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89 Iahri„g. Inserate werden bis Vormittag l l Ubr angenom- ! F» F» /» men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile 1 FHFMUH oder deren Raum 1S Pf. -».VW Erscheint jeden Wochentag Nachmitt.V^UHr für dm S°Lch?SÄM^ Dienstag, den 28. November. MkWrWyeW und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Lerautwortlicher Redakteur: Iuliu« Braun iu Freiberg. Nachbestellungen arrf den Monat Dezember werde« zum Preise von 75 Pf. vo« alle« kaiserliche« Postanstalten sowie vo« de« be kannte« Ausgabestelle« u«d der unterzeichnete« Expedition »«genommen. Expedition der Freiberger Anzeiger. Die Abreise des Generals Kaulbars. Die russische Regierung läßt sich von der panslavistischen Partei noch weiter in ein sehr bedenkliches Fahrwasser drängen, trotzdem nicht nur die Reden Salisburys, Kal- »okys und Andrassys, sondern auch die Haltung der Berliner Regierungsblätter das Petersburger Kabinet von der zwingenden Nothwendigkeit eines versöhnlichen Einlenkens hätten belehren müssen. Darüber ließen die Traktatmächte keinen Zweifel, daß sie ein militärisches Eingreifen in Bul. ganen nicht zugeben; sie gestanden aber Rußland dafür das Recht zu, für den erledigten bulgarischen Thron einen Kandidaten vorzuschlagen. Trotz sewer nicht sonderliches Vertrauen erweckenden Persönlichkeit ist von Deutschland, England und Italien der dazu von Rußland ausersehene Fürst von Mingrelien unweigerlich acceptirt worden und auch Oesterreich Ungarn würde schließlich seine Zustimmung nicht versagen. Die Mächte sind in ihrem Bestreben, den europäischen Frieden zu erhalten, noch weiter gegangen, in dem sie Rußland sogar aufforderten, einen Weg vorzu schlagen, der zu einer Verständigung mit der bul garischen Sobranje führen könnte. Die bulgarische Nationalversammlung selbst zeigte sich in jeder Weise bereit, einen ehrenvollen Ausgleich mit Rußland einzugehen und sich das Wohlwollen des Zaren zurück zu erwerben, in welchem die Bulgaren den Sohn ihres edelmüthigen Be freiers, des Kaisers Alexander II., verehren. Alles dies vermochte die Moskowiten nicht zu befriedigen, die Bulgarien ein fach zur russischen Provinz machen möchten. Da solche Einverleibung die Pfcktte sofort über den Werth der rus sischen Freundschaft belehren würde, denkt man in Peters burg und Moskau, zunächst Bulgarien zu Rußland in ein ähnliches Verhältniß zu bringen, wie dasjenige ist, in dem Bosnien und die Herzegowina durch den Berliner Vertrag zu Oesterreich-Ungarn gelangt sind. Man vergißt dabei nur, daß gerade diese von Oesterreich okkupirten Provinzen und das Königreich Serbien durch die Nähe einer russischen Satrapie in beständige Aufregung versetzt werden könnten. Daß die Mächte die fortwährende Beunruhigung verhindern wollen, davon zeugt der von Deutschland, Oesterreich-Ungarn, England und Italien gemeinsam gefaßte Entschluß, dahin zu wirken, daß die Frage der bulgarisch-rumelischen Union noch vor der Fürstenwahl erledigt werde. Von Rom aus sind Präliminar-Vorschläge wegen Ein berufung einer europäischen Konferenz zur Regelung der bulgarischen Frage gemacht worden und sind die meisten Mächte geneigt, über das künftige Schicksal Bulgariens durch einen entsprechenden Zusatz zu dem Berliner Vertrage zu bestimmen. Rußland bezeugt aber keine Lust, sich hier bei dem Wahrspruch Europas zu fügen. In demselben Augenblick, wo die Mächte und Bulgarien selbst dem Zaren, so