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Nr. 105. Zehnter Jahrg. ; .V'B i Erscheint: LLgltch früh 7 Uhr- Anserate »erd«« angenommen: bt« Abends Ü.Lonn. tag» bi» Mittag» 12 Uhr: Marien-raße 18. Anretg in dies. Blatte, da» jetzt ln 11,000 Exemplare» erscheint, finden eine erfolgreich« Verbreitung. Sonnabend, 15. April 1885. Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mttredacteur: Theodor Drobisch. Abonnement: vierteljährlich 20NgL bei rmentgcldltcherAs- serung in'» Haus. Durch die Lvnigl. Post vierteljährlich -2 Ngr Einzelne Nummer» 1 Ngr. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Einge sandt" die Zeilr 2 Ngr. Druck und Eigenthum der Herausgeber: Liepslh H Neilhardt. — Verantwortlicher Redacteur: JutlNS Neilhardt. Dre-den, den 15 April. — Bezüglich des gestrigen Referats der Stadtverordne- lensitzunz ist zu berichtigen, daß nicht der Stadtrath, sondern der Vorsteher der Stadtverordneten zu Leipzig auf Ansuchen des Herrn 4>r. Stübel die den dortigen Haus- ^altplan betreffenden Unterlagen genanntem Herrn mittheilen — In einem Gasihause in Neustadt wurde vorgestern Abend ein seit einigen Wochen hier aufhältlicher Fremder auS Belgien von der k. Polizei-Direktion verhaftet. Wie man er fuhr, erfolgte die Verhaftung auf Requisition der Polizei behörde einer größern preußischen Stadt, in der er früher ge wohnt, und einen Betrug verübt haben soll. — — Die Berl. Vörs.-Ztg. schreibt: In Dresden sind von Julius Schanz „Hymnen der Völker" zwei Hefte erschienen. Das erste Heft dieser „Hymnen" ist dem Kaiser Napoleon III., das zweite Heft aber dem Könige Wilhelm l. von Preußen dedicirt. Die an Napoleon gerichtete Ansprache des ersten Heftes ist eine das deutsche Gefühl so verhöhnende und be leidigende, das; wir einen kurzen Auszug geben muffen, um zu zeigen, wohin der Mensch kommt, wenn ihm die Ehre seiner Nation und seines Vaterlandes nicht mehr heilig ist. Schanz behauptet, die Strömungen der Jetztzeit zielten darauf ab, das Reich Carls des Großen wiedcrhcrzustellen. Jeder Verständige in Deutschland fühlt, daß die Napoleonischen Ideen diesen großen Neubau der künftigen Weltordnung meisterlich beschleunigten, hierauf erwähnt er seiner eigenen früheren Tätig keit als Redacteur vielgelesener (?) Zeitschriften, sowie seiner Sympathieen für das Reich des zweiten Cäsar und fährt dann fort: „Ich fühle mit so manchem meiner einsichtsvolleren Landsleute, daß Ew. Majestät über mehr Herzen als Unter- thanen, über mehr Verehrer als Wähler gebieten, und daß wir Kleineren im Besondern ohne die Anlehnung an Ihren mächtigen Schutz keine selbstständige Zukunft haben, daß unser Ursprung und der Verlauf unserer Geschichte darauf Hinweisen, an diesem Hort festzuhalten, wollen wir nicht die Demüthigung erleben, wie Micotermen von unseren mächtigeren Nachbarn verschlungen zu werden." Im Weiteren erzählt der Verfasser, daß er n^uMNistrn reisen wolle, ^m u. A. die Stätten ken- nen von Napoleon neu aufgerollte Drama Erlaus genommen, und hofft auf der WWM^wer Paris das hohe Glück zu haben, dem zweiten vor dessen Geiste sich seine Seele tief neige, sich persön lich vorstellen zu dürfen. Schließlich erfleht Schanz mit Rüh rung und unbegrenzter Verehrung den Schutz Gottes über das zum Heile der Menschheit gegebene Leben Napoleons. — Wir glauben diesen Aeußerungen nichts weiter hinzusügen zu dürfen, es wird sich Jedermann selbst sagen, welchen Zweck der Verfasser mit dieser hündischen Kriecherei im Auge hat. Elendere Bettelbriefe sind gewiß niewals an Fürsten geschrieben. Wir geben unter Hinweglassung einiger derber Ausfälle auf den Verfasser obige Notiz und schließen uns im Uebrigen ge wiß im Smne aller Deutschen dieser Ansicht vollkommen an. — Am 31. künftigen Monats wird in Apolda ein Hundemarkt