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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22^ Sgr. (» Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der PreuSischen Monarchie. für die Man pränumcrirt auf diese- Rewlatt der Allg- Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Strafte Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande dei den Wohvöbt. Post - Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 93. Berlin, Freitag den 4. August 1837. England. Von Paris nach London. England beginnt für die Franzosen eigentlich schon in Boulogne. Die anderen Französischen Küstenstädic, die mit Großbritanien in dirctler und schneller Verbindung stehen, haben ihre National-Physiognomie erhallen. Calais ist eine traurige, graue und eben so häßliche Stadt als Dover, doch noch Französisch. Beide Städte, Dover und Calais,^ in ihrer Häßlichkeit einander gegenüber gestellt, scheinen sich Gesichter zu schneiden und so den alten Haß Frankreichs und Englands zu per- sonifiziren. Havre würde sein nationales Urbild nur gegen Amerikanische Formen vertauschen. Dieppe überläßt sein reizendes Ufer der feinen Well aus Paris, aber Boulogne ist ganz Englisch. Boulogne ist für London, was Brüssel für Paris ist: es ist eine vom Unglücke und von den Leidenschaften der Briten gegründete Kolonie. Dahin flüchten sich die durch Lerschwendung zu Grunde gerichteten Dandys, die im Todes- kamps liegenden Spekulanten, die von ihren Gläubigern versolglen Genllemen und die jungen Misse«, welche die ihrer gebrechlichen Tugend gewährte Freiheit mißbrauchten. Diese Verbannten, denen ihr Vater land immer thcucr bleibt, haben Boulogne zu ihrer Residenz erwählt, und in dieser Stadt, die sie nach ihrem Vorbilde und zu ihrem Ge brauch umgemodclt haben, können sie sich recht wohl mitten in eine elgantc Stadt der Grafschaft Sussex oder nach Wäies versetzt glauben; täglich bringt ihnen das Paketbool Nachrichten aus der Vaterstadt, bei jedem Tritte stoßen sie aus Gestalten ihrer Landsleute. Boulogne hat sich ihren Dioden, ihrer Küche, ihrer Sprache anbequcmt; man möchte sagen, cs sey eine durch den Schwarzen Prinzen eroberte Stadl, die Karl VII. wiederzunchmen vergessen hat. Für de» Reisenden, der von Paris nach London gehl, ist Bou- logne ein belehrender UebergangSpnnkl, eine nützliche Vorrede, aus der mau während einiger Stunden die Englischen Lebens.Elemenle und Sillen studiren kann. Man steigt aus dem Eilwagcn mitten unter einem Auslauf ungestümer Förderer, welche die Ankömmlinge für die Gasthäuser anwerben. Diese unverschämten General - Quarliermeister werfen sich auf die Bagage, packen den Reisenden beim Kragen und schleppen ibn, wenn man sich gehen läßt, mit Riesenkraft fort. In Boulogne sind die Hälfte der Gebäude nach Englischer Art eingerichtete Gasthäuser; es gicbt darin Dolmetscher sür die Franzosen, lind man wird ganz nach Englischer Art bedient, das beißt, man ißt sehr schlecht, und der Bordeaux, Wein kostet 18 Francs die Bouteillc. Wenn man bei der Abreise seine Karle bezahl! bat, so sind die Unkosten erst zur Hälfte gedeckt, denn »un stellen sich die Dienstleute Einer nach dem Anderen ein: zuerst der Belljunge, dann der Slieselpntzer, der Rock- ausklopser, der, welcher die Weste ausgebürstet, der Tafeldccker, der bei Tische servirl hat, das Mädchen, welches warmes Wasser, die Magd, die kaltes Waffel gebracht, der Junge, der den Reise-Koffer, sein Kollege, der den Reisebeulel getragen hat, und endlich noch der Uebcr- zäblige, welcher sich des Hul-Futterals angenommen; jeder verlangt mit ausgestrecktcr Hand sein Gehalt, und jeden muß man bezahlen, wenn man rcspeklirt sey» will. Die Ausbildung de« Reisenden zum Engländer wird auf dein Dampfboot fortgesetzt und vollendet. Sobald man den Fuß in das Bool gesetzt bat, befindet man sich mitten in England; man kann sich nur noch mit dem Wörterbuch in der Hand, und indem man nach besten Kräften die Sprache Shakespeare'« und der Mistreß Trollope radebricht, verständlich machen. Man frühstückt kalte« Rindfleisch, Thee und Porter; da« in der Börse gebliebene Franzöflsche Geld hat alle Bedeutung verloren, und man muß nach Shillingeu, Pence« und Sovereigns zählen. Bald zeigen sich die weißen Küsten Albion « wie ein Baud am Horizont: Dover weit unten, gehüllt in die Nebel der See, näber Margate und Ram«gale, zwei reizende Häsen. Bald befindet man sich auf der Themse, bewundert die schönen Fluren England s, die gewaltigen Wiesen, die Hügel, welche grün gemalt zu sehn scheinen, und Bäume, gruppttl wie in den sauberen Stahlstichen eine« Keepsake. Das Boot gleitet dem Ufer näher, um uns Gravesend in der ganzen Anmulh seine« Indttchen Schmucks zu zeigen. Gravesend ist da« köstliche Phantasie'Bild eines Nabobs, eine Englische OdaliSke, die ihre Chine sischen Füßchen '" der Themse badet. Weiterhin entfaltet Woolwich seine mächtige Artillerie, die Kanonen seine« Arsenal«, feine Bomben- Trauben und Kugel-Pyramiden vor unseren Augen. Hier zeigt sich England