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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000326025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900032602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900032602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-26
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
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Während er nach der Regierungs vorlage mit 2 058 333 551 dalancirte, balancirt er nach den Beschlüssen der zweiten Lesung mit 2 059 825 4l2 neu binzugesügt ist im EkatSgesctz die Ermächtigung an den Reichskanzler, zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Ausgaben der Berwaltunzen res Reichsheeres, der Marine und der Reichseisenbahn 72 620 029 im Wege des Eredits flüssig zu machen. Als tz 6 sind dem Etatsgesetz die bekannten Grundsätze über die provisorische Regelung dcS Postschcckverkebrs binzugesügt worden mit der Scklußclausel, daß das Postscheckwesen spätestens bis zum 1. April 1905 auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt werden soll. Rück ständig sind aus der zweiten Lesung deS Etats sieben Resolutionen geblieben; die Abstimmung darüber ist infolge der jedesmaligen Beschlußunsäbiakeit bis zur dritten Bcratbung ausgesetzt worcen. Diese Resolutionen bringen in Vorschlag: die für die Ausrüstungsgegenstände von Schiffen bestehende Zollfreiheit aufzuheben; den Verkauf der künstlichen Süßstoffe an die Apolbeken zu verweisen mit der Maßgabe, daß sie nur auf ärztliche Anordnung ausgegeben werden dürfen; die Erhöhung des Steoipetsteuersatzes für Loose öffentlicher Lotterien von lO auf 20 Precent; die Herabsetzung der Patent gebühren; die Gleichstellung der Roßärzte in der Armee mit den entsprechenden Elasten der Veierinärärzte der baye rischen Armee; die Forderung der Maturitätsprüfung für die militärärztliche Laufbahn und die Festsetzung deS thierarztlichen Studiums auf neun Semester. Eine Resolution zum Heereöetat geht dahin, jedem Heerespflicktigen mindestens einmal während der Ableistung der activen Dienstzeit einen Heimatbsurlaub mit unentgeltlicher Eiscnbahnbeförkerung zu gewähren. Schließlich sollen durch einen NachlragSctat die Gevälkcr der Bureauassistenten und Kanzlisten der ReichSpost- undTelegraphen- Vcrwaltung und der Post- und Telegraphenassistenten und Postverwaltcr in der Weise normirt werden, daß sie von 1500 auf 3000 steigen, und zwar in der ersten Stufe um 300 .E und in den folgenden um je 200 während zur Zeit die 300 - Markstufe die letzte ist. Bisher ist bei der dritten Lesung des Etats der Reichstag stets beschlußfähig gewesen; denn da die Social demokraten stets gegen den Etat stimmen, so liegt eS auf der Hand, daß sie, wenn die Präsenz im Reichstage dieselbe bliebe, wie bei der zweiten Lesung, nur vollzählig zur Stelle zu sein brauchten, um die Bewilligung deS Etat- zum Mindesten verzögern zu können. Es laßt sich daher trotz der Erfahrungen der letzten Wochen wohl annehmen, daß morgen die bürgerlichen Fraktionen des HauseS in beschluß fähiger Stärke sich einfinden. Der Verlobung deSPrinzen Maximilian von Baden mit der ältesten Tochter des Herzog- von Cumberland, Marie Luise, wird in ter Presse eine politische Bedeutung beigemeffen, weil Prinz Maximilian, ein Sohn des 1897 veritorbenen Prinzen Wilbelm