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„Geschlossen hab ich meinen Balkon, um das Weinen nicht mehr zu hören, doch klingt hinter grauen Wänden immer nur das Weinen nach. Nur wenig Engel gibts, die singen, wenig Hunde nur die bellen, tausend Geigen finden Raum in meiner Hand. Doch ein gewaltiger Hund ist das Weinen, ein gewaltiger Engel das Weinen, feine unendliche Geige das Weinen, gefesselt von Tränen ist der Wind, und immer nur klingt das Weinen.“ Es ist eine Klage, die Anklage in sich ein schließt. Die Musik Zimmermanns betont ge rade diese Seite: den fordernden Protest. Sie ist nicht als Nachahmung des Gedichts zu ver stehen, sondern als Nachdenken darüber. Zim mermann faßt die Worte nicht als ein Pro gramm auf, das er zu illustrieren hat, sondern als Anregung, die zu Folgerungen führt, wel che über das im Wort Formulierte weit hinaus weisen. Schon bei früheren Orchesterwerken ist er so vorgegangen: der verbale Bezugspunkt ist keine Fessel, sondern regt, im Gegenteil, zu musikalischen Erkundungen an und bewahrt vor einem Akademismus der Form, über der Sinfonie als musikalischer Gattung lasten die großen Vorbilder des neunzehnten Jahrhun derts. Die von ihnen geschaffene Architektur ist zeitgebunden — nicht aber der ideelle An spruch. Die Sinfonie, wie sie sich damals ent wickelte, gibt ein musikalisches Bild von Weltanschauung. Auch Zimmermanns Werk Beachtet diese „philosophische" Tradition. Das Neue seiner Anschauung kann er aber gerade durch eine Lösung von den angestammten Mustern ausdrücken. Die Bezeichnungen für die drei Sätze sind der liturgischen Terminologie entlehnt: Antiphon — Psalm — Antiphon. Eine Korrespondenz zur Totenandacht stellt sich ein — dieselben Titel tragen Udo Zimmermanns 1977 zu den Kasseler Musiktagen uraufgeführten „Psalmen der Nacht" nach Texten von Nelly Sachs und dem „De Profundis". Die Intonation der die Sinfonie durchziehenden Klage „zitiert" — wenn auch in der Umkehrung der Originalgestalt — den Eingangschor aus der Bach'schen „Matthäus- Passion": „Kommt, ihr Töchter, helft mir kla gen . . ." Eine weitere Assoziation, die eben falls dem Werk historische Tiefe gibt und auf die jahrhundertealte Geschichte des humani stischen Anspruchs weist. Die Antiphon I beginnt wie ein Rezitativ mit einer Kadenz der Pauken, die einen affekti- schen Prozeß darstellt: Aufschrei, Besinnen, Aufbäumen, Flucht, Kraftlosigkeit, Zusammen sinken, Verlöschen. Ein Trauermarsch schließt an und löst die Klage aus, die in den tiefen Streichern sehr verhalten einsetzt. Der „Psalm" nimmt die Thematik der Klage auf, die anfangs in einem sich ständig verdich tenden Bläsersatz einem schwebenden Pasto rale vergleichbar scheint. Die wachsende Komprimierung unterschiedlicher Klangschich tungen verändert den Charakter der Klage: Dramatische Klangereignisse treten in den Vordergrund, führen zu schreiendem Aufbe gehren. Auf dem Höhepunkt solch exzessiver Klangentfaltung kontrapunktiert die Pauke mit ihrer in Antiphon I exponierten Einzelaktion, reißt sie die wachsende dramatische Zuspit zung gleichsam in eine Stretta von stürmischen Zweiunddreißigstelketten, die wie ein perpe- tuum mobile vorwärts drängen: als läuteten alle Glocken der Welt zum Sturm. Inmitten sol cher Klang- und Bewegungskulmination bricht die Entwicklung ab, tritt Totenstille ein. über eine Generalpause hinweg, die mit größter Spannung aufgeladen ist, setzt die Antiphon II ein, an den Trauermarsch anknüpfend, ihn aber, heftig steigernd, aus der Klage zur An klage führend. Nach und nach „verliert" sich der Marsch, aber er „stirbt" nicht mehr: wie ein dumpfer Orgelpunkt klingt er in den gro ßen Trommeln nach, um schließlich an die Pauken zurückzugehen, die ihn zur ostinaten Begleitmusik der nun in den Streichern erneut einsetzenden Klage werden läßt. Dieses „La mento" entläßt nicht in Verzweiflung, sondern trägt in die Trauer Zuversicht. Wenn die Strei cher am Ende des Werkes inmitten sich kraft voll