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Dienstag. Eeipzig. Di« Zeitung er schein» mit «u«nnhmc de« Sonntag« täglich zwei mal und wird ausgegeben in Leipzig Vormittag« l l Uhr, Abend« V Uhr! in »retden Abend« s Uhr, Vormittag, 8 Uhr. V»«i* für da« Vierteljahr «V,Thlr.; jede einzelne Num mer I Ngr. Zweite Ausgabe. Abends 0 Uhr. 27. Januar L8S2 Nr. 44. -— Deutsche Allgemeine Zeitung. Zu beziehen durch alle Post ämtcr de« In- und Auslan des, sowie durch die tirpedl- tionen in Leipzig iOuer- straßc Nr. 8) und Dretde« (bei 8. Höckner, Neustadt, An der Brücke, Nr. 2.) «Wahrheit und Recht, Freiheit und Tesch!» Jnscrtionsgebübr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. telegraphische Depesche -er Deatsche« Mllgemeiae« Zeitung. Berlin, 27. Jan. 8'/« Uhr Morgens.*) Nach telegraphischer Nachricht aus Paris sind in Frank reich die. Adelötitel wiederhergestellt. Minister Magne und der Expräsident der Nationalversammlung, Generalprocura- tor des Cassationshofes, Dupin haben ihre Entlassung ein gereicht. *) Leider erst um II Uhr 16 Minuten, zu spät für unsere erste Ausgabe, hier eingekroffen. Deutschland. * Berlin, 26. Jan. In der heutigen Sitzung der ll. Kammer ent- spann sich, nachdem der Finanzministcr die Gesetzentwürfe über den Zei- tungsstempel und Wechselstempel cingebracht (Nr. 43), eine längere Debatte aus Anlaß der Petitionen des deutsch-katholischen Predigers Brauner und der hiesigen deutsch-katholischen Gemeinde wegen Auswei sung des Pfarrers Brauner aus Berlin. Die Abgg. Geppert und Brämer beantragen: die Petition dem Minister des Innern zur Abhülfc zu über geben. Die Commission beantragt: zur Tagesordnung überzugchen, und Ler Referent Sibcth vcrtheidigt diesen Antrag aus dem Grunde, weil Brau ner nicht als in Berlin ortsangehörig zu betrachten sei. Abg. Geppert er klärt, er sei ohne Sympathie für die Sache der Deutsch-Katholiken, aber es scheine, als ob hier eine Verfolgung vorliege. Auf keinen Fall sei cs rin angemessener Standpunkt für die Kammer, den die Commission auf- stclle, daß man sich nicht darum zu kümmern habe, wo Brauner, nachdem er aus Berlin, Breslau, Habelschwerdt rc. ausgewiesen sei, bleiben solle. Brau- ncr sei preußischer Unterthan und könne aus blos formellen Gründen nicht heimatlos gemacht werden. Regierungscommissar Geh. Regierungsrath Scherer hält aus formellen und materiellen Gründen die Ausweisung für gerechtfertigt. Er erörtert zunächst, daß jeder Niederlassung ein auf Gestattung derselben gerichtetes Gesuch vorangehcn müsse, und kommt dann auf die Beschuldi gungen, die Brauner zur Last gelegt werden. Er habe sich in die Sitzun gen »cs Vereinigten Landtags eingeschlichen, sich seit 1848 in die Politik gemischt, sich auf die Seite der Volkspartei gestellt rc. Ein an einen Flücht ling in Konstantinopel gerichteter Brief, den der Redner vorliest, soll er- Lebcn, daß Brauner bemüht gewesen sei, seine Gemeinde zu einer politi schen Genossenschaft, und zwar zu einer demokratischen, zu gestalten. Der von ihm herausgegebene „Katechismus für-Freie" leugne Gott, die Offen barung, die Mittlerschaft Christi rc. Der Staatsanwalt habe die Schrift nur freigegeben, weil er den Thatbestand der Gotteslästerung nicht darin gefunden habe. Abg. Simson: Der unangefochtene Thatbestand sei der: Ein preußischer Unterthan findet in Preußen keinen Ort, an dem er sich aufhalten kann. Er verlangt einen Paß in das Ausland, erhält jedoch kei nen. Er will ins Ausland — die alte deutsche Sprache sage „ins Elend" — auch das