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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.07.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120710016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912071001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912071001
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-07
- Tag 1912-07-10
-
Monat
1912-07
-
Jahr
1912
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BezuftS-'prn» Ar Leipitt ,nd «»,»«, d»,ch »«>«, Tria«: »»d Evedtteor, ü»«l tizlich t« van» «edracht « V1. monatt„ r.7u «I. »ttneULtzrl. Lei »n>ern hiUatt» ». An. «chmeftelle« adaeh»U: 7» Vs. monatL. L»«l> »tettellährl. D»vtz »te Pelt: innerhalb Deutschland, und der deutlchen Kolonien vieNeljährl. r.tiu MI., monatl. IMDil. auelchl Polrbeftellaeld Ferner in Belgien, Dänemark, den Donauftaatrn, Italien. Lurembura, Riederland«, Sior» wegen, Letterreich »Ungarn, Nuhland, Schweden und Schwei». In allen adrigen Staaten nur direkt durch d»e Eeichästo. ktell« de» Blatte» erhältlich. Da» Urtvitger Lagedlatt «richein» Lmal täglich. Sonn» u. Feiertag» nur morgen». Abonn«ment»»Annahm«. 2oh«»n>»g«Ile 8, bet unseren Trägern. Filialen, Spediteuren »ad Annahmestellen, sowie Postämtern und Brieiträgern. St»,,l,«rka»k»»r«t» U Pt- Morgen-Ausgabe. KWWrTaMaü s14S»r (Aach^nschluh) «el.-Anschl.i 146S3 (14694 Handelszeitung. i Allgemein« Deutsch« Tredtt» Uanbb anlo- ) Anstalt Brühl 75/77. vaNKK0M0.< Deutsch. 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Jahrgang IMU- Unsere gestrige Abendausgabe umfaßt IS Seiten, die vorliegende Morgennummer 16 Seiten, znsammen 26 Seiten. Vas Wichtigste. * Angriff der portugiesischen Royalisten auf (5 Haves ist zurüüge- schlagen tvorden. (S. Ausl. S. 2.) * Die streikenden Dockarbeiter in Le Havre haben die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen. (S. Ausl. S. 2.) * In der türkischen Kammer, hielt der Minister des Innern eine Rede über die albanische Frage. (S. bes. Art. S. 2.) * In New V ork ist es zu Ausschreitungen streikender Seeleute gekommen. (S. Ausl. S. 2.) * Theateranzeigen siehe Seite 16. Das Verhältnis zu Rutzlsnü. Eine genaue Bestimmung der zwischen Deutschland und Ruhland obwaltenden Verhältnisse ist seit der Reichsgründung nie mals leicht gewesen. Um so weniger, als die Abwickelung der laufenden Geschäfte selten mit den amtlichen Begriffsbezeichnungen zusammen stimmte. In den Jahren seit 1872 erzählte man uns oon einem „Drei-Kaiser-Bündnisse". Das hinderte aber nicht, daß Ruhland bereits im Frühling 1875 in Berlin wissen lieh, es werde Frankreich im Falle eines deutschen An griffes (der gar nicht beabsichtigt war) unter stützen. Und 1876 sondierte es in Berlin (beide Male mit persönlicher Umgehung des deutschen Reichskanzlers) trotz des offiziell noch bestehenden Drei-Kaiser-„Bünd- nisses", wie wir uns bei einem russi schen Angriffe auf den dritten, den öster reichischen Kaiser, verhalten würden. Noch merkwürdiger wurde das Verhältnis, als an geblich seit den Zeiten der Begegnung von Skierniewicz (1884) die durch den Thronwechsel zunächst gerissenen Fäden in der Form des so genannten „Rückversicherungs-Vertrages" wieder angejponnen waren. Es muh damals eine merkwürdige Verbindung gewesen sein, da durch die ganze Periode bis zum Ablaufe des Ver trages der Alp einer nahen russischen Kriegs gefahr schwerer auf Deutschlands unmittelbare Zukunftsaussichten gelastet hat als je zuvor oder nachher. Denn vergleichsweise haben uns die zwanzig Jahre, die das Reich mit unserem geschworenen Gegner Frankreich in einem amtlich ver kündeten Bündnisstande vereinigt ist, der russischen Freundwilligkeit mehr gebracht, als die Jahrzehnte des umgekehrten Verhältnisses. 