von Baden, eines Bruders des regierenden Großherzogs, möglicher Weise in Baden zur Re- gieruug kommen wird. Da die Ehe deS badischen Erbgroß- berzoaS Friedrich, der um 10 Jahre älter al» Prinz Maximilian und seit 15 Jahren vermählt ist, bisher kinderlos geblieben ist und daS badische GrvßbrrzogSpaar keinen zweiten Sohn, sondern nur noch eine Tochter, die Gemahlin des Kronprinzen von Schweben undNorwegen, bat, so hat allerdings die Prinzessin Marie Luise Aussicht, dereinst Großkerzogin von Baden zu werden. In Karlsruhe glaubt man nun, wie zahlreiche Tele gramme beweisen, in gewissen Kreisen die Verlobung so deuten zu dürfen, daß der Herzog von Cumberland eine Annäherung des WelfenbauseS an das deutsche Reich wünsche und daß er aus diesem Grunde seine Einwilligung gegeben habe zu der Verlobung seiner Tochter gerade mit einem Prinzen aus dem Zäbringer Hause, das durch die Großherzogin Luise, die Tochter deS alten Kaisers, dem preußischen Königs bause verwandtschaftlich besonders nabe steht. Wir sind in Bezug auf den Herzog von Cumberland weniger opti mistisch. Er bat bisher nichts getban, waS wie ein Schritt zur Annäherung deS WelfenbauseS an daS Reich gedeutet werden könnte, und wenn er jetzt seine Einwilligung zu der Verlobung seiner ältesten Tochter mit dem Prinzen Maxi milian gegeben hat, so liegt die Bermutbung, daß er von dieser Verlobung einen Vortbeil sür sich und seine Ansprüche erboste, jedenfalls näber, als die Vermutbung, daß er mit seiner Einwilligung einen Schritt zur Versöhnung habe tbun wollen. Auch die „Köln. Ztg." giebt sich in Bezug auf die Gesinnung deS Herzogs von Cumberland selbst keinen aus schweifenden Illusionen bin, aber sie erwartet immerbin, daß der Herzog nunmehr von der Aussichtslosigkeit seiner Hoff nungen überzeugt sein werde. DaS rheinische Blatt schreibt nämlich, vermuthlich auf eine Inspiration von Berlin hin: „Wie der Erbgroßhcrzog von Baden durch seine Heirath (mit der einzigen Tochter des Großherzogs von Luxemburg) dazu bei- getragen hat, daß die Umwälzungen, welche der Feldzug von 1866 innerhalb der deutschen Grenzen zu Gunsten Preußens unabänderlich herbeigeführt hat, nach der rein menschlichen Seite hin auch in den Beziehungen der einzelnen fürstlichen Familien ibren versöhnlichen Ausgleich gefunden haben, so dürfen wir hosten, daß auch der jetzige Schritt des Prinzen Max in demielbrn menschlichen und veriöhnlichen Sinne wirken wird. Bom Großherzog und vom Erbgroßherzog vonBaden weiß daS deutsche Volk, daß sie stets als die zuverläisistten Stützen nnd Förderer der deutschen Einheit und des deutschen nationalen Ge dankens sich bewährt haben und bewähren werden. Auch der jugend liche Prinz Max, der nicht blos in der engern Heimath sich großer Beliebtheit erfreut, sondern sich auch in Berlin, wo er lange Jahre bei den Garve-Kürassiren gedient hat, zahlreiche Anerkennung er worben hat, wird jederzeit da- patriotische Beispiel seiner erlauchten Verwandten Hochhalten und ihnen Nachfolgen. Wenn er jetzt sich entschlossen hat, die anmuthige Prinzessin au- dem Cumberlander Geschlechte als Gatlin heimzuführen, so ist das sicherlich nicht ohne Zustimmungwie des Chefs seiner Familie, des GroßherzogS von Baden, sodeSdrutfchrnKaisers geschehen. Diese Zustimmung aber verbtirgtunsaufsNeue, daßdie jetzt beschlossene Verbindung