abgehalten. — (Dienstmädchengesuch). Frau 1)r N.: „Liebes Männchen, schreib mir doch eine Anzeige, daß wir ein Dienst mädchen brauchen; aber setze nur gleich bei, daß sie keine Soldatenbekanntschaft haben darf, wie Alle hatten, die bisher bei uns dienten; denn wenn sie Wasser aus dem Schlöffe holen, bleiben sie allemal eine Ewigkeit weg." — l)r. R.: „Na liebe Frau, da setzen wir ganz einfach: „Gesucht wird «in militärfreies Dienstmädchen!" — Den Bewohnern des Grundstücks Nr. 20d. auf dem Rosenwege war es aufgefallen, daß ein dort wohnhafter Privatmann seit mehreren Tagen von keinem der andern Mirthbewohner gesehen worden war. Man verschritt daher vorgestern zur Oeffnung des von dem Vermißten allein be wohnten Logis und fand ihn dort im Bett todt vor. Nach ärztlichem AuSspruche scheint ein bereits vor mehreren Tagen ringetretener Schlagfluß seinem Leben ein Ende gemacht zu haben. — — In Leipzig machte man dieser Tage den Versuch, im Keller des abgebrochenen NathSfreischulgebäudes Petroleum brand durch Bucher'sche Feuerlöschdoscn zu ersticken, der als ziemlich gelungen bezeichnet wird. Die Flammen des ange zündeten Fast s wurden durch nach und nach in den Raum geworfene Dosen (.usammen im Gewicht von 25 Pjd.) wirk lich gedämpft. Recht interessant waren die Versuche mit dem Paulin'schen Apparat. Derselbe besteht aus einer ziemlich weiten, «m die Handgelenke und Hüsten eng anschließenden Lederblouse, an welcher gleichzeitig eine Lederhülle für den Kopf angebracht ist. An der Vorderseite derselben befindet sich in der ganzen Länge de» Gesichts eine halbrund gebogene, »n einen Lahmen gesetzte Glasscheibe und unter dieser eine Signalpfeife. Ein Schlauch, welcher an eine nicht gefüllte Spritze geschraubt wird, giebt durch Pumpen die unbedingt nöthige Luft. Mit diesem Apparat geht der Mann in den dicksten Qualm und kann eine geraume Zeit einen hohen Hitz- grad aushalten. Der Apparat wird angcwendet, um das Feuer zu recognosciren und dann zu löschen. Um letzteres zu bewerkstelligen, bekommt der Pompier ein Spritzenrohr mit, und ist im Stande, trotz des dichtesten Qualmes nicht nur vorzudringcn, sondern auch eine ziemliche Zert (6 Minuten) in eiNlM solchen Raume auszuhalten. — In Leipzig rühren sich nun auch die Schneider zum Zwecke der Lohnerhöhung. Eine Versammlung von Schneidergesellen nahm am 10. d. folgende fünf Nesoluüonen an, über welche eine Verständigung mit den Meistern erstrebt werden sollte: 1) Erhöhung des Lohnes um 25 Procent auf jedes Stück Arbeit. 2) Die Meister haben den zu zahlenden Preis jedes Stückes im voraus zu bezeichnen. 3) Alles Zu behör (Material) ist künftig vom Meister zu liefern. 4) Jede Woche ist regelmäßig der fällige Wochenlohn auszuzahlen. 5) Es soll für Meister und Gesellen eine gleichmäßige Kün digung statthaben. Alle diese Punkte sollen nicht nur für Stückarbeiter, sondern auch für Lohnarbeiter gellen. Eine Bekanntmachung, im Namen der Versammlung von einem provisorischen Comile erlassen, fordert die Meister auf: eine Versammlung ihrerseits noch im Lause dieser Woche einzube rufen, um über besagte Resolutionen unter Zuziehung des betreffenden Gesellencomites Beschluß zu fassen und bis späte stens Freitag Mittags Bescheid zu geben. Sollten die Meister das nicht thun und die Angelegenheit todt schweigen, so sehen sich sämmtliche Gesellen genölhigt, den Handschuh aufzuheben und nächsten Sonnabend zu kündigen." — In dem Hause Nr. 37 der Bautznerstraße hat vor mehreren Tagen ein bis jetzt uiibel.'nnter Dieb die Küchen thür eines darinn gelegenen Logis mittelst Nachschlüssels ge öffnet, dadurch Eingang in die Wohnstube erhalten und dort aus einem Secretär einen Baarbetrag von 18 Thlr. sowie eine goldene sogenannte Erbskette, 50 Thlr. an Werth, ein Paar Ohrringe, 8 