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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.06.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080604016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908060401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908060401
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-04
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
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BezuqS-PreiS Morgen-Ausgabe S. Itr L«vzig «nft Vorort« durch «»»er« trt-«r iwd Svedttrur« tu» Hau» ^tracht: Aataad« 4 (nur uwrg«») vtenrllt-rUch !t «t., m,nam<b l M.; A»«aade l> (morgen« und abend«) viertel» ttdrltch 4.SV M.. monallich 1.8) w. Dur» dtr Pott ,» de»tede»: (2 mal »tglich) innerhalb LeuiiLIanb« und der deutlchen »Kolonien vierieljLdrlich k>,2k> M-, monatlich 1,75 M. autichl. P»ft- beftellgelb, >ür Lefterreich V L 66 A, Ungarn 8 kl vierteljthrlich. ftrrner >n «el» aie». Dänemark, den Donauftaatrn, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Ruh land Schweden^ Schweiz und Svanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch dm iixped. d. Bl. erhältlich. «ldonnement-Snn-dme: Augnfturplatz b», bei unleren Drägern, Filialen, Spediteure» und «nnahmeftellen, lowie Bofttmrern u»d Briefträgern. Dm einzelne Nummer lostet Iv chs^ ütrdaktt»» und «rvedUton: Iohannitgasje 8. relevbon Nr. IE. Nr. 14683, Nr. lilüva. KWMrTWMaü Haudelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Stadt Leipzig. Aazeigea-Pr«, tür Jul-rare uu« relpziu uao umgebnag dm «MfpaUe»« Petitzeil» 25 Bi., ünanziell« Lnzelge» iw Kf., «eklamea l Pi.; ,»» autwäN« «1 Pf., »ellam-n l.läl) „»«ullandSUPf.. ftuaa,. «neigen7L«!., Reklamen iLi) M. Inferate». Beddrdea i» amlltcheuDeilällPf. Beilage,ebühr dM. p. Dauiead «xkl. Poft, gebühr. Gelchäftianzeigen an bevor,ugicr Stelle ,m Preise rrhäht. Rabatt nach Daru IefterteUl« Aulträg« kännen nicht liurüit- arzogen werden, ssir da« ärfcheine» an vritlmmtea Dagen und Plätzen wirb kein» Garantie übernommen. Anzeigen. Lnnadme: lllugulku«vl»tz 8, bet fämtlichen Ailialen u. allen Annoncen» Lxpeditionen Le« In» und Aull-nde». Haupt-Filiale Berit»: Carl Duncker, tzerzogl. Baur. Hasdnch- Handlung, Lutzowftrahe Uh (Telephon VI. Nr. 4603). Haupt-Filiale Lretzdea: Eeeltrahe 4. l (Teleodon 4621). Nr 15L Donnerstag 4. Juni 1908. 1b2. Das wichttgfte vom Tage. * Der sächsische Justizminister hat sich in der (Listen Kammer gegen die Jugendgerichtshöfe ausgesprochen. (S. d. des. Bericht.) * Die Zweite Kammer bewilligte mit 4 t gegen 18 Stimmen ZOO 000 T( für die Internationale Hygieneausstellung in Dresden. (S. Ber.) * Der Rat der Stadt Leipzig erklärte sich in seiner gestrigen Sitzung damit einverstanden, daß zur Vorbereitung der Wahl des Oberbürgermeisters ein gemischter Ausschuß, bestehend aus 5 iLtadl- räten und 10 Stadtverordneten, eingesetzt wird. * In der gestrigen Sitzung der Leipziger Stadtverord neten wurden in die 2. und 3. hervorgehobene Ratsstelft die Stadt räte Dr. Wagler und Lampe, sowie als besoldeter vLtadtrat der Stadtschreiber Dr. Bart hol gewählt. * In Preußen fanden gestern die Wahlmänner wählen statt. sS. Art., * Die Vorlesungen an den Universitäten Brünn, Graz und Prag sind ebenfalls sistiert worden. sS. Ausl.j * Der M i n i st e r für Bosnien erklärte gegenüber einer Ab- ordnung bosnischer Serben, Oesterreich-Ungarn werde Bos nien und die Herzegowina gegen jedermann mit den Waffen verteidigen. sS. Ausl.) * Nach einer Meldung des „Dailv Telegraph" sind in Marokko mehrere Oesterreichcr von Kabylen beraubt und schwer mißhandelt worden. sS. Letzte Dep.) * Auf der Insel Samos ist die Ruhe wieder hergeslellt. sS. Ausl.j Organische Bündnisse. In gewissem Sinne find wir nicht verpflichtet, den Monarchen- besuchen eine so gespannte Aufmerksamkeit zu schenken. Natürlich können in persönlicher Begegnung Verstimmungen beigelegt werden — bis weilen werden sie auch verschärft. Aber ein Bündnis, das mehr ist als die (Latente zweier Kabinette, läßt sich durch Monarchenbesuche nicht ftabilieren, mögen die Potentaten ein noch so reiches Ordensmonna ber- niedertränseln lassen. Um die Freundschaft zweier Nationen zu ermög lichen und zu verbürgen, sind viele Voraussetzungen notwendig. Wir leben aber immer noch in den Vorstellungen der