthschaftlichen Gesundungs prozeß Deutschlands, der Zollanschluß derselben ist daher ein dringendes Bedürfniß, wofür, wenn er forderlich, das deutsche Reich finanzielle Opfer bringen muß. Der Centralverein dankt dem Reichskanzler für seine desfallsigen Bestrebungen und bittet, die selben fortzusetzen, bis die commerzielle Einheit Deutschland hergestellt ist. Das die Unfallsversicherung betreffende .ocial- politische Reformproject des Reichskanzlers ist schon so weit vorgeschritten, daß die Grundzüge desselben sich in Folgendem wiedergeben lassen: Zunächst soll die Unfallsversicherung obligatorisch gemacht werden; das Reich nimmt die Versicherung selbst in die Hand und zahlt direct an den Arbeiter die Ent schädigung aus. Die Arbeitgeber unter gewisser Mitwirkung der Gemeinde zahlen die betr.ffende Versicherungsprämie an die Reichskasse. Das Haft pflichtgesetz wird nicht aufgehoben. Liegt ein Fall des Haftpflichtgesetzes vor, so zieht das Reich die betreffende Entschädigung vom Arbeitgeber ein. Die bisherige Verpflichtung des Arbeiters, den Fall der Haftpflicht im Prozeß nachzuweisen, eine Verpflich tung, welche die Zwecke des Gesetzes im hohen Grade beeinträchtigte, würde bei der neuen Regelung dieser Angelegenheit in Wegfall kommen. Das Reich würde auch die Versicherungsprämie billiger berechnen können, als Versicherungs-Gesellschaften, da es auf ein einträgliches Geschäft dabei nicht ab gesehen ist. Auf Grund des Socialistengesetzes wurden 2 ohne Angabe des Druckers erschienene Flugblätter verboten. Das eine betitelt sich „Neujahrsgrüße" und trägt die Unterschrift „Deutschland am Neujahrs tage 1881." Das andere enthält das „Programm der socialistischen Arbeiterpartei Deutschlands," einen Aufruf mir der Ueberschrift: „Arbeiter!" und ein aus 12 Paragraphen bestehendes Statut: „Organi sation der deutschen Socialdemokraten in der Schweiz." Der Papst hat an den Erzbischof von Dub lin ein Schreiben gerichtet, in welchem er die iri schen Katholiken ermahnt, das Gesetz zu respec- tiren. Irland würde Dasjenige, was es von der britischen Regierung, in deren Gerechtigkeit und Politische Fähigkeit er Vertrauen ausdrückt, weit leichter erlangen, wenn es sich streng innerhalb der Schranken des Gesetzes halte. Die Zahl der in der Sylvesternacht in Ber lin verhafteten Personen beträgt nach den Ermit telungen der „Post" 362. Der weitaus größte Theil, circa 75 pCt., wurde nach der Feststellung ihrer Persönlichkeit, wieder entlassen. Der übrige Theil stellte sich entweder als obdachlos heraus, oder die Vergehen waren schwerer Art und wurden diese Sistirten dem Polizeigewahrsam übergeben. Das gleiche Schicksal traf sämmtliche Eingelieferte weib lichen Geschlechts, deren Zahl sich auf 58 belief. Das „Mainzer Journal" schreibt: „Bekanntlich betheiligten sich die Juden in lebhafter Weise an der Agitation für Einführung der Commu nal schulen in hiesiger Stadt. Da aus jüdischen Kreisen auch nicht eine einzige Stimme dagegen laut wurde, so konnie man wohl mit Recht an- neymen, daß alle Juden Freunde der Simultan schulen waren. Allein was geschah? Nur ganz wenige, nicht einmal ein halbes Hundert jüdische Kinder kamen in die gemeinsamen Schulen und gerade jene Juden, welche am meisten für die Communalschulen geschwärmt, schickten ihre Kinder nicht in dieselben! Und wegen der paar jüdischen Kinder wurden aus einer Anzahl Schulsäle die Crucifixe entfernt und in dem Schulgebet die Namen Jesus Christus gestrichen." Sollte dies den Cyristen nicht die Schamröche ins Gesicht treiben? Ueber die antisemitische Bewegung in Berlin schreibt ein unbefangener Beobachter an die „Augsb. Allgem. Ztg.": „Die antisemetische Be wegung hurselbst hat einen derartigen Umfang an genommen, daß es, so unerquicklich und bedauerlich der Gegenstand auch sein mag, doch nicht mehr möglich ist, dieselbe zu ignoriren. Den Massen- Versammlungen in den Reichshallen und in der Bock-Brauerei werden weitere folgen, und zwar ist dem Vernehmen nach in Aussicht genommen, mehrere Versammlungen an demselben Tage in verschic- denen Stadttheilen abzuhalten, damit nicht länger behauptet werden kann, die Tausende von Theil nehmern seien gleichwohl immer dieselben Personen. Mi! der „christlich socialen Partei" ist diese Bewegung bekanntlich durchaus nicht identisch, sie rekrutirt sich auch aus wesentlich anderen Kreisen der Bevölker ung, uänuich mehr aus dem Mittelstände, während jene ihre hauptsächliche Verbreitung in Arbeiter- und kleinbürgerlichen Kreisen findet. Als Organ des Antisemitismuskanndieneuerlichbedeutend vergrößerte „Deutsche Landeszeitung" angesehen werden, ferner das Localblatt „Ostend-Zeitung", doch soll beabsich tigt sein, ein eigenes größeres Blatt ins Leben zu rufen. In welchem Maße diese Bewegung gegen wärtig in Berlin die Geister beherrscht, ist für den Außenstehenden kaum glaublich: an keinem öffent lichen Orte ist von anderem die Rede, und in einer Menge von Localen sieht man seit Jahresschluß statt der fortschrittlichen Blätter die antisemitischen, vielfach ausschließlich aufliegen. Eine Partei-Organi sation muß ohne Zweifel bestehen, da die Ein richtungen für Erhaltung der Ordnung in der riesenhaften Bockbrauerei-Versammlung (an der 5000 Personen theilnahmen, während vielleicht 10,000 um kehren mußten) in ebenso großartiger wre muster hafter Weise getroffen waren; doch ist die Leitung bis jetzt nicht in die Oeffentlichkeit getreten. Daß die Polizei durch die Anklagen der fortschrittlichen Blät ter wegen ihres Verhaltens in der Reichshallen-Ver- sammlung sich nicht hat irritiren lassen, geht daraus