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* ^ Mittwoch den 8. April LV«8. 7. Jahrgang. Sächsische KolksMnK LSLLSLSLU k «MlidS^ia,« T^klntt W. ^nl,nt!>! MSMMLWWÄM V«Mj«U« od. deren Raum mit IL4 berechn-, bet «tederh. bedeut.«abai .. ^ «eschS»t»ftell«, Drebd» Vtllnitze» «t»a»e 4». — Kernlvre-ber Nr. IS«. I Nlllldhiiagiges Tageblatt flr Madrheit, Recht n. Freiheit > 1-086 ctsr l<öni§I. Läelisisek. ^ t.Lnctssio^sr'is ^ 2isbung 5. XIL88S 8. st^pril bis 1. Llai swxLsblt. auä vsrsvnäsd VfilLvIin Dar, Vre^ävn kkvtinknllvr^lr. 15, Letzv Meptiaickvnstr. — ^srnnprsoksl 3004 Tie katholischen Krankenschwestern in Sachsen. Dresden, der. 7. April l908. Die Debatte über Kapitel 97 des Etats, die Staats unterstützung katholisckjer Kirchen und wohltätiger Anstal ten betreffend, gab dein nationalliberalen Abgeordneten Dr. Vogel-Dresden eine erwünschte Gelegenheit, die Regierung über die in Sachsen wirkenden barmherzigen Schwestern zu interpellieren. Er kam damit einer Auf forderung des Evangelischen Bundes nach, der einen auf seiner 19. Hauptversammlung in Riesa am 23. September 1907 gehaltenen Vortrag über die Gefahr der lieber- schwemmung Sachsens mit Grauen Schwestern an sämt liche Landtagsabgeordnete mit dem Ersuchen um Einschrei ten versandte. Auch sei, wie der Interpellant mitteilte, vom Evangelischen Bunde eine Eingabe an das Kultusmini sterium gerichtet worden, die sich auf die fortdauernde Ver mehrung der katholischen Schrvestern beziehe; die Eingabe sei aber vom Ministerium abgewiesen worden. Tatsächlich liege, so soll es seine Stellung begründet haben, eine große Vermehrung der Grauen Schwestern vor, das Ministerium finde sie aber nicht außer Verhältnis zu der Zunahme der katholischen Bevölkerung in Sachsen. Der Herr Abgeordnete Dr. Vogel begründete die Interpellation mit Hinweis aus § 56 Absatz 2 der Ver fassungsurkunde von» 4. September 1831. Dort heißt es: Es dürfen weder neue Klöster errichtet noch Jesuiten oder irgend ein anderer geistlicher Orden jemals im Lande aus genommen werden. Dann zitierte Dr. Vogel den 8 30 des Oberaufsichtsgesetzes über die katholische Kirche vom 23. August 1876, worin es heißt: Absatz 1. Mitglieder von Orden oder ordensähnlichen Korporationen dürfen auch als einzelne ihre Ordenstätigkeit innerhalb des Königreiches nicht ausüben. Sodann sagte Redner weiter: In unserem evangelischen Volke herrsche nun die Auffassung, daß die von mir angezogenen Bestimmungen nicht mehr mit der Gründlichkeit lgehandhiabt werden, um den evangelischen Charakter unseres Volkes zu erhalten. Die Zahl der Grauen Schvesteru vermehrt sich ständig, in Sachsen wür den jetzt schon weit über 100 gezählt. Dies entspricht nicht dem Sinne und Geiste unserer Verfassung. Wer diese Begründung der Beschwerde des Abgeordneten gelesen hat, müßte ihm recht geben, und wir würden dann die Aufregung des Evangelischen Bundes über den ungesetz lichen Zustand wohl begreiflich finden. Aber Herr Abge ordneter Vogel hat, wie es scheint aus Unkenntnis der be treffenden gesetzlichen Bestimmungen, den Absatz 2 des an gezogenen 8 30 anzuführen vergessen. Dieser lautet: „Nur reichsangehörige Mitglieder solcher Frauenkongrcgatiouen, welche inmrhalb des Deutschen Reich-es ihre Niederlassung haben und sich ausschließlich der Kranken- und Kinderpflege widmen, dürfen auch ferner als einzelne mit Genehmigung und unter Aufsicht der Staatsregierung ihre Ordenstäkig- keit im Lande ausüben. Die Genehmigung ist jederzeit widerruflich" Diese von dem Abgeordneten Vogel ausge lassene Anführung der Ausnahme vom Gesetze läßt die Interpellation in ganz andewm Lichte erscheinen. Sie war nicht in geringem Maße eine Anklage gegen das Kul tusministerium, dem vorgcworfen wurde, daß es die Be stimmungen nicht rnehr mit der Strenge handhabe, die nach Auffassung des Interpellanten nötig sei, um den evangeli schen