auch ihrerseits dazu beitragen wird, die Hossnuugen jenes kleinen Theiles welfischer Anhänger in Hannover oder Braun schweig, daß dereinst eiumal eia Lumberländer den Thron wenigstens von Braunschweig besteigen könne, »ndgiltig zu vernichten. Soviel wir wissen, hat der Herzog von Cumberland längst «ingrsehrn, daß Hannover niemals wieder ein selbstständiger Staat werden kann, sondern eudgiltiq «in, preußische Provinz bleiben wird und bleiben muß. Aber selbst wenn er im Stillen noch Hoffnung hegen sollte, daß, wenn nicht er selbst, so doch jein Sohn eiumal wenigstens Herzog von Braunschweig werden könnte, so wird er sich darüber klar sein, daß jedenfalls dir jetzige Verbindung mit dem badischen Herrscherhause ihm die Erfüllung diesrrTräume nicht erleichtern wird- Die Besteigung des Braunschweiger Thrones durch einen Cumberlander ist schon um deswillen auf absehbare Zeit eine Unmöglichkeit, weit sie zu Len unausgesetzten Umtrieben auf Losreißung der Provinz Hannover von Preußen den unvermeidlichen Anhalt gebe» würde. Eine solche Thronbesteigung würde im höchsten Grade verhängniß- vvll für den inneren Frieden im deutschen Reiche werden. Wenn jetzt der deutsche Kaiser seine Zustimmung zu der Verlobung deS Prinzen Max von Baden mit der Prinzessin Marie Luise von Cumberland gegeben hat, so geht aus ihr zur Genüge hervor, daß die Möglichkeit einer Thronbesteigung der Cumber lander Linie in Braunschweig ausgeschossen ist." Daß der Kaiser und der Großherzog von Baden ihre Einwilligung zu keiner Verbindung gegeben haben würden, gegen die sie aus nationalen Gründen Bedenken hegten, ist selbstverständlich. Aber ihr Vertrauen auf die Einsicht des Herzogs von Cumberland und seiner Getreuen beweist noch wchtS für diese Einsicht. Auf sie wird man erst schließen können, wenn man hört, was die Welfen in Hannover und Braunschweig zu der Verlobung sagen. Bisher bat bekannt lich Alles, was geschehen ist, um das Welfcnthum mit den durch daS Jahr 1866 geschaffenen Verhältnissen auszusöbnen, nur den Erfolg gehabt, mit den Hoffnungen auch den Agita tionen der Anhänger dcS WeljenhauseS neuen Impuls zu gebe». Jin Axrilbefte der „Deutschen Revue" veröffentlicht Prostssor §. Max Müller in Oxford einen sehr seltsamen Brief über die Rechtsfrage zwischen England und -en Voercn. Professor Müller erklärt zwar, nur die Rechts frage, weiter nichts, für sich sprechen zu lassen; sein Bries aber zeigt, daß sein Urtbeil durch seine ja sehr begreifliche Sympathie für England vollkommen getrübt ist. Nur zwei Punete seien berauSgegrisfen, die für die Beweisführung Müller's charakleristilch sind. Müller stellt mit Standhaftig keit die Unabhängigkeit Transvaals in Abrede. Das hält ihn aber nicht ab, wörtlich das Nachstehende zu schreiben: „War es nun aus Muthlosigkeit oder aus seinem grundsätzlichen Princip (siel), den Colonien die größtmöglichste (siel) Unabhängig keit zu gewährleisten, jedenfalls machte Gladstone... den großen Fehler, nach einer N ederlage mit einem übermüthigen Feinde zu verhandeln, und im Jahre 1881 wurde die sogenannte (I) Unab- hängigkeit der Republik von England anerkannt." Die Anerkennung der Unabhängigkeit wird dadurch nicht bedeutungslos, daß Müller sie als eine sogenannte bezeichnet. Iamefon'S Ritt legt Müller „ganz allein der schändlichen Regierung der