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Nummer 60 — 26. Jahrgang knial wöch. Bezugspreis für März S — einschl. Bestellgeld. Anzeigenpreis«: Die Igesp. Petitzelle 50L, Stellengesuche 20 L. Die Petitreklamezeile, öS Milli« meter breit, 1 Offertengebühren für Selbstabholer 80 L. bet Uedersenbung Lurch di« Post außerdem Portozuschlag. Elnzel-Nr. 10 Sonntags-Rr. 15 Teschäftllcher Teil: IolefFohmann, Dresden. Leickenkeu, VlU'I Skliiilliii' Klimuelrl 8 c> »Iliil«1>lk> ItiilinbLiIii' Ssml, Q ,ri> Veichästostell», Druck n»d ««rlaii Saronia. Buchdrucker.« GmbH., Drei den-«. 16, Howeinstratzeio. Zernrut MISS. Postscheckkonto Dresden 1178? Bankkonto: Bassen,, ck Krtssche, Dresden. SüMscke Sonnabend, 13. März" 1926 Für christliche Politik und Kultur ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ber. anlwortung. Unverlangt eingesandt« u. m. Rückporto nicht versehen« Manuskript« werd. nicht aufbeivahrt. Sprechstunde d. Redaktion b bis k Uhr nachmittags. Hauptschriftleit.: Dr. Joseph Albert, Dresden. XokI 0 rescten Stk«vv>l»S» 7 öesle tzcmlitSlen bliectrigste Preise Redaktion der Eiichslsche« Bolkljettung Dresden-Allst. tS. Holbeinslraste 16. gernrw W7L und S353S. Die weskeurypüische Presse über -en letzten Grund -er Genfer Krise Die Verschiebung -es Problems Es ist ganz eigenartig, zu ivelcher Verschiebung des Problems es in Genf jetzt gekommen ist. Und zwar nach zwei Seiten hin, einmal in der sachlichen Behandlung der Dinge insofern, als diese außerordent liche Völkerbundstagung mit der Entscheidung über das Aufnahmegesuch Deutschlands als Hauptzweck der Ta gesordnung anberaumt ist, während nun ein Streit über die Ratssitze und ihre Verteilung an Ort und Stelle aus- gefochten wird, und zum zweiten nach der taktischen Seite hin, indem man es im anderen Lager geflissentlich so hinzustellen versucht, als sei Deutschland derjenige, der Ansprüche stellt und das Hindernis für eine Einigung bildet. Dabei handelt es sich gar nicht um einen Streit fall. in den Deutschland verwickelt ist. Deutschland lehnt es vielmehr auf das entschiedenste ab, an diesem Streit mitbeteiligt zu werden. Diese Verschiebung der Problemstellung nach zwei Seiten hin erschwert hie Lage in Genf für die Deutschen ungemein. Auch am Donnerstag ist man noch nicht zu einer Einigung, ja noch nicht einmal zum Ausgleich des beiderseitigen Standpunktes gekommen. Es wird hinter den Kulissen ungeheuer gekämpft. Von der Zähigkeit und Energie, mit der auf beiden Seiten die Auffassung, wenn auch in äußerlich durchaus korrekten und höflichen Formen, vertreten werden, macht man sich draußen keine Vorstellung. Man hatte ja geglaubt, daß die zweit e, am Mitt wochvormittag eingesetzte Besprechung der Vertreter der Rheinpaktmüchte wenigstens zu einer Klärung der Lage führen würde. Das war nicht der Full. Die Verhandlungen wurden ergebnislos abgebrochen. Die Deutschen gaben ihren Standpunkt nicht auf, sie lehnten es auch ab, auf Kompromißvorschläge in der Ratsfrage einzugehen mit dein Hinweis darauf, daß es sich, ehe Deutschland im Rate ist, hier um eine Ange legenheit innerhalb des Völkerbundes, dem ja Deutschland noch nicht angehört, handelt, und daß die dem Völkerbund angehörenden Mächte den Ausgleich unter sich suchen und finden müssen. Daß diese Auffassung die Vertreter der Rheinpakt mächte als berechtigt anerkennen, ergibt sich aus der Tatsache, daß sie uach dem Abbruch der Verhandlungen mit den Deutschen eine Besprechung der im Rat vertretenen Mächte anberaumten. Polen machte alle Anstrengungen, ebenfalls zu dieser Bestechung zu gelassen zu werden, erreichte aber sein Ziel nicht. Die Anberaumung dieser Besprechung ist ein Beweis dafür, daß inan bei den bisherigen Erörterungen nicht vorwärts kam und nun den Versuch machen wollte, innerhalb der eigenen Reihen den Streitfall auszutragen. Damit hat sich an sich die Situation freilich nicht gebessert, weil nun mehr Spanien die offizielle Gelegenheit zur Verfech