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Voiglliindischtr Anztiger. 8iebknunst sechszigster Jahrgang. Verantwortliche Redaktion, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plaue«. Dieses Vlatt erscheint wöchentlich dreimal, und zwar Dienstag-. Donnerstag- und Sonnabend-. Jährlicher Abonnement-pret-, auck bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die bis Mittags 12 ttbr eingchen. werden in die Tags daraus erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Ausnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gehaltene Korpus-Zeile berechnet. Donnerstag. A1A. LS. September 1886. - Polizeitaxe und Concurrenz. Dcr Vertrieb der zum Leben unmittelbar nölhigsten Verzehrögegcustände, des Brodes, Fleisches und an vielen Orlen auch des Bieres ist von ! jeher überall eine Angelegenheit ernstester Fürsorge aller Behörden, na mentlich in den Städten gewesen. Wo neun und neunzig Hundcrtthcilc l einer Bevölkerung an den. täglichen unmittelbaren Kauf solcher Lebensbe dürfnisse gewiesen sind, liegt auch die Beipflichtung jeder OrtSbehördc, jede Uebcrtheuerung hierin nach Möglichkeit zu verhüten, zu Tage auS. Lange Zeit schien cs zu diesem Behnfe nur e i n Mittel zu geben, die ! polizeiliche Taxe, die obrigkeitliche Bestimmung, zu welchem Preise ein gewisses Quantum Brod, Fleisch, Bier rc. verkauft werden müsse. Unseres Wissens besteht dieses System, die Verzehrer vor Uebcrtheuerung zu schützen, in Bayern noch heute im ganzen Umfange der Monarchie. ES hat dieses System ohne Zweifel seine guten Seiten für die Verzehrer, ! vorausgesetzt, daß die Polizei die Verkäufer in Bezug auf Quantität und I Qualität der Nahrungsmittel mit Argusaugen überwacht, täglich, fast stünd lich rcvidirt, die Sünder ohne die mindeste Rücksicht, ohne Ansehn dcr Person erbarmungslos straft, überhaupt dicses System in allen seinen Con- scqucnzcn, sie mögen für die anssührendc Behörde noch so beschwerlich und gehässig, für die betreffenden Gcwerbtreibenden noch so hart oder vcxato- nsch aussallcn, streng durchführt. Wenn irgendwo, so sind hierin halbe Maßregeln gar keine. Die Taxcn fcststellen, bekannt machen, darauf verweisen, ohne zugleich die uuausgesctzteste, strengste Revision und unaus bleibliche Strafe eintretcn zu lassen, giebt den Verzehrern gar keine Gewähr. Zu einer so sorgfältigen und strengen Ucbcrwachung gehören aber offen bar gänzlich unabhängige Beamte, Polizeier, die bis zum Geringsten herab ! Niemandes Gunst oder Ungunst zu berücksichtigen haben, ausführcnde Werkzeuge, die mit dreifachem Erz und Eisen um Brust, Kehle und Magen gegürtet und gegcn jede Versuchung gewappnet sind. Allein dieß sind An forderungen, die, ihrer gänzlich rücksichtloscn Natur halber, das Maß menschlicher Kraft, wenn auch nicht an sich, so doch für solche Beamte fast übersteigen, welche aus der freien Wahl ihrer Mitbürger hcrvorgcgangen und angewiesen sind, lebenslang unter und mit diesen zu leben, wohl gar amtlich zu wirken. Weil nun dieses System dcr Polizeitaxe, auf das Strengste durchgesührt, zugleich zahlreiches Beamtcnpersoual uöthig hat, mithin viele Kosten verursacht, überdieß durch sein vexatorischcs Wesen fortwährend böses Blut zu machen geeignet ist, so hat man cs an vielen Orten gänzlich aufgcgcben und ein anderes, freisinnigeres System an dessen Stelle gesetzt, das System der Concurrenz. Nach diesem Systeme soll die Concurrenz oder der Wettstreit der Ver käufer selbst den Preis der Waarcn nach Quantität und Qualität be stimmen und regeln, ohne daö mindeste Zuthun dcr Obrigkeit, dcr Polizei. Billig ist dieses System ohne allen Zweifel, ja das billigste von allen, denn cs kostet eincr Gemeinde gar nichts, das humanste und freisin nigste noch obendrein, denn alle Aufsicht, Revision, Strafe rc. Seiten irgend einer Behörde fällt dabei gänzlich weg. Auch ist gewiß dcr Grund satz desselben vollkommen richtig; denn gleichwie auf jedem Markte Je dermann da kaufen wird, wo cr die vcrhältntßmäßig beste und billigste Waare findet; wie jeder Verkäufer jeder