Republik" zur Last. Trotzdem fährt er wörtlich fort: „Man hatte die Uitlander in Johannisburg mit Gewalt zur Verschwörung und Empörung getrieben. Niemand wird eine solche Verschwörung nnd Empörung Vertheidigen, noch weniger die Einladung fremder Söldner." Wenn die Uitlander „mit Gewalt" zur Verschwörung getrieben wurden, dann darf und muß man die Verschwörung vertbeldigen. Wenn Müller dies nicht wagt, so liegt der Grund hierfür eben darin, daß von jener „Gewalt" der „schändlichen Regierung der Republik" im Ernste nicht zu sprechen ist. Die A führung dieser beiden Puncte genügt, um erkennen zu lasten, wie wenig die Logik in Müller's Briefe zu Worte kommt und wie sehr seine englandfrrundliche Stimmung ihm daS Urtheil beeinflußt hat. 8i tnouisses ... Kaum waren die jüngsten parlamentarischen Vorstöße gegen daS französische Ministerium zurückgewiesen worden, als sogleich ein neuer Ansturm gegen daS Cabinet Waldeck-Rousseau angrkündigt wurde. Diesmal handelt es sich um die Ruhestörungen auf Martinique, über deren Ursachen und Verlauf bereit» berichtet worden ist. Diese Ruhestörungen standen in engem Zusammenhänge mit den ArbeiiSemstellungiu in den Zuckerpflanzungen der Colonie und nöthigteu einen französischen Officier, seine Mannschaften gegen die Schwarzen von der Feuer waffe Gebrauch machen zu lassen. Die Regierung hat in zwischen Truppen nach Martinique gesendet; insbesondere ist die Artillerie der Colonie verstärkt worden. Alle diese Vor gänge sollen nun in der Interpellation zur Erörterung ge langen. Beinahe gewinnt eö jedoch den Anschein, al» ob eine andere Frage der Negierung weit gefährlicher geworden wäre, falls die Opposition sie rechtzeitig auSzubeuten gewußt hätte. Wie seltsam eö auch klingen mag, muß dock festgestellt werden, daß das geplante Verbot der Stier gefechte die südfranzösische Bevölkerung von Bayonne bi» Marseille in großer Aufregung erkält. Die mit der Prüfung der bezüglichen Vorlage beauftragte Commission hat sich denn auch genöthigt gesehen, Delegationen der verschiedenen Städte zu vernehmen. NimeS und ArleS mit ibren altrömijchen Arenen fühlen sich besonders getroffen und fürchten, daß die atieiounckos, die Anhänger der Stiergefechte, zum Schaden der einheimischen Industrie, in großer Zahl wieder über die Pyreuäen ziehen würden: nach Barcelona im Osten und nach San Sebastian im Westen. Trotzdem würden die südfranzösischen Depulirten allein nicht durchgeerungen sein, wenn nicht auch die Hahnenkäm pfe im nördlichen Frankreich untersagt werben sollten. So ist auch in Lille und in anderen nordfranzösischen Städten die Bevölkerung in Er regung. Vereinigten sich daher die Anhänger beider Sports, so würde ein solcher Ansturm gegen die Regierung bedenklich werden, falls diese nicht, waS das Wahrscheinlichste ist, die Stierkämpfe im Süden ebenso zuläßt, wie die Hahnenkampfe im Norden. Dann könnte eS geschehen, daß den Besuchern der Weltausstellung selbst bei Paris noch ähnliche Schauspiele geboten würben. Der Versuch mit einer solchen Einführung ter corrickL8 ist bekanntlich im vorigen Jahre in der Um gebung von Paris gemacht worden. Die spanischen toros vermißten aber dort wohl daS Localcolorit und das erforder liche Milieu, brachen auS der Arena aus und mußten durch Gendarmen abgesiocheu werden. DaS Ministerium Walbeck- Rousseau