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1872. 32 Dienstag den 23. April Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Ticbcilleh» und die Umgegenden. Umtsklatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Tagesgeschichte. Wilsdruff, am 22. April 1872. Am 17. dieses Monats Abends gegen 10 Uhr ist die in Weis- tropp gelegene Tännigtmühle bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt. Das „L. T." schreibt: In welcher Weis« social-demokratische Blätter, allen thatsächlichen Verhältnissen zum Hohne, die Aufreizung unter den Arbeitern betreiben, davon giebt die Nummer des „Dresdner Volksbotcn" vom 17. April wieder einmal einen drastischen Beweis. Es heißt dort unter „Aus Stadt und Land" wörtlich: „Unsere Majestät der König Johann von Sachsen re. rc. fand sich mit Zustimmung unserer getreuen Stände bewogen, das Finanz gesetz auf die Jahre 1872 und 1873 zu erlassen, wie folgt: Die laufende Einnahme und Ausgabe des ordentlichen Staatshaushaltes für jedes der Jahre 1872 und 1873 ist auf die Summe von 13,752,919 Thlr. festgestellt, zu außerordentlichen Staatszwecken aber für diese beiden Jahre überdies noch ein Gesammtbetrag von 17,830,780 Thlr. hiermit ausgesetzt, macht Summa Summarum 31,583,699 Thlr.; wenig gerechnet, treffe sonach jeden in Sachsen Wohnenden eine Steuer von 15 Thlr. jährlich. Ein Familienvater mit 5 Kindern hätte somit eine Steuer von 75 Thlr. jährlich zu be zahlen; wo bleibt das Ersparniß bei einem jährlichen Einkommen von 300 Thlrn., wenn Miethe und Lebensmittel noch davon bestritten werden sollen?" Die vorstehende Rechnung ist im höchste» Grade wunderbar. Der „Volksbote" giebt ausdrücklich zu, daß zu außer ordentlichen Staatszweckeu die Summe von 17 Millionen ans die beiden Jahre 1872-und 1873 ausgesetzt ist, und doch rechnet er flugs die 17 Millionen dem ordentlichen Budget jedes der beiden Jahre zu, so daß sich ihm ein jährlicher Bedarf von 31'/? Millionen ergiebt. Derartige Leichtfertigkeit ist gewiß unerhört. Auf solchem Wege ist es freilich leicht, dem „armen Volke" die gräßlichsten Wahngebilde von unerschwinglicher Steuerlast u. dgl. vorzugauteln. Hätte der „Volksbote" nur einmal für nöthig befunden, sich mit dein sächsischen Staatshaushalt gebührend zu beschäftigen, so würde er die Ueberzcugung gewonnen haben, daß die Steuerkraft des Landes in jedem der beiden Jahre 1872 und 1873 nur zum Ge- sammlbclrag von 4,043,100 Thlrn. — 1,677,910, Thlr. Grund steuer, 1,298,500 Thlr. Gewerbe- und Pcrsonalsteucr, 614,080 Thlr. Zölle und Verbrauchssteuern, 400,000 Thlr. Stempelsteuer, 52,910 Thlr. Canzleisporteln — in Anspruch genommen ist, während der übrige Theil des ordentlichen Staatsbedarfes sich aus den Erträg nissen des immobilen Staatscigenthums, wie Forsten, Eisenbahnen, Bergbau rc. deckt. Die auf jedes Jahr fallende Summe von noch nicht 9 Millionen für außerordentliche Staatszwecke dagegen wird den Beständen des mobilen Staatsvcrmögens entnommen, ist also nicht durch Steuern aufzubringen. Das Endergebnis; ist daher: nicht 15 Thlr., sondern nur 1^ Thlr. hat jeder in Sachsen Wohnende im Durchschnitt jährlich an Slaatsstcuern zu bezahlen. In Leipzig trafen am 18. April von den in Metz gar- nisonirendcn sächsischen Artilleristen 6 Mann Arrestaten unter mili tärischer Escorte ein. Dieselben sind in Folge einer mit preußischen Soldaten in Metz stattgehabten Schlägerei zur Versetzung in die Strafcompagnie verurtheilt worden und wurden zur Verbüßung ihrer Strafe nach Dresden transportirt. Pegau, 17. April. Am vorigen Sonnabend wurde hier unter lebhafter Th<cilnahme der Bevölkerung der erste Spatenstich zur Leipzig-Pegau-Zeitzcr Eisenbahn gethan, nachdem bereits im Laufe der Woche sich durch die in Massen herzustömenden Arbeiter in un serer Stadt ein reges Leben entwickelt hatte und die Vorarbeiten mit Herstellung eines Jnterimsgleises in der Nähe unserer Brauerei ihren Anfang genommen. Zur 20. allgemeinen deutschen Lehrervcrsammlung, welche Ende Mai in Hamburg tagen wird, haben bis jetzt 31 deutsche gind österreichische Eisenbahnen Vergünstigungen für die Fahrt der Theil nehmer zugestanden. Dagegen fehlen seltsamer Weise die preußischen Staatsbahnen und fast sämmtliche bayrische