nicht einmal sei möglich. Jedem, er sei Demokrat oder nicht, Leutsch-katholisch oder nicht, müsse über diese Behandlung eines preußischen Landesangehörigcn das Herz bluten. Brauner sei mit den Beschränkungen Ler Polizeiaufsicht belegt worden, obschon diese nur unter gewissen Voraus setzungen zulässig seien. Das sei der tiefste Eingriff in die persönliche Frei heit, und es sei vielleicht nicht übel, daran zu erinnern, daß die Verfas sung jene gewährleiste. Das Ministerium des Innern habe für seine Ent- scheidung keine Gründe angegeben. Es sage: 8io volo, sie fubso, stab pro rstione voluntgs; es sage: das ist mein bon plgisir, Gründe habe ich nicht anzugeben. Der Redner führt dann aus, daß der Mangel der DrtSbchörigktit noch nicht zur Ausweisung berechtige. Nach alter Ucbung preußischer Verwaltungsbehörden hätte man ihn auf den Mangel aufmerk sam machen und zur Substantiirung eines solchen Gesuches veranlassen müs sen. Wenn aber Jedermann, der sich im Jahre 1848 an die VolkSpartci angeschlossen habe, aus Berlin verwiesen werden sollte, wohin sollten wir kommen? Der Zustand unserer Mitbürger, der von einer solchen Wirth- schaft, die mit der persönlichen Freiheit getrieben wird, zeugt, wie sic eines civilisirten Staats unwürdig ist, muß — damit sind alle Parteien in diesem Hause einverstanden — auf gesetzliche Weise enden. Regierungscommissar Scherer bedauert, von dem Redner theils misverstanden, theils nicht ver standen zu sein. Daß es mitunter heimatlose Personen gibt, kann die Ge setzgebung nicht verhindern. Sie kann nur die Mittel angeben, wie Jemand «inem solchen Schicksale zu entgehen im Stande ist. Eine solche Gesetzge bung ist eines civilisirten Landes vollkommen würdig. Brauner hat mit Absicht und Bewußtsein unterlassen, dem Gesche zu genügen. Die Aus weisung aber rechtfertige sich aus dem Paßedicte von 1817 hinlänglich, da Brauner ein der öffentlichen Ordnung gefährliches Subject sei. Die Staats regierung würde ihre Pflicht verletzen, wenn sie gegen einen Mann wie Brauner nicht alle gesetzlichen Mittel erschöpft hätte. Es sei Brauner lieb ! gewesen, nachdem er aus Berlin verwiesen war, auch aus andern Orten ! verwiesen zu werden, um seine Beschwerde zu colorircn. Abg. Beseler em- ! pfiehlt dem Regierungscommissar Achtung vor dem Unglück eines Mannes, der im Lande herumgejagt werde wie ein wildes Thier. Das Paßedict be ziehe sich nur auf Bettler und Vagabunden, auf dem Publicum lästige dienstlose Personen, nicht auf politisch oder kirchlich Misliebige. Jedenfalls habe die Polizei nicht die Grenzen zwischen kirchlicher Religionsübung und politischer Propagation zu ziehen, das sei Sache des Strafrichters. Negie- rungscommissar Scherer bestreitet, daß Brauner wie ein wildes Thier herum gehetzt werde, er lebe „behaglich" und ungestört hier in Berlin. Die Ab stimmung erfolgt durch Namensaufruf. Es stimmen für den Ucbergang zur Tagesordnung 95, gegen denselben 164. Die Ueberweisung an das Ministerium wird beschlossen. ^Berlin, 26. Jan. In der II. Kammer hat die Regierung heute abermals eine Niederlage erlitten. Schon seit langer Zeit wird die öffent liche Meinung durch das systematisch gegen die dissidentischen Gemeinden ge übte Verfahren irritirt. Unter dem Vorwande, daß diese Gemeinden poli tischen Charakters seien, Hal man ihnen die durch die Verfassung gewähr leistete freie Ausübung ihres Gottesdienstes verkümmert, ohne gerichtliches Verfahren, lediglich auf Grund polizeilicher Maßregeln. Während die prin- cipielle Seile dieser Frage