1875 gefiel Eortschakoff sich in der Pose eines Beschützers des deutscherseits noch gar nicht bedrohten Frankreichs. Seit 1891 ist Ruß land mit Frankreich im Bunde, sieht aber seine Hauptaufgabe darin, seinen Partner von Un besonnenheiten gegenDeutschland zurückzuhalten. Und 1910 hat man zu Potsdam diese bis dahin freiwillig geleistete Gefälligkeit in eine förmliche Verbindlichkeit umgewandelt, sich „an deutschfeindlichen Kombinationen nicht zu beteiligen". So wenigstens hat man es im deutschen Reichstage gelesen. Merkwürdig bleibt nun bei dem, daß diese übernommene (von russischer Seite übrigens nicht bekanntgegebene) Verpflichtung nicht nur den Charakter des russisch-französischen Bünd nisses nicht verändert hat, sondern sich auch mit jener englisch-russischen Entente vertragen soll, die von König Eduards Reval- Besuch datiert und damals die berüchtigte „Einkreisung" Deutschlands zu vollenden schien. Und auch jetzt soll nach dem herausgegebenen amtlichen „Tommuniqus" in Rußlands Verknüpfungen mit anderen alles ungewandelt bleiben, nur die Freundschaft mit Deutschland durch die Baltisch-Porter Zusammen kunft um einen Ton tiefer abgestimmt sein. Und nach allgemeiner Annahme soll ja diese neue Note noch durch ein intimeres Zeichen unterstrichen und abgetönt werden. Wenn man dieser recht gekünstelt sich dar bietenden und schwierig vom Blatt zu spielenden Komposition einen verständlichen Text unter legen will, so tut man am besten, ihn aus den Tatsächlichkeiten unserer gegenseitigen Be ziehungen zu abstrahieren. Zum Vergleiche bietet sich da Rußlands verschiedenes Verhalten auf der Algeciras-Konferenz und bei der vor jährigen Phrase des Marokko-Streites. Zu Algeciras war es direkt feindlich, 1911 aber zurückhaltend. Während in dem südspanischen Städtchen im Angesichte der afrikanischen Küste getagt wurde, arbeiteten die Kreise der russischen Botschaft in Paris fieber haft, ihre Kuckuckseier in die französische Presse zu legen und auch dem Kabinett der Republik den Rücken zu steifen. Im Sommer 1911 aber wurde der durch die Strömungen von 1906 an vas Steuer berufene, kurz vor Potsdam aber abgehalfterte Herr v. Iswolski stramm an der Leine gehalten, damit er die Sprünge seines englischen Kollegen nicht mitmache. Nach diesem Verhältnisse zu urteilen, dürften wir also vielleicht auf einen solchen Ausdruck der durch Baltisch-Port gesteigerten Erwärmung unserer Freundschaftstemperatur rechnen, daß bei künftigen Auseinandersetzungen und Schwie rigkeiten mit dritten Mächten wir statt des 1906 niedrigen und 1911 lauen Rußlands ein mit wohlwollender Neutralität unsere Interessen beförderndes vor uns haben werden. Natürlich wird von unserer Seite dann ein entsprechendes Verhalten erwartet werden und damit die Rechnung aufgehen. Unangenehm ist freilich dabei, daß für uns die Gelegen heiten, bei denen derartige Gefälligkeiten er wünscht sein würden, durch die Ausschaltung des Marokkostreites vorläufig vorüber zu sein scheinen, Rußland hingegen, wenn nicht alles trügt, durch ernsthafte Aufrollung der Dardanellenfrage bald Veranlassung suchen wird, auf diesseitige Freundschaftsbeweise An spruch zu erheben, wir somit in die niemals ganz günstige Lage