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Dresdner Journal : 29.04.1887
- Erscheinungsdatum
- 1887-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188704293
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18870429
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18870429
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1887
-
Monat
1887-04
- Tag 1887-04-29
-
Monat
1887-04
-
Jahr
1887
- Titel
- Dresdner Journal : 29.04.1887
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WS?. Freitag, de» 28. April, adnid«. L«»UU»prvli r iLbrliebr....!» K»rtz. ^MrUcli: s Sl»rK »0 kk. LiLrelo» Iiu2ur»«r»: 1V kk. »»»««rluUd äo ävnt»cb«il Leicb«» tritt ko««- ooä 8tewp«I,v»cbI»^ tuoru. ^oliüoälxnilx,x«düdr«n r ?är 6so k»iuo einer b«^p^teo«v 2«U« kleiner 8ot»rikt Svkk. Unter „Lin^sennät" äis 2eile bv kl. ttei Ini-ellen- nn<t 2iSoro»>t» eotepr. äuk«eül»^. Lrsekeinen: lA^Iiek init ^ninntlnie äer 8onn- nnä keiertn^e ndenä». k«rnepr«oti-Xnsci»In»»: I^r. lLSb. Dres-nerIMMl. Für die Gesamtlettung veranlmortlich: Gtto Banck, Professor der titt-ratur- und Kunstgeschichte. l ' > Ü7 t . .ü l.^ 7 > . - »i V . iilS« tl-7-,^ ii ü- , l 1887. ^nnnkm« V«, ä»tz»LT1tz«»U«» »«vLrt,, r^iptt»: n. Lra^tetter, CowwiEoLLr äs« Oreeüner ^oarnnle; N«ad»r« -LerUn-Vt« - tetp^G-L»»«I->r,ün»-rr»nk1vr» «. ».: Äa<u«n«te,^ <e ko-I«-, L«rU» -Vt«» er»U-l.«p«tU -er»nU»r1 «. ». NS»«I»«. N-tti. Wn«e,' k»rt» l^iLäoL - >«rU» - ». >. - It»tlx»rr: Da»/»« <F I«rU»: ÜSrUU: <D äküL«', U»nL»v«r: O. L»U« ». I.: /. Luret «ö 60. U«r»a»xedrr r LSnisl. Lrx«Utioo ä«, l»reiner ^onrnni», vr«ä«o, Lvin^eritr. Xo. SO. t'erueprect» -s^»cUIu»»: Ur. IBSb. Ämtlicher Teil. Dresden, 28. April. Ihre Königl. Hoheit die Frau Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen ist heute Nachmittag 2 Uhr 27 Min. nach Berlin zurückgereist. Dreüden, 28. April. Auf Allerhöchsten Befehl wird wegen erfolgten Ablebens Ihrer Durchlaucht der Frau Fürstin Luise, Prinzessin zur Lippe, am Königlichen Hofe die Trauer auf drei Tage vom 29. April bi» mit 1. Mai d. I. angelegt Nichtamtlicher Teil. Telegraphische Wachrichten. Wien, 28. April. (W. T. B.) Rach einer Depesche auS HerkuleSdad find der König und die Königin von Rumänien heute zum Besuche der Kaiserin dort eingetroffen. Wien, 29. April. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Die HerreuhauSkommisfio« zur Beratung de- An- tragt Schmerling wegen des Gprachenerlasse- uahm den von der Mittelpartei gestellten Antrag an, welcher besagt, die Gesetzwidrigkeit des Sprachenerlafset könne aut den bestehenden Ler- ordnunßen nicht abgeleitet werden. Die Regierung werde jedoch avfgefordert, den von ihr selbst an erkannten bisherigen Bestand der deutschen Sprache als de« des inneren Dienstes bei Behörde« und Gerichten aufrecht zu erhalten. London, 28. April, abend». (W. T. B.) Un terhaus. Unterstaatssekretär Fergusson erwidert« auf an ihn gerichtete Anfragen, es sei nicht auzu- nehmrn, daß die Anknüpfung von Unterhandlungen zwecks Erneuerung des Handelsvertrag- mit Frank reich erfolgreich sein werde, iu Frankreich werde mehr als je sowohl von der öffentlichen Meinung, wie von den gesetzgebenden Faktoren die Pflege der inländischen Industrie und der Schutz deS ein heimischen Handel» begünstigt. Wa» die