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Sonntag Nr. 37. 7. Mai 1843. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» WM Deutsche Allgemeine Zeitung. HM U-berbliek. ^"tschland. s von der Donau. Die serbische Frage. -s München. Der Frühling. Schriftenwechsel über die Knicbeugung vor dem Sanc- nsstmum. Dresden. Die ständischen Verhandlungen über die Juden """ über den landwirthschastlichen Creditverein. Hannover. Der angebliche Mordversuch gegen Stuvc in Osnabrück. Sachsen-Äoburg. Vortrag des Abg. Briegleb in der ständischen Sache. " Hamburg. Ar menwesen. Entwurf einer neuen Lebensversicherungsanstalt. Neues Theater. Reformplane. Der ärztliche Verein. ^^dbritannien. Unterhaus. Geistliche Gerichtsbarkeit. Die serbi sche Frage. Nachricht des Sun von einer angeblichen Ermordung des französischen Gouverneurs der Marquesasinseln, ch London. Han delspolitik. O'Connell. Die Fonds. Frankreich. Dcputirtenkammcr. Wahrprüfung. Postvertrag zwischen Frankreich und England. " Dänemark, s Kopenhagen. Ertrag und Verwendung einer National- subscriptloN. Eifer der Universitäten für die Annäherung an Schweden. *^b»stantinopcl. Rußlands Stellung gegen Griechenland. Nachrichten aus Syrien und Erzerum. Sami-Pascha. Reschid-Pa- scha. Der Sultan. Bestcchungsversuche. Die Dardanellen beschießen em österreichisches Dampfschiff. Die serbische Frage. Handel nnd Industrie. Wnkünbigungen. Deutsch! an-. -s von der Donau, 27. April. Ein pariser Correspondent hat in diesen Blättern (Nr. 17) eine Ansicht über die serbischen Zustände veröffentlicht, welche allerdings bestechend genug erscheint, aber den Sinn und die Bedeutung der diesfalls obschwcbenden Frage keines wegs erschöpft. Er geht nämlich von der in Paris überhaupt gäng und gäbe gewordenen Voraussetzung aus, die serbische Revolution sei daß unmittelbare Werk Rußlands, und es operire 'nunmehr gegen die selbe, weil Frankreich und England anfänglich die Tendenz zeigten, sie als ein kalt seeompli anzuerkcnncn. Rußland wolle eben nur seinen überwiegenden Einfluß in den Angelegenheiten der Donauprovinzen gel tend machen, und cs sei ihm vor der Hand vollkommen gleichgültig, was dort geschehe, wenn nur das Flötzgcbirge der türkischen Macht von Tag zu Tag mehr verwittere, zerbröckele. Müßte man die obige Voraussetzung als unbedingt wahr anschen, so könnte man begreif licherweise auch nicht umhin, die Folgen gelten zu lassen. Allein daß Dem nicht so sei, dafür sprechen mehrfache gewichtige Gründe. Zuvör derst ist nicht anzunehmcn, daß ein so gefahrvolles politisches Blend werk von irgend einer Macht improvisirt werden möchte, weil denn doch bei jedweder ein solches Maß von Umsicht und Sclbstschähung zu ver- muthen ist, daß sie nicht wagen werde, sich in ein so muthwilligcs und zugleich trügerisches Spiel cinzulasscn. Es ist übel gcthan, wenn man das politische Leben blosaus zwei grell abstcchcnden Farben zusammcn- sctzt, und von vorn hinein ohne die genaueste Erwägung aller Umstände über Gut und Bös abspricht. Es ist ein himmelweiter Unterschied zu ziehen zwischen der Nährung gewisser Tendenzen und Sympathien, und zwischen einem Ausstande, der geflissentlich vorbereitet worden wäre, um nach der Vernichtung zahlreicher, schuldloser Existenzen durch eben dieselbe Macht wieder unterdrückt zu werden. Wir sind entschiedene Gegner deS russischen Panslawismus, auS politischen Gründe.»; aber ein solches Verfahren, von leidiger Ehrsucht dictirt und durch kein ein ziges Motiv, nicht einmal durch das einer leidenschaftlichen Erhitzung entschuldbar, wüßten wir kaum stark genug zu bezeichnen und vermö gen keineswegs daran zu glauben. Sodann wären ja die gegenwärti gen Machthaber Serbiens lediglich Drahtpuppen, welche von dem Mi nisterium der auswärtigen Angelegenheiten in Petersburg gelenkt wür den. Sollte cs in diesem Falle den zahlreichen Feinden Rußlands, welche jede seiner Bewegungen sorgfältig belauern, nicht haben gelin gen können, wenigstens Einen der Fäden, wodurch das vcrhängnißvolle Marionettenspiel geleitet wird, zu erhaschen? Und wenn dies gelange, wenn sich die Donauvölker auf eine so heillose Art preisgcstcllt und geopfert wüßten: wie möchte es sodann mit Rußlands künftigem Ein fluß in ihrer Mitte bestellt sein? Die serbische Revolution hat unsere Zeitungen überrascht. Dieselbe Stimmung war und ist auch in den Cabineten vorherrschend. Es ist gewiß, daß sich mitunter Thatsachen im Leben ereignen, worüber ganz besonders für