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Uxped u. Redaktion Lre»»en-Neufta»t v. Reißner »ässe 4. Lie Zeitung erscheint Dienstag, Lsnuersta» und Lonnaben» fr^h- Abonnement»« Preis: »irrteljährl. M. 1,50. Zu beziehen durch sie kaiserlichen Post- ulstaltcn und durch unsere Boten. Vei freier Lieferung iaS HauS erhebt die Poft noch eine Ge bühr von 25 Pf. iichsische DolßeituG (Lin unterhaltendes Blatt für den Bürger und Sandmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmann Musser in Dresden. Inserate werden bis Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kosten: dieispalt. Zeile 15 Pf. Unter Eingesandt: 30 Pf. Inseraten« Annahmestellen: Die Arnoldische Buchhandlung, Jnvaiidendank, HaascnsteiuL Vogler, Rudolf Mosse, G. L. Daube Co. in Dresden, Leipzig, Frankfurt a/M., G. Kohl, Kesselsdorf u. s. w. Donnerstag, den 6. Mai 1897 59. Jahrgang. Politische Weltschau DeutsckeS Reick. Der Reichstag verhandelte am Montag über die Interpellation Kanitz und Genossen: „Beabsichtigen die verbündeten Regierungen angesichts der bevorstehenden Erhöhung wichtiger Posi tionen des Zolltarifs der nordamerikanischen Union, insbesondere der verschärften Differencirung der deutschen Zuckereinfuhr, an dem durch Notenaustausch vom 22. August 1891 getroffenen Uebereinkommen mit den Vereinigten Staaten festzuhalten?" Abg. Graf Kanitz (kons.) begründet diese Anfrage und wirft zunächst einen Blick auf die gesteigerte Ausfuhr von Amerika gegen- ! über der verminderten Ausfuhr von Deutschland dort hin in den letzten Jahrzehnten. Dies Mißverhältniß ' würde noch schreiender werden, wenn die beabsichtigten Zollerhöhungen in Amerika verwirklicht würden. Was die Amerikaner beabsichtigen, sei eine allmählige Ver- ! Krängung der fremden Einfuhr. Am Schluffe seiner Rede spricht Kanitz die Hoffnung aus, daß Maaß- > regeln ergriffen werden, die unserer Industrie, unserem ! Handel, unserer Landwirthschaft in unserem ganzen j Vaterlande zum Nutzen gereichen. Dem gegenüber wies Staatssekretär v. Marschall darauf hin, daß das Zollverhältniß mit den Vereinigten Staaten nicht aus dem Jahre 1891, sondern auf einen im Jahre 1828 geschloffenen Vertrag zwischen denselben und Preußen basire. Weiterhin erinnerte Redner daran, daß die deutsche Regierung bereits Vorstellungen gegen das neue Tarifgesetz erhoben habe, gegen welches sich übrigens in Amerika selbst bereits warnende Stimmen hören lassen. Von Repressalien aber, wie sie die Inter pellanten vorschlügen, könnte Deutschlands Einfuhr nach » Amerika nur Schaden haben. Redner schloß: „es ist i Alles noch in der Schwebe; entscheidende Beschlüsse heute zu fassen, wäre der größte Fehler. Zweifellos ist die Lage schwierig und ernst. Ich kann aber nur bitten, der Reichstag möge zu den verbündeten Regie rungen das Vertrauen haben, daß sie sich der Schwierig keit der Aufgabe bewußt sind und daß sie, wenn ent- ! scheidende Beschlüsse zu fassen sind, mit Festigkeit, zu der uns unser Recht vollen Anlaß giebt, auch kühle und ruhige Erwägung verbinden werden, worauf wir, bei den großen, weitverzweigten Interessen, die hier im Spiele sind, wohlbegründeten Anspruch haben." (Bei fall.) Nachdem die liberalen Redner hierauf gegen j und die argrarischen für die Interpellation ihre Ansicht geäußert hatten, wurde die Besprechung abgebrochen. — Am Dienstag wurde u. A. die Ueberficht über Ein nahmen und Ausgaben der Schutzgebiete pro 1895/96 in dritter Lesung genehmigt und die bereits mehrfach erwähnte Servisvorlage einer Kommission überwiesen. Auf eine Anfrage des freis. Abg. Richter nach dem Stande derMilitärftrafproceßordnungs- frage thetlt Staatssekretär v. Bötticher mit, daß sich gegenwärtig die BundeSrathsausschüsse mit der selben beschäftigten. Zum Schlüsse der Sitzung endlich wurde der Gesetzentwurf über die anderweitige Bemessung der Wittwen. und Waisengelder in zweiter Lesung unverändert angenommen. Die „wahre Gefahr für den europäischen j Frieden" wird in einem längeren Artikel der Bis- > marck'ichen „Hamb. Nachrichten" in der unfriedlichen Politik Englands erblickt. Das vereinte Europa müsse daher England zur Friedfertigkeit zwingen. Letzteres, dessen eigentliches Interesse der Geldsack sei, werde auch vor einem Gewaltakt gegen die Delagoa-Bucht nicht zurückschrecken, wenn ein allgemeiner Weltbrand ausgebrochen sein werde. Die Flottenbewegung könne als ein Zeichen gelten, daß ein