Diffe renzen zwischen Portugal und Sansibar anbelavge, so hätten die Regierungen beider Länder jetzt Spezialkommiffare behuf» Erörterung der Grenze ernannt, von feiten Portugal» seien die Beschlüsse der internationalen Abgren»ung»kommisfion, soweit dieselben die Ansprüche Portugal» auf streitige» Gebiet beträfen, nicht anerkannt worden. Da» Oberbau» nahm die Regierungsvorlage über den Zehnten in zweiter Lesung ohne beson dere Abstimmung an. Eia Telegramm auS Perth Western (Austra lien) meldet von einem großen Orkan, der am 22. d. dir Nordostküste heimgesucht und namentlich die Schiffe der Perlenfischer schwer betroffen habe. Es würden gegen 40 Perlevfischrrschiffe vermißt, die Mehrzahl derselben solle gescheitert, der übrige Teil ivS offene Meer Hinausgetrieben sein. Die Zahl der umS Leben gekommenen Personen werde auf mehrere Hunderte geschätzt. London, 2V. April, früh. (W. T. B.) DaS Unterhaus verwarf mit 34 l gegen 24N Stimmen den Unterantrag Reid und nahm den Antrag auf Übergang zur Spezialdebatte über die irische Straf- rechtSbill ohne Abstimmung an. London, 29. April. (Tel. d. DreSd». Journ.) Wie Reuters Bureau erfährt, sei noch immer Grund zur Annahme vorhanden, eS werde dem Emir von Afghanistan gelingen, seine Autorität über die Insurgenten wieder herzastellen. Sollte jedoch der Emir gestürzt werden, so seien bereits Pläne zur Verhinderung von Komplikationen er wogen worden, so daß der Sturz deS EmirS Eng land und Rußland Gelegenheit geben dürfe, ge meinsame Vorkehrungen zu treffen, um de» Krieg der Afghanstämme zu unterdrücken und Afghanistan unter einen von England und Rußland geschützte«, beiden Mächten genehmen Herrscher zu stellen. Dresden, 29. April. Die nihilistischen Umtriebe in Rußland. über die Entwickelung und die Lage der revo lutionären Parteien in Rußland fehlen un» fett längerer Zeit zuverlässige Nachrichten. Über die An fänge dieser Bestrebungen und ihre Weiterentwickelung nach der agrarsozialisttschen, kommunistischen und anar chistischen Richtung besitzen wir in dem Werke von Thurn: „Die revolutionären Parteien in Rußland" eine umfassende, auf den amtlichen, wie auf den Ver öffentlichungen der revolutionären Schriften und Zei tungen beruhende Hilfsquelle. Allein diese» Buch reicht nur bi» zu oem Tode Kaiser Alexander» II. E» behandelt noch das gegen seine Mörder eingeleitete Gerichtsverfahren. Von da ad wissen wir nicht» zu verlässiges mehr über die Vorgänge in Rußland. Erst die jüngsten Ereignisse bewiese«, wie widersprechend und unzuverlässig die St. Petersburger Nachrichten nach dieser Richtung hin sind. Neuerdings sind die Verhandlungen über die Ab sichten der revolutionären Parteien in Rußland wieder durch ein jüngst von einem gewissen BokhanoffSki ver faßtes, in den Zeitungen veröffentlichtes Schriftstück in Anregung gebracht worden, in welchem erklärt wurde, daß die russischen Nihilisten auf die „Propaganda durch die That" verzichtet hätten, daß also der neueste Anschlag gegen den Zaren nicht auf ihre Rechnung geschrieben werden dürfte. Hiergegen erhebt sich jetzt der frühere russische Oberst und anerkannte Führer der russischen Nihilisten in Paris, Peter Law- roff, und giebt in einer Unterhaltung mit einem Re- dakteur des „Matin" folgende in