Volltext Seite (XML)
Dresden, den I. December. — Se. König!. Majestät hat die Versetzung des Direk tors des Bezirksgerichts Oschatz Albrrcht Grötsch in gleicher Stellung zum Bezirksgericht Annaberg beschlossen und den seit her als Hülfsarbeiter beim Appellationsgericht zu Leipzig ver wendeten Gerichtsrath beim Bezirksgericht Chemnitz Karl Louis Wehinger zum Direktor des Bezirksgerichts Oschatz ernannt, ebenso den Adjutanten des 13. Infanterie-Bataillons, Haupt mann von Schönberg-Pötting wegen Uebernahme eines Com pagnie-Commando's der Adjutanten-Function enthoben und solche dem Oberleutnant Freiherrn von Friesen desselben Ba taillons übertragen, auch den Leutnant von Beulwitz I. vom 3. Infanterie-Bataillone zum Oberleutnant ernannt. — Bezüglich einer telegraphisch eingegangenen Meldung der „Bayerschen Zeiiung" welche erwähnt, daß Preußen an Hannover und Sachsen eine fünftägige Frist zur Räumung Holsteins und Lauenburgs gestellt haben soll, — bemerkt das Dr. Journal, daß bis zur Stunde eine derartige Er klärung Preußens an die diesseitige Regierung nicht ge langt war. — Nachdem von Berlin und Frankfurt grme det wird, daß das sechste LnneecorpS bei Torgau conceNtrirt werde und daS virrte ArmrrcorpS Ordre zur Kriegsbereitschaft erhalten habe, um nach Befinden an die sächsische Grenze zu rücken und Leipzig zu besetzen: so ist man auch Seilen der hiesigen Negierung nicht müssig und es werden alle Vorbereitungen ge troffen» um einer etwaigen Jnv sion energisch rntgegrnzutreten. — Die vorgestrige erst« Vorlesung von Herrn vr. Schede, im Saal des Hotel de Pologne, war sehr zahlreich besucht, was zu beweisen scheint, daß die Phrenologie auch in Deutsch land nachhaltige- Interesse gewinnt, denn di« Neugierd« ist es Wohl nicht mehr, welche die Zuhörer an zieht. Das praktische England ist un» in der Anerkennung der Phrenologie immer voraus; ein Engländer sagte unS kürzlich, daß »an kaum mehr einen englischen Roman in die Hand nehmen kann, in dem nicht von Phrenologie die Red« ist. Der Streit für und Wider kann sich nur noch um das Mehr oder Weniger drehen, die Sache selbst liegt jedem Gebildeten zu nahe, um nicht sein Voller Interesse zu erregen. — Heute, Donnerstag, findet die zweite Vorlesung statt. — Wie wir vernehmen, hatte die hier lebende Frau Johanne Helmcke aus Hamburg schon einige Zeit b«v> r noch die jetzt bekannte Verordnung des König!. Ministeriums des Cultus an den Vorstand der hiesigen Zweig-Schillerstiftung erlassen wurde, bei dem Cultusministerium gegen die Wiederwahl Weimars zum Vororte der Schillerstiftung, sowie hauptsächlich gegen die versuchte Abänderung des Stiftungszweckes in einer umfänglichen Schrift Verwahrung eingelegt, und war die ge nannte Dame, welche bekanntlich nn Jahre 1855 den ersten Fond zur deutschen Schillerstiftung voll edler Begeisterung für die damals noch von keiner Seite geförderte Idee des verstorbenen vr. Julius Hammer durch ein Geschenk von 1000 Thlrn. begründete, dem sie späterhin eine zweite Gabe von gleichfalls 1000 Thlr. hinzufügte, bereits fest entschlossen, im Falle der Erfolglosigkeit dieses Protestes den Schutz der Gerichte gegen stiftungswidrige Verwendung der Erträgnisse der Stiftung für sich und zugleich im Interesse der übrigen Schrnkgeber anzurufen. Das Recht hierzu wäre ihr sicherlich von keiner Seite bestritten worden. Zum Glück wurde ihr aber dieser Schritt, welcher der Lage der deutschen Schiller stiftung eine höchst merkwürdige Wendung gegeben haben würde, durch die erwähnte Maaßregel des Königl. Cultus- ministeriums vorerst noch erspart. — — „Nur nicht nach Norden!" wurde das vierfache I>l auf