nicht mehr >n Icuier Anmulh, sondern in seiner Kraft; hier ist bereits der Strom mit schiffen bedeckt, ein Wald von Masten, der sich über einen Raum von mehreren Meilen erstreckt. Sobald man Greenwich vorüber ist, da« ein geräumiger, den Invaliden der Marine geweihter Palast schmückt, gelangt man in da« Stromgebiet von London. Zahlreiche Dampsböle durchkreuzen den Fluß, dessen Ufer mit Wersten und schwarzen Magazinen bedeckt ist, und hinter diesen Häusern erheben sich wieder andere Mastwälder, die Docks. Jetzt fährt man über den Tunnel; zur Rechten erscheint der Tower, vor uns die Londoner Brücke: Wir begrüßen die Hauptstadt Englands! Aber wo werden wir landen« Die Themse hat herrliche Brücken, aber keine Quai«. Die Häuser berühren den Fluß, eine sehr bequeme Lage sür die Kaufleute, die ihre Schiffe beladen, ohne aus ihren Ma gazinen zu gehen. Hier gicbt es kein Expropriations-Gesetz sür das allgemeine Beste, denn hier befinden wir iinS bei der Londoner Brücke in der City, und die City hängt weder von dem Könige von England, ncch von dem Parlament ab, denn die City steht kraft ihrer alten Freiheiten nur unter ihrem Lord-Mayor und erkennt keine andere Gesetze an, al« die durch den Gemeinderath volirten Munizipal-Gcsetze. Achtung den Privilegien der City! Man steigt von dem Dampfboote in eine Barke, durchläuft mehrere Kähne, klettert auf ein Bretter-Gestell, passirt ein Gewölbe, welches einem Wasserabfluß gleicht, und man ist zwei Schritte vom Zollbausc in London. Die Zoll-Bcamlen untersuchen das Gepäck sehr oberfläch lich; c« liegt in dieser Nachlässigkeit ein Schein von Verachtung gegen die Franzöflsche» Einschwärzungen, welche die Engländer mit Stolz ihrer National-Industrie unschädlich halten. London ist in zwei Viertel oder vielmehr in zwei Städte getheilt, die City und das Westend. Da« Westend setzt durch seine Großartig keit in Erstaunen, die City durch ihr befremdendes Ansehen. Die City besteht aus einem unendlichen Labyrinth kleiner Straßen, deren Back- sttinhäuscr eben so vielen kleinen Gcsängniffen gleichen. Bor diesen Häusern, vier Fuß von der Fayade, dienen eiserne Gitter als Geländer und al« Einzäunungen von Vertiefungen, welche die Kellerräumc ent halten; eine Art Brücke liegt vor der Eingangs-Thür. Die niedrigen Häuser, die rochen Straßen, die schwarzen Gitter gewähren den wun derlichsten Anblick. Bon Boulogne nach London dauert die Ucberfabrt eilf Stunden, gewöhnlich reist man de« Morgens ab, kommt des Abends an und schreitet Nachts aus dem Zollhaus-. Was man dann am besten thun kann, ist, nicht in, sondern auf einen Omnibus zu steigen, zwei Plätze neben dem Kutscher werden für unerschrockene Reisende ausbe- wahrl, und cs ist die« ein ganz herrlicher Ort für einen Schaulustigen. Man durchfährt auf diese Weise einen guten Theil der neuen und allen Stadt und erhalt von London eine summarische und schnelle Ucbcrsicht, die einen lebhaften Eindruck macht. Man kommt an der Börse bei St. Paul und dem Hause Sr. Majestät des Lord-Mayors vorüber. Durch Temple-Bar gelangt man aus der City an den Strand, eine breite und schöne, belebte und von Gasflammen glänzende Straße. In den Kausläden London« spart man keine Ga«flammcn; man verschwen det sie, um zu blenden; sie glänzen überall in funkelndem Diadem, in rollenden Kugeln, in beweglichen Bouquelten, in rieselnden Spring brunnen. Die vorzüglichste» Zeitungen London« haben ihre Druckereien am Strand, die Gebäude derselben sind hoch oben mit einem funkelnden Stern auSgcstatlel, da« heißt ein erleuchtetes Schild, ähnlich dem Zif ferblatt an dem Stadtbause in Paris, und in der Milte desselben liest man den Namen der Zeitung. Ani Ende des Strandes eröffnet Cha- rinkz-Croß die Reihe der Wunder, welche Westend vom Trafalgar-Platze an bis zur äußersten Spitze von RegenlS-Park und bis nach Picca dilly entfallet. Gleich wenn man die RegenlS-Street durch Pall-Mall hinein- kommt, muß man eine prächtige Dekoration von Säulen, Tempeln und Palästen bewundern, die sich dem erstaunten Blicke darbielel. Jndeß eine genauere Untersuchung zerstört bald das trügerische Blendwerk. Man gewahrt, daß es den prunkvollen Wohnungen an wahrer Größe mangelt; es ist Griechische Schminke und weiter nicht«, für einfache Häuser zu gesucht und sür Paläste zu armselig. Regent«-Street und Piccadilly sind durch ihre Breite und Länge wahrhaft schöne Slraßen. Auch hier, wie in dem übrigen Theil der Sladt, sind die Häuser klein, aber reinlich, mit Oelsarben angestrichen und mit einer unglaublichen Koketterie verziert. Die Tbüren spiegeln und blinken von blendendem Kupfer, die Fenster-Flügel, die sich nicht öffnen, sondern in einem Rahmen laufend i» die Höhe ziehen, wie man es bei uns noch in eini ge» allen Gebäuden siehl, sind mit Spiegel-Scheiben versehen, die von ihrer leicht konkav gebogenen Oberfläche einen lebhaften Glanz an«« strahlen. Da« prächtige Ansehen dieser Häuser wird vom Volke geach- lel, und niemals malt eine ruchlose Hand schmutzige Dinge an die