mehrfacher Beziehung interessante Auskunft: ,Zch habe keme Ahnung davon, wer den französische« Blättern die Nachricht von der neuen Taktik der Nihilisten hat geben können. Ich habe sogar nicht einmal verstanden, wa» man damit sagen will, aber ich kann versichern, daß kein ein ziger der russischen Flüchtlinge mit gutem Gewissen seine Un terschrift unter ein solche» Schriftstück setzen könnte. Niemand ist heute im stand« zu sagen, wie die Nihilisten handeln wer den; denn e» giebt in Rußland keine einheitlich« nihilistisch« Partei mehr, sondern mehrer« von einand«r unabhängig« Gruppen, die nach eigenem Ermessen handeln. Um diesen Zustand richtig zu verstehen, muß ich kurz auf die Geschichte de» Nihilismus eingehen. Vor dem Anschlag der Wer» Sassu- litsch gegen Trepoff hatten die NihUistrn den Grundsatz auf- gestellt, daß, wenn die Regierung die „Propaganda durch Ueberredung" hindere, man zur „Propaganda durch Gewalt- thätigkeiten" übergehen könne. Die Regierung legte nun in der That der sozialistischen Bewegung Hindernisse in d«n Weg. Sie schickt« Frau Subalin und ihr« dr«i Töchter nach Sibiri«n, obgleich deren einziges Unrecht darin bestanden hatte, ihr gan zes Vermögen zur Verbreitung unserer Ideen zur Verfügung zu stellen. Trotzdem war die theoretisch anerkannt« „Propa ganda durch Gewaltthätigkeit" noch nicht in di« Praxis über- tragrn worden. Nun folgte die Freisprechung der Wera Sassulitsch, ein Ereignis, das in ganz Rußland mit lauten Beifallsrufen ausgenommen wurde. Die Folge war, daß die Nihilisten sich stacker glaubten, als sie wirtlich waren, und ein Kongreß aller Verzweigungen wurde in Zgierz abgehalten. Aus diesem Kongreße entstand di« „Narodnaja Wolja." Die» ist die einzige Parteiorganisation in Rußland, die «ine vor zügliche regelrechte, in alle Kreis« der Bevölkerung sich erstreckende Einrichtung hatte. An der Spitze der „Narod naja Wolja" stand ein leitender Ausschuß, d«r di« nöli- Lagestztschichte. * Berlin, 28. April. Im Laufe de» heutigen mittag» arbeitete Sr. Majestät der Kaiser mit dem Lhef de» MllitärkabinetS, General der Kavallerie und Generaladjutanten v. Albedyll, hatte eine Konferenz mit dem Krtegsminister, Generallieutenant Bronsart v. Schellendorff, und unternahm eine Spazierfahrt <m offenen Wagen. Am Abend findet bei den Karferl. Majestäten im Runden Saal de» Königl. Palals eine größere musikalische Abendunterhaltung statt, zu wel cher etwa 230 Einladungen ergangen sind. Unter den Geladenen befinden sich außer den Mitgliedern der Königl. Familie und den zur Zeit noch hier anwesen den landsässigen Fürstlichkeiten und deren Gemahlin nen u.s. w , auch die sämtlichen Ehefs der Missionen, welche zur Zeit hier anwesend sind, und die bei den hiesigen Gesandtschaften beglaubigten Militärattache», höhere Offiziere, einige Oberhof- und Hofchargen und andere hochgestellte Personen. Anläßlich der Ernennung de- Prinzen Albrecht, Regenten von Braunschweig, zum Rektor der Göttinger Universum haben der Senat derselben, sowie die städtischen Behörden von Göttingen dem Prinzen Huldigungsadressen überreicht. Der Prinz sagte in seiner Erwiderung an die Abordnung der Univer sität, daß er die ihm zu test gewordene Auszeichnung demütig anerkenne, er habe diese Ehre nicht er beten, sie