solcher bereits als nahe bevorstehend erachtet wird. Wenn Griechenland - die englische Intervention anrufen sollte, würde diese wahrscheinlich in Gemeinschaft mit Frankreich erfolgen. Das gebe — so heißt es dann weiter — eine ühn- liche Weltlage wie diejenige, aus welcher der Krim krieg hervorging, nur mit dem Unterschiede, daß die Türkei diesmal die Westmächte zu Gegnern hätte, j Lieber wäre es England freilich gewesen, wenn eS den ! verhaßten Dreibund zwischen zwei Feuer hätte bringen können. Nachdem es Frankreich lange vergeblich zum Revanchekrieg angespornt und sich bemüht hatte, mit ! Hilfe einer für englisches Gold nicht unempfindlichen ! Presse die Revanchelust nicht einschlummern zu lassen, war die Annäherung Rußlands an Frankreich Wasser ! auf die englische Mühle. Nun wuchs für England die Chance, daß Frankreich im Bunde mit Rußland end- j lich losschlagen würde. Da brachten die vielgeschmähten Enthüllungen des Fürsten Bismarck eine für England sehr fatale Wendung. Daher die Wuth aller englischen und englandfreundlichen Kreise, — auch am preußischen Hofe! Nach dem Urtheil von Leuten, welche Gelegen heit haben, die Volksstimmung in England kennen zu lernen, sei die Verbitterung der weitesten Kreise gegen Deutschland außerordentlich groß und tief, obwohl durchaus ohne jede Berechtigung. England möchte über Deutschland eine Art von dreißigjährigem Krieg beraufbeschwören. „Es würde," so schließt dann diese Betrachtung, der noch weitere folgen sollen, „wenn es ! uns in Krieg verwickelt hätte, auch gewiß kein Geld sparen, um uns zugleich durch Anstiftung socialer Un ruhen zu schwächen, wovon der Hamburger Strike einen Vorgeschmack gegeben hat. Die socialen Gegenstände spielen nun einmal heute eine ähnliche Rolle wie im ! Zeitalter des dreißigjährigen Krieges die religiösen." Die Petersburger Kaiserzusammenkunft giebt der „Maadeburgischen Zeitung" Anlaß, zu be sprechen, wie sich aus der politischen Lage für Deutschland die Nothwendigkeit einer schlagfertigen Flotte ergebe; dabei wird u. A. gesagt: „Geschichtliche Parallelen haben immer etwas Mißliches, aber Manches in unseren Zeitläufen erinnert an die große Umwälzung, die sich in den überseeischen Besitzungen vollzogen hat, als nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges England als Kolonial- und Seemacht an die Stelle der Niederlande trat. Irren wir nicht, so bereiten sich ähnliche Umwandlungen wieder vor und werden dem kommenden Jahrhundert das Gepräge geben. Wenn uns für sie unser Kaiser eine schlagfertige Flotte bereiten will, so bekundet er einen sicheren Blick für die treibenden Mächte der Weltgeschichte, während die Gründe der Gegner der Flotten verstärkung nicht triftiger find, als die, mit denen einst die Reorganisation der Landarmee bekämpft worden ist. Indem durch die Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland und zwischen Oesterreich und Rußland wieder das alte Ver. hältniß hergestellt ist, dessen Lockerung seiner Zeit für den Fürsten Bismarck die Veranlassung zu dem viel besprochenen Assekuranzvertrage war, ist unsere Stellung zu Lande wieder wesentlich sicherer geworden. Aber an den Machtfragen, deren Lösung die nächste Zeit zur Aufgabe machen wird, werden wir in einer unseren Interessen entsprechenden Weise nur Theil nehmen können, wenn wir zugleich über eine tüchtige, schlag, fertige Flotte verfügen." Ueber die viel besprochenen anonymen Briefe der Berliner Hofgesellschaft ist jetzt, kurz vor der Eröffnung des Processes v. Tausch, eine neue sentationelle Broschüre in Zürich erschienen, welche einen ehemaligen preußischen Officier, Freiherrn v. Langen- Allenstein, einen Mann von vielbewegter Existenz und darum allerdings vielleicht nicht ganz einwandsfrei zum Verfasser hat. Als Schreiberin der Briefe wird die Gattin eines in Berlin hochgestellten Porträt- und Pferdemalers bezeichnet, die viel in Hof- und aristokra tischen Kreisen verkehrte Der Verfasser führt den Leser in ein seltsames Milieu. Da ist die Gattin eines Künstlers, in deren Hause die höchstgestellten Osficiere, Kavaliere der Hofkreise und die ganze Welt des Turfs sich beständig Rendezvous geben. Die Dame verkehrt selbst in hocharistokratischen Häusern und wird nament- lich als eine intime Bekannte der Gräfin Hohenau hingestellt. Eine unersättliche Lust an der Jntrigue, an Klatschereien und Verleumdungen wird ihr unter Anführung mannigfacher Beispiele, deren Wahrhaftig keit mehr als zweifelhaft erscheint, nacherzählt. Nament- Ieuillekon. Der Schauspieler. Novelle von Reinhold Ortmann. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) Seltsam war es, daß ich mich ganz plötzlich er innerte, zugleich mit dem Revolver auch etwas Glattes, Knisterndes, ohne Zweifel ein zusammengefaltetes Papier, aus der Tasche gerissen zu haben. Es mußte an der Stelle zu Boden gefallen sein, wo ich das Strafgericht an meiner Nebenbuhlerin vollstreckt hatte und der Gedanke an dies Llatt, dessen Inhalt ich nicht kannte, weil es mir nicht eingefallen war, die Taschen des Mantels vorher zu untersuchen, beunruhigte mich mehr als alles andere. Ich war ganz darauf gefaßt, daß es an mir zum Verräther werden würde und schon beim ersten Grauen des Morpens stand ich auf, um mich anzukleiden, weil ich erwartet»', daß die Schergen des Gerichts alsbald in unserer Wohnung erscheinen würden. Aber sie kamen nicht und als dann die Abend blätter mit den ausführlichen Berichten über den Mord erschienen, da war wohl von einem Manne im Kragen- uantel und breitrandigem Filzhut die Rede, nirgends aber von einem verrätherischen Papier. Man hat eS also jedenfalls nicht gefunden und von dieser Seite droht mir keine Gefahr —" Normann erhob sich jetzt und ließ sich einen Fiaker holen, um in das Justizgebäude zum Untersuchungs richter zu fahren. Unterwegs überflog er noch rasch die letzten Seiten ! des Selbstbekenntnisses. Elisabeth Novorka berichtete da von ihrem Versuch, den Schauspieler am Abend nach dem Morde zur Rückkehr in die verlassene Woh nung oder doch zur Wiederanknüpfung des gelösten Liebesverhältnisses zu bewegen und sie schilderte die schroffe Zurückweisung, deren ungesehener Zeuge ja der ! Inspektor gewesen war. Dann süllte sie die letzten Seiten mit einer er staunlich klaren und scharfsinnigen Zergliederung rhreS eigenen Gemüthszus.andes während der auf die blutige That folgenden Tage. Aus jeder Zeile ging mit Ge wißheit hervor, daß die Schreiberin vollkommen darauf vorbereitet war, entdeckt und verhaftet zu werden, aber einige immer wiederkehrende Wendungen verriethen auch, daß sie fest entschlossen sei, keinem irdischen Gerichtshöfe Rede zu stehen über ihr Verbrechen. Als Normann zehn Minuten später dem Gerichts- rath Hornung die inhaltsschweren Papiere übergab, unterließ er darum nicht, seinem kurzen, mündlichen Bericht die dringende Mahnung hinzuzufügen, für eine scharfe und aufmerksame Bewachung der von Selbstmord- i gedanken erfüllten Verhafteten Sorge zu tragen. Aber die Konferenz der beiden Kriminalisten war noch nicht zu Ende, als im Justizgebäude die telephonische Mel, düng auS dem Polizeipräsidium eintraf: „Die in der Sache Sievtking unter dem Verdachte des Mordes verhaftete Elisabeth Novorka hat trotz der sorgfältigen Durchsuchung, welcher man sie bei ihrer Einlieferung unterzogen, Gelegenheit gefunden, G>ft ! mit sich in ihre Zelle zu nehmen. Sie ist soeben todt aufgefunden worden." Mit einem Achielzu en schlug der Untersuchungs richter sein Aklenheft zu. „Sie hat es vorgezogen, gleich an die höchste Instanz zu gehen!" sagte er. 10. Zwei Tage hindurch war Normann durch eine Fülle von Amtsgeschäften so ganz in Anspruch ge nommen, daß er nicht daran denken durfte, ein Wieder, sehen mit Wally Reimar herbeizuführen. Unterdessen war das Geschehene durch die Zeitungen natürlich längst im Publikum bekannt geworden und zwar in einer Form, welche schonend genug für Josephine Sieve- king lautete. Ein halb verrücktes Frauenzimmer — so hieß eS — habe i der Raserei einer völlig unbegründeten Eifersucht die Beklagenswerthe in einen Hinterhalt ge lockt und sie dort meuchlerisch niedergejchossen. Noch einmal ging eine tiefe Bewegung des Mitleids für das arme Opfer der verbrecherischen That durch die Bevölkerung Wien'»; dann aber, da die Wißbegierde der Menge einmal befriedigt war und neue, interessante Aufschlüsse nicht mehr erwartet werden konnten, drängten sich andere, jüngere Ereignisse m den Vordergrund der öffentlichen Theilnahme und man konnte sicher sein, daß schon in wenig Tagen oder Wochen der Mord im Prater vergessen sein würde, wie tausend andere, wichtigere Dinge vergesstn worden waren. Äm dritten Tage nach Elisabeth Novorka'S frei willigem Tode empfing Normann wieder ein kleines, schwarzumrandetes Billet, welches diesmal folgenden Inhalt hatte: