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sehr viel früher hatte sich Schumann mit dem Plan eines Klavierkonzertes be schäftigt, bereits von dem 17jährigen existieren Notizen über den Entwurf eines Konzertes in E-Dur, dem während seiner Studienzeit in Heidelberg die Arbeit an einem anderen in F-Dur folgte; von beiden Entwürfen ist jedoch nichts mehr erhalten. Das Klavierkonzert a-Moll op. 54 entstammt den Jahren 1841 bis 1845. Nachdem der Komponist 1841 den ersten Satz des Konzertes als selbständige „Konzertphantasie für Klavier und Orchester" vollendet hatte, ent standen erst vier Jahre später die beiden anderen Sätze des Werkes. Die Urauf führung fand am 4. Dezember 1845 mit Clara Schumann als Solistin in Dresden statt, kurz danach wurde es auch im Leipziger Gewandhaus, hier unter der Lei tung Felix Mendelssohn Bartholdys, aufgeführt. Der große Erfolg, den das Werk von Anfang an hatte, ist ihm stets treu geblieben. Tatsächlich stellt das a-Moll- Klavierkonzert — Schumanns einziges Konzert für dieses Instrument — nicht nur eines der genialsten und auch der bekanntesten Werke des Meisters dar, son dern gehört zu den schönsten und bedeutendsten Schöpfungen dieser Gattung überhaupt. Zu einer Zeit geschrieben, als die von Mozart und Beethoven ge prägte klassische Form des Klavierkonzertes viele Komponisten dazu verführte, unselbständig diese großen Vorbilder nachzuahmen, brachte Schumann in sei nem Konzert in schöpferischer Weiterentwicklung, dem neuen Geist seiner Epochs entsprechend, formal wie inhaltlich Neues und Eigenes. Das Klavier steht bei ihm, dem Klavierkomponisten von stärkster Eigenart mit neuen, kühnen Klangkombina • tionen und Wendungen zwar unbedingt im Mittelpunkt des Geschehens, ist dabei aber ganz in den Dienst der Kompositionsidee gestellt und verzichtet — trotz schwierigster Aufgaben für den Solisten — vollkommen ouf jede äußerliche Virtuo sität und leere technische Brillanz. Gleichzeitig jedoch gelingt Schumann in sei nem Klavierkonzert — im Gegensatz zu Chopin, dem einzigen Meister der Zeit, der ihm in der Gestaltung des Klavierparts seiner beiden Konzerte kongenial ist — auch eine großartige Verschmelzung von Klavier- und Orchesterklang, die Schaf fung einer Einheit zwischen solistischem und sinfonischem Element. Soloinstrument und Orchester dienen in schönster gegenseitiger Durchdringung gemeinsam dem musikalischen Ausdruck, der Darlegung einer unermeßlich reichen Fülle von Ge danken, Gefühlen und poetischen Stimmungen, in herrliche Melodien und edle Formen gefaßt. „Tenor des Werkes ist die Sehnsucht und das Glück zweier liebender Menschen, von Schumann selbst in seinem Kampf um Clara erlebt und nun, künstlerisch um gesetzt, allgemeingültig gestaltet. Das den ersten Satz bestimmende Hauptthema prägt in abgewandelter Form auch die Themen der übrigen Sätze. Es ist der Melo die der Florestan-Arie aus Beethovens .Fidelio' (Beginn des 2. Aktes) eng ver wandt und verdeutlicht dadurch noch mehr, wie die diese Oper beherrschenden Themen der Gattentreue und des Freiheitskampfes — für Schumann der Kampf gegen alles Philisterhafte, wie er sich im Programm seiner Davidsbündler mani festierte — auch sein entschiedenes Anliegen waren" (R. Bormann). Drängende Leidenschaft und Sehnsucht bestimmen den Charakter des 1. Satzes (Allegro affettuoso). Nach einer kraftvoll-energischen Einleitung durch das Kla vier ertönt zuerst in den Bläsern, dann vom Solisten wiederholt, das schwärmeri sche Hauptthema, das in seinen Motiven als Leitgedanke des Werkes in allen Sätzen wiederkehrt. Darauf entwickeln sich in reizvollem Wechsel zwischen Or chester und Solisten nacheinander eine Reihe der verschiedenartigsten Bilder und Stimmungen, wobei das Hauptthema mit seinen einzelnen Teilen, dem hier kein eigentliches zweites Thema entgegengestellt wird, in wechselnder Beleuchtung, der Phantasie breitesten Spielraum gebend, den Verlauf des Satzes beherrscht. Die Reprise hat