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MnüniMi Tageblatt und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 15. September 1880 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. —— Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mr. 5V Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. "Waldenburg, 14. September 1880. Varnbüler über die Zölle. Freiherr von Varnbüler hat sich in seinem Rechen schaftberichte, den er seinen Wählern gegenüber ab gelegt hat, außer über die politischen Verhältnisse auch über die neue Zoll- und Wirthschaftspolitik des deutschen Reiches ausgesprochen. Der Charakter unserer Zollgesetzgebung, führte der Redner aus, bestehe darin, daß Deutschland nach dem Beispiele anderer Staaten gleichfalls das Thor schließe, um unsern Markt nicht von den Producten anderer Staaten überfluthen zu lassen. Er freue sich, sagen zu können, daß in Folge davon die industrielle Thä- tigkeit Deutschlands in bedeutendem Fortschritt und Aufschwung sich befinde. Das gelte zunächst von der Eisenindustrie, wenn hier auch die großen Bestellungen der Amerikaner mitgewirkl hätten; ebenso sei es mit der Textil-, Wolle-, Tuch-, Leder- und Glasindustrie. Dies fördere auch die Nachfrage nach den land- wirthschaftlichen Producten, denn so lange der Ar beiter nichts zu leben habe, beschränke er sich in Allem und das empfinde in erster Linie die Land- wirthschafl. Ein Land, das keine Industrie habe, habe auch keine blühende Landwirthschaft, weil ohne blühende Industrie der Landmann seine Products nicht verkaufen könne. Eine zweite Frage sei die, ob es zweckmäßig ge wesen sei, auf die landwirthschastlichen Produkte, d- h. auf das Getreide, auf den Doppel-Centner eine Mark Zoll zu legen? Er sage zum Voraus, daß diese Frage eine zweifelhafte sei, allein der Nothschrei aller Landwirthe von Norddeutschland und von Baiern habe diesen Zoll verlangt und ohne Bewilligung dieses Zolles wären die anderen auch nicht zu Stande gekommen, also sei er noth wendig gewesen zur Erlangung der anderen Zölle. Einige Gründe sprechen aber doch auch dafür. Als der Reichstag auseinandergegangen fei, sei das Ge treide gestiegen und da haben die Freihändler ge sagt, da sieht man's, man vertheuert dem Volke das Brod. Damals sei aber der Zoll noch gar nicht aufgelegt gewesen, erst vom 1. Jan. 1880 an und da sei im Gegentheil das Getreide gefallen, also könne der Zoll es nicht vertheuert haben. Außerdem müsse er hierbei seine Wähler von einem schnödenMiß- brauch unterrichten, der bisher im deutschen Getreide handel im Schwünge gewesen. In Norddeutschland sei der schlechteste, ausgewachsene, in grünem Zu stande aus den Markt gebrachte russische Weizen mit '/ro, >/s oder höchstens '/« deutschem Weizen gemischt, auf der Börse der Preis gemacht und diese elende Waare auf den englischen Markt als deutscher Wei zen gebracht worden. Wir Deutsche haben dann den Schaden davon, daß diese Waare so schlecht sei. Im Süden sei es umgekehrt gegangen. Da habe man den sehr guten ungarischen und galizischen Weizen eingeführt, ihn mit unserem gemischt, weil er auf den unsrigen drücke und als ungarischen ver kauft, also lauter Unwahrheit. Jetzt aber komme die Waare unter Zollverschluß, wo alle diese Mi schungen nicht stattfinden können. Es habe also der Getreidezoü die gute Wirkung, daß mehr Neellität in das Geschäft komme, und dabei können wir uns beruhigen, daß dieser ganz kleine Zoll aufgelegt worden sei, der doch 16—20 