den Uniform-Knöpfen der alten Napolconschen Armee ge deutet. Für Schneidergescllen dürfte jedoch diese Devise gegenwärtig keine Anwendung finden,- denn in Folge der letzten Revolution in Russisch-Polen ist daselbst großer Mangel an Arbeitskräften eingetreten, daß die Schneidergenoffenschaft in Wien von Warschau aus angegangen wurde, sofort 100 Schneidergesellen abzuschicken. Die Reisekosten werden vergütet. — Mittwoch, den 28. December, findet im Restaurations locale zum Feldschlößchen die diesjährige ordentliche General versammlung der Actionäre der Bierbrauerei zum Frldschlöß- chen von Nachmittag 4 Uhr an statt. — Wie sich ergeben, beruht die gestern ergangene An zeige über abhanden gekommene Goldstücke auf einem Jrrthum deS Verlustträgers. Sie sind weder in der einen, noch der andern Straße, noch in einem Etablissement verloren worden. — Abermals ist in der Stadt so ein Schwindelfritz «ufgetaucht, der sich in Wohnungen niederläßt, die von Leuten vermiethet werden. Sehr bald aber ist der lockere Vogel wieder ausgeflogen, wo er vorher nicht versäumt hat, sich Etwas von seinen Wirthsleuten anzueignen, das sich versilbern küßt. — Als am 27. v. M. früh 2 Uhr 10 M. der Extra zug mit dem k. k. österreichischen 9. Jägerbataillon in Zittau eingelaufen war, wurde dem Commandeur desselben gemeldet, daß zwischen der letzten Station — Oderwitz — und dort ein Mann aus dem Wagen gestürzt sei. Der Bahnhofsin spector Teichmann, der solches hörte, traf auf telegraphischem Wege sofort Veranstaltung, daß von Oderwitz ab ein Bote auf der Bahnstrecke nach Zittau zu zur Auffindung des ver mißten Mannes abgesendet würde, während er gleichzeitig einen Boten nach Oderwitz entsendete.. Während dem lief nun von Neichenberg ein wohl über 90 Achsen starker Extra zug mit leeren Wagen ein, der sofort nach Löbau abgehen sollte. Um aber jede, dem vermißten Jäger drohende Gefahr abzuwenden, ließ Herr Teichmann solchen nicht abgehen, fuhr vielmehr ungesäumt auf einer beleuchteten Dräsine den Weg nach Oderwitz zu und war so glücklich, unweit des Schüler- thales bei Herbigsdorf den verloren gegangenen Mann, dem außer einigen leichten Contusionen nichts weiter wiederfahren war, auf dem Bahnkörper stehend aufzufinden. Kurz nach 3 Uhr früh kehrte Herr Teichmann mit ihm hierher zurück, so daß er schon mit dem nächsten Personenzuge früh H7 Uhr seinem Bataillone, dessen Commandant inmittetsi von der Auf findung telegraphisch benachrichtigt worden war, nachgesendet werden konnte. Der Dank des wiedergefundenen Jägers gegen Herrn Teichmann, der ihm in finsterer Nacht so uner wartet als Netter erschien, war ein sehr herzlicher. — Herr Ludwig Hoffmann giebt morgen (Freitag) im Hotel de Saxe ein interessantes Concert, das nur aus seinen eignen Compofitionen besteht. Die Freunde der Tonkunst mögen hiermit auf dies Unternehmen des strebsamen Compo- nisten aufmerksam gemacht sein. — Vorgestern Abend erregte auf der Wettinstraße ein Frauen zimmer in geisteskrankem Zustande die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden. Um einm Auflauf zu vermeiden, wurde die Person noch rechtzeitig zur Ruhe urd in das Stadlkran kenhaus gebracht. — Ein paar durch das Hera»brause« des Dampfwagens scheu gewordene Pferde jagten gestern Vormittag von der Ammonpraße nach dem Freibergrr Schlage, wo sie sicher mit dem anhängenden Rüstwagen in das Vogelgesang'sche Con« ditoreivaaren - Geschäft gerannt wären, hätte sie nicht eia v. Nohrscheidt'scher Kohlenträger mit eigener Gefahr aufge halten. Der Kutscher soll die Pferde nicht abgesträngt haben, während er sich in einem Kaufmannsladen in der Ammon« straße