tung seines mit ganz außerordentlicher Energie vertrete nen Standpunktes gegeben ist. Spanien fordert nach wie vor den ständigen Ratssitz, wenn Deutschland jetzt ausgenommen wird. Die Unterschiede zwischen England und Frankreich in ihrer Stellungnahine zu dem deutschen Standpunkt sind am besten folgendermaßen zu kennzeichnen: Eng land wäre geneigt, Deutschland allein in der jetzigen Tagung den ständigen Ratssitz zu gewähren, dafür soll aber Deutschland der Einsetzung einer Studienkommis- sion zustimmen, in welcher es selber mit vertreten wäre und welche die Aufgabe hätte, die Frage der Erweiterung des Rates bis zum Zusammentritt der ordentlichen Ver sammlung im Herbst zu prüfen und ihre Lösung vorzu bereiten. Frankreich würde entgegen seinem ur sprünglichen. auch eine solche Lösung ablehnenden Stand punkt, sich jetzt wohl damit abfinden. wenn Deutschland bereits jetzt die Verpflichtung übernähme, sich grundsätz lich einer Veränderung des Rates auch in Gestalt von Schaffung neuer ständiger Sitze zu widersehen und wenn Deutschland dieser Verpflichtung in einer schriftlich formulierten Erklärung Ausdruck gäbe. Man muß sich noch einmal kurz in diesem Zusam menhang vergegenwärtigen, wie sich die Rats frage eigentlich entwickelt hat. Ursprünglich waren fünf ständige Ratssitze für die fünf Großmächte, Frankreich, England, Italien, Japan, Amerika Vorbehalten. Später sollte dann noch Rußland und Deutschland dazukommen. 1922 hat Persien als Vertreter der mohamrnedanischen Welt einen ständigen Sitz verlangt, aber der Anspruch ist niemals in der Bundesversammlung diskutiert wor den. Was dagegen den Völkerbund viel mehr beschäf tigte, war die Frage der Zuteilung von nichtständigen Ätzen und im besonderen die Frage der Einführung eines Turnus. Die nichtständigen Mitglieder sollten drei Jahre dem Rate angehören und für eine gleiche Zeit nicht wieder wählbar sein. Dieser Turnus ist aber bisher nicht zur Durchführung gekommen, weil sich Spanien bis jetzt weigerte, die Ratifikation einzureichen mit der Begrün dung, daß nach Artikel 4 des Paktes die Versammlung Paris, 12. März. Die Ereignisse des gestrigen Tages lMben den Eindruck in den französischen Kreisen verstärkt, das; die Verhandlungen in Genf eine schwere Krise durchwachen. Sanerivein schreibt im „Matin", wenn Briand erklärt habe, es gäbe zwar keinen deutsch-französischen Konflikt, aber eine entscheidende Krise iw Völkcrbundsrat, so hätte er hinzufügen müssen, daß das, n»as sich abspiele, die VerurteilungdesVölkerbundspa Kies sei, dieses Systems der Kompromisse zwischen der gesetzmäßigen Autorität der Großmächte und den Siechten der kleinen Staaten. Bei dieser sonderbaren Methode könnten die sozialistischen Skrupel Undens den ganzen Völkerbund vernichten, während die 38 Staate», die nicht im Rate vertreten seien, ungeduldig würden und nicht einmal das Recht hätten, unterrichtet zu werden. Sauerwein teilt mit, Unden habe in seiner Antwort an Briand und Chamberlain unerschütterlich ans seinem Standpunkt beharrt. Es sei nicht einzusehen, weshalb die Vertreter Spaniens und Brasiliens der schwedischen Theorie »achgeben sollte». (?) Auf alle Fälle müsse man ihnen sür die nahe Zukunft einen dauernden Sitz versprechen. Aber weder Luther noch Unden chienen sich darauf einlassen zu wollen. Sanerivein ist der An- icht, daß. wenn heute keine Einigung zustande komme, der Völkerbund selbst entscheiden müsse. Pertinax bestätigt im „Echo de Paris", bah der Streit um die Ratssitze kein Konflikt «nit Deutschland sei, sondern ein Konflikt zwischen den Mächten von Lorarno und den außerhalb des Locarnooertrages stehenden Nationen. Die Locar nomächte seien vor allem darauf bedacht, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas und seine Befriedigung herbei,zusühre». Die außenstehenden Mächte hätte» einen weit beschränkteren Horizont. Aber es sei die Frage, ob diese Betrachtungsweise den Interessen Frankreichs diene. Frankreich habe das