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Adorker Wochenblatt. M i t t h e i l tt n g e n über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Neunter Jahrgang. Dreis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: 1 Thaler, bei Beziehung des Blatter durch Botengelegenhcit: 20 Neugroschen. ^^30 Erscheint gebe Mittwoche. 24. Juli 1844. Neber die Stellung der Geistlichen zu ihren Gemeinden. (Fortsetzung und Beschluß.) Jetzt ist das freilich anders. Jetzt will man das Wesen, wo man sich sonst mit dem Schatten begnüg te. Jetzt soll der Geistliche, wie früher zu wenig, so fast zu viel sein. Nicht nur gelehrt und geschickt als Rcligionslehrer, sondern auch ein Vorbild für das Leben, ein wahrer Jünger deS erhabenen Stifters unserer Religion soll er sein; er soll nicht nur sür seine Lehre glühen, er soll, rhut's noth, auch dafür sterben können. Und das ist, offen gestanden, fast zu viel (für dreihundert Thaler, würden wir sagen, wenn es erlaubt wäre, in so ernsten Dingen mit Humor zu schreiben). Aber die Gegenwart verlangt eben viel! Daß ein Geistlicher, für den sich eine Gemeinde leb haft inleressiren soll, die Wahrheiten der Religion erkannt und durchdrungen habe, daß er ein tadelloser Sprecher und von allgemeiner Bildung sei, daß er ein wohltönendcs Organ, ein gefälliges Aeußere ha be, kommt als Vorbedingung nicht in Anschlag. Er soll mehr, er soll in der Kirche ein erhebender Redner, in der Gemeinde ein musterhafter Bürger, den Familien ein theilnehmender Freund, ja ein En gel deS Trostes und der Rettung sein. Ein mehr als menschlicher: ein göttlicher Beruf! Betritt er die Kanzel, soll sich sein Vortrag, sei er einfach, sei er geschmückt mit den Arabesken der Eleganz, klar ent wickeln: fest soll stehen, was zu erweisen istund dem Beweise selbst darf in seiner Zerlegung weder die Kraft der Bündigkeit, noch ihre Kunst mangeln; zum Schluß endlich reiße er, getragen auf den Wel len der Begeisterung, seine lauscheüden Hörer sort zu den reineren Pulsschlagen der Erhebung und Besse rung. Dabei sott der Diener der Kirche die öffent liche Erziehung leiten und beaufsichtigen, er befeuere, nmuthige und beschütze die Lehrer ober verstehe es, sie zu warnen und nöthigen Falles zu zwingen. Vor Allem aber sei der Geistliche als Mitglied der Ge meinde duldsam und bürgerfreundlich, und dies dürft le, wie der wichtigste, so der schwerste Theil seines jetzigen Berufes sein. Wer wird leugnen, daß auch die Duldsamkeit ihre Grenzen hat. Allzu duldsam kann schwach und pflichtvergessen werden; das ver langt man weder, noch ist es wünschenswerlh. Aber, daß ein Geistlicher Sinn, Gefühl und Bildung genug habe, die Grenzen der Duldsamkeit zu erkennen, und Aufopferung, Kraft und Geschick genug, diese Gren zen einzuhaltcn; das ist es, was nicht wir, sondern was die Zeit gebieterisch erheischt. Ob das schwer sei -oder leicht, wer kümmert sich darum? Genug, daß hier besser zu viel, als zu wenig geschieht. Man sei unduldsam gegen Uebergriffe, namentlich der ultra montanen und pietistischen Parrei, man schütze seine Rechte gegen den Katholizismus mit aller Festigkeit, welche die protestantische Kirche von ihrem Vater ge erbt haben könnte; man sei aber duldsam gegen Duldsame, Andersdenkende, Vorwärtsstrebende, mit einem Worte, gegen die neuere Philosophie. Man sei duldsam, um nicht feig, um nicht an der Innern ewi gen Wahrheit des eigenen Bekenntnisses verzweifelnd zu erscheinen. Man lasse seine Wahrheit leuchten, und sic wird siegen. Was kann der Zweifel anders, als unterliegen, gegenüber der Wahrheit? Wer den Kampf fürchtet, giebt sich selbst auf! Wozu nützen Truppen, dürfen sie nicht in's Feuer? Wozu nützt das Geld, als zum Ausgeben?— Doch, um nicht un duldsam zu scheinen in der Duldsamkeitspredigt selbst,' geben wir zu, daß cs auch anders und namentlich vor. sichtiger sein kann, den Kampf möglichst zu meide» und die Sache ruhen zu lassen, wie sie eben ruht und steht. So viel ist aber im Allgemeinen unleug bar, daß der protestantischen Geistlichkeit eine gewisse Duldsamkeit gegen alles.Ikationolt« nicht bist