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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerationtj- DreiS 22j Sgr. (; Thlr.) vierteljährlich, 3 TM. für dai ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man vränumerirt auf dieser Liieramr-Klan in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Ttaatö-Aeitung (Friedrichs,1r. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlandc bei den WohUöbl. Post-Äemiern. Literatur des Auslandes. 62. Berlin, Montag den 24. Mai L84I Frankreich. Die Bedeutung der Daguerreschen Erfindung für die Kunst. Als vor drei Jahren Daguerre's Erfindung ans Licht trat, glaubten nicht wenige Personen, die Malerei und die Kunst würden durch dieselbe vom Throne gestoßen werden. Die Aufgabe der Kunst, meinten sie, sey ja nichts Anderes, als eine möglichst getreue Nach ahmung der Natur. Hier sey nun ein Verfahren gefunden, ver mittelst dessen die Natur, zum minvesten die todte, sich wie in einem Spiegel in einer Metallplatte reflektire und auf derselben firirc. Andere berechneten im Voraus die unermeßlichen Wohlthatcn dieser Erfindung; sie sahen schon im Geiste die ganze bewohnte Erde auf den Metallplatten reflektirt und firirt; ihre Ahnung zeigte ihnen schon, wie sich die Stävte, ja ganze Länder ihre respektiven, frap pant ähnlichen Portraits zusendeten; sie hofften, daß vermittelst einer riesenhaften Ausdehnung des Daguerre'schen Verfahrens die ästhetischen Genüsse das Gemeingut aller Klaffen der Gesellschaft werden würden. In ihrem Entzücken hatten sie nicht bedacht, daß, wenn einmal der ganze Erdball ausgenommen seyn würde, nicht so leicht ein anderer zur Hand seyn dürfte, um die so furchtbar ange regte Neugierde zu befriedigen. Unterdeß kaufte die Französische Regierung das Gchcimniß der Erfindung, und es kamen mehrere Platten zum Verkauf. Die ersten stellten Notre-Damc, die Börse, den Pont-Neuf dar. Handwerks- leute kauften sie nicht, weil sie zu theuer waren: eine Platte kostete av — üO'Fr. Aber einer derselben, so erzählt man, rief, als er die Zuschauer entzückt vor einem Bilde des Pont-Neuf stehen sah, lachend auS: „Wahrhaftig, das verlohnte sich auch noch der Mühe!" Was wollte der wackere HandwcrkSmann wohl mit diesem bedeutungs schweren Worte sagens Meinte er damit, daß, wenn es einmal der Pont-Neuf seyn sollte, ihm der wahre eben so lieb sey wie sein daguerreotypirter Sofias? Meinte er, daß, wenn man vor einem Spiegel, der eine Baumgruppe, ein Feld u. s. w. reflektire, nicht in Entzücken gerathe, man dies auch nicht vor einer Platte thun dürfe, welche dasselbe Phänomen weit unvollkommener reproduzire, und daß, wenn es auch Herrn Daguerre gelingen sollte, die Farben zu firiren, wie er die Lichter und Schatten firirt habe, er doch immer nur ein transportirbares Spiegelbild, keineSwegcs aber ein Gemälde zu Stande gebracht habe? Ober hatte er vielleicht gelesen, daß die entzückende Schönheit des Gemäldes in der entzückten Seele des Künstlers liege? Oder war ihm instinktartig das Verstänbniß ge worden, daß dieser vollkommenen Nachbildung der Natur ein Etwas fehle, ein Reiz, welchen die weit unvollkommeneren Nachbildungen des Malers besitzen, und der allein dem Geiste eine dauernde An regung geben kann? Dieses Etwas, welches den Metallplatten fehlt, ist das Gepräge des menschlichen und individuellen Gedankens, ist die über die Leinewand ausgegoffene Seele, ist mit einem Worte die Kunst. Seitdem die Daguerrcsche Erfindung bekannter geworden, hat es sich auch gezeigt, daß nicht die schönen Künste das Gebiet sind, wo man wichtige Resultate von ihr erwarten muß. Noch ist hier im Gefolge derselben keine Revolution eingctreten, noch hat sich kein bemerkcnSwerther Fortschritt kundgegeben, und man kann sogar be haupten, daß sic, weit entfernt, dem Materialismus in der Kunst zu dienen, den schlagendsten Beweis geliefert hat, daß in den nach ahmenden Künsten die Nachahmung nicht der Zweck, sondern das Mittel der Kunst ist. Die neue Erfindung hat die Nachahmung bis zur größtmöglichsten Treue gesteigert; aber wer wollte behaupten, daß der Zweck der Kunst hier vollkommener erreicht sey, als in einem Gemälde von Claude oder Ruysdael? Allerdings bewundere ich das Genie, das die Wissenschaft mit einer neuen Erfindung bereichert hat; ich bewundere die Sorgfältigkeit der Ausführung, mit welcher keine Menschenhand in Wettkampf treten kann. Aber das ist auch Alles. Und wo bleibt da die poetische Empfindung, welche der Zweck der Kunst ist? Wo der künstlerische Gedanke, welcher daS Kunstwerk erst zum Kunstwerke macht? Welche Saiten klingen im Innern des Beschauenden an? Eine Metallplatte, welche den feinsten Zug mit mathematischer Genauigkeit wiedergiebt, hat kein Leben, drückt nichts aus. Sie ist der getreue Abdruck einer Gegend, aber ein kalter und stummer, und die physische und materielle Treue läuft mehr auf eine bloße von