spanische und brasilianische Veto nicht veranlaßt, aber trotchem würde Frank reich und seine Verbündeten eine Niederlage erleiden, wenn Spanien und Brasilien den Völkerbundssitz nicht erhielten. Es wäre ein Fehler, die beiden Staaten einznschüchlern, die so fest gegen Schweden aufgetreten seien. Unden müsse zuerst den Rück zug antreten, dann würden die anderen schon folgen. (?) Der „Petit Parisien" sagt. Vandervelde bereite ein Kom- promißprojckt vor. Der Völkerbundsrat müsse sich zunächst der Absichten Deutschlands versichern, ehe er eine Entscheidung treffen könne. Das Blatt meint, Lntl)er und Stresemann hätten es in der Hand, die Lösung der Krise herbeizuführen. Sie allein seien in der Lage, einen freundlichen Einfluß auf Unden ans- zuüben. (!) — Der Vertreter des „Ouotidien" in Genf berichtet, die Erklärung des Reichskanzlers, daß die Haltung der deutschen Delegation durch den Auswärtigen Ausschuß des Reichstage» be stimmt sei. lasse so große Schwierigkeiie» auftauche», daß die Zahl der Pessimisten ain Donnerstagabend beträchtlich gewachsen sei. London, 12. März. Chamverlains Verhalten in Genf findet nicht die Billigung der englischen Presse. Der „Times"-Bericht- crstatter meint, daß an dem ganzen Wirrwarr in Genf letzten Endes Chamberlain schuld sei. Hätte er sich vor drei Wochen die englische Meinung in England zur Richtschnur genommen, so wäre das ganze Durcheinander nicht entstanden. Der sozialistische „Daily Herald" ist eben sowenig zusrieden. Chamberlains Methoden zur Rettung des Völkerbundes seien wirklich erstaunlich. Er habe gestern seinen Standpunkt wieder gewechselt. Briand habe ihn überredet, sich wieder zu seiner alten persönlichen Ueber- zcuguna, die im strikten Gegensatz zur öffentlichen Meinung Englands stehe, zu bekennen. Er verlange nunmehr stän dige Ratssitze für Brasilien, Spanien und Polen. Lloyd George kritisierte gestern die Haltung Ehamberlains fol gendermaßen: England sei in eine höchst unwürdige, ji beschämende Lage HIneingeratr», indem cs versuche, neue Bedingungen mit einer Ehrenschuld zu lwrknüpsen. die nichtständigen Mitglieder „nach freiem Ermessen" wählen soll und daß der Turnus dieses freie Ermessen ansschalte. So steht hinter der ganzen jetzigen Diskus sion ebenso wieder das Problem der Einführung oder Nichteinführung des Turnus, und mit dieser Frage ist allerdings die grundsätzliche Frage der Organisation des Völkerbundes überhaupt verbunden. Der deutsche Standpunkt in der ganzen An gelegenheit ist jedenfalls klar und eindeutig. Die Deut schen sind nach Genf gekommen, um ihr Aufnahmegesuch in den Völkerbund ordnungsgemäß erledigt zu sehen und ihrerseits den Eintritt in den Völkerbund auch formell zu vollziehen. Es ist selbstverständlich, daß sie eine Ver quickung dieser klar gestellten Frage mit irgendeinem anderen Gegenstand, an dessen Verfolgung bestimmte Vertreter auf der anderen Seite ein persönliches oder politisches Interesse haben, ablehnen müssen. — Deutsch land verfügt in dieser Frage übrigens über wertvolle Bundesgenossen, und zwar außer Schioed en. dessen Einspruch allein genügt, um die Natsfrage beiseite zu schieben, unter anderen den der Schwei z. Der Genfer Korrespondent des „Daily Telegraph" v?- merkt in einer Meldung an sein Blatt, es sei nahezu sicher, daß die Völkerbundsversammluiig ihre Mission am 2 o n n - abend nicht beenden werde und daß Deutschlands Am- nähme, in den Völkerbund nicht vor nächster Woche envi gen könne. Man vermute, daß das Vorgehen Brasilien» von Spanien inspiriert worden sei. — Der Vertreter der „Morningpost" in Genf meldet: In schwedischen Kreisen habe man eine sehr bittere Kritik an dem Vvrgebe» gegen den schwedischen Vertreter am gestrigen Nachmittag geübt. D ' ser habe erklärt, ons Erlebnis sei das unwürdigste, das c jemals gehabt habe. — Der Genfer Vertreter der „Tai n News" erklärt, Chamberlain habe gestern miigetent, zu seinem großen persönlichen Bedauern sei er durch seine