weit als sie können, die Friedenshand entgegenreichten, wies dieser den General von Kaulbars an, nach Rußland zurückzukehren und befahl gleichzeitig sämmtlichen russischen Konsuln in Bulgarien und Ostrumelien, ihre Konsulate zu schließen. Den russischen Blättern ging darüber folgende amtliche Mittheilung zu: „General von Kaulbars war, angesichts der Beleidigungen, welche sowohl russische Unter- thanen, wie auch russischen Schutz genießende Personen an verschiedenen Orten Bulgariens erlitten, genöthigt ge wesen, Natschewitsch zu erklären, daß er bei der ersten Vergewalti gung, die irgendwo auf bulgarischem Territorium vorkomme, ich gezwungen sehen werde, mit sämmtlichen russischen Kon- uln Bulgarien zu verlassen. Am 5. November fand ein neues Attentat auf einen Kawassen des General-Konsulates in Philippopel statt, welcher auf dem Gange zum Tele graphenamt behufs Aufgabe von Depeschen von einem Haufen Soldaten, sowie von mit Stöcken bewaffneten Leuten überfallen und derartig mißhandelt wurde, daß er besinnungs los m's Generalkonsulat gebracht werden mußte. Nach TageSscha«. Freiberg, den 22. November. In den deutsche« Regierungskreisen dürfte die That- soche, daß die russischen Unterthanen in Bulgarien, entgegen den früheren Meldungen, unter französischen anstatt unter deutschen Schutz gestellt wurden, als eine unfreundliche Kund gebung gegen Deutschland aufgefaßt werden. In den militä rischen Kreisen der deutschen Reichshauptstadt, die sich lebhaft mit den russischen Verhältnissen beschäftigen, erregte die Be merkung der hochkonservativen „Neuen Preuß. Ztg." Aufsehen, daß ein statistischer Fachmann, der sich mit diesen Verhältnissen seit fünfundzwanzig Jahren beschäftigt, erklärt hat, er getraue sich nicht einmal die Frage zu beantworten, ob Rußland KO oder 100 Millionen Einwohner habe. Nun ist es an sich ja ebenso gut möglich, daß hinter diesem Unbekannten ein ungeheurer Ueberschuß an Kräften lauert, als das Gegentheil. Von praktischen Kennern Rußlands hört man aber überein stimmend, daß die innere Kraft deS Reiches seinem äußeren Umfange in keiner Weise entspreche. — Von deutsch-freisinniger Seite ist die Behauptung aufgestellt worden, daß die uner wartete Beschleunigung der Septennats-Vorlage der beste Beweis für gute Friedeusausfichten sei, weil in unruhigen Zeiten die Reichsregierung erregte Reichstagsdebatten vermeiden würde. Ob diese Behauptung zutreffend ist, mag zunächst dahingestellt sein. Die Vorlage wird, bis sie an den Reichs tag kommt, sehr geheim behandelt, jedoch verlautet, daß die neue Präsenzziffer zwar nur eine mäßige Erhöhung erfahren soll, die Ausgaben sich aber dennoch dadurch um etwa 35 Millionen vermehren dürsten. In der am 19. d. M. abge haltenen Bundesraths-Sitzung gelangten nachstehende Etatsentwürfe für 1887/88 zur Erledigung: der Verwaltung des Reichsheeres, deS Reichs-Jnvalidensonds, des allgemeinen Penfionsfonds des Auswärtigen Amts, deS Reichs-Eisenbahn amts und der Reichsschuld, ferner der Besoldungs- und Pen sions-Etat der Reichsbank-Beamten. Den Gesetzentwürfen wegen Feststellung des Reichshaushaltsetats für 1887/88, be treffend die Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwal tung des Reichsheercs, der Marine rc. und über die Kontrole des Reichshaushalts und des Landeshaushalts von Elfaß- Lothringen für 1886/87 wurde die Zustimmung ertheilt. Mit der Wiedervorlegung der in der vergangenen Session deS Reichstages unerledigt