Charakter des sächsischen Volkes zu wahren. Hat nun das Kultusministerium die gesetzlichen Bestimmungen ge- handhabt oder nicht? Der gegenwärtige Kultusminister Dr. Beck antwortete diesbezüglich: „Bei der kurzen Zeit, die ich erst im Amte bin, kann ich nicht ganz ausführliche Auskunft geben, ich kann aber sagen, daß alle solche Fälle ganz genau nach dem Wortlaute der Verfassung entschieden tverden und nach dem Gesetze von 1876, sowie daß die Genehmigung zur Tätig- keit nur an einzelne Personen von Fall zu Fall widerruflich erteilt wird. So lange die Verfassung in unserem Lande besteht, so lange muß sie auch dem Sinne nach gehandhabt werden. Das soll auch in Zukunft geschehen." Es kann dem hohen Kultusministerium in der Tat nicht der geringste Vorwurf gemacht werden, als habe es bei Zulassen der ^barmherzigen Schwestern ein Auge zuge- drückt. Die Schwestern stehen unter p lizeilicher Kontrolle. Eine jede Schivester muß für ihre Person die Aufenthalts berechtigung in Sachsen haben. Das Ersetzen einer Schwester durch eine andere muß sofort beim Kultusmini sterium angezeigt werden. Zeigt eö sich notwendig, daß eine Station ein« Vermehrung der Anzahl eintreten läßt, so muß von der geistlichen Behörde vom Kultusministerium eine besondere Erlaubnis eingeholt werden. TaS Schrift stück ist voll zu begründen und die Notwendigkeit des Be darfes ist nachznwvisen. Bevor das Ministerium den Ent scheid Mt, ermangelt es nicht, daS evangelische Pfarramt und auch die politische Gemeinde um ihre Ansicht anzu gehen. Von seiten der Regierung wird also die Aufsicht über die Tätigkeit der Schtvostern in Sachsen streng einge halten. Das Gesetz bestimmt auch, daß die Genehmigung der Zulassung der Schwestern jederzeit widerruflich sei. Trotz der Kontrolle wurde die Negierung seit den: Bestehen des Gesetzes noch nie in die Lage versetzt, einer zugelassenen Schwester die Erlaubnis wieder zu entziehen. Die Schwestern haben bisher dein Staate und der evangelischen Landeskirche noch' keinerlei Anlaß zu Verlegenheiten ge geben und die übergroße Vorsicht des Gesetzgebers hat sich bisher als unnötig herausgestellt. Der Herr Abgeordnete Dr. Vogel gab indirekt zu, daß die Veranlassung zur In terpellation nicht in Beschwerden gegen die Schwestern liege, indem er sagte: „Ich nächte zwar nicht behaupten, daß die Tätigkeit der Granen Schwestern sich nicht ausschließlich auf die Krankenpflege erstreckt." Er meinte weiter: „Es ist ferner gesagt worden, daß die Vermehrung der Grauen Schwestern nicht außer Berlstiltnis zu der Vermehrung der katholischen Bevölkerung in Sachsen stel)e. Dabei muß man sich aber doch fragen, ob nicht etwa eine Wecksielwirkung vorliegt. Ich möchte diese Frage offen lassen, denn mir liegt jede agressive Tätigkeit fern." Hierauf erklärte Ab geordneter Pastor Starcke, er glaube nicht, daß dieses An wachsen auf eine Konversion infolge der Tätigkeit der katholischen Schwestern znrückzuführen sei, aber zu leugnen sei nicht, daß die Tätigkeit dieser Schwestern in ihrer Fort entwickelung zu Uebergriffen führen könne. Wenn die Ordenstätigkeit der Grauen Schvesteru seit 30 Jahren noch keinerlei begründete Veranlassung gegeben l)at, in ihr eine Propaganda zu erblicken, um, wie der Evan gelische Bund in seiner Schrift so geschmackvoll aussührt, „die Kranken für Rom einznsangen", so ist daS ein ehren des Zeugnis für diese. Derselbe Abgeordnete Starcke konnte auch nicht umhin, die Zunahme der Zahl d r Grauen Schwestern zum Teil in der Tüchtigkeit derselben zu er blicken und darin die Ursache zu sehen, daß sie oft von der evangelischen Bevölkerung in Anspruch genommen werden. Zum Teil liege freilich der Grund auch darin, daß leider die evangelischen Schwestern nicht so zahlreich und auch nicht so leicht erreichbar seien. Der Abgeordnete klagt auch darüber, daß der evangelischen Kirche nicht genügend