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Schönburger TngMM und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg Donnerstag, den 9. September ^210 1880 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. —— Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich I Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und di« Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf- "Waldenburg, 8. September 1880. Eine englische Stimme über die deutsche Armee. Die rastlose Thätigkeit der deutschen Heeresleitung, die deutsche Armee trotz aller Anstrengungen anderer Nationen auf der errungenen Höhe zu halten, wird auch im Auslande anerkannt; die „Times" giebt ihrer Verwunderung darüber in einem Artikel über die bevorstehenden Herbstmanöver der deutschen Armee durch folgende Ausführung Ausdruck: Zehn Jahre sind seit der erstaunlichen Capitulation Sedans vorübergegangen. Allein nicht eine Stunde hat der Generalstab seine Studien und Requisitionen eingestellt. Die ganze Menschheit erscheint ihm als eventuelles Kanonenfutter; sein Denken und Treiben zielt einzig und allein darauf ab, sich das Privi legium des ersten Schusses zu erhalten. Seiner Einbildung erscheint das Reich stets als am Vor abend activer oder passiver Feindseligkeiten und In vasionen. Es giebt keinen Conflict in der Welt, der den in Berlin herangereiften oder heranreifenden Moltkes nicht Stoff zu einem anregenden Bilde, von einem in das gleiche Dilemma verwickelten, oder von der gleichen Gelegenheit Nutzen ziehenden Deutschland giebt. Er überwachte jeden Zwischen fall des Feldzuges auf der Balkanhalbinsel und hätte den Türken sagen können, wie sich etwas aus dem Wrack retten ließe. Die russischen Großfürsten wußten, daß in Berlin jeder Mißgriff, den sie vor Plewna gemacht, bemerkt und bekrittelt wurde, noch ehe derselbe seine verhängnißvollen Folgen herbei geführt hatte. Die Feldzüge im Zululand und Afghanistan wurden in Aldershot und Hythe mit keinem größeren Interesse verfolgt, als von den auf Unkosten Benedeks und Bazaines geschulten Strategen und Taktikern. Wenn periodische Zusammentreffen, bei welchen die Selbstachtung und Einheit von Nationen auf dem Spiele stehen, unvermeidlich sind, so läßt sich viel zu Gunsten der Art und Weise sagen, wie Preußen sein Volk stets auf der Huth erhält. Die deutschen Generale und Soldaten, welche den Herbstmanövern beiwohnen, haben ein gewisses Recht darauf ihren Stand als einen ebenso ernsten zu halten als irgend ein Fabrikant in Essen oder Mühlhausen. Im Krieg wie im Whistspiel läßt sich das Element des Unerwarteten niemals ganz beseitigen. Der Scharfsinn des erfahrensten Spielers kann einem Fiasco nicht immer entgehen. Soweit aber absolute Vollkommenheit der Discip- lin, Schule und Auswahl den Erfolg sichern können, hat das Berliner Krisgsministerium den Sieg an seinen Wagen gefesselt. Die deutschen Köpfe tragen sich höher bei dem Gedanken, daß sie den Ruhm, den sie im Jahre 1870 erworben, bloß ihrer Ueber- legenheit an Geschicklichkeit und Beharrlichkeit ver danken. Da die Deutschen ihre Ueberlegenheit nicht dem Glücke zu verdanken haben, so sind sie gewis sermaßen berechtigt anzunehmen, daß das Glück allein ihnen dieselbe nicht streitig machen kann. Ihre Opfer sind jedenfalls keinem bloßen Götzen eitler Einbildung gebracht worden. Wenn sie in ein Volk von Kriegern umgewandelt worden sind, so wurde ihnen dadurch nicht allein die Uniform, sondern auch die Männlichkeit von Kriegern zu Theil. "Waldenburg, 8. September 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der deutsche Kronprinz ist am 6. d. abends 6 Uhr 30 Minuten in Goarshausen eingelroffen. Die Rheinorte Goar und Goarshausen waren fest lich geschmückt. Sämmtliche dort vor Anker liegende Dampfer waren beflaggt und schossen Salut. Junge Mädchen reichten am Landungsplätze Ehrenwein und Bouquets. Abends unternahm der Kronprinz noch eine Fahrt auf dem Rhein, wobei die Burg ruinen bengalisch beleuchtet waren und begab sich am 7. d. früh 7 Uhr 30 Minuten zu Wagen nach Nastädten, um die nassauische Brigade unter dem Commando des Generals v. Rauch zu besichtigen. Der Kronprinz wird heute Mittwoch von seiner Inspektionsreise nach Berlin zurückkehren. Die Meldung des „Berl. Tgbl." über die Er nennungen Stephans und v. Tiedemanns werden officiös dementirt. In Darmstadt wird am 21. d. M. die deutsche Fortschrittspartei einen Parteitag abhalten, zu welchem dieReichstagsabgg.W. Büchner, LudwigLöwe in Berlin und Eugen Richter ihr Erscheinen zuge sagt haben. Es wird eine rege Betheiligung aller „wahrhaft freisinnigen" Elemente aus Stadt und Land gewünscht. Am Abend vorher werden die Herren Eugen Richter und Ludwig Löwe vor einer allgemeinen Versammlung sprechen. Herr vr. Sigl schreibt in seinem „Bair. Vater land": „In Nürnberg und Augsburg wurde der deutsche Kronprinz sehr heftig bejubilirt und sozu sagen auf den Händen getragen — zur Nachfeier des Wittelsbacher Jubiläums! — Man muß aber sagen: die Hohenzollern verstehen es, sich populär zu machen, sie werden von Kindheit an dazu ange halten und der Kronprinz persönlich ist — das muß man sagen — eine überaus ritterliche, noble impo