sei ihm vielmehr überraschend gekommen. Sodann dankte er dem Prorektor noch besonder» für die dargelegte Auffassung des Verhältnisse» der Uni versitäten zu der Armee in Beziehung auf den gleich artigen Einfluß beider auf die Erziehung der Jugend und die Bildung de» Volke». Ein solches Wort ge rade in dieser Zeit und aus dem Munde des Prorek tors der „Georgia-Augusta" sei von ganz besonderer Bedeutung; auch die Armee sei iu der That eine Er ziehung-- und Bildungsschule der Natton, und diese Schule habe sich bewährt. Der Kaiser!, deutsche Botschafter am russischen Hofe, General der Infanterie und Generaladjutant v. Schweinitz, bat gestern abend seine Rückreise noch St. Petersburg fortgesetzt. Der Reichstag hat seine Plenarsitzungen vor- läufig unterbrochen und wird erst am 5. Mai die ge meinsamen Beratungen wieder aufnehmen in der An nahme, daß bis dahin die zahlreichen Kommissionen genügende» Material für die Arbeit de» Plenum» ge liefert Haden werden. DaS Herrenhaus genehmigte i» seiner heutigen etwa 1 stündigen Sitzung die Vorlage bett. Ergänzun gen des Ausführungsgesetzes vom 24. April 1878 zum deutschen GerichtSverfassungSgesetz und bett, die Orga« nisatton der Berufsgenossenschasten, sowie die rheinisch« SubhastationSnovelle unverändert in der Fassung deS Abgeordnetenhauses; die nächste Sitzung zur Beratung kleinerer Vorlagen findet Sonnabend 12 Uhr statt. DaS Abgeordnetenhaus setzte heute die zweite Beratung des Gesetzentwurf», bett, die Gewährung einer staatlichen Subvention an die Provinzialhilf»- kasse für die Rheinprovinz behufs Hebung de» Grund- kredits fort. Abg. Frhr. v Erssa-Werneburg giebt das Bedürfnis einer staatlichen Subvention zu, obgleich die reiche Provinz eigentlich die Summe auS eigenen Mitteln ausbringen könnte. Die Vor lage werde, wie er hoffe, der Vorläufer einer Regelung de» Kreditwesens für den Staat werden. Er sei ein Freund der Selbsthilfe, aber es gebe Fälle, in denen der Staat, wie hier, einspringen müße. Die unbeschränkte Solidarhaft müße einer beschränkten weichen. Zum Schluß plädiert er für Erhöhung der Getreidezölle. Abg v. Körber spricht sich für da« Besetz und die Aus- drhnung desselben aus den Staat aus, beklagt jedoch die Not lage der Landwirtschaft. Abg. v. Rosenberg-Gruszczynsk erklärt sich für, Abg kr. Arendt gegen die Vorlage und erhofft einen baldigen Sieg der bimctallistischen Sache in England. Wenn g«n Beschlüße faßte und überall unbedingten Gehorsam fand, der sich in einer DiSciplin, einer Hingabe und einer Todesverachtung autdrückte, von dem Sie keinen Begriff hab«n. Der Ausschuß hatte als Organ den 6« Iu Voloaiv äu keupl«, der in Genf veröffentlicht wurde und dessen Re dakteur ich damals war. Diese» testende Komitee führt« d«n TerroriSmu» in Rußland ein. Ihm ist d«r Versuch zuzu- schrriben, da» kaiserlich« PalaiS in dir Lust zu sprengen; dieser Ausschuß hat die Sprengung an Lotterpala-.