Cigarren holte. — Gestern ist die neue Schlick'sche Dampffähre durch beide Brücken nach ihrem Bestimmungsorte am Eibberge ge bracht worden. Jedenfalls wird dieselbe nun in nächster Zeit ihren Dienst beginnen. — 8 Der jetzt im Hotel zum Rheinischen Hof ausge stellte Glas-Stereogramm-Salon des Herrn Kallenberg ent hält eine reiche Auswahl der schönsten und interessantesten Ansichten der Welt, unter denen sich besonders als etwas ganz Neues die bei elektrischem Licht- und Mondschein aufge nommenen Nachtphotographien, Land- und Seestücke auszeich nen, sämmtlich von dem berühmten Photographen Ferrier in Paris an Ort und Stelle selbst ausgenommen. Man ver wechsele diese hier zur Ansicht aufgestellte Sammlung nicht mit früher hiergezeigten, da diese von jenen an Klarheit und Schärfe weit übertroffcn werden, auch ist die Einrichtung der Besichtigung eine ganz neue und viel bequemer als z. B. bei derjenigen Duret's, während man damals von einem Kasten zum andern rücken und sich selbst die verschiedenen Ansichten vor das Auge bringen mußte, bleibt man hier ganz ruhig auf seinem bequemen Sessel sitzen und läßt mit Muse die Ansichten an sich vorüberziehen, und was jetzt nicht zu ver achten, im warmen Zimmer. — Der diesjähre hiesige Christmarkt wird in der Woche vom 19. bis mit 24. December — der Christtag fällt be kanntlich in diesem Jahre auf einen Sonutag — abgehalten werden. Inländischen Fabrikanten ist gestattet, am 16. und 17. Maaren auszulegen, solche jedoch nur en ßros zu ver kaufen. Der Christmarkt wird insofern eine veränderte Ge stalt erhalten, als behufs der Erleichterung des Waarenab- satzes rc. nicht nur in der Altstadt, sondern auch in der Neu stadt auf der Allee der Hauptstraße Buden und Verkaufs stände während der ganzen Dauer des Christmarktes aufgestellt sein werden. Dagegen sollen sonst nirgends solche errichtet werden. Die westlichen Seiten der Schloßstraße, des Alt markts und der Seestraße sollen frei bleiben und ebenso sind die übrigen Plätze und Straßen der Stadt von Verkaufs- ständen ganz frei zu halten. Ferner ist das Auslegen der Christbäume auf dem Postplatze und an der Kreuzkirche ver boten. — Im „Leipz. Tagbl." befindet sich folgende Anzeige': „Jetzt, da es sich hinlänglich herausgestellt, daß unsere armen Soldaten biH zur definitiven Regelung der schleswig-holstein- schcn Verhältnisse im Norden bleiben müssen, wo sie neben den alliirten Armeen eine so unerquickliche Rolle zu spielen hatten: jetzt ist es Wohl Zeit, daran zu denken, ihnen wenig stens einen Weihnachts- und Sylvestergruß als Zeichen unserer herzlichen Theilnahme zu spenden. Das vorjährige Comitü wird ja wohl diese Götterfunkensache wieder brüderlich in die Hand nehmen? Am besten dürfte es sein, das Eingehende baar zu schicken, damit Jedem beliebige Verwendung gestattet werde." — — Seit ungefähr 8 Tagen ist auS Leipzig der frühere Lohndiener und Agent Carl August Lippert. Hauptagent der Dresdner Militä Pflicht-VersicherungShank für den Leipziger Kreis, verschwunden. Er soll der Direktion jener Bank vor seiner plötzlichen Abreise die schriftliche Mittheilung ge«acht haben, daß er eine Summe von ungefähr 1400 Lhalern, der Bank gehörige Gelder, verloren und deshalb dm Entschluß gefaßt habe, nach Amerika zu geh n. — -f Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom 30. November. Zwei jugendliche Angeklagte stehen heut vor dem Richter, Beide in gleichem Alter und fortgesetzter Verbrechen beschuldigt. Es sind zwei Handlungslehrlinge, deren ersten man größere Unterschlagungen, dem zweiten Partiererei zur Last legt. Der Hauptangeklagte gesteht seine Schuld sofort unumwunden zu. Nur ein Zeuge ist erschienen, der Verletzte, der hiesige Kaufmann Reinhardt Klingner. Camillo Grützner ist kaum 18 Jahre alt, aus Freiberg gebürtig und war bei Kauf mann Klingner erst seit dem Oktober 1863. Am 13. Oktbr. 