Kabinettpolitik und sollten doch endlich einsehen, daß Majestät L. und Präsident B., mögen sie einander noch so sympathisch sein, ein Bündnis zwischen ihren Staa ten nicht dekretieren können. Die erste Bedingung für eine Allianz ist allerdings, daß nicht zwi schen den beiden Staaten, die eine Annäherung suchen, vitale Gegensätze bestehen. (Ls gibt aber politische Interessen, die an den Existenznerv des Staates rübren; sind solche Interessengegensätze vorhanden, so läßt sich kein anderer nrockus vivsnUi erzielen, als ein Waffenstillstand, den wir beschönigend Frieden nennen. Die zweite Bedingung ist, daß nicht die jüngste Geschichte Erinne rungen enthalte, die ein freundschaftliches Verhältnis vereiteln. Solche Erinnerungen müssen erst absterben, ehe ein Staatsmann unter sonst günstigen Bedingungen daran denken kann, ein Bündnis herbeizuführen. Der Versuch, diesen Prozeß durch eine Politik der Zuckerplätzchen zu be schleunigen, bleibt, wie die Erfahrung lehrt, erfolglos. Ferner darf die Welt- und Staatsrnschauung der beiden Völker nicht d'ametral entgegengesetzt sein. So ist das Bündnis -wischen Frankreich und Rußland geradezu widernatürlich. Es ist betrübend, daß die Nation, die die Menschenrechte proklamierte, sich mit der Barbaro- kratie zusammenkoppeln mußte, in der jede freie Regung erbarmungs los niedergeknutet wird. Endlich erhobt sich die Frage — die man nicht unbedingt bejahen muß — ob nicht ein wirklich dauerndes Bündnis nur auf dem Funda ment der Rassengemeinschaft möglich ist. Tas sind nur theoretische Betrachtungen, und man wird gegen sie geltend machen, daß sic durch die politische Praxis widerlegt seien, da ja mehrere Allianzen bestehen, die diesen Forderungen keineswegs ent- sprechen. Aber diese Allianzen sind, so eifrig auch die offiziösen Blätter sie preisen mögen, Notbehelfe, arger Verlegenheit entsprungen, kümmer lich fortgefristet und schwerlich ernster Prüfung gewack-sin. Auf den vor liegenden Fall angewendet, würde unsere Betrachtung die Möglichkeit eines englisch-französischen Bündnisses verneinen müssen. Für ein solches Bündnis fehlen di« psychologischen und historischen Voraussetzungen. Trotzdem dürfen wir natürlich die neuesten Vorgänge nicht leicht nehmen. Wir dürfen uns nicht an die Möglichkeit klammern, daß das Einver nehmen zwischen Frankreich und England in Paragraphen nicht zum Ausdruck gelangt. Das wäre sehr pedantisch und bureaukratisch. König Eduard legt nicht sehr viel Gewicht auf Geschriebenes. Es genügt ihm, England eine Sphäre des internationalen Wohlwollens zu schaffen, welche bas Jnselreich gegen jeden Angriff sichert und ihm den Absatz seiner Waren und den Abschluß seiner Geldgeschäft« erleichtert. Leider ist diese Sphäre des Wohlwollens zu gleicher Zeit für Deutschland ein Dunstkreis der Verflanung und Verstimmung. Neber kurz oder lang wird der deutsche Bankier, der deutsche Gewerbetreibende, der deutsche Handlungsreisende eS am Leibe verspüren, daß wir schlechte Politik ge macht haben. Schlechte Politik erzeugt nämlich in unserer Zeit, in der ökonomische und politische Elemente unzertrennlich verbunden sind, auf die Dauer unfehlbar schlechte Geschäfte. Tie vortrefflichen Eigenschaf ten unseres Volkes, doS arbeitsam, zäh, rührig und wohl diszipliniert ist, haben eine Zeitlang die üblen Folgen einer ziellosen und zerfahrenen auswärtigen Politik wettgemacht. Eines Tages aber wird auch der Geringste im Reich an seinen Einnahmen und an seinen Steuerleistun gen emvffnden. daß die Kurve unserer Politik nach unten steigt. Ein wirklich dauerhaftes organisches Bündnis zwischen England und Frank reich ist schwerlich möglich, trotzdem aber kann es der reifen diploma tischen Technik Eduards des Siebenten eine Zeitlang gelingen, alle die Nationen, die er jetzt in seinem Konzern versammelt hat, in der Ab neigung gegen Deutschland zusammenzuhalten und uns so manche unbe hagliche Stunde zu bereiten. Und wenn nichts Schlimmeres dgbei herauskommt, als diese Unbehaglichkeit und schlechte Geschäfte, müssen wir noch ganz zufrieden jein. Das sächsische wassevgesetz. Tie Aufregung, die sich mehr als einmal während der Schluß- beralung über das Wajsergejetz der ganzen Kammer bemächtigte, war vielleicht der augenfälligste Beweis dafür, daß große wirtschaftliche In teressen Weiler Kreise