ä angeordnet und schließlich Alexander II. töten lassen Unter den nach dieser letzten That Verhafteten befanden sich mehrer« Mitglieder de» Ausschußes, so Scheljaboff, Kibaltschik und die PerowSka. Nach dem Tod« Alexanders ll. beschloß der Ausschuß, Handlungen der Gewaltthätigkeit bi» zum Krönung»festr aufzuschieben. Während eine» ganzen Jahr«» glaubte man daher, daß die Nihilisten nicht mehr vorhanden wären. Hierin täuschte man sich vollkommen: der leitend« Ausschuß halt« abwarten wollen, in welcher Weise Alexander II l. regieren werd«. So gleich nach Krönung de« Zaren fingen dir Angriff« wieder an. Hier will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die auffallend und romanhaft au»fieht, aber in allen Einzelheiten wahr ist. Da mals nahm derOberstSudeikin in der russischen Gendarmerie eine hervorragend« Stellung ein. Er war sehr ehrgeizig, konnte aber nicht höher steigen, weil e» ihm noch nicht ge lungen ivar, mit dem Zaren in persönliche Verbindung zu kommen. Man muß aber anerkennen, daß Rußland einen solchen Polizeimann niemalt gehabt hat und wohl niemals wieder haben wird. Er verstand e», mit seinen Gefangenen umzugehen, wie kein anderer. Es gelang ihm so, in den Ausschuß der Narodnaja Wolja Leute hineinzubringen, die ihm als Spione dienten. Eines Tages verhaftete er Dege- jeff, eine» d«r Mitglieder deS Ausschüße». Statt ihn roh zu behandeln, versucht« er ihn zu überzeugen. Er forderte ihn auf, sich von seinen Kameraden, den Terroristen zu trennen; sobald dies« unschädlich gemacht sein wür den, werde der Kaffer mit größter Bereitwilligkeit seinen Unterthanen größere Freiheiten zugestehen. Er fing es so geschickt an, daß er Degejeff überzeugte und bewog ihn, ihm als Spion zu dienen. Da Degejeff aber Mitglied de» Ausschüße» war, wurde Sudeikin natürlich über alles aufs beste unter- richtet. Wie viel Leute dieser Mensch hat nach Sibirien ver schicken und hängen laßen, ist unberechenbar. Bei Degejeff vollzog sich aber eine Änderung, die mir bis heute noch un erklärlich geblieben ist. EineS Tages macht« er nämlich dem Ausschuss« ein vollständige- Geständnis, obgleich er nicht im mindesten beargwöhnt oder der Gefahr einer Entdeckung au», gesetzt war. Der Ausschuß, statt Degejeff selbst mit dem Tod« zu bestrafen, befahl ihm, Sudeikin zu töten. Degejeff ge- horchte ohne Zögern und tötete Sudeikin am 28. Dezember 1883. Er wurde nicht verhaftet, ist aber seitdem verschwun den. Die Preße meldet von Zeit zu Zeit seine Verhaftung, doch waren diese Nachrichten jedeSmal irrtümlich. Dies« An gelegenheit war aber ein schwerer Schlag für die Narodnaja Wolja. Man entdeckt« noch andere Spione innerhalb der Packei, Mißtrauen bemächtigte sich des Ausschußes, sodaß viel« Mitglieder sich von ihm trennten und besondere Gruppen bil deten. Früher, al» die Narodnaja Wolja und ihr leitender Ausschuß bestand, konnte man in die Lage kommen, zu sagen, daß die Nihilisten diese oder jene Taktik befolgen würden. Heute ist daS nicht mehr möglich. Es giebt nur noch Grup pen, die sich wohl gelegentlich helfen, aber nur ihren eigenen Ideen folgen und keiner gemeinsamen Oberleitung gehorchen." Diefe Mitteilungen de» Peter Lar off klingen in- terefsant, sogar nicht ganz unwahrscheinlich Doch ver steht e» sich von selbst, daß man sie vorläusig nur al» eine unerwiesene Möglichkeit bezeichnen kann, ja daß sie sogar, von einem Parteimanne ausgesprochen, die Absicht der Irreführung in sich tragen könnnen. Jedenfalls ergiebt sich daraus, daß die Findigkeit der russischen Polizei die Bande zerschnitt, welche verschiedene Ab teilungen der nihilistischen Partei mit einander ver knüpfte. Der vielfach von Russen auSgestreute Ge danke, daS die anarchistische Partei ohne Mittel und nur noch auS Personen zusammengesetzt sei, die ihren Beruf verfehlt haben, muß zu den verbrauchten schwachen Tröstungen für Unwissende gezählt werden. Niemand weiß, wie tief und wie hoch die Fäden ver zweigt sind. Jeder aber hat Ursache, sich mit Vorsicht und Argwohn zu wappnen gegenüber einer Verschwö rung, die mehr als Rußland bedroht. Feuilleton. Im Urwald.