Thlr. an Werth und eine goldene Brosche 5 Thlr. an Werth, entwendet. Nach seinem Rückzüge aus dem Logis hat d>r Dieb die Küchenthür wieder hinter sich verschlossen. — — Dem Bildhauer H. Knaur in Leipzig ist in diesen letzten Tagen eine recht freudige Ueberraschung zu Thcil ge worden. Er arbeitete vor einigen Jahren für den Erzherzog Ferdinand Max mehrere Dichterbüsten zur Ausschmückung der Bibliothek in Miramare. Der Kaiser von Mexiko hat den Künstler nicht vergessen. Er ertheilte ihm den Auftrag zur Ausschmückung eines öffentlichen Saales in Mexiko nicht weniger als 10 Kaiserbüsten, (I Caesar, Karl der Große rc. bis herab auf Napoleon 111.) und für sein Kabinet die Büste Alexander v. Humboldt's in Marmor anzufertigen. — — Der Vuchdruckergchilfen-Verein in Berlin hat 500 Thlr. zur Unterstützung der in Leipzig feiernden Buchvrucker bewilligt. Zu Gunsten derselben ist der Wochenbeitrag von I auf 2j Sgr. erhöht worden. (Auch in Wien haben die Buchdrucker Sammlungen unter sich für ihre Leipziger Ge- werbsgenossen veranstaltet. Die Polizei fahndete in den Druckereien nach den Subscriptionsbogen, konnte jeoch nichts auffinden. Von London wurden an die feiernden Buchdrucker in Leipzig 2000 Thlr. gesandt.) — Das in der Landhausstratze gelegene Ilritislr-Ilowl hat der Inhaber des Lescmuseums Herr Merker, für 70,000 Thaler angekauft. So ist auch ebenfalls das in der Zahns gasse gelegene, zu den zwei schwarzen Adlern benannte Gast haus durch Kauf an Herrn Kra,t übergegangen, dem frühem Besitzer des Schillerschlößchens und der drer goldenen Palm- Zweige. — Aus Forchheim bei Lengefeld vom 13. d. M. schreibt man uns: Eben chaben wir das erste und zwar ziemlich starke Gewitter gehabt. In dem Nachbardorfe Lippersdorf brennt ein Bauergut; der Blitz hat eingeschlagen. * Ueber das Pestalozzihaus in Leipzig, das hier seltsamer Weise unter orthodoxer Leitung sieht, wurden in der Sitzung der Stadtverordneten - Versammlung Materialien mit- getheilt. Die Eltern des Mädchens, welches entfloh und elf Tage und Nächte bei winterlicher Kälte im Nosenthale sich aufhielt, bis es sterbend gefunden wurde, sagten u. A. aus: Neidboldt belegt seine Pflegebefohlenen.mit dem Namen „Ca naille, faules liederliches Mensch", redet sie selbst mit „Hund, Saumensch" an; er hat ein Kmd, das nicht gut auswendig gelernt hat, mit einem Stock so auf Rücken, Hände und Wangen geschlagen, daß letztere Körpertheile aufgeschwollen sind, hat es dann auch noch unter's Kinn gestoßen, daß es sich heftig ge bissen. Er hat Kinder auf die Nase geschlagen, daß das Blut hervorfloß. Die Küche hat ein Kleid ein ganzes Jahr tragen und in demselben alle Arbeit verrichten müssen, ohne daß eS ein einziges Mal gewaschen worden; ihr Unterrock war ganz zerlumpt, sie hatte keinen ganzen Schuh. Zum Stiefvater der Küche hat Neidboldt gesagt: „Der Kröpel kommt schon wieder; es sind schon welche bis nach Torgau gelaufen und sind auch wiedergekommen und haben noch Geld mitgebracht." Ein anderer Herr (?) hat dem Stiefvater bemerkt: „aus den weiblichen Zöglingen des Pestalozzihauses würden ja doch später nur öffentliche Dirnen!' " Ein Mädchen hat in ärztliche Behänd^ lung gegeben werde" müssen, weil Neidboldt es arg in die Ohren gekniffen und auf die Fingerspitzen geschlagen, so daß diese aufgesprungen. Eine volljährige Angestellte des Instituts sagt: Neidboldt hat rin Kind wegen schlechter Aussprache de- d und t so zerschlagen, daß ich ihm Umschläge machen mußte. Er hat ein Kind wegen einer unschuldigen Frage braun und blau gekniffen und zwar ein Kind, das sonst zu den besten Zöglingen gehörte. Einem andern hat er, weil es an einem Spargelstengel gekaut, den ganzen Sommer hindurch das Obst entzogen und es noch außerdem häufig mit Hunger bestraft. Ein Knabe hat den