Mill, dem deutschen Reiche eintrage. Mit der Zollfrage hängt die Finanzfrage eng zusammen. Es werden in den Zeitungen ganz allgemein oder sehr oft behauptet, jetzt habe man Steuern aufgelegt und die Matriculararbeiten, d. h. die Beiträge der einzelnen Staaten in die Rcichskasse, seien dieselben geblieben wie vorher, also weiter nichts, als daß man das Volk mit neuen Lasten ohne Vortheil be legt habe. Das sei geradezu mathematisch unwahr. Die Sache sei so: die Matricularumlagen für 1879—1880 betrugen 90 Mill., im Jahre 1880—81 betragen dieselben 81 Millionen und 600,000 Mark. Wenn nun die Wirkung der neuen Steuergesetzge bung nur die gewesen wäre, daß die Matricular umlagen um 9 Millionen sich vermindern, dann wäre diese Gesetzgebung nicht nothwendig gewesen; denn 9 Mill, sei für das deutsche Reich kein Unter schied. So stehe aber die Sache nicht. Man habe von dem Frankenstein'schen Antrag gehört, der be deute, daß was Ue Zölle, Finanz- und Jndustrie- zölle, jährlich mehr als 130 Millionen ertragen, dieses Mehr an die Eiuzelstaaten zu vertheilen sei in demselben Verhältniß ihrer Matricularbeiträge. Nun habe dieses Mehr ausgemacht 42 Millionen, das an die Einzelstaaten vertheilt worven sei, und jeder Staat habe seinen Antheil davon bekommen. Zu den übrigen 9 Mill, kommen also noch die 42 Millionen, zusammen 51 Millionen. Um diese 51 Millionen habe sich der Reichsetat thatsächlich vermindert. Da könne man nicht sagen, daß dies gar nichts mehr sei. Die Einnahmen aus den Zöllen werden sich in den nächsten Jahren noch bedeutend vermehren, so bald die noch vor dem Zoll eingeführten Vorräthe von Wein, Kaffee aufgebraucht sein werden. "Waldenburg, 14. September 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Die vom Kaiser am 13. d. auf dem Tempel hofer Felde bei Berlin vorgenommene Parade des Gardecorps, der fämmtliche anwesende Fürstlichkeiten beiwohnten, gestaltete sich zu einem glänzenden Schau spiel. D'e gesummte Paradeaufstellung wurde vom Prinzen August von Würtemberg commandirt. Nachmittags fand im Schlosse Parade-Diner statt, zu dem 360 Einladungen ergangen waren. Die Feier der Vollendung des Kölner Domes am 15. October d. I. eröffnet der Kaiser persönlich durch eine Ansprache. Aus Altona wird gemeldet, daß in Regierungs- kreisen die Vorarbeiten zur schleunigen Einverlei bung Altonas in das Zollgebiet mit großer Energie durchgeführt werden. Wenn auch noch nicht zum April, so hofft die Regierung doch, die Ange legenheiten bis zum 1. Juni 1881 so weit geregelt zu haben, daß der Zollanschluß Altonas zu diesem Termin wird erfolgen können. Bezüglich des bei Zürich abgehaltenen Con- gresfes der revolutionär-socialistischen Agi tatoren schreiben „Kreuzzeitung"und „Neichsbote:" „Darf die Schweiz, deren ganze Existenz auf ihrer Neutralität beruht, da ruhig zusehen und kann Deutsch land es sich gefallen lassen, daß ein Nachbarstaat einen solchen gegen das deutsche Reich gerichteten Herd der Revolution in seiner Mitte duldet? Hier kann das Asylrecht für politische Verbrecher nicht mehr in Betracht kommen, denn hier handelt es sich nicht um Flüchtlinge, die ein Asyl suchen, sondern nm Verschwörer, welche die Revolution gegen einen Nachbarstaat ins Werk zu setzen beschließen. Solches darf weder die Schweiz in ihrer Mitte dulden, noch dürsten und könnten die Nachbarstaaten sich das ge fallen lassen. Die Stimmung auf dem soeben abgehaltenen Parteitag der Sezession scheint keine sieghafte gewesen zu