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eigene Schöpfung ist. Mahler bringt auch hier seine meisterliche, an den reifen Werken We bers geschulte Instrumentationskunst ein. Sie gibt den sechs Minuten Musik heitere Leben digkeit und blühende Farbigkeit. (S. G.) „Wenn ich ein großes musikalisches Gebilde konzipiere, so komme ich immer an den Punkt, wo ich mir das .Wort' als Träger meiner mu sikalischen Idee heranziehen muß", heißt es in einem Brief Gustav Mahlers von 1897 an den ihm befreundeten Musikwissen schaftler Arthur Seidl im Zusammenhang mit seiner sechs Jahre nach der 1. Sinfonie, im Ju ni 1894, vollendeten 2. Sinfonie c-Moll. Tatsächlich hat der Komponist, der um dieses AA/erk in siebenjähriger mühevoller Arbeit ge lungen hatte, hier dem gesungenen Wort eine bedeutsame Rolle zugeteilt. Die als Ganzes am 13. Dezember 1895 in Berlin unter Mahlers Leitung uraufgeführte Sinfonie (einzelne Sätze daraus waren bereits einige Monate früher von Richard Strauss in einem Berliner Konzert der Öffentlichkeit vorgestellt worden) verlangt nicht nur einen durch die Orgel verstärkten sehr umfangreichen Orchesterapparat, sondern auch noch vierstimmigen gemischten Chor so wie Sopran- und Alt-Solo. Aber sowohl dieses anspruchsvolle Aufgebot instrumentaler und vokaler Besetzung als auch die gewaltigen (von der 3. Sinfonie allerdings noch in den Schatten gestellten) Ausmaße des fünfsätzig aufgebauten Werkes wurden von Mahler hier — ebenso wie in späteren Schöpfungen - keinesfalls um irgendwelcher äußerlicher Wir kungen willen oder etwa aus dem Drang nach Überbietung alles bisher Dagewesenen heraus eingesetzt. Er wollte vielmehr mit diesen unge wöhnlichen Mitteln einzig Inhalt und Aussage seiner Musik unterstreichen, seine Bekenntnis se verdeutlichen — und gerade die 2. Sinfonie ist in noch stärkerem Maße als die „Erste" Bekenntnis- und Weltanschauungsmusik, „eine Liefe Auseinandersetzung mit den Fragen des menschlichen Daseins" (Knepler). Der Kom ponist hat das Programm, das er dem in sei nen Grundgedanken um Leben, Tod und Auf erstehung des Menschen kreisenden Werk für die Erstaufführung in München nachträglich beigegeben hatte, wieder zurückgezogen, da er (wie bereits bei der 1. Sinfonie) Mißver ständnisse und Mißdeutungen fürchtete, und gewiß ist diese Musik auch nicht als „Pro grammusik" im üblichen Sinne deutbar und er faßbar. Dennoch geben uns Mahlers Erläute rungen bei dieser komplizierten, durch Fülle und Kraft der Inspiration, Mut und Kühnheit der oft ungemein heftigen, zerklüfteten, über steigerten musikalischen Sprache wie durch ihre ethische Problemstellung gleich imponie renden Komposition im einzelnen wesentliche und wertvolle Aufschlüsse. Im spannungsgeladenen, großangelegten 1. Satz (Allegro maestoso) wird die Totenfeier am Grabe eines geliebten Menschen geschil dert. Nach den Worten des Komponisten zieht „in diesem ernsten, die Seele im tiefsten er schütternden Augenblick . . . sein Leben, Kämpfen, Leiden und Wollen noch einmal, zum letztenmal, an unsern geistigen Augen vorüber"; bang wird die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Dieser Satz mit seinem wildschmerzlichen Anfangsmotiv, seinen her ben, schroffen Klängen, schneidenden Bläser wirkungen ist in seiner überaus leidenschaftli chen musikalischen Gestaltung häufig als gei stesverwandt mit der Musik des französischen Komponisten Hector Berlioz bezeichnet wor den. Besonders hingewiesen werden muß auf ein in der Durchführung von den Hörnern in