gebliebenen Gesetz-Entwürfe wegen Er richtung eines Seminars für orientalische Sprachen und über den Servistarif und die Klassenemtheilung der Orte erklärt« von dem Minister von Giers im Auswärtigen Amt in Petersburg, aber unter dem Einfluß des PanslavistensührerS Katkow an nicht minder einflußreicher Stelle abgefaßt worden sind. Täglich werden dem ministeriellen „Journal de St. Petersbourg" in den strengnationalen Organen Grob heiten gesagt, welche die sonst so strenge russische Zensur ruhig durchgehen läßt. Die Erbitterung in diesen Kreisen ist groß, weil ihr Liebling und Vertrauensmann nach Ver schwendung von Geld und Mühe Bulgarien verlassen mußte, ohne die jetzige bulgarische Regentschaft durch eine russen freundliche Gegenrevolution gestürzt zu haben. Eines ist Kaulbars gelungen, nämlich die Zahl der Feinde Rußlands zu vermehren. Bezeichnend dafür ist, daß selbst der sonst für Rußland begeisterte Czechenführer vr. Rieger in der österreichischen Delegation die Mission Kaulbars verdammte und von einem „Balkanpolen" sprach, das sich Rußland großziehen wolle. In Berlin hat sich seit dieser Mission nicht nur die „Nordd. Allg. Ztg", sondern sogar die hoch konservative „Neue Preuß. Ztg." von der russischen Politik abgewendet, trotzdem das letztere Blatt bisher zu allen Zeiten für das innigste Bündniß zwischen Preußen und Rußland eintrat. Nichtsdestoweniger will man es in Peters burg noch nicht glauben, daß die eine vollständige Absage enthaltende Rede des Grafen Kalnoky die Billigung deS Fürsten Bismarck gefunden habe. Ueber den sonst in Peters burg so beliebten österreichisch-ungarischen Staatsmann ziehen jetzt die russischen Blätter in fast unglaublicher Weise los, was gerade der im Interesse deS Weltfrieden« dringend erforderlichen Verständigung zwischen Oesterreich und Ruß land nicht sonderlich förderlich sein kann. Trotz dieses Tobens der russischen Presse und trotz der Abreise der russischen Konsuln aus Bulgarien glaubt man in sonst wohl unterrichteten Kreisen Wiens und Berlins an keinen Krieg und hält sich an das Wort des Grafen Andrassy: „Ruß land ist nicht so furchtbar, als es aussieht, weil die Welt auch heute noch nicht hinter den Schleier zu sehen vermag, der die Zustände des Riesenreiches verdeckt." dem General von KaulbarS ermittelt hatte, daß der Ueber- fall auf Befehl der Militärbehörden geschehen sei, forderte er von Natschewitsch die Absetzung deS Kommandeurs der Lokalbrigade und des Stadtkommandanten, sowie die exem plarische Bestrafung der bei dem Ueberfalle betheiligten Leute und verlangte ferner, daß der russischen Flagge die üblichen militärischen Ehren erwiesen würden, v. Kaulbars wies in der bezüglichen Note darauf hin, daß, falls die Genugthuung nicht bis zum Abend des 17. November er folge, er Bulgarien verlassen werde. Da jedoch bis zu diesem Termin weder die geforderte Genugthuung gegeben noch auch überhaupt eine Antwort erfolgt ist, so muß General von Kaulbars heute früh aus Sofia abreisen. Sämmtliche russische Konsuln in Bulgarien und Ostrumelien haben ebenfalls Befehl, ihre Posten zu verlassen. Das Communiquö schließt mit der Anführung der von General von Kaulbars an das bulgarische Ministerium am 8. d. M. gerichteten Note, in welcher die Beschwerden Rußlands zu sammengefaßt werden." Darauf richtete der bulgarische Minister des Aeußeren, Natschewitsch, an Kaulbars ein Telegramm, welches die Bitte enthielt, er möge sein Ultimatum um fünf Tage ver längern. Kaulbars schickte aber das Telegramm an das Ministerium mit der Bemerkung, eS sei zu spät. Außerdem ließ der russisch« General in Sofia Plakate anschlagen und Zirkulare vertheilcn, in denen er der Bevölkerung ver kündigte, daß er und alle russischen Konsularbeamten Bul- garien verlassen würden. Das nationale Blatt „Nesa- wissima Bulgaria" begleitete diese Ankündigung mit den Worten: „O, gehen Sie, Exzellenz, in Gottes Namen, damit Bulgarien ein wenig Ruhe genieße!" Kaulbars empfing vor seiner Abreise den Besuch der meisten Ver treter der Mächte in Sofia, welche sich von ihm persönlich verabschiedeten. Bei seiner Abreise warm etwa 60 Per sonen von der Bevölkerung Sofias zugegm. Der General sagte, er verlasse das Land, weil die Regenten desselben die Stimme Rußlands nicht hören wollten. Die bulgarische Regentschaft erließ einen von Lom Palanka aus datirten Aufruf an die Bevölkerung, in welchem die Abreise der russischen Vertreter kundgegeben, der Emst der Lage dar aelegt und die Aufforderung zu einer ruhigen patriotischen Haltung erlassen wird. Die Flagge auf dem russischen Konsulate in Varna ist Sonnabend Nachmittag um 4 Ubr eingezogen worden. Der Konsul schiffte sich eine Stunde später an Bord eines russischen Kriegsschiffes ein. Eine zahlreiche Menge begleitete den Konsul bis zum Einschiffungs- vlatze. Die Ruhe ist nirgends gestört worden. Auf Wunsch Rußlands übernahm die französische Regierung den Schutz der in Bulgarien zurückbleibenden russischen Unterthanen. Das Petersburger Kabinet wird in den nächsten Tagen über die bulgarischen Ereignisse und über die Thätigkeit des Gene rals Kaulbars ein Memorandum an die Großmächte richten. Inzwischen erläutert das in Brüssel erscheinende Organ des russischen Ministers von Giers, „die Abreise des Generals Kaulbars sei kein Rückzug, sondern ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Drese Entscheidung bedeute nicht, daß Rußland mit der bulgarischen Frage ferner sich nicht befassen werde, ebensowenig, daß es eines der beson deren und internationalen Rechte aufgebe." Jedenfalls würde die Abreise des General von Kaulbars ohne den Abbruch der diplomatischen Beziehungen allseitig mit Jubel begrüßt worden sein, denn dieser angebliche diplomatische Agent des Zaren zeigte in Bulgarien ein so aufreizendes Benehmen, daß man das ruhige Verhalten der Bulgaren solchen Pro vokationen gegenüber allgemein bewundernswerth finden mußte. Da Kaulbars als Sühne für die polizeiliche Fest nahme eines russischen Konsulatsdieners in Philippopel die Absetzung desselben Polizeichefs forderte, der dort vorher eine russenfreundliche Verschwörung im Keime erstickte, liegt der Gedanke nahe, daß der Konsulatsdiener Skandal ver ursachen mußte, um einen Vorwand zur Beseitigung eines zuverlässigen regierungsfreundlichen Beamten zu schaffen. Dem Kawassen, dem die ostrumelischen Behörden schließlich kein Haar zu krümmen wagten, verlieh der Zar das nur als Lohn für dem Feinde gegenüber bewiesene Tapferkeit bestimmte russische Georgkreuz. Schon vor diesem Vorfall mußte die ministerielle „Nordd. Allg. Ztg." einsehen, daß sie die Fiktion, als ob Kaulbars ! in Sofia ohne Wissen und Willen des Zaren die Bulgaren ! brüskire, nicht aufrecht erhalten könne. Auch die Darstel lung, als ob der häufig an Krämpfen leidende General halb unzurechnungsfähig sei, erwies sich als trügerisch. ' Derselbe handelte nach Vollmachten, die wahrscheinlich nicht !