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MMnOrNgMIt Nationale Tageszeitung für die ^andwirtschast/ Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend oder^ürim?o^^cn^^^ Gewalt, Krieg oder sonst. Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung z ' 9 des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto beiliegt. für Äürgertum, Veamie, Angestellte u. Arbeiter Anzeigenpreis: die 8gespaltene Raumzeiie 20 Rpfg., die 4gespsltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reichs» Pfennige, d e s gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile 4 RMK. Nachweisungsgebühr 20 Reichspfcnnige. Bor» Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 annahmebisvorm.toUhr. —————————— Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage -ingezog-n werden muß oder der Auftraggeber inKonkurs gerät. Anz. nehmen alleDermittlungsstellen,entgegen. Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forsirentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nr. 262 — 89. Jahrgang Montag, den 10. November 1930 Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Telegr.-Adr: .Amtsblatt" Stille nach dem Sturm. Von General a. D. Hans Kundt. General a. D. Hans Kundt, der Verfasser der nach olgenden Ausführungen über die Hintergründe der letzten ndamerikanischen Revolutionen, war schon vor dem Kriege eutschcr Jnstruktionsofsizier in Bolivien. Während des Weltkrieges Ivar der damalige Oberstleutnant in höheren Generalstabsstellen tätig und wurde schließlich als Oberst der letzte Kommandeur des Kaiser-Alexander-Gardc- Grenadier-Regimeuts Nr. 1. Nach auch persönlich hervor ragender Teilnahme an der Niederwerfung der Münchener Räterepublik wurde er nach Bolivien von neuem hinübergc- rusen und organisierte als Chef des Geueralstabes das dortige Heer ganz nach preußischem Muster. Der 1925 wieder nach Deutschland Zurückgekehrte folgte 1928 einem zweiten Rufe Boliviens bei dem Konflikt mit Peru, bis ihn bekanntlich vor kurzem die Revolution zuni Verlassen des Landes zwang. General Kundt darf wegen dieser seiner Tätigkeit und seiner Amtsstellung in Bolivien als einer der besten Kenner der politischen Verhältnisse in Südamerika betrachtet werden. Die südamerikanische Revolutions- Welle ist abgeebbt. Es herrscht wieder Ruhe und Ord nung im Kontinent, der so viel leichte Erregbarkeit, so viel heißes Blut und Temperament birgt. Südamerikanische Revolutionen sind verschieden von den europäischen. Für uns schließt die Vorstellung einer solchen zwangsläufig den Begriff eines Umsturzes der bestehenden Staatsform ein. Darum handelt es sich drüben nicht, die Republik als solche ist selten in Gefahr. Revolutionscheintcin ungeschriebenes Grundrecht Lateinamerikas zu sein. Und nicht nur ein ungeschriebenes, es gibt sogar Staats- Verträge über die Einzelheiten von Revo lutionen. In dem Vertrag von Montevideo, unter schrieben 1928 von fast allen lateinamerikanischen Staaten, ist für den Fall innerer Unruhen alles aufs beste geregelt: Die Exterritorialität der fremden Gesandtschaften wird anerkannt, ebenso ihr Ashlrecht; desgleichen die Ver pflichtung, den Schützlingen der Gesandtschaften freies und sicheres Geleit von der Gesandtschaft bis über di- Grenze zu gewähren; politische Flüchtlinge dürfen nich- ausgeliefert werden. Man kann sich des Eindrucks nickst erwehren, als hätte bei Abschluß dieser Verträge der Ge danke vorgeherrscht: „He u t e d i r, m o r g e n m i r! Das Rad kann sich sehr schnell wieder drehen und wir wollen uns gegenseitig nicht sehr wehe tun!" Diel ist über die Gründe