wird sich allem Anscheine nach wobt büken, deb Stier- oder der Hahnenkämpfe wegen die EabinetSfrage zu stellen. Der Lrieg in Südafrika. Wie dem „Neuter'scheu Bureau" auS NorvalSpoat berichtet wird, ist General Elements am Donnerstag Morgen in PhilippoliS eingeirofsen und hat mehrere Verhaftungen von Aufständischen au» dem ColeSberg-Districte vorgenommen. An die Burgher« wurde die Aufforderung gerichtet, die Waffen auSzu- liefern, WaS viele auch lbaten. Am Freitage ver las General Clements in einer Versammlung ver BurgbrrS in englischer uud holländischer Sprache dre von General Roberts und von ihm selbst erlassenen Proklamationen, in denen die BurgherS zur Ableistung eines Eides ausgefordert Haus Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). ü.oLriua Eines Tages kam Gertrud von einem Gange durch die Stadt zurück. Sie hatte ihre alte Freundin Luise aufgesucht, der es recht kümmerlich erging. Schon seit Jahren war es der normale Zustand, daß ihr Ludwig lerne Arbeit fand, durchaus keine, so lange die Frau etwa- für ihn zu beißen und zu brechen hatte. War Alles aufgezehrt, die Sachen versetzt, oder Luise krank — was nach ein paar Monaten übermenschlicher Anstrengungen nicht ausblieb, dann verschwand der brave Maureogesell, um auswärts Arbeit zu suchen, — von deren Erträgniß Frau und Kinder nie daS Mindeste gewahrten —, und sich verlumpt und verlottert wieder einzustellen, sobald er witterte, daß Luise sich ein wenig erholt und ttn paar Groschen zurückgelegt hatte. Längst hatte Gertrud daraus gedrungen, daß Luise diesem unhaltbaren Zustande ein Ende mache. Allein diGFrau war schwach und verliebt, die Zahl der Kinder wuchs, trotz Armuth und Zerwürfniß der Eltern. Und wie sollt« sie'» auch anstelle!,, den Mann loS zu werden, der da- Recht besaß, sich jede» kleinen Erwerbs, den unablässig« Arbeit ihr eintvug, zu bemächtigen? Die Gerichte anrufen? — Einmal hatte sie'» versucht, ckber nie wieder! — Zett und Geld genug hatte eS gekostet. Dann war der Ludwig gekommen und hatte gebettelt und geheult und alle» Gute versprochen. Und seitdem fing Luise dergleichen lieber gar nicht mehr an, sie wußte ja doch, daß nicht- dabei herau-kam. Nachdenklich ging Gertrud nach Hause. Ist da» Gesetz wirk lich der Schutz der Schwachen? — Liegt in solcher Ehe noch ein sittliches Moment? — Ist da- noch Liede oder sklavische Ge- wohnheit? — Freilich darf man an die Gefühl« dieser ein^chen Menschen nicht den subtilsten Maßskolb anlegen. Ohne Frage wäre der Mann längst in Trunk und Faukwzevei zu Grunde gegangen, hätte er an der Frau nicht »inen moralischen und materiellen Halt, alber sie? — Wie ganz ander« hätte Luis« da stehen können, trotz ihrer vier Kinder, hätte sie den Muth ge habt, den Mann gewaltsam von sich abzuschütteln. Gertrud hätte sie gern in irgend einer Weise an sich gefesselt — daran war jetzt nicht zu denken, fi« mußte ihr Kreuz tragen. Wie sich ihr eigene» Leben gestalten würde, war Gertrud noch unklar. Ein dauerndes Zusammenleben mit Wally, wie diese es wünschte, fand Gertrud für sich unmöglich. Wally war von ihren ostpreußischen Verwandten eingeladen worden, hatte aber Alle» abgelehnt. Als Gast bei Leuten zu leben, die ihrem Philipp Böses nachgosagt hatten, ihr gönnerhaftes Mitleid er tragen — nein, lieber wollte sie mit Pudill betteln gehen. — „Es ist