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Zchönburger Tageblatt Amtsblatt für den Atabtrath Waldeabirg. Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit; in Penig bei Herrn Kaufmann Rob. Hä rtig, Mandslgafse; in Aochsburg bei Herrn Juchhalter Fauth; in Lunzenau bei Hrn. Buchhdlr. E. Dietze, in Wechselburg bei Herrn Schmied Weber; in Lichtenstein b. Hrn.Buchh. I. Wehrmann. Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Braunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langen leuba-Niederham, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenburg und Ziegelheim. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Innahme von Inseraten für die nächster-- scheinende Nummer bis nachmittags 2 Uhr. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 25 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., Einges. 20 Pf. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. und Waldenburger Anzeiger .N 15». Dienstag, de» 12. Juli 1887. Witternngsaussichten für den 12. Juli: Bei wechselnder Windrichtung veränderliche Bewölkung; Regen nicht ausgeschlossen. Temperatur warm. Barometerstand am 11. Juli, nachmittags 3 Uhr: 759 mm. «Waldenburg, 11. Juli 1887. i Das „Volk von Paris" treibt auf der abschüssigen ! Bahn der Pöbelskandale immer weiter vorwärts; die s Regiernng thut wenig oder gar nichts, um dem tollen i Unfug zu steuern und die Blätter Hetzen zu immer ! neuen Skandalen auf. Hinterher beklagen sie die Aus- > schreitungen als unwürdig der Stadt Paris, aber was j nützen solche moralische Entrüstungsartikel, wenn der i Lärm geschehen ist? Die französische Regierung hat i es für gut befunden, General Boulanger, der gegen ; seinen Willen als Commandirender des 13. Armee corps geschickt wird, noch vor dem Nationalfeste aus Paris zu entfernen. Es scheint indessen höchst zwei felhaft, ob die Regierung besonders weise gehandelt hat, als sie die Abreise des ehemaligen Kriegsministers so augenfällig beschleunigte. Die Deutschfeinde lassen : es sich nicht ausreden, daß jener Entschluß aus Be- > sorgniß vor Deutschland oder gar unter dessen Druck ! gefaßt ist. Thatsächlich tragen die Kundgebungen, ! welche aus Anlaß der Abreste Boulanger's aus Paris ! vorgekommen sind, einen sehr bedenklichen Character ' und der allezeit bereite Pariser Pöbel hat sich die : Gelegenheit nicht entgehen lassen, Auftritte herbeizu- ; führen, die einen Vorgeschmack von dem geben, was der 14. Juli bringen mag. Wir entnehmen einem ausführlichen Bericht der „Boss. Ztg." Folgendes: Von sechs Uhr abends ab begann die Menge sich vor dem Louvrehotel, wo Boulanger wohnte, anzu sammeln. Gegen '/-8 Uhr füllten über zehntausend Personen die Rue de Rivoli. Zu dieser Stunde ver ließ die Droschke Boulanger's, der einige andere folg ten, den Gasthof. Die Menge warf sich dem Pferde entgegen, brüllte: „Hoch Boulanger, hoch die Armee! Nieder mit Grevy! Abdankung! Boulanger hierblei ben!" und suchte die Droschke aufzuhalten. Es gelang indessen dem Kutscher, das Pferd frei zu bekommen, und er fuhr in scharfem Galopp davon. Eine Weile liefen die Flinksten der Volksmenge unter Gejohl nach, blieben aber schließlich zurück. Auf dem ganzen, gegen fünf Kilometer langen Wege zum Lyoner Bahn hof standen Leute, die Boulanger im Vorüberfahren anschrieen. Um den Bahnhof hatte das Treiben gegen sieben j Uhr begonnen. Der nie fehlende Tabuletkrämer war natürlich zur Stelle. Man bot außer Boulanger- Liedern und -Bildnissen zinnere Fünffrankenstücke mit - dem Kopfe Boulanger's. Große Maueranschläge, die s ein radikales Blatt hatte anbringen lassen, enthielten blos die Worte: „Er kommt wieder! Nach acht Uhr erschien Boulanger in Civil, begleitet