ihren Abschluß und Höhepunkt in der breit angelegten, verinner lichten Kadenz des Soloinstrumentes. Kraftvoll vorwärtsstürmend wird der Satz danach abgeschlossen. Völlig entgegengesetzt erscheint der kurze 2. Satz (Intermezzo — Andantino gra ziöse), der durch die überaus poetische, graziöse Wiedergabe ruhiger, gelöster Empfindungen gekennzeichnet wird. In feinem Dialogisieren zwischen Klavier und Orchester über ein Thema, das dem Hauptthema des 1. Satzes entstammt, ent faltet sich ein anmutiges, subtiles Spiel. Der kantable Mittelteil des Inftermezzos bringt ein ausdrucks- und gefühlvolles Thema, das zuerst von den Celli vorgetra gen wird, während sich das Klavier in zarten Arabesken ergeht. Auch das schwungvolle, frische Hauptthema des unmittelbar anschließenden Finalsatzes (Allegro vivace) wurde aus dem Hauptthema des 1. Satzes gewonnen, und zwar diesmal durch eine rhythmische Verschiebung. Das sprühende, fast tänzerisch anmutencle Finale nimmt einen leidenschaftlich bewegten, farbigen Verlauf und endet auch nach einer im wesentlichen vom Soloinstrumernt getragenen Schluß steigerung in lebensbejahender, freudig-weltzugewandter Haltung. Felix Mendelssohn-Bartholdy, der musikalisch von einer seltenen Frühreife war, besitzt in der Musikgeschichte ein dreifaches Ansehen: als Organi sator (so gründete er beispielsweise das Leipziger Konservatorium als erstes in Deutschland und brachte Bachs Matthäus-Passion hundert Jahre nach ihrer Ur aufführung erstmalig wieder zum Erklingen), als Dirigent der Leipziger Gewand hauskonzerte (hinzu kam seine ausgedehnte Konzerttätigkeit in Berlin, London und anderen Städten) und nicht zuletzt als Komponist zahlreicher Werke für die verschiedensten Gattungen, die zu den schönsten Zeugnissen der Musik des 19. Jahrhunderts gehören, wie die geniale Musik zum „Sommernachtstraum", das Violinkonzert, die „Schottische" und „Italienische Sinfonie". Mendelssohns form vollendete Tonsprache erwuchs oft aus Natur- und Landschaftserlebnissen — wie im Falle der 3. Sinfonie a-Moll (der „Schottischen") und der Hebriden-Ouvertüre, die die Früchte einer Schotltlandreise waren. Ebenso entstand die Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90, die „Italienische", während einer Italienfahrt des 21jährigen Bankiersohnes Mendelssohn. Von Rom berichtete er 1830: „Die Italienische Sinfonie macht Fortschritte; es wird das lustigste Stück, das ich ge macht habe." Die Sinfonie wollte er nicht beenden, ehe er Neapel gesehen hatte, „denn das muß mitspielen". Die erfolgreiche Uraufführung des Werkes fand 1833 in London statt. Das liebenswürdige Stück hieltet keinerlei Probleme. Der Komponist folgt dem klassischen Sinfonieschema konsequent. Er musiziert in der „Italienischen" vor wiegend einfach, heiter und lebensfreudig. Die lichterfüllte Welt des Südens begegnet im jugendlich-jubilierenden, frohbeschwingten Hauptthema des ersten Satzes. Der zweite Satz, zu dem Mendelssohn durch eine Prozession in Neapel angeregt worden sein soll, gibt sich dagegen mehr elegisch, balladenhaft. Der dritte Satz, ein Menuett, gemahnt eher an einen Schubertschen Ländler als an ein Bild aus der italienischen Landschaft. Der Trioteil malt mit weichem Hörner klang den Zauber des deutschen Waldes, den Mendelssohn selbst in Italien nicht vergessen konnte. Genial ist das Presto-Finale, ein leidenschaftlich dahinwirbeln der „Saltarello" (Springtanz; das Tanzthema erklingt in den Holzbläsern), der, aus der neapolitanischen Volksmusik übernommen, ein mitreißendes Bild aus dem italienischen Volksleben mit seiner ausgelassenen Fröhlichkeit trotz elegi scher Episoden zeichnet. Dieser Satz ist ein typischer geistsprühender, elegant schwungvoller Mendelssohn, der jeden Hörer wohl in seinen Bann zwingit. Dr. habil. Dieter Härtwig Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1975/76 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 1,5 T ItG 009-18-76 »hiharmonie 2. SONDERKONZERT 1975/76