toniertes schlichtes, choralartiges Thema, das durch seine Beziehung zum letzten Satz (im Sinne von Frage und Antwort) bedeutsam wird. Zwischen 1. und 2. Satz forderte Mahler eine Pause von fünf Minuten, um die große seeli sche Umstellung zu gewährleisten, die sich für die Aufnahme des nächsten, völlig andersge arteten Satzes (Andante) als notwendig er weist. (Dieser sowie die beiden darauf folgen den Sätze sind vom Komponisten als „Inter mezzi" gedacht.) Anmutig beschwingt, in ge mächlichem, unverkennbar österreichischem Ländlerrhythmus, bringt das vorwiegend hei teren Empfindungen Ausdruck gebende An dante, das in dreiteiliger Liedform aufgebaut ist, eine Rückschau auf die Vergangenheit des Helden des Werkes — „wehmütige Erinne rung an seine Jugend und an seine verlorene Unschuld". Als 3. Satz schließt sich ein bizarr-unheimli ches, bewegtes Scherzo in Moll an. Das the matische Material dieses phantastisch-skurri len Stückes entnahm der Komponist seinem Lied „Des heiligen Antonius von Padua Fisch predigt". Durch die bissig-ironische Parabel von dem Heiligen, der vergeblich den Fischen Tugend predigt, soll hier gleichnishaft das sinn- und zwecklos bleibende ideale Streben des Helden dargestellt werden. „Die Welt und das Leben werden ihm zum wirklichen Spuk; der Ekel vor allem Sein und Werden packt ihn mit eiserner Faust und jagt ihn bis zum Auf schrei der Verzweiflung." Unmittelbar folgt nun ohne Unterbrechung ein Altsolo mit dem warmen, ergreifend schö nen Gesang vom „Urlicht" aus der Arnim- Brentanoschen Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn", die Mahler sehr anzog und aus der er auch noch für seine beiden nächsten Sinfonien Liedtexte verwendete (man hat des halb die Sinfonien Nr. 2 bis 4 unter dem Na men „Wunderhorn-Sinfonien" zusammenge faßt). Die erschütternde Klage der Altstimme „Der Mensch liegt in größter Not" mündet, „die rührende Stimme des naiven Glaubens" wiedergebend, in kindlich-gläubiger Zuver sicht: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben". Das gewaltige Finale endlich, der Kernsatz der Sinfonie, ist musikalisch wie ideell Weiterfüh rung und Sinnerfüllung des 1. Satzes, mit dem es bereits durch das Choralthema augenfällig verbunden ist; hier soll die Antwort, die Lö sung der Zweifel und der Verzweiflung zum Ausdruck kommen. In grandiosen, alle Kräfte anspannenden und einsetzenden bildhaften Visionen gibt der Finalsatz zunächst eine Dar stellung des Jüngsten Gerichtes, das sich im mer furchtbarer und mächtiger ankündigt, bis schließlich vom Chor die Botschaft von der „Auferstehung" verkündet wird. Lange Zeit hatte der Komponist vergeblich in der Welt literatur nach Worten gesucht, die dem ent sprachen, was er am Schluß seiner Sinfonie aussagen wollte; er fand sie plötzlich bei der Totenfeier für den Dirigenten Hans v. Bülow in dem Klopstock-Choral „Auferstehn, ja auf erstehn", dessen Worte er noch um einige Zei len erweiterte und in „edelste musikalische Form" faßte (Bruno Walter). „Leise erklingt im Chor der Heiligen und Himmlischen: ,Auf erstehn, ja auferstehn wirst du!' - Da erscheint die Herrlichkeit Gottes! — Ein wunderbares Licht durchdringt uns bis ans Herz. Alles ist stille und selig. — Und siehe da: Es ist kein Gericht, es ist kein Sünder, kein Gerechter — kein Großer und kein Kleiner —, es ist nicht Strafe und nicht Lohn! Ein allmächtiges Lie besgefühl durchdringt uns mit seligem Wissen und Sein", schrieb Mahler über den Schluß seines Werkes. In der Liebe — und der