von General Jung und vier anderen höheren Officieren. Die Menge stürzte sich auf den Wagen, das Pferd wurde ausgespannt, einige ebenso behende, als schmutzige Gassenjungen kletterten zu Boulanger hinauf und ver suchten familiär mit ihm zu werden. Nach lebhafter Abwehr, in der ihm acht Polizeiagenten beistanden, gelang es ihm, sich von den jugendlichen Bewunderern frei zu machen und in den Bahnhof einzutreten. Die Menge wälzte sich mit ihm hinein, Polizisten und Bahnpersonal niederrennend, Thore erbrechend und Gitter zertrümmernd. Auf dem Perron erwarteten einige Abgeordnete, Stadträthe und Deroulede von der Patriotenliga den General. Um ihn dem Gedränge zu entziehen, scho ben Bahnbeamte Boulanger in den erstbesten Wagen, es war zufällig einer dritter Klasse. Die Menge tobte, sang die Marseillaise, schrie „Nach dem Elysee!", „Hoch Boulanger, hierbleiben", und wollte in den Wagen eindringen. Da erschien am Fenster Derou lede und rief: „Bürger, ich bitte Sie, seien Sie ruhig. Ihre Anwesenheit sagt alles Nöthige. Sie vertreten die Auflehnung des französischen Stolzes und unserer Unabhängigkeit gegenüber dem Auslande. Ich bin hier als Vertreter der Patriotenliga, um General Boulanger zwei Medaillen zu überreichen, welche Gam- betta's und Chanzy's Bildniß tragen. Beide sind todt, leben aber in Boulanger wieder auf. Und nun zurück, da Sie ja nicht vor dem Feinde stehen." Die Menge wich indessen nicht und schrie weiter. Der Zug hatte um 8 Uhr 7 Minuten abgehen sollen; es war neun, alle Bahnsteige und Geleise wa ren von Menschen überfüllt. An eine Bewegung des Zuges war nicht zu denken, ebenso wenig an ein Frei machen der Geleise. Der Stationsvorsteher telegraphirte um Polizei, die fast vollständig fehlte. Mittlerweile hatte Boulanger in seinem Wagen einen Ohnmachts anfall. Von seinen Freunden halb getragen, stieg er aus; die Menge gab ein wenig Raum, ein Glas Bier und eine Flasche Wein, von Hand zu Hand ge reicht, gelangt bis zu ihm, und, nachdem er getrun ken, konnte er wieder gehen. Er schwankte langsam vorwärts bis zu einer alleinstehenden Lokomotive und auf diese hoben ihn Plötzlich Bahnbeamte. Der Pö bel merkte sofort, was beabsichtigt war und umgab heu lend die Maschine, die im Nu voll Menschen und mit Bildnissen Boulanger's über und über beklebt war. Zwei besonders fanatisirte Kerle warfen sich sogar vor ihr quer über die Schienen, offenbar um sich rä dern zu lassen, wenn Boulanger ihnen entführt wer den sollte. Der Lokomotivführer, der einzige entschlossene Mann im Bahnhof, machte indessen sichtlich Ernst. Vor dem Pfiff seiner Maschine und deren ersten langsamen Räderumdrehungen wichen die Leute denn doch zurück und Boulanger konnte so auf einer Lokomotive um 9 Uhr 40 Minuten auf einer Lokomotive Paris ver lassen. In Angoulsme fand er einen Zug, mit dem er in Clermont eingetroffen ist, wo er feierlich em pfangen wurde. Der Pöbel, als er merkte, daß ihm Boulanger entführt sei, richtete zuerst im Bahnhof Verwüstungen an und lärmte bis Mitternacht in den Straßen umher, bis endlich Polizei einschritt und mit Gewalt die Tumultuanten zerstreute. Das war Boulanger's Abschied aus Paris. Ob er wiederkehren wird? An der Seine ist nichts un möglich. Wohin müssen aber solche Auftritte führen? Die Pariser Blätter sagen selbst: Zur Säbeldictatur! Und was eine solche für uns bedeuten würde, braucht nicht erst weiter auseinandergesetzt zu werden. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Aus Ems wird vom Sonntag gemeldet: Der Kai ser wohnte gestern Abend der Vorstellung im Cur- theater bei. Heute machte Se. Majestät nach der Trinkcur eine Promenade und ließ sich die anwesenden Offiziere vorstellen. Montag Nachmittag 4 Uhr er folgt die Reise nach Koblenz, von wo der Kaiser nach zweitägigem Aufenthalt nach der Insel Mainau sich begiebt, um drei Tage bei dem Großherzog und der Großherzogin von Baden zu verbleiben. Am 19. Juli erfolgt die Ankunft in Gastein. Eine Brunnen- cur hat der Kaiser in Ems nicht gebraucht. Er er schien am Sonnabend nur deshalb am Brunnen, weil j der allgemeine Wunsch darnach laut geworden war. Seine gewohnten Spazierfahrten hat der Kaiser täglich unternommen. Zu Fuß hat der Kaiser nur wenig promenirt, da die Aerzte gegen jede unnütze Kräftean spannung sind. Am Freitag hatte die Kaiserin ihrem Gemahl einen einstündigen Besuch abgestattet. Professor Virchow hat sein Gutachten über den zuletzt aus dem Halse des deutschen Kronprinzen ent- : sernten Gewächstheil abgegeben. Die Untersuchung hat abermals bestätigt, daß es sich nur um eine Warze bei dem jetzt fast beseitigten Gewächs gehandelt hat. Ein japanesischer Prinz, Divauwongse von Siam, ist in Berlin eingetrosfen, um dem Kaiser und dem Prinzen Wilhelm einen hohen Orden zu überbringen. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht die kaiserliche Verordnung, durch die das Verbot der Pferde-Aus- i fuhr aus dem deutschen Reiche außer Kraft gesetzt - wird. Weiter publicirt das amtliche Blatt das Gesetz, ; betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmit teln und Verbrauchsgegenständen, sowie das neue Jn- nungsgesetz (Heranziehung von Nicht-Jnnungsmitglie- ! dern zu den Kosten der von den Innungen getroffenen gemeinsamen Einrichtungen). Staatssekretär Graf Herbert Bismarck ist für einige Tage zu seinem Vater nach Friedrichsruhe ge reist. In dieser Woche begiebt sich der Kanzler nach Varzin, Anfang August nach Kissingen. Nach einem Berliner Briefe in der „Pol. Corr." erscheint deutscherseits angesichts der in dem letzten Leip ziger Prozesse zu Tage getretenen Thatsachen die Zu- muthung einer Begnadigung des früher verurtheil- ten Köchlin sehr schwer verständlich. Man werde in Paris sich überhaupt mit der Thatsache vertraut machen müssen, daß die Zeit, in welcher französische Wünsche in Berlin auf bereitwilliges Entgegenkommen rechnen konnten, vorüber sei. Das System der Ver söhnlichkeit gegenüber Frankreich habe sich nicht be währt; die deutsche Politik hat nunmehr eine andere Richtung eingeschlagen, indem sie das System der Gegenseitigkeit einführte, dessen weitere Gestaltung sich nach der Entwicklung der Dinge in Frankreich richten wird. Mit anderen Worten heißt das: „Wie Du mir, so ich Dir!" Die Pariser Presse hat angesichts des letzten Lan- desverrathsprozesses in Leipzig nun endlich die Sprache wiedergefunden und leistet geradezu Bodenloses an Unverschämtheit. Was davon zu halten ist, weiß die Welt nun nachgerade doch; so schreibt der „Figaro": Wenn die deutsche Regierung habe beweisen wollen, daß die französische unterrichtet sei, so habe sie ihren Zweck erreicht; wollte sie durch die Kleinlichkeit ihrer Ansichten die Welt in Erstaunen setzen, so sei ihr das ebenfalls gelungen. Auch die öffentliche Meinung wisse jetzt ganz genau, was sie von der Art und Weise Deutschlands, aus einer Mücke einen Elephanten zu machen, habe. Solchen unverschämten Unsinn kann auch nur ein Franzose leisten! Die Ausbildung der Reserve der deutschen Ar mee mit dem Repetirgewehr ist im Allgemeinen jetzt bereits beendet; die geringen Reste, die noch nicht mit der neuen Waffe geübt haben, werden jedenfalls noch im Laufe dieses Jahres damit Bekanntschaft machen. Die Landwehr-Infanterie behält noch das Mausergewehr. Die Wiener Schützen haben von Frankfurt a. M. einen Ausflug nach dem Niederwalddenkmal gemacht, wobei der Wiener Oberschützenmeister Starzengruber