der Revolutionen geschrieben und viel in diese hineingeheimnist. Sie liegen ziemlich klar zutage. Bolivien stieß, wie man drüben so schon sagt, als erste den „Schrei der Freiheit" aus. Veranlassung war eine rein innenpolitische Frage, die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten. Sie ist an sich sachlich durch aus berechtigt. In dem durch die ungeheueren Ent fernungen und den Mangel an Verkehrswegen so schwierig zu verwaltenden Lande sind alle Probleme aus lange Sicht gestellt. In den vier Jahren der jetzigen Amtszeit des Präsidenten kann nicht viel ersprießliche Arbeit zum Wohl des Landes geleistet werden. Aber Hernando Siles, 1923 begeistert vom Volke als Befreier begrüßt, hat sich nicht als der geeignete Mann gezeigt, diese Verlängerung dnrch- zusetzen. Sie bedeutete eine Verfassungsänderung und be dingte vorherigen Rücktritt des Präsidenten und eine, ge linde gesagt, politische Schiebung. Außerdem wurde noch der ^Gedanke der unmittelbaren Wiederwähl barkeit hineingcschmuggelt. Nun rechnete die Opposition dem Volke vor: Siles ist schon seit 1926 Präsident, jetzt verlängert man ihn vielleicht auf sieben Jahre bis 1933, dann wird er wiedergewählt bis 1940, das bedeutet Dik tatur, beinahe Monarchie. Schlechte Verwaltung kam da zu. Tragisch ist es, daß ein Teil des Heeres denjenigen Präsidenten stürzen mußte, der für seine modernste Be waffnung und Ausrüstung mehr Geld ausgegeben hat, als alle bisherigen Präsidenten Boliviens zusammcnge- nommen. Peru wurde unmittelbar von Bolivien beeinflußt. Die Studentenschaft in La Paz sandte ein offenes Mani- sest an ihre Kommilitonen in Lima, in dein sie diese auf- fordertc, ihrem heroischen Beispiel zn folgen und den Tyrann Leguia zu stürzen. Dieser hatte es tatsächlich vcr- standen, sich elf Jcch^ lang am Zinder zu halten. Seine Herrschaft Ichwn gesicht zu sein. Aber die Mißwirtschaft in der ^crwaitung und die wirtschaftliche Krise haben ihn trotz der an-gezerchneten Polizei, über die die Regierung verfugte, zu Call gebracht. Vielleicht hat er auch nicht mehr seine frühere Energie besessen. Am 14. Jnli hatte er sich, ^^ftanzostschen Gesandten an seiner Seite, im größten Lichtspieltheater Limas gezeigt und war vom Volke nieder- gcschrien worden. Als diese Kundgebung ohne Folgen ge blieben war saust batte sie sicher Hunderte von Ver bannungen im Gefolge gehabt — sprach man in ganz Peru ganz offen von der bevorstehenden Revolution. 40 Zahre lang hat Argentinien keine Revolution mehr erlebt. Mit Stolz erklärte der Argentinier sein Volk mache seine^Revolutionen mit den. Mimmzettel an der eine richtiggehende Revolution mit 4.anks und Maschinengewehren gegen den vor kurzen: erst mit überwältigender Mehrheit gewühlten Irigoyen, den Liebling des Volks. Er wurde gestürzt, weil di-' Staatsmaschine vollständig stillstand. Er wollte alles selbst erledigen, Minister und Parlament wurden ausgeschaltet. Vie Neuwahlen in Oesterreich Oesterreichs neues Parlament. 14 Parteien rangen um die Wähler. Am Sonntag fanden in Österreich die Neuwahlen zum Nationalrat statt. VerfassungsgemäH wäre die Gesetzes periode des im Jahre 1927 gewählten Nationalrates erst im Februar 1931 abgelaufen. Die Nichternennung Stra- fellas zum Generaldirektor der Bundesbahnen, die mit dem bekannten Strafella-Prozeß zusammenhängt, hat jedoch dazu geführt, daß die Christlichsozialen Dr. Schober ihr Vertrauen versagten. Es kam zur Gesamtdemission des Kabinetts: Großdeutsche und Landbund weigerten sich, an einer Regierungsbildung mit den Christlichsozialen teilzunehmen. Darauf sah sich der