Instruktionen gezwungen, gegen Span en zu stimmen, we n: Spanien ein entscheidendes Hindernis sür die Zulassung Deutschlands bilden sollte. Ter Genfer Vertreter der „Times" hebt insbeiv.ideee nachahmenswerte Geduld hervor, die die deutsche Delegation bisher in Gens gezeigt habe. In en' Leitartikel bemerkt das Blatt: Die Zurschaustellung de. nationalen Animositäten in einer so hohen Form, wie da in Genf geschehen ist, ist mehr als enttäuschend. Es v. i. ossenbar der ganzen Ueberrcdungsknnst EhamberlainS uu Briands bedürfen um den notwendigen Zusammenhang w scheu Völkerbund und Locarno wicderhcrzustellen. Ein bedenklicher Jmischen Brasilien und Spanien gegen Deutschland: R a l s s i tz. Gens, l2. Mär' In der gestrigen Ratssitzung l,at sich ein bedenkiü. Zwischenfall ereignet. Der Anfang der ans 3 Uhr nachmit: ' angesetzlen Sitzung verzögerte sich um über eine halbe Sinn Eine Reihe von Ratsmilgliedern halte am Ratsüjche Platz , nommen, und erörterte i» eifriger Unterhaltung die schwien.n Lage. In der SLandelhalle berichtete unterdessen Briand r Freunden und Bekannten lebhaft begrüßt, über die letz n Pariser Ereignisse, bis auch er sich in den Ratssaal begab Doch konnte die Sitzung noch lange nicht crössnet weide weil der Vertreter Brasiliens Mello Franc o nicht erschi war und sich weder im Hause noch telephonisch in der Sie" auftreiben ließ. So blieb denn dem Vorsitzenden Graf Ishi- nichts anderes übrig, als die Sitzung mit einer halbstündig'u Verspätung ohne den Vcrlrcier Brosilicns zu eröffne». Das >n ein in der Geschichte des Völkerbundes noch nicht dagcwescncs Ereignis. Noch nie hat der Rat unvollzählig getagt. An das Fernbleiben des brasilianischen Vertreters wurden daher die leb Hastesten Gerüchte geknüpft. Man sprach ernsthaft von einem Affront gegen den Völkcrbundsrat. Mello Franco ist in den frühen Nachmittags.ftundcn bei dem deulschen Reiäwkanzler Dr. Luther und dem Reichsair -n minister Dr. Stresemann gewesen und hat mit ihnen eine mit cinstündige Besprechung gehabt. Die deutschen Delegierten l aben ihn in keinem Zweifel darüber gelassen, daß sie nicht länger in Genf bleiben könnten, wenn sich die Ralssrage »och iängec hinausziehen sollte. Daraufhin hat Mello Franco ein langes Telegramm an seine Regierung gekabelt, und dies soll der Grund gewesen sein, weshalb er sich in der Ratssitzung verspätete. Madrid. 12. März. Am Schitabend melden ..Geraldo" und „La Voz" aus Gens. Außenminister ?)a n g u a s habe von Pr-mo de Nivera die strikte Anweisung erhalte», ans der Forde img eines ständigen Ratssitzes für Spanien zu bestehen und gegen einen Aufschub der Entscheidung zu protestieren. Geraldo er fährt außerdem, daß Spanien ebenso wie Brasilien gegen die Ausnahme Deutschlands stimmen werden, wenn Spanien nicht auch Ratssitz erhalle. Mögen diese Dinge ausgchcn. wie immer sie wol len. so bleibt doch eil? unerfreulicher Nackgcschin -ck be stehen. Daß bei dieser ersten Gelegenheit Deutschland schon mit in den Streit von politischen Interessen'eimrnp- pen im Völkerbund mit hineingezogcn wird, ist anßer- ordentlich bedauerlich und gibt zu ernsten Bedenken Ver anlassung. Wir sind gewiß keine Freunde von allzu for malistischer Auffassung, müssen aber dock im vorliegen den Fall dem korrekten Standpunkt der deutschen Dele gation durchaus zustimmeu. Es handelte sich schon von Anfang an bei dieser Ratsfrage um eine Prinzipien- frage allerersten Ranges, deren Behandlung und Lö sung von außerordentlich meitragender politischer Bedeu tung ist. Es scheint mich sehr nötig, daß Deutschland durch seine zielklare und absolut objektive Haltung van Anfang an zu erkennen gibt, daß es sich an politischen Intrigen, wie sie sich gerade, bei diesem Anlaß in Kens gezeigt haben, weder jetzt noch später zu beteiligen ge denkt, daß cs vielmehr diese Art von politischer Ge schäftemacherei als dem Geiste des Völkerbun des entgegengesetzt und als lähmendes Hindernis ans dem Wege des Friedens betrachtet.