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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prunnmermwnei-Preis 22j TUbergr. sj Tßlr.) viernULdrljch, 3 THIr. sür da« gnnze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Literatur- Blatt in Berlin in der Erpedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); 'in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 39. Berlin, Freitag den 31. März 1843. Dänemark. Die Grönländer. Von Jens Schjelderup Snecdorf. Die Spanier entdeckten eine neue Welt, und diese Entdeckung wurde die Quelle von vielen neuen Wahrnehmungen und Erfahrungen in den Natur wissenschaften, der Arzneikunde, Erdbeschreibung, im Handel und in der Schiff fahrt. Aber das wichtigste Gebiet alles menschlichen Wissens, die Geschichte der Menschheit selbst, gewann durch diese Entdeckung nur äußerst wenig. Die Bewohner der neuen Welt bestanden zum Theil aus Wilden, zum Theil aus verweichlichten Völkern. Die Wilden zeigten den Menschen in seinem rohsten Zustande, in welchem er noch dem Thiere gleicht und seine Freiheit nur dazu gebraucht, um zu rauben und zu verwüsten, — also gerade so, wie uns die Geschichte die ersten Bewohner Europa's und Astens beschreibt. Bei den ge bildeteren und in Städten lebenden Völkern hingegen traf man mit den Rcich- thümern und Künsten auch alle Laster und Gebrechen, welche den Untergang der Staaten herbeiführen, nämlich Feigheit, Ucppigkeit, Wollust, Tyrannei, Aberglauben und Knechtschaft. Dies war nichts Neues, — nichts, was man nicht schon im alten Babel, in Ninive, TpruS, Jerusalem, Rom und Karthago gefunden hätte. Auch in denjenigen Lastern, von welchen man glaubt, ste entstehen zufällig und pflanzen sich dann durch das Beispiel fort, auch in diesen glich die neue Welt der alten. Sie hatte ihre abscheulichen Götzen, denen Menschenopfer gebracht wurden, ihre Despoten, Eroberer und Menschen fresser. Die Reichthümer und die Fruchtbarkeit der neuen Welt erregten die Be- gierden der Europäer; — ste wetteiferten, sich eines Landes zu bemächtigen, auf welches ste kein anderes Recht hatten als das, was ihnen die Uebcrmacht und die Erfindung des Schießpulvers gewährte. Unsere Landsleute — die Dänen - kamen zu spät, um ein neues Peru oder Meriko zu finden; aber sie entdeckten ein Land, in welchem Menschen lebten, die ihre natürliche Frei heit nicht mißbrauchten und das Laster nicht kannten. In den Augen deS Weisen dürfte dieser Fund wichtiger sepn als alle andere Entdeckungen, die man in der neuen Welt gemacht. Wollen wir den Menschen kennen lernen, wie er von Natur ist; wollen wir wissen, was in seinem Charakter wesent lich, waS zufällig ist; wie wir gedacht haben würden, wo kein Anderer vor uns gedacht; wie weit die natürlichen Tugenden auSreichen; ob die Laster unvermeidlich sind; — wollen wir wissen, was die natürlichen Bedürfnisse erheischen ; wie viele Dinge der Mensch entbehren könnte; ob eine natürliche Gemeinschaft möglich ist; ob eS Sicherheit außerhalb einer solchen geben kann; — will man wissen, was ein Mensch, der sich gänzlich selbst über lassen geblieben, über Religion, Gesetze und gesellige Verbindungen denkt; welche Begriffe von Pflichten uns angeboren sind; wie weit es möglich ist, dieselben in einem Zustande zu erfüllen, wo der Mensch weder die Triebfeder der Ehre, noch die der Furcht kennt; in wie weit das angeborene Pflicht gefühl im Stande ist, die Handlungsweise des Menschen bei Gelegenheiten zu bestimmen, wo Eigennutz, Hunger und der Trieb der Selbsterhaltung ihn zur Unterdrückung desselben auffordern; und will man endlich wissen, was ein Mensch, der nichts von unseren bürgerlichen Einrichtungen, unseren Sitten, Künsten und Erfindungen weiß, von allen diesen Dingen hält und wie er darüber urtheilt; so kann man in der ganzen bekannten Welt kaum ein Volk finden, von welchem man so viel hierüber erfahren und lernen kann, als von den Grönländern. Das, was wir von den Sitten dieses Volkes wissen, ist vorzugsweise dazu geeignet, die Nachrichten der alten Historiker und die Vermuthungen der Philosophen zu bestätigen. Sicher wäre also die genaue Untersuchung des Charakters der Grönländer eine Arbeit, welche die Aufmerk samkeit der Gelehrten mehr verdiente, als das Einfangen, Aufspießen und Klasfifiziren von Insekten oder daS Streiten über eine in Stein gehauene und verwitterte Inschrift. Ich will daher einige Züge aus dem Charakter der Grönländer hier anführen, die ich aus eigener Anschauung kenne. ES ist eine erwiesene Thatsache, daß man bei den Grönländern fast nicht ein einziges von den Lastern findet, mit denen alle andere Völker behaftet sind; und dies ist leicht zu begreifen, denn Ungleichheit und Ueberfluß — zwei Hauptquellcn von Verbrechen — kennen sie