unseren Sinnes-Organen wahrgcnommene Identität als eme vom Geiste empfundene Aehnlichkeit hinaus. Die Malerei hat, wie alle schöne Künste, eine ihr eigenthüm- liche Praxis; diese Praxis besteht darin, daß sie die Umrisse der Gegenstände zeichnet und dieselben durch die Hinzufügung von Farben ergänzt. Bis dahin stimmt das Verfahren des Malers und des Daguerreotypes überein; nur daß, Praxis mit Praxis verglichen, die der Maschine ungleich vollkommener ist, als die des Künstlers. Aber damit hat auch die Maschine ihre Aufgabe gelöst, während die des Künstlers jetzt erst beginnt. Der Künstler bedient sich der Allen gemeinschaftlichen Praxis nur, um sie mit der ihm eigcnthümlichen Empfindung zu beseelen; so geht er über die Nachahmung hinaus zu der ihm eigenen Manier über, gerade wie der Dichter den Allen gemeinsamen Stoff der Sprache nach der Eigenthümlichkeit seiner Empfindung formt. Warum wären sonst die großen Landschafts- Maler, die doch Alle dasselbe Material gehabt haben, so verschieden von einander wie die Meister der Dichtkunst, die ebenfalls Alle den selben Stoff, die Sprache, verarbeitet haben? Die charakteristische Manier des Malers wie der Stil des Dichters, ist eine mannigfal tige, freie Ausdrucksweise, die so unendlich ist wie der Gedanke, aus dem sie hervorgeht; während die bloße Nachahmung ihre Beschrän kung in ihrem Zwecke findet und keine andere Verschiedenheit als die des Schlechteren und Besseren zuläßt. Oben ist gesagt worden, die Reproduktion einer Gegend u. s. w. durch das Daguerreotyp sey eine Reprovuction, deren Treue mehr auf einer von unseren Sinnes-Organen wahrgenommenen Identität als auf einer vom Geiste empfundenen Aehnlichkeit beruhe. Wir müssen diesen Punkt weiter ausführen. Tritt in einer Straße, welche durch das Daguerreotype ausgenommen wird, nicht irgend ein bemerkenSwerthcS Gebäude hervor, so ist die Aehnlichkeit nicht immer so frappant, als wenn der Pinsel eines geschickten Künstlers uns ein Abbild derselben giebt. So hat cs sich schon getroffen, daß die Bewohner einer Straße dieselbe in einer daguerreotypirten Dar stellung nicht wiedererkannt haben. Wir sprechen hier zunächst nur von den Darstellungen, die, wie es bei den Daguerreschen Platten der Fall ist, nicht vollkommene Identität erreichen. Sonst könnte uns dieser oder jener, der alle Tage zu seiner großen Beruhigung seine Person im ^Spiegel wicdererkennt, Einwürfe machen. Wir lassen aber den Spiegel, der vollkommene Identität gewährt, auf sich beruhen und halten uns an die Dagucrresche Platte, der zur vollkommenen Identität die Farbe fehlt. Da behaupten wir denn, daß fast identische Gegenstände weniger leicht und weniger rasch er kannt werden, als nur ähnliche. Um dieses anscheinende Paradoxon zu rcchfertigen, müssen wir also beweisen, daß die vollkommene Aehnlichkeit nicht von der Iden tität abhängt; daS ist nicht so gar schwer. Die Skulptur, der Kupfer stich geben eine der wesentlichsten Bedingungen der Identität, der Farbe, auf, ohne dadurch eine der Bedingungen der Aehnlichkeit zu opfern. Die Malerei, obgleich sic sich der Farbe bedient, erreicht doch die Aehnlichkeit nicht durch die Identität, und es ist wohl kei nem Zweifel unterworfen, daß, wenn von zwei Malern der Eine mit der ängstlichsten Sorgfalt, und ohne einen Grashalm zu ver gessen, eine Gegend kopircn wollte, der Andere aber danach strebte, nur daS Charakteristische zu fassen und darzustcllcn, dieser, und nicht jener, uns nicht nur die interessanteste, sondern auch die ähnlichste Darstellung geben würde. Lassen wir aber diesen Punkt noch auf sich beruhen und suchen wir einen Maler auf, der sich zum Kopisten macht. Bitten wir diesen, uns den Kaiser Napoleon in natürlicher Größe zu malen, bitten wir ihn, bei der Ausführung mit so ängstlicher Treue zu Werke zu gehen, daß man das Gewebe des Stoffes, die Stickerei der Tressen u. s. w. aufs genaueste erkennen kann. Um nun die Identität in einem Punkte zu unterbrechen, bitten wir ihn, die Nase etwas zu verlängern oder die Stirn herabzudrückcn. Wir haben dann wohl noch irgend eine Person, aber nicht mehr den Kaiser. Gehen wir sodann zu einem geistreichen Künstler und bitten wir ihn, uns einige Striche auf ein Stück Papier hinzuwerfen, bis der Kaifer vor uns steht. .Nehmen wir hieraus die Beine, den Ucberrock, den ganzen Kaiser hinweg, und lassen wir nur den kleinen Hut zurück. Auch dann ist er es noch. Was folgt daraus? Daß die Aehnlichkeit verloren geht, wo eine Bedingung der Identität fehlt, und daß sie besteht, wo keine dieser Bedingungen übrig bleibt. In diesem Beispiele, wird man sagen, ist der Hut mehr ein Symbol als etwas Aehnliches. Zugestandcn und um so lieber, als daraus gefolgert werden soll, daß jedes Aehnliche ein Symbol ist, und daß eben deshalb die Bedingungen der Aehnlichkeit ganz anderer Natur find als die der Identität. Was ist denn ein Symbol? Es