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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pranumcreuene- Pr-i« 22j Sgr. sj Thlr.) vierttpährlich, 3 THIx. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man rränumeriri auf dieses Beiblatt der Wg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in dec Expedition (Mohren-Straße , Nr. 34); in der Provinz so Ivie im AuSlande bei den Wohllöbl. Poff - Äcmtcrn. Literatur des Auslandes. 8S. Berlin, Montag den 17. Juli 1837. Frankreich. Carrcau-König. Dramatischer Stoff von Scribe. Wenn der Leser auf einem glänzenden Balle zwei Mädchen sähe, jung, schön, rcichgeschmückt, die in einem Winkel des Saales i» ihre 'Plauderei so verlieft sind, daß sie den Tanz ganz vergessen, würde ihn nicht eine lebhafte Neugier anwandcln, ihr Gespräch zu belauschens Eine Unterhaltung, die man unter solchen Umständen dem Lanze vor zieht, muß doch fürwahr sehr interessant seyn. Das Horchen, was jedem Änderen verzeihlich wäre, ist ja überdies für Jemanden, der sich einen dramatischen Dichter nennt, wahre Bcrufspflicht. — Dord am Kamine standen sie Beide, gewiß nicht über fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, zwei reizende Kinder: wie anmulhig, wie lebhaft ihre Haltung und Geberde, und wie naiv ihre Gesichtchen! und wie sic fröhlich sind, wie sie lachen, so ganz glücklich, so ohne Gedanken an die Zukunft, daß ich unwillkürlich desto lebhafter daran denke» mußte. Die Eine, die blond war und etwas älter schien, sprach leise und lebhaft zur Anderen, die ihr braunes Locken-Köpfchen neigte und mit niedergeschlagenen Augen ein Bouquet von weißen Kamelie» i» den Hände» hin und her wendete. Offenbar wurde sic auf» Gewissen gefragt und wollte nicht antworte». Eine Weile erhob sic das dunkelblaue ausdrucksvolle Auge zu ihrer Gespielin, und aus dem Blicke laS ich deutlich, sie sagte oder wollte sagen: „Ich schwöre Dir, liebe Freundin, ich begreife gar nicht, was Du da sprichst." Die Andere erwiederte mit einem lauten Gelächter, das ich mir so übersetzte: „Ach, wie Du thusi; ich glaub' Dir'S doch nicht." — Offenbar hatte ich richtig gedeutet; ich verfolgte den Gang der Convcrsaiion, aber die Worte! die Worte! — In dem Augenblick präscnlirl die Frau vom Hause mir eine Whist-Karie. Ich habe kein Gluck im Wbist, ich spiele sehr schlecht, ich verliere und kann doch nicht davon lassen. Es ist eine unglückliche Liebe, und die ist dauer hafter Natur, wie Jedermann weiß. Diesmal traf sich's über die Maßen glücklich: unser Spieltisch stand ganz nahe am Kamin, und das Loos wies mir meine» Platz so an, daß nur die Lehne meines Stuhls zwischen mir und den beiden Plaudrerinnen war. Sie achteten aber gar nicht aus unS. Für Mädchen ihres Alters, auf einem Balle, wo es andere junge Mädchen giebl, und Blumen, Brillanten, glänzende Toiletten, Tänzer, Courmacher, Kavaliere — wa« stellen da vier Whist- spicler vor- Gar nichts, vier Stühle um einen Tisch; sie sind als wären sie nicht vorhanden. „Wirklich, liebe Cäcilie, hast Du noch gar nicht daran gedacht?" — „Niemals." — „Auch nicht geträumt?" — „Meinst Du denn, ich habe Zeil zum Träumen? ich schlafe viel zu fest." — „Und die Mutier Lat Dir auch noch nicht« gesagt?" — „Kein Wort." — „Es wird schon kommen; siehst Du, ich habe schon zwei Parlier» ausgcschlagen." — „Warum hast Du sic denn