Bundespräsident ver anlaßt, auf Vorschlag der von ihm neuernannten Regie rung Vaugoin durch eine Entschließung vom 1. Oktober auf Grund des Artikels 29 Absatz 1 des Bundes verfassungsgesetzes den Rationalrat aufzulösen. Einige Tage später hat der Ständige Ausschuß des Nationalrates, der dem reichsdeulschen Ausschuß zur Wahrung der ver fassungsmäßigen Rechte des Reichstages entsvrjcht. den Fürst Starhemberg, Vaugoin, Oberbefehlshaber der Heim- Führer der Christlich wehren. sozialen. Dr. Deutsch, Schober, Führer des Republikanischen Führer der bürgerlichen Schutzbundes. Mittelparteien. 9. November als Wahltermin festgesetzt. Der National rat besitzt im Gegensatz zum Reichstage eine festgesetzte Zahl von Abgeordneten, und zwar 165. Seit den letzten Wahlen hatte sich im innenpolitisch parlamentarischen Leben Deutsch-Österreichs vieles gcän dert. Die neue Verfassung, unter der jetzt zum Nationalrat gewühlt wurde, hatte z. B. das Wahlalter aus das 21. Lebensjahr erhöht und daher wurden diesmal nur etwa 4,2 Millionen Wähler an die Urne gerufen, war die Steigerung der Zahl beträchtlich geringer als 1927, als zum letzten Male gewählt worden war. übrigens mag hierbei noch erwähnt werden, daß in Deutsch-Osterreich die weiblichen Stimmberechtigten erheblich die männlichen an Zahl übertrefsen und ferner, daß ein Drittel der Ge samtzahl aller Wähler allein auf die Siadt Wien entfällt. Vor allem aber war seit 1927 eine sehr starke Verschiebung in den parteipolitischen Ver hältnissen eingetreten, — allerdings nur auf der nichtsozialdemokratischen Seite. Zersplitterung hier, Zu-, sammenfassung dort, aber überall „schwimmende" Grenzen. Von den 14 Wahlvorschlägen, die teilweise nur lokalen Charakters waren, hatte während des Wahl kampfes auf der einen Seite die österreichische Sozial demokratie und etwa noch die zahlenmäßig unbedeutende Kommunistische Partei gestanden. Unter ihren Gegnern, den antisozialdemokratischen Parteien, bildeten die Christ lichsozialen die stärkste Gruppe; sie hatten aber vor einigen Monaten mit dem früheren Bundeskanzler Dr. Schober einen ihrer prominentesten Führer verloren, der nun seinerseits wieder den Landbund, die „Großdeutschen" — also die Neste der früheren Liberalen und rechtsstehenden „Bürgerlichen" —dazu noch wirtschaftlich imerefsierteKreise zu einem „Block" zusammengebracht hatte, allerdings nur für die Wahlen selbst. Das große Fragezeichen hinsichtlich des Wahlaus gangs war mit dem Auftreten der Heimwehr aufge taucht, die sich ja diesmal auch offiziell an der Wahl be teiligt hatte. Teilweise, also in einzelnen Ländern Deutsch- Österreichs, ging die Heimwehr listenmäßig mit den Christ lichsozialen ebenso zusammen wie zur Zeit in der Regierung V a n g o i n - S t a r h e m b e r g. Anderswo hatten die Heimwehren aber eigene Listen aufgestellt, vor allem in den Alpenländern, wo es seit langem politisch überhaupt ziemlich durcheinander ging, es z. B. in Steiermark bei der Heimwehr zu erheblichen Streitigkeiten und Sondergrün dungen kam, Dr. Schober dort durch den Landbund stark an Boden gewonnen hatte. Die österreichischen National sozialisten wiederum hatten auch überall eine eigene Liste ausgestellt, wobei wohl die deutschen Wahlresultate des 14. Septembers die Veranlassung gewesen waren. Allerdings waren Nationalsozialisten anderer Richtung auch zum Schober-Block gestoßen. Gaben also dem größten Teil des nichtsozialdemo kratischen Blocks die Heimwehren einen stark bestimmenden „antimarxistischen" Charakter — auch Dr. Schober und seine Wahlgemeinschaft gehören, wenn auch