Bahnen. Siebenundzwanzig deutsche Turnvereine haben an den Reichstag eine Petition gerichtet, in welcher sie folgende zwei An träge stellen: I) derselbe wolle dem Herrn Reichskanzler den Wunsch aussprechen, die tüchtige turnerische Durchbildung der Mannschaften im deutschen Heere dadurch anzuerkennen, daß auf gesetzlichem Wege eine abgekürzte Dienstzeit für turnerisch durchgebildete Leute einge führt, eventuell wenigstens eine zeitigere Beurlaubung derselben zur Regel werde; 2) derselbe wolle den 11 des Gesetzes über die Ver- pflicktung zum Kriegsdienste vom 9. Nov. 1867 dahin abändern, bc- ziehendlich dessen Abänderung beim Reichskanzler dahin beantragen: daß außer dem vorschriftsmäßigen Umfange gewonnener Kenntnisse auch ein vorschriftmäßiges Maß der Fertigkeit in Leibesübungen als Bedingung der einjährigen Dienstzeit mit nachheriger Beurlaubung zur Reserve (sogenanntem Dienst als Einjährig Freiwilliger) gefordert werde. Vom Fürsten Bismarck erzählt die „Magdeb. Ztg." Folgendes: Als ihm vor einiger Zeit in einer Gesellschaft von einem Vertreter der alten Anschauungen bemerkt wurde, daß die Verfassungszustände in Deutschland sich wohl kaum länger als noch 50 Jahre haltbar erweisen würden, antwortete Bismarck, daß er eigentlich für die Gegenwart zu viel zu thun habe, um sich mit tiefsinnigen Specüla- tionen befchästigen zu können, was nach einem halben Jahrhundert wohl geschehen werde. Wenn er aber über Constitutionen seine Meinung äußern solle, so müsse er sagen, dieselben seien in der heu tigen Zeit nicht mehr zu entbehren. Die Volksvertretung und die Presse müßten der Regierung durchaus zur Seite stehen; denn auch der größte absolute Monarch könne heut nicht mehr die verwickelten Verhältnisse des Staatswesens beherrschen. Die Volksvertretung und die Presse hätten vor Allem die Pflicht, die Schäden der Verwaltung aufzudccken. Mit der hohen Politik sollten sie sich weniger beschäf tigen; denn in dieser seien die leidenden Fäden meist so verborgen, daß der Uneingeweihte keilt genügendes Urtheil gewinnen könne. Berliner Blätter erzählen: Als kürzlich dem Kaiser Wilhelm das Projekt zum Bau einer neuen Markthalle zur Genehmigung vor gelegt wurde, soll derselbe gesagt haben: „Erst wollen wir daran denken, den Obdachlosen ein Asyl zu verschaffen; Markthallen spater." — In den nächsten Tagen bereits wird in Berlin auf Veranlassung der Regierung eine Coiichrenz abgehaltcn werden, um die Mittel zur Abhilfe der Wohnnngsnolh zu berathen. Als Conferenzmitglieder sind ausersehen: Mitglieder des Abgeordnetenhauses, Fabrikanten, Architeclcn, Bauunternehmer, Directoren der Berliner Bau-Actien- Gesellschafl und die leitenden Männer der Berliner Arbeiterkreise, damit auch die Arbeiter bei diesen Bcrathungen vertreten seien. * Die „N. A. Z." berichtet aus Berlin: Der beharrlichen Thätigkeit der Berliner Kriminalpolizei ist es jetzt doch gelungen, den mit 36000 Thlr. flüchtig gewordenen Kassendiener Albrecht aus findig zu machen und mit noch 21,000 Thlr. festzunehmcn. Die Ver wandten des A. wurden hier unausgesetzt in der Stille beobachtet und dabei bemerkt, daß der Schwager des A. in der Stille nach Hamburg reiste, ebenso wurde ermittelt, daß sich der Sohn des A. nach Posen begeben hatte. Auf Requisition der hiesigen Polizei wurde der Schwager, Schneidermeister Ernest, von der Hamburger Polizei festgenommen. Es wurden bei ihm 4000 Thlr. gesunden. Dasselbe gefchah mit dem Sohne des A. in Posen, bei dem man 7000 Thlr. sand. Nun wurde auch in dieser Nacht A. felbst in Hamburg ergriffen, der, wie oben erwähnt, noch 21,000 Thlr. bei steh führte, so daß das Geschäft Löwenherz ziemlich das ganze Geld wieder bekommt. Der Prediger Müller in Berlin, ein freisinniger Geistlicher und liberaler Abgeordneter sollte ein Brautpaar in der Lukaskirche trauen, an der Pastor Tauscher, Herausgeber der Hengstenberg'schcn Kirchcnzeitung, angestellt ist. Müller fragt deshalb bei Tauscher an und dieser schlägt die Bitte ab, weil in seiner Lukaskirche Niemand amtiren solle, der durch seine Glaubensstellung Acrgerniß erregen müsse. So geschehen zu Berlin im Jahre 1872. Berlin, 19. April. Die heutige „N. A. Z." dcmcntirt auf das Bestimmteste die in diesen Tagen conrsirenden Gerüchte über