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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt Ar die König!. Amtshauplmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. ^103. Freitag, den 28. December 1877. Bekanntmachung. Im Verhandlungssaale der Königlichen Amtshauptmannschaft wird Sonnabend, den 12. Januar 1878, von Bormittags LV Uhr an der erste nächstjährige Bezirkstag adgehalten. Nach Z 12 der Geschäftsordnung sind Anträge, welche noch auf die Tagesordnung gebracht werden sollen, zwölf Tage vor dem Versammlunqstage hier einzureichcn. Meißen, am 22. December 1877. Königliche Amtshauptmannschaft. von Boffe. Bekanntmachung. Nachdem der seitherige Lehrer in Garsebach, Herr Friedrich August Schwertner, als sechster Lehrer an den hiesigen Bürgerschulen gewählt und vom Königlichen Cultusministerium bestätigt worden ist, so soll derselbe Mittwoch, den 2 Januar, Bormittags 8 Uhr im hiesigen Schulsaale durch den unterzeichneten Localschulinspeetor in sein neues, Amt feierlich eingewiesen werden, und es werden zu diesem Acte die Glieder der hiesigen Schulgemeinde, sowie alle Freunde des Schulwesens hierdurch ergebenst eingeladen. Wilsdruff, den 27. December 1877. Dir. LL. Localschulinspeetor. Der alte Schulmeister Treumanu am letzten Abende im Jahre. „Schon der Zeiger wieder auf der Zwölf, und auf dem Thurme schlägt die Glocke vier! Ist es doch, als eilten in noch schnellerem Fluge die letzten Stunden des Jahres dahin, als alle ihre früher ge storbenen Schwestern! Schon senkt sich tief die Leuchte des Tages und fängt an zu erlöschen. Zum letzten Male hat sie in diesem Jahre den Augen geschienen; wenn sie wieder heraussteigt von den Brüdern, dann geht ihr nicht die Morgenröthe eines neuen Tages nur, nein, eines neuen Jahres voran. Doch, noch ein Geschäft rufet mich, ich will nicht untreu sein am letzten Abende. Noch muß ich hinaufsteigen zu dir, bemooster Thurm, daß du mit deiner ehernen Stimme den lief unter dir wohnenden Menschenkindern zurufst: der Tag hat sich geneigt, und mit ihm auch ein Jahr! — An deinem grauen Rücken sind fast eben so viele Jahre vorübergeranscht, als an mir. Du stehest noch gerade, aber meinen Rücken Hal die Last der Jahre gebeugt. Noch gedenke ich recht wohl der Zeit, da ich als Knabe unter den Bäumen, die dich umgaben, spielte, und die kühne Hand dir dein glänzendes Haupt gab. Ach, wie viele Jahre liegen zwischen heute und jener glücklichen Zeit! — und keins kommt wieder! — Doch es wird düsterer, — ich muß hinaus zu dir!" So sprach der fromme Treumann, vor dessen Augen schon 70 Jahre vorübcrgeflogen waren, nahm den Kirchschtüssel von der Wand und ging mit wankendem Knie über die gewohnte Schwelle seines Hauses und über den stillen Kirchhof hin, dem die Natur eine weiße Decke, wie ein Leichentuch, gegeben. Die veischiedenstcn Gedanken mochten sich in dem Innern des Alten durchkreuzen und sein doch nicht lange mehr schlagendes Herz bewegen, da vor dem Alles wieder- gcbenden Spiegel seiner Erinnerung so viele Jahre mit all' ihren frohen und trüben Tagen zurücklratcn, und der Gang zwischen den in ihren Ruhekammern Schlafenden vor Allem am Jahresende ein ernster sein mußte. Das Bild der Vergangenheit noch einmal vor seinen Augen betrachtend, war der fromme Greis über das Todten- feld gewandert, die gewohnten Stufen hinaufgestiegeu und ergriff nun das Seil, damit die Glocke dem scheidenden Jahre ihr traurig tönendes Lebewohl nachricf. Die Glocke hatte ausgelönt, und ein freundlicher Schimmer des aufgegangenen Mondes fiel durch ein Kirchenfenster auf die Stufen, die den müden Alten herabführten. „Klang doch heute die Abcndglocke ganz ungewöhnlich! Es war, als wenn sie mir zurief: bald werde ich auch das Ende deines langen Lebensjahres so ankündigen!" Mit diesen Worten war Tueumann herabgcstiegen und schloß die knarrende Thüre hinter sich zu. Ersah vor sich hin, und um ihn erhoben sich weiße Hügel, über denen am stcrnbesäeten Himmel der Mond hell glänzte. Nichts störte die Todtenstille des Friedhofes; selbst die Trauerbäume, die ihre kahlen Zweige bis zu dem weißen Gewände herabbeugten, bewegte kein Luft zug. „Isis doch, als stände ich in einem weiten Schlafgemache, weiß- bedeckte Ruhebetten um mich, und über ihnen eine Nachtlampe, und rüchis stört die Schlafenden. — Du süßer Schlaf in solchen Nuhe- kammern, wenn wirst du mir denn kommen? Meine Augen werden ja nun auch müde. Wenn wird man mich zn euch betten, die ihr hier unter mir ruhet nach des Tagwerks Last? Sind doch meine Glieder auch schlaff geworden von der Hitze des langen Tages. Ach vielleicht