Waare durch die Concurrenz der Mitverkaufer, ohne eine Spur von polizeilichem Zuthun, von selbst sich gedrungen und gezwungen findet, mit möglichst geringem Nutzen sich zu begnügen; — eben so unterliegt cs auch keinem Zweifel, daß da, wo wirkliche, d. h. unbeschränkte Concurrenz im Brod-, Fleisch- rc. Verkauf stattfindct, diese Concurrenz selbst am Besten geeignet ist, den denkbar und wirklich vollkommensten Regulator für die Preise nach Quantität und Qua lität dcr Waarcn abzugebcn. Aber auch dieses System, soll cS wirksam und allseitig zufriedenstellend sich erweisen, muß in seinen vollen Conscquenzen durchgeführt werden, d. h. es muß die Concurrenz schlechterdings eine wirkliche, unbeschränkte sein. Alle Halbheit ist bei diesem Systeme eben so unzulässig und ver derblich, wie bei dem Systeme der Polizeitaxe. Die polizeiliche Taxe hei- bchalten, aber nicht auf das Strengste durchführen oder sie aufheben, aber cS einer beschränkten Concurrenz überlassen wollen, Preise, Quantität und Qualität zu reguliren, heißt die Verzehrer zum größten Theile dcr Gnade und Willkühr der bezüglichen Gewerbtreibendcn preisgeben und ausliefcrn. Wir zwar glauben nicht daran, daß dann die Gewerbe, welche die unentbehrlichsten Nahrungsmittel liefern und verkaufen, sich sofort, wie vielfach behauptet und geglaubt wird, zu fest geschlossenen Phalangen ver einigen und in rührender Uebereinstimmung Preise, Quantität und Qua lität bestimmen werden; denn solchen Corpsgeist durchlöchert zu leicht jedes Einzelnen besonderes Interesse; aber cS scheint uns doch festzustehcn, daß das System der Concurrenz erst dann ein wirkliches, in seiner Weise wohl- thätigcs werden könne, wenn auch in Bezug auf die unentbehrlichsten Nahrungsmittel, wie in Schnitt-, Material- und anderen Waaren, der freieste Verkehr von dem Lande in die Stadt und umgekehrt, oder die voll- kommeuste Concurrenz eintritt. Jeder immerhin mögliche Verdacht einer Uebereinkunft der Verkäufer unter einander ist dann ausgeschlossen und be seitigt, jede Verdächtigung und Beschwerde über eine Behörde ein Unsinn, ein verständiges Fügen in hohe, ein zufriedener Genuß niedriger Preise die natürliche Folge. Und zu diesem Systeme der unbeschränktesten Concurrenz drangt Alles, so hart dasselbe einzelnen städtischen Gewerbtreibendcn scheinen, so empfind lich es auch Einzelne, wenn auch nicht in dem von ihnen gefürchteten Grade, treffen möge. Zahlreiche verzehrende Bevölkerungen bedürfen der möglichst billigsten Preise und sind nur zu geneigt, die Obrigkeiten für hohe Preise, unzureichendes Gewicht oder geringe Waare verantwortlich machen zu wollen. Wie soll aber eine Behörde hier ein Zufriedenstellendes für daS verzehrende Publikum zu leisten im Stande sein, sobald das System der Polizcitaxen nicht mehr zeitgemäß erscheint, daS System der Concurrenz aber nicht vollständig eingeführt wird? Wie sollen die Verkäufer dcS ewigen Geschreies über Uebcrtheuerung, Habsucht u. s. w. Seiten der Ver zehrer los und ledig werden, wie soll der gehässige auf ihnen lastende > Vorwurf geheimen Einverständnisses zum Nachtheil deS Publikums einmal aufhöreu und beseitigt werden, wenn nicht volle Concurrenz eintritt? Ist diese aber hergestellt, wird cs keinem vernünftigen Menschen in den Sinn kommen, System, Obrigkeit oder Verkäufer für Preise nach Menge und Güte verantwortlich machen zu wollen, eben so wie dieß in Bezug auf Kaffee, Zucker, Obst, Schnitt-, Spiel- und andere Waaren Jemandem einfällt. Sicherem Vernehmen nach begünstigt auch unsere Staatsregicrung dieses richtige System einer freien und vollen Concurrenz in Bezug auf den Verkauf dcr Nahrungsmittel und will, daß cS auch in Plauen eintrete. Alles Stemmen und Sträuben dagegen auS Rücksicht gegen einzelne Gc- I werbe würde auf die Dauer doch nichts helfen und nur zu allseitigen I Schaden den Eintritt einer Maßregel verzögern, welche vom Zeitbedürfniß gebieterisch und unabweislich gefordert wird. Möchte daher an entschei- I dendcr Stelle bei Stadtrath und Stadtverordneten dieser Maßregel dcr