andern am Brunnen mit Stroh und Sand waschen müssen, daß das Blut flcß. Neidboldt hat ein Mäd chen so zusammengedrückl, daß er ihr die Hand verrenkte, was ärztlichen Busland nöthig machte. Als die Angestellte sich über einen boshaften Knaben beklagre, welcher die Katze aus dem Mädchenhause durch einen Hund hatte zerrerhen lassen, und hinzufügte: „Meine Kinder werden schreien und weinen", so erwiderte Neidboldt: „Die dummen Gesichter, da müssen sie noch einen auf's Maul kriegen!" Ein Stadtverordneter, welcher nach dem Vorfälle mit der Küche das Institut in Begleitung des Prof. Sonnenkalb besucht hat, bezeichnet die Bitten, namentlich im Knabenhause, als völlig unzureichend, die Kopsksssen, welche hart am Dach befindlich, seien zum Theil durchnäßt gewesen, die Schemel hätten eher Marterwerkzeugen geglichen, Tischkasten und Spinde seien in größter Unordnung gewesen, die Eßgeräthschaften sehr unsauber, die Kämme in einem nicht zu beschreibenden Zustande! * Die Geschichte des Bieres hat bis zur Gegenwart manche Stufen erstiegen und wahre Metamorphosen durch laufen. Wer noch um nur einige Jahrzehnte zurückdenkt und . aus seiner Studentenzeit der kleinen engen Echankstubcn, z. B. in der Kneipe zu Ziegenhain bei Jena sich erinnert, wo man das sogenannte Bier aus kleinen, fäßchenartigen Holzkrügen trank, der wird auch den Inhalt dieser Fäßchen in sein Ge- . dächtniß sich zurückrusen können, den Niemand in ein Glas ^ zu gießen gewagt haben würde. Es war eine vollständig un durchsichtige braun- oder grau-grünliche Flüssigkeit, 'ihr Ge- ^ schmack aus sauer und bitter, ekel und fade gemischt. Der ^ 7z lkos, öz'lus oder özltium der ältesten Vorzeit, unter welchem . Namen das Getränk aus Egypten kam, dann cvlis und oeria s in Spanien, endlich oorvrisia in Gallien und Italien genannt ' wurde, wird nicht gerühmt und tlelius kndsnus Hesse preist sein Lob noch im Jahre 1564 in folgender Weise: „Wer gelehrt hat Getraide mit dicker Brühe vermischen, den hat Bacchus, ja selbst Ceres gehaßt. Denn wer da lobt das Pelusianische Bier, der hat weder ) Kopf noch Gehirn. ^ Denn dem Hirn und den Nieren und Nerven ist schädlich ' der Trank und selbst des Aussatzes Saamcn trägt er in sich und treibt ihn in's Blut." Ich lobe mir darum den deutschen Porter in Wohlge- ^ schmack und Erfolg für die Gesundheit; aber leider ist er ^ noch gar zu wenig verbreitet! — " * Das Variete-Theater in Hamburg hat mit dem * Lebensbild „Franz Müller, oder: Der Mord auf der Lon- ' doner Eisenbahn' ein Cassenstück erhalten, welches allabendlich ° die Räume dieses Theaters überfüllt. Einen gleichen Erfolg * lesen wir von dem Callenbach'schen Theater in Berlin, wo » Franz Müller tagtäglich eine Völkerwanderung veranlaßt, * welche sonst diesem Theater fremd ist. Die Magdeburger V „Theater-Revue" schreibt über dieses Zeitgemälde: „Jedenfalls b, hat der Bearbeiter des „Franz Müller" vortreffliche Unter- ^ lagen von dem deutschen Rechtsschutzverein in London erhal- ^ ten. Das Publikum, welches das Stück noch nicht gesehen hat, wird sich eine ganz andere Vorstellung von dem Inhalte * desselben machen, Mord und Todtschlag darin vermuthen; aber " man wird sich angenehm enttäuscht sehen, wenn man dies Alles nicht findet, sondern eine auf Thatsachen beruhende 's Handlung, mit den in dem bekannten und epochemachenden Prozeß vorkommenden Personen. Das Merkwürdige de- . ^ Stückes ist, daß dasselbe keine einzige sogenannte Hauptrolle ' enthält, sondern nur Episoden, die aber alle überaus geschickt ^ behandelt und zum Theile so wirksam aneinander gereiht sind "' daß die Spannung vom Anfang bis zu Ende im höchster ^ Grade fesselt — und in vielen Scenen sogar amüsirt. Irden-") falls ist dem Verfasser eine bedeutende Bühnenkenntniß nicht '* abzusprrchen. *