ausgcschlagen ?" — „Weil sie nicht Vermögen genug halten; mein Gatte muß reich sehn, sehr reich. Und Deiner?" — „Meiner? jung muß er sehn, ein gute« Herz haben und einen gebildeten Geist." — „Ach, geh' mir, gebildeten Geist! wer Hal den heutzutage nicht? Ich sage Dir^ meiner muß eine recht hohe Stelle am Hofe Hahr» .... da werde ich vorgestclll...." — „Und weiter wünschest Du nichts?" — „O ja doch. Denk' Dir nur, was werde ich da für Toilette machen." — „Aber wie kannst Du daran denken? Hciratbest Du denn um der Toilette willen?" — „Woran soll ich denn denken?" — „An Deinen Mann...." — „Haben Sid kein Trefle, wein Herr?" rief mir mein Partner zu. — „Zu dienen, ich habe." — „Nun, so geben Sie zu." — „Entschuldigen Sie: ich beobachtete — oder vielmehr ich kombinirte; ich rechnete, welche Blätter schon heraus wären." Und über dem verwünschten Intermezzo waren mir ganze Sätze aus der Conversation hinter meinem Rücke» verloren gegangen. — „Ob ich ihn lieben würde? warum denn nicht? wenn e« sich so träfe." — „Wenn es sich träfe? o nein, da« ist die Hauptsache." — „Woher weißt Du das?" — „Siehst Du, und darum darf er nicht viel älter sehn, als ich, und meine Neigungen muß er haben; meine Fehler zum Theil wohl auch, dann ist er nachsichtiger. Und seine verzeih' ich ihm alle schon >m Voraus, wenn er mich nur recht lieb hat, und mich allein." — „Mewr Tante sagt, das ist nicht möglich." — „Warum den» »ichl? ich würde ihm ja so gut sch» " — „Du bist nicht klug. Und wenn er aushörl, Dich zu lieben?" — „Da« thul nicht«, ich würde ihm doch gut bleiben: es ist meine Pflicht." — „Und wenn er Dir untreu wird?" — „Da würde ich mich zu Tode grämen; aber gut bliebe ich ihm doch." „Was machen Sie?" ries mein Part ner; „Sie bringen unS um drei Stich. Ich zeig. Ihnen deutlich, daß ich Coeur renon^ire, und Sie bringen rS nicht nach." — „Was schadet das?" — „Was e« schadet ? ich hatte die Hand voll kleiner AloutS, die alle aus Ihre großen gefallen sind." — „DaS thul ja nichts." — „Freilich lhui es; die Herren kommen auf 10." — „Ah so, entschul digen Sie. Ich mache übrigen« kein Hehl daraus, daß ich schülerhaft smele. Ich becaure sehr, daß ich Sie in Verlust bringe." Im Herzen verwünschte ich ihn, denn wa« wollte sei» Verlust gegen de» weinigen sagen! Das Ende der Unterredung war mir entgangen; die beiden Mädchen entfernten sich. Die Line interessirte mich ungemein; ich folgte ihr mit den Auge», getraute mich aber nicht, bei den Mitspielern nach ihrem Namen zu fragen. Eine großgewachsene Frau von magerer, eckiger Statur, von stolzem und Harlem Wesen Irak dem Mädchen entgegen und sprach: „Nimm Deinen Shawl, Cäcilie, wir wollen gehen." — „Gleich, Mama; man Hal mich zwar eben zum Conlretanz cngagirt, ich werde aber danken." — „O, nein", sprach die Frau vom Hause, die eben dazu kam, „das kann ich unmöglich zugebcn; Sie gönnen uns mindestens noch ein Vicrtelstündchcn, Frau von OrtböS." Als sie mich am Spicllische gewahr wurde, nahm sic mich bei dec Hand und führte mich der neuen Bekanntschasl entgegen: „Frau Gräfin Ortbös wünschte Sic kennen zu lernen, und es geschieht aus ihren Wunsch, daß ich Sie vorstellc." Die Ccrcmonic drohte langweilig zu werden; aber ich berechnete, daß Cäcilie dabei Zeit für ihren Conlreianz gewinnen würde, und es freute mich, ihr gleich zum Anfänge der Bekanntschaft, ehe sie noch etwa« von dem innen Freunde wußte, durch ein kleines Opfer einen Dienst zu erweisen. Ei» Opser war es wirklich. Die Vicomlesse Orlhös war eine gewaltig vornehme Frau, aus angesehener Familie, vom ältesten Adel, voll Stolz und hoher Prätensioncn. Sie schrieb auc!