Besuch da für gnädiges Fräulein", sagte Wally's Mädchen, khr die Dhür öffnend. „Ein Herr Docior — die Karte liegt drinnen. Der Herr hat sich bei der gnädigen Frau melden kaffen und spricht mit ihr." Gertrud achtete wenig auf diese Nachricht. -Irgend ein Eon- dolenzbesuch — al» sie aber abgelegt hatte und die Karte auf ihrem Tische ihr in» Auge fiel, durchfuhr r» sie mit freudigem Schreck. „Hans Eickstedt" stand daraus. Sie warf einen Blick in den Spiegel und widmete ihrem Haar und ihrem Anzug ein paar Minuten. Sir bemerkt«, daß sie erröthet war und jugendlich befangen auSsah, — ärgerlich wandte sie sich ab, lachte — und blickte wieder hin. „LhörichteS Herz, wirst Du nie zur Ruhe kommen?" Mr Eintritt in den Salon blisb zurrst unLomerkt. Eickstedt wandt« ihr den Rücken und hörte Wally zu, die mit Thränen i in der Stimm« von ihrem verstorbenen Gatten und ihrer schreck lichen Lage sprach — gefaßter und würdiger übrigens, als Ger trud ft« je hatte sprechen hören. Sie blieb auf dem Teppich stehen, um nicht zu stören. Bald jedoch ward Wally ihrer ge wahr, und Han» sprang auf und begrüßte sie. ' Er schien > frischer von Ansehen al» damal» in Prerow, und seine Augen leuchteten wieder. „Ich bringe Dir Gruße, Gertrud — von Professor Keßler — und von meiner Mutter, unbekannter Weise." „Wie, kommst Du nicht dirert au» Pr«row? Hat Dich da» schlechte Wetter von dort vertrieben? Keßler ist noch dort." „Ich komme au» Groß-Perkitten — habe Asta hinaebracht —weil mein« Anwesenheit hier in Berlin nothwendia ist." „Denke Dir, Gertrud", fitt Wally «In, „er bringt mir eine Einladung von seiner Mutter nach Groß-Perckitten — ist da» ! nicht rührend von Constanze, wirklich einzig? Sie steht mir doch gar nicht so nahe." „Ich habe Dich hoffrntlich überzeugt, Tante Wally, daß . Du nicht- Bessere» tbun kannst, al» Dein« Detternrrise in Per» I kitten zu beginnen. Meine Mutter hat »ine wunderbar glückliche I Hand in Behandlung solcher Kranker, wie Du bist — ich spreche I au« Erfahrung." „Gott ja, Hans, «in paar Wochen bei Deiner lieben Mutter, die könnten mir aushekfen, ckber wie vürfte ich ihr meinen Jammer ins Haus tragen?" Tante Wally's Augen floffen wieder über. „Und dann, wie soll ich hier loskommen? Du hast keinen Begriff von der Eonfuston, in der mein armer Philipp Alles zurückgelafsen hat. — Gertrud und ich haben schon Tage lang in den Papieren gekramt — keine 'Möglichkeit, Ordnung zu schaffen!" „Darf ich Dir mein« Dienste zur Verfügung stellen, Tante Wally? Vielleicht sind meine ehemaligen juristischen Studien zu etwas nütze." »Ach, Han-, wenn Du da» wolltest! Ich habe ja keinen Menschen, dem ich vertrauen könnte! — Alle haben sie ja meinen armen Philipp betrogen und verrathen! — Jetzt ent schuldigt mich aber, Kinder, ich muß in die Küche gucken — Du nimmst mit uns vorlieb, Hans, nicht wahr?" Zu Gertrud's Ueberraschung sagte Eickstedt ohne Um stände zu. „Darf ich wissen, WaS Dich herfilhrt?" fragte sie, al» sie mit ihm allein war. „Geschäftssachen?" „Zweierlei", erwiderte er. „Erstens eine Rechtssache — Scheidung von Dera." Gertrud bückte ihn stumm fragend an. Merkwürdig, wie in seinen Augen da» alte Feuer, in seinen Zügen die alte Spann kraft wieder aufgelebt war. „Einleitende Schritte habe ich schon früher gethan", fuhr Eickstrdt fort, .di« aber zu nicht» führten. Ich