Gottes begriff steht in seinen religiösen Vorstellungen in erster Linie als Symbol für den Begriff einer verinnerlichten Liebe, die für ihn gleichzeitig die brüderliche Verbindung mit den Menschen bedeutete und einschloß — findet der Kompo nist in seiner „Auferstehungssinfonie" den Sinn des Lebens, die Überwindung der Ver zweiflung am Leben. Prof. Dr. Dieter Härtwig PHILHARMONISCHE NOTIZEN Mit Kreuzkantor Professor Martin Flämig und dem Dresdner Kreuzchor nahmen die Philharmoniker An fang April die Kantate „Vom Himmel hoch“ von Felix Mendelssohn Bartholdy und das Oratorio de Noel von Camille Saint-Saens für die Schallplatte auf. Zum 10. Kongreß des Deutschen Roten Kreuzes der DDR gab die Dresdner Philharmonie am 10. April mit Volker Rohde als Gast am Pult und Konzertmeister Ralf-Carsten Brömsel als Solist (1. Violinkonzert von Max Bruch) ein Sonderkonzert im Kongreßsaal des Hyg iene-Museums. Zu vier Konzerten reisen die Philharmoniker Anfang Mai nach Wismar und Schwerin. Chefdirigent Jörg- Peter Weigle leitet diese Aufführungen; Solisten sind Annerose Schmidt, Klavier, und Solo-Klarinettist Hans- Detlef Löchner. Am 19. Mai gibt unser Orchester sein Debüt beim Pra ger Frühling. Jörg-Peter Weigle dirigiert Werke von Günter Neubert, Beethoven und Schumann. Auch Hier wirkt Annerose Schmidt als Solistin mit. Zwei w-^^» Konzerte schließen sich in Usti n. L. und Dre^^^s Partnerstadt Ostrava an. Das Hartwich-Quartett gastierte zwischen dem 1. und 21. April mit mehreren Konzerten in der KDVR. Die Musiker stellten Streichquartette von Haydn, Mozart, Schubert, Dvorak, Schostakowitsch und Matthias Klee mann in zwei Programmen vor. Solo-Trompeter Mathias Schmutzler und Uwe Voigt, stellvertretender Solo-Posaunist, wurden für den Instru menta Iwettbewerb im Rahmen des Prager Frühling 1987 nominiert. In zwei Ausstellungskonzerten in Dresdner Galerien und in einem Studiokonzert des Komponistenverban des im März bzw. April erklangen Kammermusikwerke von den Philharmonikern Rainer Promnitz und Fried helm Rentzsch, interpretiert ebenfalls von Musikern un seres Orchesters. Der Philharmonische Kinderchor beendete Anfang April die Produktion einer Schallplatte mit dem Titel „Winterland-Wund er land". Eine Bildbiographie über Carl Maria von Weber publi zierte Chefdramaturg Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig im Leipziger Verlag VEB Bibliographisches Institut. Für hervorragende Leistungen im sozialistischen Wett bewerb der Künstler und Kulturschaffenden im Jahre 1936 wurde das Kollektiv der Dresdner Philharmonie vom Ministerium für Kultur und dem Zentralvorstand der Gewerkschaft Kunst ausgezeichnet. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 20. Juni 1987, 19.30 Uhr (Anrec^^Ä Sonntag, den 21. Juni 1937, 19.30 Uhr (Anrecht Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 18.45 Uhr Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig 9. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Siegfried Kurz, Dresden/Berlin Solisten: Hans-Peter Steger, Dresden, Fagott Hans-Detlef Löchner, Dresden, Klarinette Werke von Weber und Mendelssohn Bartholdy Das Foyeigespräch am 25. April 1987 findet in den Klubräumen im 2. Obergeschoß, Seite Schloßstraße, statt. Wir bitten, die Garderobe unmittelbar nach Konzerlende abzuholen. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Chefdirigent: Jörg-Peter Weigle — Spielzeit 1986/87 Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 3,5 JtG 009-25-87 EVP —,25 M Q ZYKLUS-KONZERT , 986/87