> Bücher, die von ihren Bekannten sehr bewunden, aber nicht gelesen wurden. Es war ein siir allemal ausgemacht, Alles, was die Vicomlesse schreibe, sev religiös, monarchisch, sublim; die Well nahm es auf Treu' und Glau ben , und kaum hatte der Verleger ein neues Werk der Vicomlesse an gekündigt, so beeilte sich Jeder, ihr das pflichimäßige, unabänderliche Kompliment zu machen: Sublim! monarchisch! religiös! Da« meiste Glück gemacht und unstreitig am meiste» zum Rufe der Verfasserin beigeliagc» hat der Roman °°°, der nicht erschienen ist und nur von Hörensagen existirt. Auch wäre es überflüssig, zu bemerken, und versteht sich in Betracht des berühmten Namens der Vicomlesse, in Betracht ihrer Frömmigkeit und ihrer religiös-monarchisch-sublimen Grundsätze schon von selbst, daß sie immer anonym schrieb: in heutiger Zeit das unfehlbarste Mittel, einen großen Ruf zu erlangen. Die edle Frau führte die Unterhaltung mit solcher Ueberlegenhcit, daß sie ganz allein sprach- Ich habe das sehr gern und lasse wir überhaupt die Gesellschaft geistreicher Frauen recht wohl gefallen, wenn man mit ihnen nicht geistreich zu sehn braucht, so daß zu dem Ver gnügen, sie reden zu hören, noch die Annehmlichkeit kömmt, selber zu schweigen. Ein großer Schöngeist sagte einmal: „Ich muß nur ge schwind ein recht geistreiches Buch machen; hernach habe ich da« Recht, mein ganzes Lebe» lang einfältig zu seyn." Ich für mein Theil mache von diesem Rechte gern Gebrauch; ob ich's verdient habe, darum wögen sich Andere kümmern. — Die Frau Vicomlesse war so gnädig und sprach von meinen Werken; ich von den ihrigen, und beiläufig von ihrem besten, denn das war unstreitig ihre Tochter, obwohl sie gerade darauf sich am wenigsten einzubilden schien. So geht«: ein Verfasser weiß nie seine eigenen Werke richtig zu beurtheilcn. Das Gespräch zog sich dermaßen in die Länge, daß Cäcilie zu zwei Contrelänzen Zeit be hielt. DaS gute Kind war sehr erfreut, und ich nahm ihr anmulhigeS Lächeln al« einen unverdienten Dank hin. Sie wußte freilich nicht, daß ich ihr schon für eine kleine dramatische Scene verpflichtet war. Indem ich ihr nachsah und mich ihrer herzlichen naiven Reden erin nerte, dachte ich: wie glücklich ist der Jüngling, der ihre Liebe gewinnt? wie glücklich der Gatte, den sic erwählt! und ich wünschte ihr alles Glück auf Erden. Den ganzen nächsten Commer und Winter sah ich Cäcilien nicht wieder; ich komme fast gar nicht mehr aus den Ball. Im Frühjahr 1833 begegnete mir allerhand Verdruß; wofür der Leser sich nicht wei ter inleresflren kann. Zur Herstellung meiner Laune ergriff ich ein Mittel, da« ich den Lefesn für ähnliche Fälle als zuverlässig empfehle» kann; ich sttzte mich auf den Postwagen und fuhr nach der Auvergne und nach den Pyrenäen. Da ergötzte und zerstreute ich mich mit Aus flügen und Slreifzügen in die Kreuz und Quer und warf bei Gelegen heit mein Netz nach Stoff zu neuen Komödien au«. Die wenigsten Fraiizosen und gewiß die allerwenigsten Pariser kennen die Schönheit der Auvergnatischen und Pyrenäischen Gebirgs,