war nicht in der Stimmung und Verfassung, diese «dornige Sache fest anzu fassen, und ließ sie liegen — meine Freiheit hatte keinen Werth für mich. Da» ist seit Kurzem ander» geworden — und da jetzt ohne mein Zuthun di« Scheidungsklage wieder in Gang kommt, werd« ich ein Ende machen." Noch einer beklommenen Pause fragte Gertrud nach dem „Zweiten»". SS betraf jene» Theaterstück, da» da>rnak« infolge feindlicher Jntriguen im Schaufpielhause zu Fall gekommen war. Dl» Leitung einer neugegründeten vornehmen Bühne bewarb sich um das Aufführung-recht für die begonnen« Spielzrtt. Gertrud stieß einen Freudenschrei au-. Aber Eickstedt war voller Zweifel und Bedenken. „Wenn ich jetzt, nach Jahre langem Perstummen, wieder hervortrete, so muß eS mit «irrem großen und unbestreitbaren Erfolge sein." Das mußte Gertrud zugelben. Ein neuer Fehlschlag, ja auch nur ein halbes Gelingen mochte den erwachenden Lebens und SchaffenSmuth ihres Freundes für immer brechen. Aber sie liebte jenes Werk und sie meinte, in ihm müsse Hans sich selber wiedersinden und zum Aufschwung in di« lichten Höhen dichterischer Vollkommenheit Kraft und Begeisterung gewinnen. Er war dessen nicht sicher. „Andere Zeiten, andere Götter. Das gewaltige Geschlecht der Titanen und Giganten, vulkanische Machen in den Adern, hat die heiteren Olympier vom Throne gestürzt, ihr Reich ist zu Ende." „Und sollen wir jetzt den rohen Mächten der Kraft und Ge walt huldigen?" fragt« Gertrud. „Wir sollen eingedenk sein, daß wir Erdgeborene sind uns unsere Kraft auS dem mütterlichen Boden stammt", erwiderte Han». „Da- Darwinsche Entwickelungsgesetz, daS vom Gebiet der Wissenschaft aus das der Kunst und des Leben- hinüber- greift und wie eine Sintfluth Alles hinwegschwsmmt, wa» nickt tief« und feste Wurzel im Leben der Gegenwart hat, eS ist ebenso uralt, wie jenes zeitweilig Ueberwundenr des Ideal», der gött lichen Harmonie, de» Absoluten kurzweg. E» hieß bei den Alten: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. — Und wie «ine ewige Fluch und Ebb«, wie der Pulsschlag des Alls, wechseln diese beiden Principien: deS Seins und de» Werden», de» Glaubens an das Vollkommene und der revolutionären -Auflehnung gegen alle Autorität in der Herrschaft ab . . ." ch ch Hank kam in den folgenden Tagen wieder, da seine Geschäfte ihn zwar in BerVn festyielttn, aber ihm viel freie Zett ließen. Er saß Stunden lang geduldig über der Durchsicht der Henning- scheu Papiere, und hatte Wally mit ihren krausen Einfällen ge nug Verwirrung und Aufenthalt gestiftet, so li«tz ft« ibn mit Gertrud allein. Di« Beiden hatten Glück. E» fand sich, daß noch Einige» für Wally zu retten war, Ansprüche an Gttvinn- antheile», di« ihr zufallen sollten, sobald die Unternehmungen ihre» verstorbenen Gatten höhere Erträge abwerfen würden. Dieser Zeitpunkt schien bereit» gekommen, und e» ließ sich vor- auSsehen, daß die Wittwe in einigen Fahren eine auskömmliche Rente beziehen würde, fall- ihre Rechte durch geschickte» und energische» Vorgehen sichergestrllt würden. — Wally strömt» von Dankbarkeit gegen Eickstedt Über, den sic ihren Retter und Dob! thäter nannte, und sträubte sich nicht länger, dir Reise nach Ost preußen anzutreten, sobald ihre häulltchen Einrichtungen e» n- tauben würden.
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