sein. Der arme Telegraph ist sogar mit Mittheilung der Thatsache strapazirt worden, daß Herr Lasker die Hauptrede hielt, als ob sich das nicht von selbst verstände. Sehr treffend urtheilt der sonst sehr nach links neigende Berliner Correspondent der N. Zür. Z. über die Sezession. Er meint, dieselbe sei lediglich dem ächt deutschen Bedürfniß entsprun gen, statt 7 lieber gleich 8 Gruppen zu haben. In Hannover hat sich unter dem Vorsitze Ben - nigsen's eine nationalliberale Parteiversamm lung gegen die Secession einstimmig ausgesprochen. Von Hannover aus hat man einen allgemeinen Par teitag der Provinz Hannover nach Hannover ausge schrieben. Auf Bennigsen's Initiative hin werden auch in anderen Provinzen und Staaten, so nament lich in Süddeutschland derartige Versammlungen der Nationalliberalen Partei die Parole ausgeben, mit aller Kraft noch frühzeitig in die Agitation ein zutreten, damit man bei den bevorstehenden Reichs tagswahlen gerüstet dastehe. Oesterreich. Der Kaiser hat an den Laudescommandirenden von Galizien, Feldmarschalllieutenant Baron Lchel- hofin, ein Handschreiben gerichtet. Es besagt, der Kaiser habe sich während der Anwesenheit in Galizien und gelegentlich der Manöver von der gründlichen Ausbildung, dem guten Aussehen und der militärischen Haltung der Truppen überzeugt, nicht minder in den besichtigten Militäranstalten mit Befriedigung die musterhafte Ordnung und den geregelten Dienstbetrieb wahrgenommen; auch die Landwehrabtheilungen haben den Kaiser in jeder Hinsicht zufrieden gestellt. Der Kaiser hebt fpeciell lobend hervor die richtige Führung der Generäle (!!), die correcte Befehlsgebung, die aufmerksame Leitung der Truppen im Terrain, spricht dem Comman- direnden für dessen instructive Einwirkung den Dank und die volle Anerkennung aus und beauf tragt ihn, allen Generälen, Stabs- und Oberoffi zieren und der Mannschaft die besondere Zufrieden heit des Kaisers bekannt zu geben. Frankreich. Der für officiös geltende Tölögraphe hält sich für berechtigt, die Waddington betreffende Stelle der Rede des Herrn von Varnbüler vollständig zu dementiren. Eine Ministerkrifis schwebt derma ßen in der Luft, daß der osficiöse „National" be reits eine neue Liste veröffentlicht. Freycinet hat so ziemlich alle Ausficht verloren, seinen Posten ferner zu behalten und die gemäßigt republikanischen Blätter besprechen bereits die Frage der Einberufung der Kammern. England. Die französischen Jesuiten haben auf Schloß Abendovey, Eigenlhum des Grafen Merioneth, in Wales ein Noviziat errichtet. Die Agitation gegen die englischen Land lords wird in Irland großen Umfang annehmen, sobald der vom Parlamente zurückgekehrte Abg. Parnell in Cork erscheint, also im October. Die lokale Landliga im Verein mit der Dublinec Organi sation bereiten ihm einen großartigen öffentlichen Em pfang mit Umzügen von Gilden mit Bannern. Die römisch-katholische Geistlichkeit hat sich nur an einem der am letzten Sonntag abgehaltenen Landmeetings betheiligt und in Allgmeinen einen beruhigenden Einfluß ausgeübt. Mr. Vere Foster, ein wohl- thätiger Herr, wurde angegriffen, weil er zu Gun sten der Auswanderung sprach. Die Facmer er schienen beim Meeting mit grünen Blättern auf ihren Hüten und Jmitationspiken. Eine Fahne trug die Inschrift: „Wir arbeiten und ein Fremdling nimmt die Ernte an sich." Mr. Walsy, der ein thätiger Agitator zweiten Ranges ist, hat in Tuam in leiden schaftlicher Ansprache gegen die niederen Löhne pro-