geraten, vorleisten zu müssen gegen Ausstellung eines Wechsels auf einen gar nicht nahen Termin. Vor allem aber muß festgehalten und ja nicht verwischt werden, daß solche Abmachungen sich bloß auf Verhältuisse des internationalen Friedenszustandes beziehen. Für Kriegs lagen bleiben die nach der ausdrücklichen Er klärung des „Eommuniquss" unveränderten Vereinbarungen älteren Dalums richtunggebend. Es wäre ein sehr trüglicher Optimismus, im Ausbau unserer Wehr zu Wasser wie zu Lande jetzt zu erlahmen, weil im Juli der Ostwind wärmer nach Deutschland hereinweht. Ergetmille ües Reichshsushslts kür IS 11. ' Berlin, 8. Juli. Wie jetzt amtlich mitgeteilt wird, haben sich die Ergebnisse des Reichshaushalts für das Rechnungs- jahr 1911 nach dem Endavfchluß oer Reichshaupt kasse, abgesehen oon den auf die außerordentlichen Deckungsmittel angewiesenen Ausgaben, wie folgt gestaltet: Für den Reichstag waren 170000 mehr erforderlich. Beim Auswärtigen Amt sind die Ausgaben um 431000 hinter dem Anschlag zurückgeblieben, während auf Einnahmen 105 000 -4t mehr aufgekommen sind. Im Geschäftsbereich des Neichsaints des Innern ist eine Ueberjchrei- tung von 748 000 -41 zu verzeichnen, die indes durch eine Mehreinnahme oon 2 318 000 mehr als aus geglichen wird. Für oa» Reichsheer sind ein schließlich der bayrischen Quote bei den fortdauern den Ausgaben 2 109 000 -H, bei den einmaligen Aus gaben 1 783 000 -41 Mehrausgaben entstanden, wäh rend bei dem entsprechenden Kapitel des allgemeinen Pensionsfonds eine Ersparnis oon 601000 zu verzeichnen ist. An Einnahmen sind 1006000 -41 mehr als angesetzt aufgckommen. Bei der Marine verwaltung schließen die fortdauernden Aus gaben mit einem Weniger von 1 189 000 -41, die ein maligen Ausgaben mit einem Mehr von 50 000 -tl uno der Pensionsfonds mit einer Ersparnis von 582000 -»1. An Einnahmen sind 315 000 -H weniger aufgekommen. Bei oer Reichsjustiz verwaltung sind an Einnahmen 109 000 .4t mehr eingckommen, denen eine Mehrausgabe von 24 000.lt gegenübersteht. Bei den Fonds des Reichsschatz - amtes ergibt sich «ine Mehreinnahme oon 1274 000 Mark, bei den fortdauernden Ausgaben ein Weniger von 1306 000 -41, bei den einmaligen Ausgaben da gegen ein Mohr oon 2 064 000 -41. Die Verwaltung und Verzinsung der Reichs schuld hat 18615000 Mark weniger als angesetzt erfordert. Bei dem all gemeinen Pensionsfonds ergibt sich unter Einschluß oer oben bereits erwähnten Ersparnisse bei den Ver- waltungen des Reichsheeres und der Marine ins gesamt eine Wenigerausgabe von 1 532 000 -H. Als Minderausgabe ist schließlich noch der Betrag oon 894 000 -H zu erwähnen, um den das aus dem Vor jahr übernommene Soll an Ausgaberesten für die im Frühjahr erfolgten Ueberichreitungen übertrag barer Fonds gekürzt worden ist. Die Einnahmen an Zöllen, Steuern und Gebühren sowie an Abfindungen haben den Voranschlag um 193 311000 -41 überschritten. 36eg«n der Einzelheiten hierbei wird auf die in Nr. 24 des .