1864 verschwand er plötzlich, schickte einen Dienstmann und ließ sich entschuldigen, er sei krank, er könne heut nicht kom men. Er war eigentlich im Geschäft Faktotum, er mußte auf Reisen gehen, die Buchführung besorgen, ja sogar auch das Jncaffo. Sein Kollege Karl Wilhelm Eduard Schneppe, auch 18 Jahre alt, war beim Kaufmann Roch auf der Gro ßen Meißnergasse in der Lehre. Er kennt seinen Freund Grützner schon seit der Schulzeit her. Grützner gesteht zu, s-inem Dienstherrn Klingner nach und nach gegen 250 Thaler unterschlagen zu haben und Schneppe half beim Verthun deS Geldes bis zu einer Höhe von etwa 70 Thalern. So sagt es wenigstens Grützner. Er will allgemeinen Auftrag zum Jn- casso gehabt haben, obgleich dies sein Principal nicht zugiebt. Er hatte nur einzelne Aufträge und konnte seiner Anrechnungen gemäß ganz gut bestehen. Konnte er nicht auskommen, dann war es seine eigene Schuld. Er sei auch nur sehr wmig für ihn gereist, höchstens könne er im Ganzen etwa 9 Tage weggewesen sein. Er hat nur Schandau, Potschappel, Weh len. Loschwitz, Pirna und Großenhain besucht. Nach Losch- witz ist er mit einem besonders gcmietheten Geschirr gefahren, obgleich er den Befehl hatte zu Fuß zu gehen. Ueberhaupt fuhr er sehr viel und sehr gern. Wir hören, daß er einmal dem Lohnsuhrwerksbesitzer Sauerstein 6 Thaler, dem Bereiter Gärtner 8 Thaler bezahlt habe. Trotzdem er gegen 250 Thaler nach und nach unrechtmäßiger Weise an sich gebracht, wurden bei seiner Verhaftung doch nur 81 Pfennige bei ihm vorgefunden. Er will theilwcise viel von dem Gelde auf dm Reisen zugesetzt haben, weil er spärliche Auslösung hatte. Auch kaufte er sich eine Uhr für 7 s Thlr., eine Kette für 5 Thaler und einen Ring für 2 Thaler. Dies Alles liegt heut auf dem Gerichtstisch. Es wird dem Verletzten als theilweiser Ersatz angeboten, er nimmt cs aber heut noch nicht an, sondern will sich erst später darüber aussprechen. Beide, Grützner und Schneppe führten ein flottes Leben. Die ho nettesten Wirtschaften wurden besucht, mit Geschirr ausge fahren, des Sonntags ausgeritten. Außer Schneppe wurden auch noch Andere gern traktirt. In einem hiesigen, unheim lichen, sehr verlockenden Hause wurden eines Tages 12 Thlr. todtgeschlagcn Schneppe will nicht gewußt haben, woher sein Freund das Geld gehabt. Letzterer hatte auf Befragen einmal geäußert: „Ich habe es von meinem Alten!" Wer der „Alte" war, ob der Vater, ob der Principal, das ist un entschieden. Schneppe hat dabei geglaubt, er meine den Va ter; denn er selbst sagt: „Ich habe meinen Principal niemals Alten genannt!" Die Aussagen beider Angeklagten weichen heut sehr ab. Einmal sagte Grützner seinem Freunde, er habe viel Geld in der Lotterie gewonnen, daher rühre sein Reichthum her. Grützner hatte die Absicht, Ersatz zu leisten. Er stellte seine ganze Hoffnung auf seinen Bruder, der in Freiberg wohne. Zu dem wollte er gehen, obgleich er sehr „ernst und streng" sei. Aber die Reise habe sich so hinge- zogen, bis er endlich, nachdem alles Geld bis auf die oben genannten 8l Pfennige durchgebracht war, verhaftet wurde. Der höchste Betrag, den Grützner unterschlug, stellt sich mit 37 Thlr. 26 Ngr. und 3 Pfg. heraus, welche Summe er i« Großenhain für seinen Herrn cinkassirte. Dann sind es lauter kleine Summen, welche bis zu etwa 250 Thlr. im Ganzen heran- wachsen. Hr. Staatsanwalt Held hebt in Bezug auf Grützner die