Mittel zur Verfügung ständen. Wir meinen, daß mit den Geldern, die alljährlich in großen Summen zur Unterstützung der Los von Nom-Be- tvegnng nach Oesterreich gesendet »verden, sich für die evan gelischen Diakonissinnen reiche Mittel beschaffen ließen, um für die evangelischen Glaubensgenossen eine wohlorgani- sierte Krankenpflege einzurichten. Ueber die Geldquellen, welche es den armen Schvestern ermöglichen, ihre Samaritertätigkeit so uneigennützig aus zuüben, berichtet die oben angeführte Broschüre des Evan gelischen Bundes folgendes: „Zum Teil sind es Privat personen, die ganz erhebliche Opfer bringen. Hierher ge hören auch die Mitglieder der königlichen Familie, in erster Linie die Königin-Witwe und die Prinzessin Mathilde, auch das apostolische Vikariat wird wiederholt genannt, wie andererseits katholische Pfarrämter als Vertreter ihrer Gemeinden. Ganz beträchtlich sind ferner die Leistungen des Vinceutius-Vereins und Elisabeth-Vereins, die sich höchster und allerhöchster Prodektiou erfreuen, so daß zu ihren Veranstaltungen, wie Konzerten usw. auch die Protestanten unter den oberen Zehntausend in Menge eilen und zahlen. In der Lausitz kommt das katholische Tomstift St. Petri in Betl-acht. Das Krankenhaus in Räckelwitz unterhalten wesentlich die rheinischen Maltheser. Auch der Bonifatius-Verein gibt hier und da Unter stützungen, evangelische Beiträge fließen nach Grunau und Räckelwitz, weil die dortigen .Krankenhäuser zum Teil als Bezirkskrankenhäuser benutzt Norden." Es scheint nach den Ausführungen d r Redner im Abgeordnetenhaus, daß die in Sachsen wirkenden Schwestern nur wegen ihrer angeblich großen Zahl zur Be sorgnis Veranlassung geben. Es sind im Ganzen 116 im Lande zugelasseu. Wenn mau bedenkt, daß sich diese auf 218 000 Katholiken verteilen, also auf ungefähr 1900 erst eine katholische Schwester kommt, so finden wir die An sicht des Kultusministers vollständig gerechtfertigt, daß die Anzahl zur katholischen Bevölkerung nicht außer dem Verhältnisse steht. Im Abgeordnetenhaus wurde über den Mangel au Diakonissinnen geklagt, eS wurde aich darauf Angewiesen, daß deshalb und auch zum Teil wegen der Tüchtigkeit der katholischen Schwestern letztere vielfach zur Krankenpflege in evangelische Familien gerufen werden. Die Schrift des Evangelischen Bundes weist nach, daß z. B. im Joscphstist der Grauen Schwestern in Dresden, Winter- gartenstraße, unter 713 im Jahre 1901 verpflegten Kranken sich nur 94 Katholiken befanden. Sie erzählt uns ferner, daß im gleichen Jahre 2912 Schüsseln Suppe garantiert rein, leieiit löslich, ?kunä 35 kffvnnigv, höchster blährwert. Cerlinq 8- siockstroh, vrescien. Veetzauissteilen in allen 5tscltteilen. mit Brot und 2632 Portionen Essen unentgeltlich verteilt wurden und zjtvar ohne Unterschied des Bekenntnisses. Wenn also diese Liebestätigkeit der Schwestern allen Konfessionen gleichmäßig zukommt, wenn ferner nicht der geringste Grund einer Klage über unerlaubte Propaganda vorliegt, so müßte dock) nach unserer Ansicht der Landtag, statt sich über die Zahl der wohltatenspendenden Schwestern aufzu regen, dieselbe eher zu befördern und selbst durch Unter stützung aus Landesmitteln ihre Tätigkeit zu erweitern suchen. Deutscher Reichstag. Der Reichstag setzte am Montag die zweite Bera- tung des Vereinsgesetzes fort. Es besteht die feste Absicht, die zweite Lesung in später Abendstunde zu Ende zu führen. Artikel 8, 9, 10. welche über die Beaufsichtigung und Auf- lösuug der Versammlungen liandeln, wurden ohne größere Debatte angenommen, während bei Artikel 10a, der die Personen unter 18 Jahren von politischen Vereinen und Versammlungen solcher Vereine ausschließt, zu sehr stürmi schen Auseinandersetzungen Anlaß gab. Die ganze Debatte erhielt ihren eigenartigen Clxwakter dadurch, daß der kon servative Graf Carmer den anderen Blockparteien herzlichst