finde ich bald neben euch meine Lagerstätte! vielleicht, wenn der Schnitter im künftigen Jahre die wcißgewordcne Lehre mühet, nimmt auch mich der Tod mit seiner Sichel vom Acker der Mensch heit, denn mein Haar ist ja auch weiß geworden! Und wenn ich komme, ihr nehmt mich gewiß auf in eure Ruhekammcrn; begegneten wir uns doch jederzeit so friedlich, da die Lebenssonne uns schien, sollten wir uns den Grabesschlummer stören, wenn die Todesnächä das müde Auge zugcdrückt Hal?" So sinnend war der alte Treu mann auf- und abgewandelt zwischen den Gräbern, da wehete die kältere Nachtluft rauher seinen kahlgewordeuen Scheitel an, und er Wie dem freundlichen Klima seiner Wohnung zu. Das letzte Ge schäft, welches sein Amt in dem nun bald abgelaufenen Jahre forderte, war vollbracht, noch aber waren ihm einige Stunden übrig, ehe der Schlaf sein Recht an ihm ausüben durste. „Noch wenige Stunden, — aber ungenutzt sollen sie nicht sein — sind's doch die letzten vom Jahre. Dort liegen Bücher, meine Schul- und Tagebücher. Ich will sie noch einmal durchblättern. Werden doch meine Schul- und Tagebücher keine Schuld- und Klagebücher für mich sein." Also sprach Vater Treumanu, Holle seine Bück er, um am großen Feierabende Rechnung mit sich zu halten. Er schlug auf und las die Jahreszahl, welche auf das erste Jahr seines Amtes hindeutete, und eine Thräne frommer Rührung entquoll seinem Auge und rollte herab über die faltenreiche Wange auf die Schrift des gelbgewordenen Blattes. „Was sagst du mir denn, theures Blatt, das ich schrieb, als meine Hand noch kräftig war?" so sprach der Alte. Er las, und nach einiger Zeit unterbrach er die tiefe Stille mit folgenden Worten: „Hm: Hafts jetzt doch besser, Alter! als da du antralest. Da wolltest du gern nach neuer Art die Kinder lesen lehren; aber das Schicksal deines Nachbars, des stürmischen Feuerkopfs, den die Bauern mit seiner neuen Methode erst auslachien, verspotteten, dann anklagten und endlich zum Dorfe hinauswiesen, hielt dich ab. Hast's doch klüger gemacht, daß du erst im Stillen anfingst, die Kinder unbe merkt lautircn ließest, das alle ABC-Buch duldetest, und den Kate chismus und die Bibel bei dem Leseunterricht gebrauchtest, bis der alle Pfarrer starb, der vom Neuen auch nicht gern was wissen wollte. Am Ende haben es deine Bauern doch gemerkt, daß das Neue besser war, als das Alle; nun hast du in deinen Classen ein eignes Lesebuch. Jft's doch einmal so, wenn der Rost lief in den Stahl sich fraß, kannst du lange reiben, ehe er wieder glänzt: und was dem Menschen anerzogen ward, das läßt er sich nickt gleich nehmen. Stürmt nur nicht! Die Sonne ruft immer noch aus dem erbarmen Felsrücken ei» Pflänzchen hervor, aber der Sturm trägt den Samen davon oder zerbricht das aujgegangene Pflänzchen: so die Milde und das Toben bei Menschen; jene weckt, dieses zerstört bas Körnlein des Guten." * Hierauf ergriff Vater Treumann sein Buch wieder und blätterte weiter. Einige Blätter halte sein Blick überflogen, da öffnete sein Herz den geschloßncn Mund. „Hier ist ausgezeichnet die Stunde, da mein lange verborgner Wunsch Erfüllung ward und ich zum ersten Male absichtliche Denkübungen halten durste, an welche ich die ge meinnützigen Kennlnisse erfolgreich anknüpste. Wie herrlich hat sich bewährt, was ich anfangs nur dunkel und still ahnete! War es doch früher, wenn ich die Saatkörner der Religion auf das Jugendherz meiner Kinder streute, als fielen sie auf einen festgetrctenen Weg, oder auf einen Fels. Sie gingen nicht auf, und wenn sie noch kamen, warens immer nur Spätlinge, die nicht zur Reife gediehen. Ach, wie ganz anders war es, als ich erst mit dem scharfen Pfluge des Ver standes den Boden locker gemacht hatte, daß er den himmlischen Samen des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung aufnehmen und wurzeln lassen konnte! Welch vollen Aehrenkrauz habe ich dann oft gewunden, wenn Erntezeit auf meine Schulflur kam! Welch vielfacher Nutzen ging aus den Stunden hervor, »'welchen mir die Verstandsbildung die Hauptsache galt! Der Verstand war der Schleitstein, an welchem sich das Rohe meines Landvölkleins ab- reibcn mußte; der Verstand war das Brecheisen, mit welchem ich wie einen tiefgcwnrzclten Zahn den Aberglauben herausbrach; der Verstand war die Schutzmauer, daß der böse Feind, der Unglaube, mchl das Herz erstürmen konnte; der Verstand war der Arbeiter, an welchem ich die Sprühfunken der Schwärmerei entfernte; der Verstand war das klare Augenglas, durch welches die Schrift des Weltge schichtsbuches verdeutlicht wurde. Ich habe es cingcsehcn, was ich,