soeben Gegenstand eines Antrags in der I. Kam mer geworden ist, hat die II. Kammer sich heute mit einer Beschwerde des Hrn. Brauner, bisherigen Predigers der hiesigen deutsch-katholischen Ge meinde, zu beschäftigen gehabt. Es ist Ihnen bereits bekannt, daß Hr. Brau- ! ner, von Berlin ausgewiesen, sich nach Breslau, dann nach Habelschwerdt gewandt hat, um dort die Niederlassung zu erhalten, doch vergebens. Er vermehrt jetzt die Zahl der in Deutschland nicht seltenen Beispiele, daß der Staatsbürger in seinem eigenen Vatcrlande heimatlos ist. Die Petitions commission der II. Kammer, deren Majorität neulich so warm die Berück sichtigung der Saurma'schen Petition wegen der Verfassungsrevision empfahl, schlug als Antwort auf Hrn. Brauncr's Beschwerde die einfache Tagesord nung vor. Natürlich erklärte sich auch die Negierung, die wiederum durch den bekannten Geh. Regierungsrath Scherer vertreten war, dafür. Hr. Scherer, der 1848 sich als Demokraten legitimirte, machte heute Hrn. Brau ner ein Verbrechen daraus, daß er im Jahre 1848 sich zur Volkspartei gehalten und daß er einem Freunde geschrieben, die hiesige deutsch-katholische Gemeinde florire nur durch den Anschluß an die Volkspartei. Von den Bänken der Linken ertönte hierbei der Zuruf: „Wie Sie!" und der Herr Rcgierungs- commiffar, der alle sonstige»» Einwände der Opposition mit aller ihm zu Gebote stehenden Dialektik zu widerlegen suchte, fand kein Wort der Er widerung auf diesen Zuruf. Sie mögen ermessen, welchen Eindruck diese kleine Zwischensccne auf die Anwesenden machen mußte. Das Höchste in der Humanität leistete der Regierungscommissar unzweifelhaft durch die Er klärung, daß Individuen, die keine Heimat fänden, letztere schließlich im Ar beitshause angewiesen erhalten würden. Sogar dem sonst so fügsamen Cen trum Geppert-Bodelschwingh war diese Art und Weise, mit preußischen Bür gern umzuspringen, zu viel. Gemeinsam mit der Linken beantragte Abg. Geppert die Ueberweisung der Petition „zur Abhülfe" an das Ministerium, und dieser Antrag ward angenommen, nachdem mit 164 gegen 95 Stim men die einfache Tagesordnung verworfen worden. Eine so bedeutende Ma jorität hat das Ministerium seit langer Zeit nicht gegen sich gehabt. In dem ich diesen parlamentarischen Sieg constatirc, fällt es mir natürlich nicht ein, einen praktischen Erfolg davon zu erwarten. — Die Neue Preußische Zeitung schreibt in einem Artikel aus Berlin vom 26. Jan.: Angesichts der Politik des wiener Cabinets hatten wir schon wiederholt auf die Fortschritte des Despotismus in Oesterreich hinge wiesen, als Hr. v. Florencourt sich noch damit beschäftigte, in der Deut schen Volkshalle die „organischen Staatseinrichtungen" Oesterreichs, seine wahrhaft „ständischen Gliederungen", seine „allem Bureaukratismus fremde Regierungssorm" auf Koste»» Preußens zu preisen. Heute schreibt Hr. v. Florencourt der Deutschen Volkshalle aus Wien: „Wenn sich die Ncaction in Oesterreich in ihrer einseitigen Richtung fortbewegt, wie eS jetzt ganz den Anschein hat, wenn man unter den» Vorwande der Kräftigung der kaiser lichen Gewalt auf eine absolute Militär- und Beamtenherrschaft loSsteucrt, so wird nicht nur das richtige Verhältniß des Kaisers zu seinen eigenen Ländern gänzlich verrückt und verschoben werden, sondern auch Oesterreichs Stellung zum Deutschen Bunde und zur Kirche muß über kurz oder lang eine feindselige werden. Von dem Augenblicke an, wo Oesterreich eine me chanische Beamtendespotie in seinem Innern vollständig durchführt, wird eS.