dankte, daß sie in der Kommission auf diesen von den Kon servativen und anfangs abgelebtsten Antrag eingegangen, sind. Diese Bestimmung fand sich nämlich in der Vorlage der Negierung nicht. Die Begründung derselben legte in ausgezeichneter Weise dar, iveshalb eine solche Grenze nicht angesetzt werden kann. Die Konservativen setzten ihren Willen durch, die National liberalen lagen aus den Knien, was auch die pathetischen Reden der Abgeordn ton Ever- king, Mugdan usw. nicht aus dem Felde räumen konnten. Auch hier tvaren es lauter Entschuldigungsreden, die inan noch in das Kleid der Augst vor der Sozialdemokratie hüllte. Das Zentrum stellte zwei Abänderungsanträge zu dem Koniinissionsautrage; es wollte den Ausschluß der Jugend lichen nicht bon Vereinen und Versammlungen von Ange hörigen eines bestimmten Berufes und Standes und wollte ferner, falls dieser Antrag abgelehnt würde, nur den Aus schluß der Jugendlichen bis zum 16. Jahre. Der Zen trumsabgeordnete Giesberts bekämpfte den Koininissions- antrag, der nicht nur eine erhebliche Verschlechterung der Vorlage sei, sondern auch einen Rückschritt für die meisten Staaten darstelle, mit viel Geschick. Er wies darauf hin, wie dieser Konnnissionsantrag in politischer und wirtschaft licher Hinsicht nachteilig wirken müsse, indem er die Schu lung der jungen Leute erschwere, die Geiverkschaften schä dige, die Gesellen- und Jnnglingsveieine unter polizeiliche Kontrolle stelle, die Vorberatungen zum Gesellenausschuß und Gewerbegerichtshof erschwere und im Kampfe gegen die Sozialdemokratie eine stumpfe Waffe sei. Mit bitterem Humor fügte er bei, daß ein solcher Antrag niemals eine Mehrheit gefunden hätte, wenn das Zentrum bei der Wahl 36 Mandate gewonnen hätte. Nach der Annahme des 8 7 hoffen wir von der Linken zwar nichts mehr, ober die Rechte möge doch nickst mit Blindbeit geschlagen sein. Auch der Sozialdenwkrgt Hildenbrandt führte treffend die Gründe ins Feld, die gegen ein Ausnahmegesetz sprachen und kon statierte, wie der ganze Freisinn durch dieses kcmdinische Joch der Konservativen kriechen werde. Im heißen Wort gefecht wurde noch lange gestritten, bis die Parteien rille ihre Reserven hierangezogen haben, die mit den 4-Uhr-Zügen kamen. Das Abstiminnngsresiiltat konnte nun festgestellt werden. Der Zentrnnisantrgg wurde mit 199 gegen 162 Stimmen abgelehnt, der Kommissionsantrag, der nun ein zNxntes Ausnahmegesetz im Neichsvereinsgesetze schafft, mit 200 gegen 161 Stimmen angenommen. Nunmehr haben wir im deutschen Reiche einen herrlichen Fortschritt ge macht, dgß vor jeder politischen Versaumstung die Frage gestellt nxwdeii muß, was bisher nur in Sachsen üblich war: Ist niemand unter 18 Jahren im Saale anwesend? Wer sich eines jugendlichen Aussehens erfreut, tut gut, stets seinen Oleburtssckvin bei sich zu tragen. Ein herrlicher Fortschritt im „liberalen" Neichsvereinsgesetze. Die übri- gen Bestimmungen des Neichsvereinsgesetzes wurden nach kurzer Debatte angenommen. Ter Kampf kam erst wieder ans die Höhe, als es sich um die Artikel 15 und 16 handelte; welche die Bestimmungen, wie weit die einzelstaatlichen Be- stiinimnngen über die Koalitionsfreiheit der Landarbeiter und die religiösen Vereine unberührt lassen wollen. Die Entscheidung hierüber aber fiel erst in später Albend stunde, erst nach Abgang des Zuges. k. Berlin 14«. Sitzung vom 6. Avril 1908. Die zweite Lesung des Vereinsgesetzes wird fortgesetzt bei Artikel 8. Artikel 8 bestimmt noch der KommisklonSfassiing: »Beauf tragte, welche die Volizeibchörde in eine öffentliche Versammlnnq entsendet, haben sich unter Kundgebuna ihrer Eigenschaft dem Leiter oder, so lange dieser nicht bestellt ist, dem Veranstalter der Versammlung zu erkennen zu geben. Den Beauftragten mutz ein angemessener Platz eingeränmt werden Die Polizeibehörde darf nicht mehr als als 2 Beauftragte entsenden/