-Zentralblattes für das Deutsche Reich" vom 31. Mai 1912 und in Nr. 130 des „Reichs anzeiger vom 1. Juli 1912 veröffentlicht« Uebersicht der Einnahmen an Zöllen, Steuern und Gebühren für das Rechnungsjahr 1911 Byzua genommen. Bei dem Ueberschuß der R e i ch r p o st - und Tele- graphenverwaltung ist «in Mehr von 18 216 000 und bei demjenigen der Reichs eisenbahnverwaltung «in solches oon 15 284 000 -4t zu verzeichnen. Dagegen ist die Reichs druckerei um 561000 -41 hinter dem Voranschlag zu rückgeblieben. Bei d«m Bankwesen sind 2 059 000 ^1 mehr aufgekommen. Die Ausgleichungsbeträge der nicht allen Bundesstaaten gemeinsamen Einnahmen haben dem Mehrertrage der letzteren entsprechend ein Mehr von 3 562 000 -41 erbracht. Ferner sind aus der Prü fung der Rechnungen 300 000 ^1 mehr als angesetzt, an außergewöhnlichen Einnahmen 48 000 .41 und für verkaufte Festungsgrundstücke 81000-41 außeretats- mäßig aufgekommen. Im Restbestand des Rrichs- invandenfonds sind 1397 000 -41 mehr als der Etat voraussetzte, vorhanden gewesen. Im ganzen hat sich demnach ein Ueberschuß von 249 131 174,91 ergeben, der den gesetzlichen Bestimmungen zufolge auf das Rechnungsjahr 1912 übertragen worden ist. Man beachte auch die Inserate in der Abend-Ansgabe. "WW wachfenen, so sind Kinder doch sinnlicher beweglicher und werden viel mehr als wir Großen von allen neuen Gegenständen ihrer Umgebung an. und auf geregt, in Anspruch genommen und so untüchtig gemacht zu zielbewußter geschlossener Arbeit. Aber das Kind soll in den Ferien auch frei sein von seiner täglichen Schularbeit, sein Geist soll abrulM, es soll einmal mehr nach seinem Belieben weiter nichts als Mensch sein. Es gehört ja doch zu den Vorzügen einer Reise, daß sic den Menschen ans dem Einerlei der Alltäglichkeiten lseraushcbt und einen ununterbrochenen Strom der Freude fließen läßt, daß sie vor allein Lustgefühle in der Menschenbrust weckt. Wenn das Kind diese AbwecUlung glücklick-erweise auch nicht nötig hat, wenn seine Jugend daheim eine Kette von glücklichen Tagen sein kann, so mag es doch eine Reise schon in seinem Lebens- lenz als ein Lcbensfest betrachten und genießen lernen. Es ist ein Gutes der Reisen, daß sie den menschlichen Geist mit allerlei leicht gewonnenen Anschauungen bereichern. Auch das Kind wird durch sie einen größeren Vorstelluuysfond gewinnen. Ta- mit ist aber nicht gemeint, daß dieser Zweck der Bc» lehrung nun ungebührlich in den Vordergrund ge stellt und mit allen Mitteln verfolgt werden müsse. Schulmeisterliche Pedanterie und Strenge Mn auch hierin leicht zu viel. Ter Drill ist auch in der Schule von Ucbel. Für den Unterricht der Eltern paßt er aber erst recht nicht. Bei dem empfängliclsen saugkräftigen Kindergemüt muß cs Vater und Mutter doch leicht werden, die jugendliche Seele zu bereichern, ohne daß das eigentümlicki« Gefühl des Lernens und Lehrens mit dieser und jener Methode über- Haupt erst aufkommen kann. Wenn irgendwo, dann ist auf Reisen ein naiver, rrnbefangener Persön- lichkeitSunterricht möglich und am Platz«. Besonders bevölkert sind in den Sommerferien heute die große Modebadeorte. Auch von Kindern wimmelt'S in der Regel. Nun kann zwar auch da ein Kind seine Ferien ganz gut verleben, aber die Gefahr liegt auch nahe, daß es sich in Bergnü- gungen begibt und überstürzt, die den Inhalt einer Reise nicht mit ausmachen sollten. Besonders ist hierbei an die älteren minder gedacht. Sie werden oft nicht nur in die Theater, Bälle, Ausführungen und Vergnügungen der Erwachsenen mitgenommen, sondern auch noch in die verschiedenen Veranstal- tungen für die Jugend, besonders die Reunions, geschickt, damit eS ihnen ja am Pläsier nicht fehle. Diesen fortwährenden Wechsel an Vergnügungen sieht Wenn Kinder reisen. Heute, wo das Reisen in so weitem Maße Brauch und Mißbrauch geworden ist, gehört es fast zur Selbstverständlicksckelt, daß auch Kinder reisen. Man frage nur einmal vor den Ferien in einer Klasse, wer daheim bleibt; es