gemäßigt, zu dieser allgemeinen politischen Richtung —, so verfügt für den Wahlkampf andererseits auch die Sozialdemokratie mit dem Republikanischen Schutzbund über eine sehr aktive Organisation, deren Führer der einstige Kriegsmtnister Dr. Deutsch ist. Im Gegensatz zn dem ihm sonst be freundeten deutschen „Reichsbanner" gehören jenem Bund Mitglieder nichtsozialdcmokratischcr Parteien nicht mehr Auch hier hat man Wohl die Gefahr einer Diktatur be fürchtet. Bei Beurteilung der Verhältnisse Brasiliens wird übersehen, daß dieses ungeheure Land ein, und noch dazu recht locker gefügter, Staatenbund ist. Wenn der Rundfunk von der „Südamerikanischen Republik Brasi lien" spricht, erweckt er ganz falsche Vorstellungen. Hier kann die Revolution auf Selbständigkeitsgelüste der einzelnen Bundesstaaten zurückzuführen sein. Jedenfalls ist es das Land, in dem man über die wahren Beweggründe zurzeit am wenigsten klar sieht. Ein gemeinsamer Grund für alle ist die wirtschaftliche Krise: in Bolivien das Zinn und das Kupfer, in Peru der Zucker und die Baumwolle, in Argentinien das Fleisch und der Weizen und in Brasilien der Kaffee; Überproduktion und Preissturz aller dieser Rohstoffe haben die Regierungseinkünfte sowohl wie die privaten Vermögen in katastrophaler Form verringert. Das Volk macht die Regierung für die Krise verantwort lich. Sie hat natürlich in besseren Zeiten niemals daran gedacht, Reserven zu bilden, das liegt dem Südameri kaner nicht. Die ungeheure Verschuldung an das Ausland kommt dazu. Ter Zinsendienst der ausländischen Anleihen verschlingt den größten Teil der Staatseinkünfte. Auch in C h i l e har es schon gekriselt. „Chiles Ruin wird in kurzer Zeit die Leichtigkeit fein, mit der wir amerikanisches Geld erhielten und erhalten," sagte mir noch vor kurzem ein sehr kluger ehemaliger Finanzminister dieses Landes. Viel hat man von n o r d a m e r i k a n i s ch e m E i n- kluß gesprochen. Er ist sehr schwer nachzuweisen und innerlich nicht wahrscheinlich. Was die Vankees an Kon zessionen in Südamerika brauchen, haben sie schon in Händen. Kurz nach dem Kriege sagte mir der ameri kanische Gesandte in La Paz, als es sich um den Wider spruch Frankreichs gegen meine Wiederanstellung han delte: „Selbstverständlich unterstütze ich Ihre Sache. Ich vertrete hier die Rechte und das Vermögen von etwa 20 000 amerikanischen Staatsbürgern, die Besitzer bolivianischer Staatsanleihen sind. Ihre Person ist die beste Garantie für Ruhe und Ordnung im Lande und das ist das, was wir Nordamerikaner brauchen, denn sonst bekommen wir unsere Zinsen nicht." Dieser klare und durchsichtige Stand punkt dürfte auch heute noch Geltung haben Nun herrscht überall Ruhe. Die Gefahren der Dik tatur sind abgewendet, aber die wirtschaftliche Notlage bleibt. Revolutionen sind immer teuer. Die neuen Regierungen müssen sparen, Gehälter werden abgebaut, überflüssige Stellen im Staatshaushalt ge strichen. Das schafft aber neue Unzufriedenheit. Zum Sturz der Negierung haben sich politische Ein heitsfronten von Parteien und Männern gebildet, die sich früher aufs grimmigste befehdeten. Wird es ge lingen, diese Gegensätze dauernd zu überbrücken? Von einer Politik der Kondoltieri kann man nicht sprechen. Die M i l i t ä r s , welche die Revolution machen, sind W c rA z e u g e der poliii s che n Parteien, teils aus Idealismus, teils gegen Entgelt. Sie können im Bedarfsfälle auu; anders! So ist eine unbedingte Ge währ für Stabilisierung der neuen Regierungen leider noch nicht gegeben, und Ruhe und Ordnung bleiben sichert — bis zum nächsten Mal.