aufbäumender Klangentfaltung plötzlich auf einem Ton verharren, scheint es, als zwinge sich die Musik selbst zum Schweigen, damit nachdrücklich auf den Ernst des Anliegens des gesamten Werkes weisend. Das Finale erin nert an die letzten Sätze der Bernarda aus Lorcas Drama „Bernarda Albas Haus": „Kein Geklage! Dem Tod muß man ins Gesicht se hen! Still! Schweigen habe ich gesagt! Tränen, wenn du allein bist! Wir alle tauchen in ein Meer von Trauer . . • Habt ihr mich verstanden? Schweigen, schweigen habe ich gesagt. Schweigen!" Das Violoncello konzert h-Moll o p. 104 begann Antonin Dvorak am 8. November 1894 in New York, noch während seines Aufenthaltes in Amerika, zu komponie ren und schloß die Arbeit im wesentlichen am 9. Februar des folgenden Jahres ab. Nach sei ner Rückkehr in die tschechoslowakische Hei mat wurde dann der letzte Satz noch entschei dend erweitert. Auf die Gestaltung des Solo parts nahm der damals berühmte Cellist des Böhmischen Quartetts, Hanus Wihan, dem das Konzert auch gewidmet wurde, wesentlichen Einfluß. Obwohl Dvorak das Violoncello nicht eigentliclr liebte — weil es, wie er sich aus drückte, „oben kreischt und unten brummt" — schuf er mit seinem h-Moll-Konzert, das eine Sinfonie mit obligatem Violoncello genannt zu werden verdient, eine der schönsten Perlen der Cello-Literatur, da es dem Solisten alles gibt, was er sich wünschen kann: ausdrucksvolle Kantilenen, einen mitreißenden rhythmischen Elan und technische Brillanz. Unter der Lei tung des Komponisten erklang das Werk zum erstenmal am 19. März 1896 in London mit dem englischen Solisten Leo Stern, der das Konzert auch einen Monat später in Prag bekannt machte. Der erste Satz (Allegro) beginnt mit einer längeren ausdrucksvollen Orchestereinleitung, die das thematische Material vorstellt, na- VORANKÜNDIGUNG: Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Die Einführung in die Sinfonie Udo Zimmermanns schrieb Dr. Fritz Hennenberg, Leipzig, für das Pro gammheft zum 3. Sonderkonzert der Staatskapelle Dresden am 25.726. Mai 1978. mentlich die beiden führenden Themen: das besonders gelungene erste mit seinem hero isch-kraftvollen Charakter und das lyrische zweite, zunächst vom Waldhorn angestimmte. Beide Themen werden danach auch vom So loinstrument aufgegriffen. Der Aufbau des ganzen Satzes ist locker, fast rhapsodisch. Der zweite Satz (Adagio) ist eine der schön sten lyrischen Eingebungen Dvoraks. Das ge sangvolle Thema erklingt zuerst in den Klari netten, bevor es vom Solocello aufgegriffen wird. Der spannungsgeladene Mittelteil geht in eine Reminiszenz an Dvoraks Liedschaffen über. Der wirkungsvollste Teil des Konzerts ist fr^B los das Finale (Allegro moderato) mit sei^w Fülle von pathetischen, melancholischen und rhythmisch-zündenden Gedanken. Das Haupt thema drückt die Freude des Komponisten über die bevorstehende Rückkehr in die Heimat aus, das Soloinstrument führt die lapidare Melodie nach kurzem Orchestervorspiel vor. Seitenthemen unterstützen diesen Ausdrucks gedanken (u. a. ein Zwiegesang zwischen So locello und Solovioline). Dann erklingen Moti ve aus den vorangegangenen Sätzen (Haupt thema des ersten Satzes, das Adagio-Thema) in träumerischer Haltung, bis mit dem Haupt thema des Finales der jubelnde Ausklang des Werkes herbeigeführt wird. Dienstag, den 29. April 1980, 20.00 Uhr (AK/J) Mittwoch, den 30. April 1980, 20.00 Uhr (Freiverkauf) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Herbert Kegel Solisten: Helga Termer, Dresden, Sopran Violetta Madjarowa, VR Bulgarien/Halle, Alt Armin Ude, Dresden, Tenor Ulrik Cold, Dänemark, Baß Chöre: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Herwig Saffert Mitglieder des Staatsopernchores Dresden Einstudierung Hans-Dieter Pflüger Werke: Bohuslav Martinü: Lidice Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 Spielzeit 1979/80 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-28-80 EVP 0,25 M 9. PHILHARMONISCHES KONZERT 1979/80