Volltext Seite (XML)
Freitag. 100 20 December 1861. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post anstalten. Preis Weißerih-Ieitung pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8 M- Amts- und Anzeige- Klatt -er Königlichen Gerichts-Aemter nnö Stadträthe zs Dippoldiswalde, /ranenflein and Attenberg. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Briefe über Gewerbefreiheit. i Herr Redacteur! Noch ivenige Tage, und die Saiger stunde schlägt, mit welcher das neue Gewerbegesetz vom 15. October d. Js. in Wirksamkeit tritt. Der Sylvesterabcnd sollte Heuer in der That voni ganzen Volke besonders gefeiert werden, denn mit ihm fallen die bedeutendsten Schranken der freien Arbeit, und mit dem Neujahrsmorgen beginnt das Recht der freien Arbeit. Kaum glaublich wird es den fol genden Generationen erscheinen, wie dieses angeborene Men schenrecht, welches der bedeutendste Staatsmann unseres Jahr hunderts, Freiherr von Stein, schon 1807 in sein Programm zur Wicdererhebung Preußens ausgenommen hatte, so lange beschränkt bleiben und erst in der 2. Hälfte des 19. Jahr hunderts gesetzlich anerkannt werden konnte. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit des genannten Gesetzes für das wirthschaftliche Leben des Volks, bei der Thatsache, daß Gesetze sehr wenig gelesen zu werden Pflegen, glaube ich mir ein kleines Verdienst um den großen Theil derjenigen Leser Ihres Blattes zu erwerben, denen dasselbe neben dem Kalender die einzige profane Lectüre bietet, wenn ich ihnen Gelegenheit gebe, die hervorragendsten Grundsätze der Gewerbegesetzgebung, sei es hinter dem Ofen oder am Biertische, zu studiren. 8. 3 des Gewerbegesetzes lautet: „Der selbstständige Betrieb eines jedenGewerbes, welches in Folgendem (§. 8—37) nicht ausdrücklich an die Erfüllung gewisser Bedingungen geknüpft ist, steht unter Beobachtung der in diesem Gesetze enthaltenen Vorschriften, jedem dispositionsfähigen Inländer, welcher das 24. Lebensjahr vollendet hat, ohne Unterschied des Geschlechts und ohne Beschränkung in der Wahl des Ortes frei." Dieser unstreitig wichtigste 8- des ganzen Gesetzes hat Vielen Freude bereitet, Anderen Schrecken eingejagt und die große Menge neugierig gemacht. Wie wird's werden? hört man oft fragen: und doch ist diese Frage so müßig und vergeblich, wie die, was für Wetter zum 1. Januar ein treten wird. Niemand vermag zu beantworten, welche Folgen die Gewerbesreiheit in: Einzelnen haben wird; die Erfahrung eines Jahrzehnds wird erst genügende Antwort geben. Statt uns also in Vermuthungen über diese Frage zu ergehen, wollen wir'uns den citirten 8- etwas näher ansehen. Also jeder Mann und jede Frau, selbstständig und im Alter von wenigstens 24 Jahren, kann ein beliebiges Ge werbe betreiben, ohne Lehrling, Geselle oder Meister zu sein; ist mithin berechtigt, Stiefeln und Schuhe, Hosen und Röcke, Schlösser und Nägel, Tische und Stühle, Semmeln und Würste, Töpfe und Tiegel u. s. w. nach Belieben zu verfertigen und zu verkaufen. Das sieht freilich gefährlich aus. Jndeß wird nicht jeder Handarbeiter oder Dienstbote, oder Bauer, oder Gelehrter ohne Weiteres ein Gewerbe ansangen, von dem er gar nichts versteht. Das Publikum kaust da, wo es solide und Wohlseile Waare bekommt, und um dergleichen Waare herzustellen, muß man das betreffende Gewerbe gelernt haben. Niemand wird sich Rock und Hosen bei einem Mann« machen lassen, der nicht mit der Nadel umzngehen weiß. Nun kann man sich zwar Gehülscn halten, die das Gewerbe verstehen; allein, dazu gehört wieder Geld, viel Geld. Wenn nun die Capitalisten, besonders in kleinen Städten, nicht so dicke herum laufen, auch gewöhnlich vorsichtige Leute sind, die sich nicht gern in Dinge einlassen, von denen sie nichts verstehen, so ist von dieser Seite wenig zu fürchten. Die nächsten Folgen der Gewerbesreiheit werden deshalb, glaube ich, nur die sein, daß sich einige heirathslustige Gesellen ctabliren, ohne das Meisterrecht zu erlangen. Außerdem wird wahrscheinlich der Handel, den ungefähr Jeder zu verstehen glaubt, eine Anzahl Concurrenten auswachsen sehen; sonst aber wird es beim Alten bleiben, d. h. Jeder, der ein Hand werk betreiben will, wird es lernen müssen, wenn er in der Welt fortkommen will. Nur das überflüssige Geld für das Meisterrecht kann erspart werden. Von großer Tragweite ist die Bestimmung, daß auch Frauen berechtigt sind, jedes beliebige Gewerbe zu betteiben. Bisher war das Arbeitsgebiet des weiblichen Geschlechts so beschränkt, daß daourch die bedrohlichste Concurrenz hervor gerufen, und die Arbeitslöhne auf das niedrigste Maaß herab gedrückt wurden. Eine Frau konnte bisher nur mit Mühe täglich 5 Ngr. bis 7>/2 Ngr. verdienen. Ich betrachte es daher als einen Act der Gerechtigkeit, wenn das neue Ge werbegesetz dem weiblichen Geschlecht gleiches Recht der freien Arbeit einräumt, wie den Männern. Welchen Gebrauch das Frauengeschlecht von diesem Rechte machen wird, das wird eine -der interessantesten Beobachtungen der Zukunft sein. Inzwischen halte ich es für eine der ernstesten Ausgaben der Familienväter, ihrm der Schule entwachsenen Töchtern eine Erziehung zu geben, die sie in Stand setzt, für den Fall des Nichtheirathens, ein Gewerbe selbstständig betreiben zu können. Man lasse also den Mädchen ein Handwerk lernen, zu dem sie Geschick und Talent haben. Zunächst meine ich, wird es einen harten Kamps kosten gegen die angeborene und anerzogcne Schüchtern heit und Unselbstständigkeit des Frauengeschlechts, ehe Eine davon einen selbstständigen Gewerbebetrieb eröffnet; indeß wird das Beispiel einzelner Muthigen das Eis zu brechen im Stande sein, zumal wenn diese Versuche vom Glücke begünstigt wer den. Freilich eignet sich nicht jedes Gewerbe für das weibliche Geschlecht, z. B. die eine größere Körperkrast beanspruchenden Gewerbe der Tischler, Schmiede rc., auch werden sich manche Gewerbe nicht mit der ziemlich zweckwidrigen Kleidung der Frauen vertragen; dennoch giebt es immerhin eine große Anzahl Gewerbe, die von Frauen ebenso gut, als von Män nern bettieben werden können. Zuvörderst hoffe ich jedoch