sante Erscheinung. Wenn er kein Preuße wäre — wir selbst hätten bei seinem Anblick warm werden können! Aber es giebt eben Viele, welche da ver gessen, daß er ein Preuße ist, und darin liegt eben die Gefahr dieser kconprinzlichen Reisen in Baiern, wo das Volk selten oder nie einen baierischen Prin zen zu sehen bekommt." Oesterreich. Die Blätter beschäftigen sich noch immer vorzugs weise mit der Kaiserreise nach Galizien. Die „Wiener Allgemeine Zeitung" findet es besonders bemerkenswerth, daß der Monarch in Galizien bei seinen Ansprachen sich der deutschen Sprache be dient. „Der Charakter der deutschen Sprache, als der wirklichen Reichssprache," sagt das Blatt, „wird dadurch in viel unzweideutigerer und klarer Weise documentirt, als dies durch einen ungeschickten An trag im Reichsrathe geschehen kann." " Frankreich. Der Polizeipräfect von Paris hat an die Polizei- commissäre der Stadt ein Rundschreiben erlassen, das sich gegen die Pariser Blumenmädchen richtet. Dasselbe lautet: „Meine Herren! Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf die Straßendirnen, welche dep Vorübergehenden Blumen feilbieten. Es sind dies in den meisten Fällen ganz junge Mädchen, sogar Kinder, welche hinter ihrem Aner bieten nur unanständige Herausforderungen ver bergen. Ich erinnere Sie daran, daß die Feil bietung von Waaren auf offener Straße nach der Polizeiverordnung vom 28. December 1859 schon an sich eine Uebertretung darstellt. Sie werden sich aber nicht darauf beschränken, diese bloße Ueber tretung zu constatiren, sondern auch untersuchen, ob dieselbe nicht von Handlungen begleitet war, welche das Vergehen der öffentlichen Beleidigung der guten Sitte darstellen; Sie werden ferner die Verhältnisse der Contravenientinnen, ihre Wohnung und Existenzmittel prüfen, um im gegebenen Falle das Vergehen der Landstreicherei festzustellen, damit ich die administrativen Maßregeln ergreifen kann, welche auf dasselbe Anwendung finden. Bei den minderjährigen Mädchen werden Sie noch mit be sonderer Aufmerksamkeit zu ermitteln haben, ob sie, sei es von ihren Eltern oder Zuhältern ausgebeutet und zu ihrem schmählichen Gewerbe angetrieben werden und mir mit Ihren Protokollen alle Auf schlüsse übermitteln, auf Grund deren die Letzteren wegen Aufreizung Minderjähriger der Justiz über geben werden können. Andrieur, Polizeipräfect." Italien. Im Vatikan werden einem alten Herkommen ge mäß die Windeln für den erwarteten Sprößling der Königin Christine von Spanien angefertigt. Am Donnerstag weihte der Papst in Gegenwart des spanischen Gesandten diese Windeln durch Drauf sprengen von Wasser ein. Ein Courier flog mit diesen noch nassen Windeln nach Madrid, in die das spanische Königskind gewiß mit besonderem Be hagen — strampeln wird. Spanien. Der päpstliche Nuntius hat dem Könige das Schreiben des Papstes überreicht, worin derselbe sich bereit erklärt, die Pathenstelle des binnen wenigen Tagen zu erwartenden königlichen Kindes zu übernehmen. Der Erzbischof von Toledo wird als Delegat des Papstes functioniren. England. Das Parlament ist bis zum 24. November ver tagt worden. Die Thronrede bezeichnet die Be ziehungen zu den auswärtigen Mächten als sehr freundschaftlich und weist darauf hin, daß die Pforte mehrere ihr obliegende Verpflichtungen noch nicht ausgeführt habe, namentlich gelte dies von dem im April festgestellten Plan, betreffend die Feststellung der türkisch-montenegrinischen Grenzlinie; hierbei seien beklagenswerthe Verzögerungen eingetreten; ebenso seien andere wichtige Bestimmungen des Berliner Vertrags noch nicht ausgeführt worden. Die Signatarmächte des Berliner Vertrags hätten dem Sultan ihre Anschauungen über die Mittel mitgetheilt, die geeignet seien, zu einer befriedigenden Lösung der griechischen und der montenegrinischen Frage zu führen. Die Mächte hätten ferner der Pforte ihre Ansichten kund gegeben über die admi nistrative Organisation in den europäischen Provin zen der Türkei und über die hauptsächlichsten in Armenien nothwendig werdenden Reformen. Es heißt dann weiter, man hege das Vertrauen, daß diese Ziele erreicht werden, weil die Signatarmächte mit aller Autorität darauf dringen. Die Thron rede verleiht der Hoffnung Ausdruck, daß der Sieg des Generals Roberts in Afghanistan zu einem baldigen ehrenvollen Ende des dortigen Krieges führen werde. Ruhland. Begründeten Nachrichten zufolge sind in Reval amerikanische Dampfer mit Getreide eingelaufen, eine Thatsache, welche bis jetzt in der Geschichte des russischen Handels noch nicht vorgekommen ist. Bis auf den heutigen Tag war man in Rußland stets der Meinung, Getreide wenigstens sei ein Product, welches das Reich niemals vom Auslande zu be ziehen brauche. Die wirthschaftliche Lage des Rei ches istindeffen in einem solchen Verfall, das industrielle Leben in einen solchen Stillstand gerathen, daß das Unmögliche möglich geworden. Es bleibt Frieden zwischen Rußland und China. Die Behandlungen zwischen dem Auswärtigen Ministerium und dem Marquis Tseng sind bereits seit drei Tagen völlig beendet. Der zwischen Ruß land und China abgeschlossene Vertrag ist in Peters burg schon ausgearbeitet, wird aber in Peking unter-