werden sich, be- sonders in den höheren Schulen, nicht viele melden. Tie es aber tun, scheinen nicht selten von dem Gefühl erfüllt zu sein, daß ihnen etwas, was eigentlich zum Leben gehört, abgeht. Wie haben wir uns von dem Standpunkt einer vernünftigen Pädagogik aus zu dem Kapitel Kinder, reisen zu stellen? Die Antwort läßt sich weder kurz mit ja oder nein geben, und für und wider wollen reiflich erwogen sein. Es geht heute häufig die Klage durch unsere Zeit, daß vieles in unserer Erziehung verfrüht sei. Das ließe sich jn so mancher Beziehung nicht unschwer beweisen, hingewiesen sei aber hier nur auf einen Punkt des Jugendlebens, auf den Genuß der Ver- anügungen. Ihre Anzahl wie ihre Auswahl muß den Jugendfreund häufig bedenklich stimmen. ES wird dem Kind« zuviel davon geboren und manches, was sich für sein« Jahre noch nicht schickt. Tag- täglich aber nutzt kein Zuckerbrot, und verfrühte Genüsse nützen nicht nur nicht, sondern sie schaden auch. Zum Teil ist auch das Schuldkonto der heutigen Reformpädagogik zu belasten. Denn sie verfolgt den an und für sich nicht gmrz unrichtigen Grund- satz, daß daS Kind zum Maß der Erziehung zu nehmen s«i, in falscher Weis«. Sie setzt die Majestät Kind auf den Thron und führt zu einem Götzendienst cn diesem Idol. Die Jugend läßt sich diesen Kultus natürlich gerne gefallen und wächst schnell in den an- genehmen Gedanken hinein, daß dem so sein müsse. Unsere Kinder erhalten vielfach eine zu reichliche Erziehung, und viele Eltern bilden sich ein, mit dieser Pädagogik einem guten, modernen Zuge der Zeit zu folgen, so bauen sie ja doch nach ihrer Meinung an dem Paradiese der Jugend. AuS dieser Einrichtung heraus ist auch die Er- scheinung der Kinderreisen mit zu beurteilen, freilich wie hervorgehoben werden soll, nicht aus- schließlich. Manche Reisen der Jugend bedeuten weiter nichts als «ine ungesunde Verfrühung und wären deshalb nur §u verurteilen. Hierher gehören alle die Fälle, wo das Kind ohne orgendwelche Nachteile daheim oder wo anders gut ausgehoben das Kind auch bald mit als das Schönste auf der Reise an, und es urteilt danach nicht selten, wo an einem Orte etwas „loS" ist und wo nicht. Hier haben wir es auf jeden Fall mit einer recht ungesunden Verfrühung zu tun. Tenn hier wird die Ncrvenkraft des Kindes verbraucht statt gestärkt, hier wird es übersättigt, blasiert von Genüssen, die es noch gar nicht kennen lernen sollte, lfier wächst es schnell in jene Anschauungen der Erwachsenen hinein, die in allerlei faden Zerstreuungen das höchste im Leben erblicken und an den Quellen echter Schönheit und echter Freude verständnislos vorüber- gehen. Wird das Kind nun einmal auf Reisen mit- genommen, so sollte ihm daraus auch ein Vorteil fürs Leben erblühen, und das ist sehr wohl möglich. Wie schon angedeutet, soll die Reise eine Freudcnfalrrt sein, ein fröhliches Genießen von schönen Ausnahmetagen, um wieder mit Jean Paul zu reden, ein für Geist und Leib reifendes Versetzen dieser zarten Bäumchen aus der alten düsteren Erdeuenge in eine luftige Landschaft. ES wird un- endlich viel an den Eltern liegen, daß sie ihre Suggestiouskraft wirksam werden lassen und einen reichen Strom des Glückes in die jugendliche Brust leiten. Vorfreude wie auch Erinnerungsglück sollen Eltern wie Kinder in gleicher Weise bereichern. Tas Erlebte muß zum Brote werden, das nie alle wird. Erinnert wurde auch schon daran, daß Reisen den geistigen Horizont des Kindes bedeutend