nicht. Diese Tugend. Hastigkeit ist also eine natürliche Folge ihres Zustandes- Es giebt aber auch Laster, die von Noth, Drangsal, Mangel an Nahrungsmitteln, an Raum, sich auszubreiten, u. dgl. herrühren. ES kommt oft in Grönland vor, daß Jagd und Fischerei eine so kärgliche Beute geben, daß viele Familien Hunger leiden. Von diesen Familien wohnen gewöhnlich sechs bis acht auf einem engen Raume zusammen, wo sie alle Wirthschaftlichkeiten gemeinschaftlich besitzen; cs kann daher nicht fehlen, daß Einer dem Anderen Schaden zufügt, ohne es zu wollen; wie mancher Topf mit Speise wird da zerschlagen, — wie manches Gefäß mit Thran umgestoßcn! aber stets reicht eine kleine Entschul digung hin, den Benachteiligten zufriedenzustellen. Nur selten oder fast nie mals hört man Zank in diesen engen Wohnungen, und noch weniger kommt es zu Schlägereien oder gar zu Mord. Wenn cs in Zeiten der Noth geschieht, daß ein Grönländer einen Wallfisch fängt, so betrachtet er diesen keinesweges als sein ausschließliches Eigcnthum; alle in der Nähe wohnende Familien nehmen von ihm mit derselben Freiheit, wie der, welcher ihn fing; und es entsteht auch nicht einmal Streit über diejenigen Dinge, welche sie für das Leckerste am ganzen Fisch halten, nämlich über die Haut oder den Schwanz. Wenn man sie fragt, was sie zu diesem löblichen Benehmen veranlaßt, so antworten sie, es scp von jeher so Gebrauch unter ihnen gewesen, — es müsse und solle so sepn, und es komme ihnen höchst sonderbar vor, daß es Nationen aus der Welt giebt, die anders denken und handeln. Sie halten die Europäer für Menschen von böser Art, die tief unter ihnen stehen. Wenn ein Grön länder in irgend ein Laster verfällt und z. B. Branntwein trinkt, den sic tollmachendcs Wasser nennen, so sagen sie, er ist ein Kablunak, d. h. ein Europäer, geworden. Als ein Geistlicher eines Tages mit ihnen von den ersten Menschen und deren Sündenfall sprach, antworteten sie, Avam könne wohl der Stammvater von den bösen Europäern sepn, nicht aber von ihnen, den Grönländern, deren Vorfahren stets gute Menschen gewesen. „Ihr schlagt und züchtigt Eure Kinder so häufig", sagen sie zu den Fremden, „und doch werden sie eben so schlimm wie ihre Landsleute. Wir schlagen unscre Kinder niemals, und sic sind gut." Die Grönländer gewähren den Kindern in der That die vollkommenste Freiheit und wenden keine Strafe an. Wenn sic aber sehen, daß die Europäer ihre Kinder züchtigen, so sind sic empört und sagen, jene verdienten nicht, Kinder zu haben. Ebeu so erstaunt sind sie, wenn sie die Europäer ihre Dienst- lcute und Untergebenen schelten hören. „Ihr behandelt Eure Mitmenschen wie die Hunde", sagen sie , denn die Grönländer bedienen sich der Schcltworte in der That nur gegen ihre Hunde. Eine Frau, die zänkisch ist und unge horsam gegen ihre» Mann, wird verstoßen. Dieser Ungehorsam ist der einzige Grund zur Scheidung, die jedoch nur selten vorkommt. Seit die Grönländer gesehen, wie eine Dänische Fregatte von beiden Seiten auf Holländische Schiffe Feuer gegeben, wird ein zänkisches Weib von ihnen eine Fregatte genannt. Nach den Beschreibungen, die man ihnen vom Kriege gemacht, bezeichnen sie den Soldaten oder Krieger mit einem Worte, welches in ihrer Sprache ei» grimmiges, reißendes Thier bedeutet. Die Grönländer, welche in Dänemark gewesen sind, geben zu, daß sich unter den Dänen einige Leute finden, die jene an Frömmigkeit und Wohl- thätigkeit übertreffen, die meisten wären jedoch sehr böse. Es fällt ihnen schwer, Worte zu finden, um ihren Landslcutcn das zu beschreiben, was sie gesehen. Die Häuser nennen sie Eisberge, deren Wände mit gestreiften Hemden beklebt sind, womit sie die Tapeten bezeichnen. Sie finden zwar bald Geschmack an unseren Speisen und häuslichen Bequemlichkeiten, — doch fühlen sic sich fortwährend durch die große Ungleichheit der geselligen Stellung der Individuen, welche unter uns herrscht, verletzt. Sie halten es für grau sam und unmenschlich, daß der Reiche dem Armen seine Hülfe verweigert. Die Luft in den großen Städten ist ihnen nicht rein und frei genug. Es ist „zu wenig Himmel" in Kopenhagen, sagen sie, und cs fehlt dort an der „hübschen Kälte", wie sie sich auszudrücken beliebten. Sehr begreiflich ist es, daß cS in unserer Sprache viele Wörter giebt, welche in der ihrigen nicht ausgedrückt werden können. Dies ist nicht nur der Fall für Konkreta, sondern auch für Abstrakta. Was ihrer Sprache und ihren Begriffen aber fast gänzlich abgehl, sind die meisten Bezeichnungen für gute und böse moralische Eigenschaften. So haben sie z. B. kein rechtes Wort, nm das auszudrücken, was wir Sünde, Falschheit, Hochmuth, Tap ferkeit, Gerechtigkeit, Schwelgerei, Verzweiflung, Ucppig keit, Ehrlichkeit, Demuth u. s. w. nennen.