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Voigtländischer Anzeiger- Siebenundsechszigster Jahrgang. Verantwortlich» Redaetion, Druck und Verlag von Roriy Wieprecht in Plauen. Jährlicher Abonnement-preiS für diese« Blatt, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 6 Ngr. — Die Jnsertlon-gebühren werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Torpus-Zeile berechnet, größere Schrift nach Derhältniß deS Raume«. — Dienstag. 4. März 18S6. R««dschau So sitzen denn also die zwölf „Friedensapostel," englisch-bischöf lichen, römisch- und griechisch-katholischen und muhamevanischen Glaubens, in einem Saale deS Erdgeschosses im Hotel des franz, auswärtigen Ministeriums an einem runden, mit grünem Teppich» tuche bedeckten Tische, der von vierzehn vergoldeten Sesseln umgeben ist (zwei Sessel sind für die Sekretäre). In der Mitte des SaaleS stehen die Bildnisse des Kaisers und der Kaiserin der Franzosen in Lebensgröße, außerdem ist die Büste Napoleons I. in Marmor auf vergoldetem Trägstem» ausgestellt. Auf dem Tische steht ein gol dene- Tintenfaß, 16,000 Francs, etwas über 4000 Thlr., werth, das noch au- dem ersten Kaiserthume herstammt, worin aber — sollte dieß etwa- bedeuten? — keine Dint» ist. Die Zugänge zu diesem Saale find auf da« Schärfste bewacht und alle nur ersinn- lichen Anstalten getrosten, daß Niemand die Apostel behorchen kann; wie soll da nun der Wochenblattschreiber erfahren und berichten, wa« drinnen in diesem für die Welt so wichtigen Saale vorgeht? Nur Liner erfährt e« gründlich und viertelstündlich — Kaiser Napoleon Hl., denn sein Minister Graf WalewSki muß ihm jede Biertelstunde durch einen unterirdischen Telegraph, der von der Ministerwohnung in die kaiserliche Residenz der Tuilerien führt, von dem Stand der Dinge Bericht erstatten. WaS bi- jetzt amtlich über die Früchte am Baume der Frie- den-zusammenkunft in Paris verlautet, ist blutwenig. Ein Waffen stillstand, bis zum 3 t. März vorläufig dauernd, soll geschlossen werden. Wenn dieß nun auch geschieht, was will eS sagen, da bi- dahin weder auf der Krim noch in Asien an eine Wieder eröffnung deS FelvzugS zu denken ist?. Die Blokade, d. h. die Sperre der russischen Häfen und Seestädte ist wohlweislich nicht in den Waffenstillstand inbegriffen, im Gegentheil ist die englische Ostsetflotte bereits wieder auf dem Wasserwege, um die DerkehrS- lustlöcher Rußlands zu Wasser, sobald da- Eis sie öffnet, augen blicklich wieder zuzustopfen. ES ist ein eigenes Ding: alle Welt wünscht Frieden und glaubt an denselben, alle amtlichen Zungen und Zeitungen athmen zuversichtlich den Frieden; und doch rüstet und wirbt England fort und fort Flotten und Heere, als wüßte e« besser, wie die Partie steht; und doch hebt Rußland — der Himmel weiß eS, zum wie vielsten Male seit dritthalb Jahren! — «bermals 23 Rekruten vom 1000 auS. Die Friedensapostel haben eine schwere Sendung übernommen; was wir Sicheres 'über ihre Thaten erfahren, sollen unsere Leser so bald al- möglich hören. BiS jetzt giebt- nur leeres ZettungSgerede darüber. Zn der Türkei ist zum Entsetzen aller rechtgläubigen — na türlich find dieß auch die allein frommen und rechtschaffenen — Muselmänner da- Unerhörte geschehen, da- Unmögltche möglich geworden. Unglaublich, aber wahr! Der Sultan hat die Masken bälle bet de» englischen und französischen Gesandte« in Constan- tinopel besucht. Der Nachfolger deS Propheten, dem Niemand al- der Oberste der Verschnittenen bei seinen Mahlzeiten aufwarten darf, dessen geheiligte Person jede körperliche Berührung zu ver? meiden hat, dem nur die höchsten Würdenträger deS Reichs jährlich einmal am Bewamsfeste die Schuhspitzt küssen dürfen, der „König der Könige," wie sein stolzer Titel lautet, ist in die Häuser der Christen, der Ungläubigen gegangen, hat dort Erfrischungen ange-- pommen uyd gm-ffen, hat die Gesandten bei der Hand gefaßt und an den Mummereien und Tänzen der GiaurS (Nichtmuhamedaner) großen Gefallen gefunden oder — finden müssen. Wenn da- nicht eine Erzrevolution in den Köpfen der altgläubigen, verblüfften Türken hervorbringt, wenn das nicht die alte Türkei todt machen und unter Walzer- und Polkamusik begraben heißt, so ist sie wirklich unverwüstlich, unsterblich. Oesterreichs junger Kaiser hat- wieder einmal einen großher zigen, ächt kaiserlichen Entschluß zur Thatsache werdm lassen — er hat vas schwarze Buch seiner italienischen Unterthanrn mit eigene« Hanv vernichtet und alle« denen, die auS Liebe zur Selbstständig, keit ihres Vaterlandes 1848 und 1849 an ihm gesündigt Hatzte«, vergeben. Die Verbannten und Flüchtigen sollen zurückkehren dürfen und ihre mit Beschlag belegten Güter wieder erhalten. Ma« kann den Werth dieser kaiserlichen That dadurch herabsetzen wolle«, daß man ihr politische Klugheitsbeweggründe unterschobt; imatzerhüt wird sie manche Thränen trocknen. In Preußen muß sehr großer Mangel an Lehrern sei«, denn die KreiSregierung in Potsdam macht bekannt, „daß von Ostern bis Michaelis d. 3. am Schullehrer-Seminar in Köpenick »in Lehr-Cursus für solche Schulamts-Aspiranten gehalten werd?» soll, welche im Alter von 19—30 Jahren stehen, mit hinreichenden Schulkenntnissen versehen sind und Neigung haben, sich dem Lehrer fache zu widmen." Diese sollen nach einem Halbjahre sofoW als Lehrer an Landschulen angestellt werden rc. Die N. Ztg. Weint, der Mangel an Lehrern und der vorstehende Nothbebelf rühre »jcht etwa von zahlreichen neubegründeten Lehrerstellen, sonder« »v« dU fortwährend verschobenen Aufbesserung der ungenügend bezahlten VolkSschullehrer, hauptsächlich aber von der neuerlichtu Stellung der Volksschule, die auS einer Bildungsanstalt de» Volke- zu «Wer bloßen AbrichtungSanstglt io^ Pienste einer sehr engherzigen, dem Zeitgeist« überall widersprechenden dogmatisch-religiösen Zeitrichtung geworden sei. Durch einseitige, ungenügende Vorbildung sei der Dolkslehrer von den allgemeinen Bildungselemente« au-geschlossen, die mehr oder weniger drückende Aufsicht der Geistliche« sei noch straffer angezogen, daher, trotz aller außerordentliche« Maßregel«, die Lust, Lehrer zu werden, immer mehr abnehmen müsse. In Thüringen hat sich mit Hilfe der Weimar'schen Bank »ix« Aktiengesellschaft gebildet, deren Sitz in Eisenach ist und welch« di« Bergschitze de« Thüringer Walde-, namentlich an Kupfer, au»-