er- weitern. WaS sonst das Wort nur dunkel andeutete, was die eigene Phantasie vielleicht falsch ausmalte, das gewinnt jetzt Realität und steht deutlich vor dem erstaunten Blick. Nun kommt eS nur darauf an, daß da- Kind geleitet wird, sich solchen neuen Eindrücken recht eigen hinzugeben, daß ihm solche neue Erscheinungen zu einem Erlebnisse werden. Wenn irgendwo, dann muß eS hier §ne in der Bücherarbeit verlorene Kunst wieder üben, das ge- naue Sehen. Für vieles, waS der Erwachsene in der Natur genießt, ist da» Kind noch nicht reif: groß- artig« Szenerien im Gebirge, die Herrlichkeit des weiten Meeres werden es wahrscheinlich ziemlich kalt lassen: manche Naturstimmuna ist ihn: noch völlig fremd, muß ihm noch fremd sein, aber Einzel- beiten, Kleinigkeiten ziehen seine Aufmerksamkeit an, mit ihnen soll eS vertraut werden, dabei soll es an ein unbefangenes, gegenständliches Sehen gewöhnt iverden. Wrrd daS Kind mit zu einem mehr- wöchigen Aufenthalt an einev Ort im Gebirge ist, während seine Eltern vielleicht abwesend sind, und wo sich auf der Reise selbst die Eltern nicht von vernünftigen Erziehungsgrundsätzen leiten lassen. Zunächst: Reisen können zwar auch dem Kinde nützen, aber Nichtwissen schadet nicht. Wo könnte das Kind zu jeder Zeit seines Lebens besser aufgehoben sein als in seinem gewohnten Heim, wo die gesamte Bildkraft der Heimat auf seine junge werdende Seele einwirkt, wo große und häufige Störungen das Kind nur aus seiner stillen Entwicklungsbahn drängen würden, wo abertausend verborgene Mit- cezieher langsam, aber stetig seine Persönlickzkcit bilden. So sagt Jean Paul in seiner schätzbaren Lerena: „Langes Zusammenleben mit verbundenen Menschen entwickelt in diesen die Liebewärme; das Einerlei der Menschen, Häuser, jkindheitsplätze, ja der Gerätschaften hängt sich geliebt an das Kind und verstärkt, wie eine magnetisch gehaltene Last, das magnetische Beziehen, und so wird in dieser Früh zeit der reicl>e Magnetbruch künftigen Lebens auf- getan, weil das Kind beinahe alles liebgewinnt, was es täglich sieht." Viele Züge der späteren Persönlichkeit brauchen hu ihrer Keimbildung eben der ständigen Heimat, der Stille und Stetigkeit. Nun würden ja gewiß mancl^e Eltern bei ihren Reisen bin Kinder daheim lassen, lvenn das nur eben immer ginge. Aber häufig sind doch Großeltern, Ver- wandte und Freunde zu weit weg oder sonst nicht in der Lage, die Kinder während der Abwesenheit der Eltern zu sich zu nehmen und zu beaufsichtigen. Oft werden sich Vater und Mutter auch von ihren Kindern nicht auf längere Zeit trennen wollen, was man ja in einer Hinsicht nur mit Freuden wahr nehmen kann. Man kann aber den Eltern doch auch wieder nicht auf di« Dauer zumuten, auf Meisen ganz zu verzichten. Also wivd in vielen Fällen schon nichts anderes übrigbleiben, als die Kinder eben mit sich zu nehmen. Auf daS Wie des Reisens kommt es aber nur zu sehr an, daß offenbare Fehler dabei vermieden werden, daß man daS Gute auch an dieser Sache hervorhebe und im Kinde wirken lasse. Wie es im allgemeinen unnötig und verkehrt ist, die Kinder in den Ferien mit Schularbeiten zu plagen, so ist eS erst recht wenig angebracht, auf Reisen, an einem fremden Orte, solche Arbeiten zu verlangen. Dazu fehlt in der Fremde noch viel mehr als daheim die nötige Ruhe und Sammlung. Läßt sich der kindliche Geist auch nicht so fchnell einstellen und wieder umschalten wie der der Er-
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