Diejenigen, welche sie zunächst betreffen, ein steter Schleier gebreitet bleibt. Man ver mag den Entschluß, welchen die Thatsache gebietet, nicht in das Räderwerk der gewöhnlichen Interessen einzupasscn, und versinkt in Rathlosigkcit. Als die serbische Revolution ausbrach, da hatte wcl Niemand genauere Kunde davon als das türkische Ministerium. Doch wie die Pforte in Allem, was sie in der neuesten Zeit thut, blind und unbesonnen vorschrcitet, so dürfte wol auch ihr kein Verdienst einer selbstbewußten und zweckoollen Handlung in dieser Sache bcigemcffcn werden. Viel mehr scheint das bei Wucsics, Petronievich und Consor ten der Fall zu sein. Es mögen Dieselben wol zunächst durch per sönliche Motive geleitet worden sein, durch Ehrgeiz und Rachelust. Aber sie bedienten sich zur Entfesselung des Aufstandes eines son derbaren Mittels, nämlich der jungslawischen Tendenzen, die im Sü den und Norden des Slawenthums eine gewisse Verbreitung gewon nen haben. Es liegt keineswegs in der Natur der slawischen Völ kerschaften, daß sic Revolutionen wie Komödien aufführen; den Süd amerikanern z. B. mag der Aufruhr zuweilen wie eine Volksbelu stigung erscheinen; der Slawe ist in der Regel geduldig und wird ausschließend durch bewegliche, aber heftige Gefühle geleitet. Das neueste in den Serben wach gewordene Gefühl bestand in dem Wunsche, sich eine selbständige Geltung in der Wagschalc der Nationen zu erringen. Sic glaubten, vor den Interventionen der Groß mächte gesichert zu sein, wenn sie die Billigung der Pforte für sich hätten. Sie calculirtcn wol gar auf die Rivalität der Mächte, und so wenig waren sie russisch gesinnt, daß sie die ersten Anknüpfungs versuche in Oesterreich machten. Allein mehre Agenten, welche sie in dieser Absicht beorderten, wurden kategorisch abgcwiesen, und nicht min der blieben andere indirccte Vcrmittelungsversuchc ohne Erfolg. Gleich zeitig hatte die vertriebene Partei des Fürsten Michael eine Deputa tion nach Petersburg senden wollen, deren Pässe jedoch von der rus sischen Gesandtschaft nicht visirt wurden. Späterhin erst begann die geängstigte serbische Regierung nach allen Seiten zu unterhandeln, und wenn sie sich in letzter Zeit, wie allgemein bekannt ist, mit entschiede nen und unversöhnlichen Gegnern der russischen Negierung einließ, so deutet dieser Umstand wol auf das Gegcntheil des vcrmuthcten politi schen Gaukelspiels. Es ist ferner eine ausgemachte Thatsache, daß zwischen den Lenkern der geistigen Bewegung, welche die österreichi schen Südslawen ergriffen hat, und den Serben eine zwar klugerweise nicht ausgesprochene, aber doch unverkennbare Sympathie statlfindet. Trotz der Ähnlichkeit der serbischen und der sogenannten illyrischen Sprache wollten sich die Serben doch in keinem Falle bequemen, die geistreich gebildete Schriftsprache deö vr. Gaj in Agram anzünehmen- Die darüber mit ziemlicher Bitterkeit geführte Polemik ward bis nach Ungarn herübergespielt, wo eine bedeutende Masse von Serben ihren Wohnsitz hat. Die Serben erklärten früher, unbedingt fcsthaltcn zu wollen an ihrem Alphabet, welches dem russischen beinahe vollkommen gleicht., Allein mit dem Sturze der vorigen Regierung schien diese Fehde ausgeglichen zu sein, und die Bewegung der Serben ward in Kroatien mit Freude begrüßt. Die agramer Blätter nahmen offen Partei für Kara Georgievich. Anderseits melden zuverlässige übereinstim mende Berichte aus Petersburg, daß man dort den unter den West- und Südslawen rege gewordenen Geist nicht ohne Besorgniß bemerke. Viel von Dem, was man im westlichen Europa mit dem banalen Na men Panslawismus tauft, errege dort unmuthige Stimmungen; man fühle und wisse gar wohl, daß die Abneigung der Slawen, sich unter russische Obhut zu begeben, in Folge der Triebkraft des neuen Gei stes sich von Tag zu Tag rapider entwickeln dürfte. In den Salons der russischen Großen sollen die ungarischen Zustände ein Hauptgegen stand der Convcrsation sein, insofern nämlich in Ungarn der Keim die ses veredelten Slawenthums zuerst aufgcgangcn ist. Von daher da- tirt sich auch die Erscheinung, daß die Wcstslawen ohne Ausnahme mit der zutrauenvollsten Hingebung sich an die.österreichische Regierung fest anschließen, von ihr die Sicherung ihrer freien, nationalen Exi stenz, die Ausbildung ihrer Zukunft hoffen. Nach all dem Gesagten dürste der Schluß auf die Lösung der serbischen Differenz nicht schwer z» ziehen sein. Rußland konnte und wollte nicht dulden, daß eine