*) Brasilianisch« Erzählung von B. Riedel-Ahrens. I. Umschlossen von den gigantischen Bäumen de» Ur walde» der brasilianischen Provinz MinaS, liegt im Thal, inmitten einer fast kreisförmigen Lichtung, ein kleine» Farmhau» mit den entsprechenden Nebengebäu den; über dem ziemlich niedrigen Strohdach ragen zu beiden Seiten und im Vordergrund« schlanke Palmen hoch empor, die ihre zierlichen, im leisen Windhauch flüsternden Kronen gegen den sonnigheitern Himmel abznchnen. E» wird Abend, — die schwermut-volle Ruhe der tiefen Einsamkeit senkt sich langsam auf alle Gegen stände nieder; dann beginnt ein geheimnisvolle» Schaffen in der Pflanzenwelt, die Tiere der Nacht erwachen zu regem Leben. Auf dem schmalen Wege, welcher von dem Dorfe Santa Anna her durch das Dickicht in die Lichtung mündet, ritt um diese Stunde, wo die letzten Stroh- len der Abendsonne das Blätterwerk des Riesendome» streiften, ein junger, elegant gekleideter Mann auf emem kräftigen Pferde von edler Rasse. Der feine, weiße Panamahut beschattete ein schwarzgelockte» Haupt, dessen brünette und ausdrucksvolle Züge einen unge wöhnlichen Ernst, der fast an Trauer grenzte, au»- drückten. Er ließ da» Tier im Schritt gehen und *) Nachdruck iutt«ffagt blickte nachdenkend vor sich hin, bi» plötzlich der An blick der nahen Lichtung ihn au» seinem Sinnen weckte. Er hielt die Zügel an, zog seine Uhr und sah sich nach allen Seiten um; vor ihm, in dem sanft sich neigenden Thal — lag frieden»voll die palmenbeschat tete Farm in dem weiten Kranze de» dunkelansteigen den Urwalde». — „Sonderbar", dachte der einsame Wanderer, „ich habe mich verirrt; man sagte mir in Santa Anna, ich käme auf meinem Wege nach Villa Nova an keinem einzigen Hause vorüber. Nun bin ich schon gezwun gen, die Leute hier um ein Nachtquartier zu bitten, da ich nicht weiß, wie weit e» ist bi» zum nächsten Dorfe, und welche Richtung ich nach dort einzuschlagen habe; außerdem bin ich müde, möchte nicht noch meh rere Meilen zurücklege»." Er gab dem Pferd« dl« Sporen und hielt einige Minuten später aus de« freien Platze vor dem Gebäude an. Im selben Augenblicke erfaßte ihn ein eigen tümliche-, beklemmender Gefühl, unheimlich, wie die Vorahnung eine- Geschicke«, dem er nicht mehr ent rinnen konnte; er zögerte, wie ermahnend trieb e» ihn zur raschen Umkehr, doch e- war »u spät In der Hau-thür, welch« in der Mitte pfortenartig geteilt war, erschien jetzt die breitschulterige Gestalt eine» Manne» anfang- der Vierziger, in der einfachen, leich ten Kleidung de- minarischen Farmer». „Guten Abend, Senhor", sagte der Neuangekommene, auf den da» offenblickende, von dichtem schwarzem Vollbart umrahmte Antlitz de» Manne» einen günstigen Ein- druck hervorbrachte, „Verzeihung, wenn ich so fpät »och störe, ich habe «ich auf dem Wege zu meiner Mutter in Valle rico, vierzig gute Meilen von hier, verirrt, und möchte Sie bitten um Obdach für diese Nacht. Mein Name ist Alvaro de Eastella Branco, ich habe vor einigen Wochen mein Examen al» Dok tor der Medizin in Sao Paulo abgelegt." „Steigen Sie vom Pferde, Senhor, und seien Sie mir tausendmal willkommen", entgegnete der Besitzer der Farm, Senhor Martinos, indem er seinem Gaste herzlich die Hand schüttelte. „Sie sind ein Arzt, gar einer, der wirklich studiert hat in Sao Paulo? Welch ein glücklicher Zufall oder war e» der Beschluß eines höheren Willen», der Sie hierher führte!" Auf einen Wink de» Besitzers näherte sich ein Sklave, um da» Pferd Alvaros nach dem Weideplätze zu führen, die seiden Männer aber betraten das Hau», dessen Haupteingang in einen ziemlich großen, aber wohnlich au»gestatteten Raum führte, der von den Bewohnern der Farm al» Speisesaal benutzt wurde. „Sie sehen mich ungewöhnlich erfreut, Sie in meinem bescheidenen Hause begrüßen zu dürfen," be merkte Martino», während er mit einer Handbewegung den jungen Mann einlud, an dem in der Mitte stehenden, zum Abendbrot gedeckten Tische Platz zu nehmen, „ich hoffe, Eie werden nicht daran denken, mich sobald wieder zu verlassen, nachdem ich Ihnen mitteilte, um wa» e» sich handelt, Senhor! Sie sehen mich in einer gewissen Ausregung; ich habe nämlich eine einzige Tochter, Namens Serena, kaum siebzehn jährig, feit früher Kindheit mutterlose Waise, da» arme Ding! — die liegt seit heute morgen in heftigem Fieber, so daß ich ernstlich um ihr Leben besorgt bin. Gi« kränkelt schon feit mehreren Wochen an dem bösen Sumpffieber, einer Krankheit, die sich von Zeit zu Zeit in dieser feuchten Gegend bemerkbar macht." „Und kein Doktor ist irgendwo in der Nähe?" fragte Alvaro teilnehmend. „Nein, daS ist's eben", antwortete Martino» in seiner schnellen Sprechweise, mit der Beweglichkeit de» südlichen Temperaments, „eS giebt wohl einen in Santa Anna, fünf Meilen von hier, aber du lieber Himmel, er ist auch danach; so ein Mensch, der da« Rezeptbuch seine- verstorbene» Vater- durchgelesen, und darauf hin Vieh und Menschen kuriert, daß e» eine Art hat. Nein, nein, einem solchen vertraue ick mein Kind nimmermehr an, da wollen wir doch lieber d«r gütigen Natur ihren Willen lassen! Also Sie bleiben, Senhor Doktor, e» hat mit Ihrer Reise doch hoffent lich nicht so große Eile?" „Nein", bemerkte Alvaro, indem er mit der weißen Hand den kleinen Schnurrbart von der Lippe strich. ,Lch komme von d«r Universität, und wollte nach Balle rico, meine arme, alte Mutter daselbst zu besuchen; von da gehe ich später nach Bom Jesu», wo mein Onkel, in dessen Hause ich erzogen bin, gestorben ist; er hat mich m seinem Testament zum einzigen Erben seine- sehr bedeutenden Vermögen- eingesetzt, bei dem Akte der Eröffnung muß ich gegenwärtig sein." „Sie Glücklicher", sagte Martino-, und sein leuch tender Blick ruhte mit sichtbarem Wohlgefallen auf der sympathischen Gestalt de» jungen Arzte», „da steht Ihnen ja die Welt nach allen Seiten hin offen! Jung, hübsch, reich, liebenswürdig und gelehrt — wa« will man mehr? da wundert's mut', daß Sie bei alle dem so ernst dreinschauen, Senhor."
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