auf dem Spiele standen, wenn auch nur ein be schränkter Kreis sich der Wichtigkeit der Sache zur rechten Zeit bewußt gewesen ist. Leider waren es gerade die Anhärger des sogenannten Privatrechtsprinzips, die von Ansang an die Hand am Schwerte hallen, immer bereit zur Verteidigung ihrer Interessen, dre die Regierung durch die Gesetzgebung aus dem ganzen großen Gebiete des Wasserrechtes zugunsten der Allgemeinheit beschränken wollte. Der Zustand war aber nur zu natürlich, als daß man viele Worte darüber verlieren sollte, denn cs ist leider eine alte Erfahrung, daß wirtschaftliche Interessen und ihre Gefährdung immer nur von denen richtig erkannt werden, die selbst etwas zu hüten haben oder erwerben wollen. So kam es, daß die große Masse des Volkes, die mit dem fließenden Wasser weiter nichts zu tun hat, als daß sie hier und da eine Vergniigungssahrt macht, wenig Verständnis sür die schweren Kümpfe zeigte, die die natio nalliberalen Mitglieder der Zwischendcpulation und ipäler der Gesetz- gebungsdeputalion gegen die Vertreter der Prwatrechlslheorie mit ihren agrarischen Tendenzen auszusechten halten. Das Wort „agrarisch" ist Labei nicht als das übliche politische Schlagwort zu lesen, sondern muß deshalb angewandt werde», weil die Vertreter der privatrechtlichen Theorie ihre Ansprüche auf die Nutzung des fließenden Wassers aus dem Besitz des Bodens herleiten, an dem das Wasser vorbeisließt, wäh rend die Vertreter Les Oeffentlichkeitsprinzipes geltend machen, daß der Anlieger kein Verdienst an dem Vorhandensein des Wassers hat, wenigstens nicht desjenigen Wassers, das er gerade benutzt und auf Lessen alleinige Benutzung «r Anspruch erhebt. Das Wasser kommt von oben, fließt nach unten und ist nicht auf die Tauer festzu halten als verkäufliches Gut im Sinne der gewöhnlichen Immobilien. Deshalb — jo sagt die Regierung mit den Anhängern des Oesfentlich» keitsprinzips — kann cs dem einzelnen nicht gestattet werden, mit dem bei ihm vorbciflicßendcu Wasser zu tun, was er will, denn Hunderte, in manchen Fällen vielleicht Tausende, haben den gleichen moralischen Anspruch auf das Wasser, wie er, sie haben Anspruch auf dieselbe Menge und denselben Zustand. Dabei sind die vielen und nicht geringen Fragen, die bei Bearbeitung dieser Materie auftauchen, wie z. B. die Benutzung der Quelle, die, vom nicht-agrarischen, gemeinnützigen Standpunkte aus betrachtet, gewiß einen Vergleich mit der Hebung der Mineralien heraus- fordern, ganz außer Acht gelassen. Wie der einzelne nun aber auch über die Sache denken mag, so war doch die Situation sür die Regierung und die Nationalliberalen in sofern gegeben, als sic von vornherein wußten, daß sie ihre Ideen nicht in vollem Maße durchsetzen konnten, da die Mehrheit der Zweiten Kammer und wohl auch ein großer Teil der Ersten Kammer einer radikalen Durchführung des Oeffenllichkeitsprinzips, das Wasser als öffentliches Eigentum fordert und die Benutzung des fließenden Wassers aus der staatlichen Verleihung herleitet, nie zugestimmt hätte. Die Notwendigkeit eines K ompro m isses war also zwingend. Aber auch hierzu bedurfte es aller Staatskunst und Energie, die die Regierung nur auftreiben konnte, um nicht gerade das Geegntcil von dem zu erreichen, was beabsichtigt war. Es bestand die Gefahr, daß in den Deputationsverhandlungen nicht ein Kompromiß auf neutralem Boden zustande kam, nicht ein reines Verwaltungsgesetz, wie es die Ver treter der Industrie unter den Nationalliberalen forderten, sondern daß die geschickte Hand des Vorsitzenden der Gesetzgebungsdeputation in die Vorlage das Privatrechtsprinzip hineinschob, das die Regierung gerade bekämpfte. Einen mächtigen Bundesgenossen hatte Herr Opitz, dem man gewiß nicht bestreiten wird, daß er aus reiner Uebcrzeugung han delte, in dem Abgeordneten v. Querfurth, der — obwohl er der Ge- setzgebungsdeputation nicht angehörte — fast in keiner Sitzung fehlte, in der das Wassergesetz beraten wurde, dessen Namen man fast auf jeder Seite des Dcputationsbcrichtes liest, immer in dem Bestreben, das Privatrecht zu schützen, ja womöglich eine Anerkennung der Privatrechte sür jetzt und sür die Zukunft durch das Wassergesetz zu erlangen. Nach Herrn Opitz war wohl Herr v. Querfurth der gefährlichste Gegner der Regierung, und es ist vielleicht ein Glück zu nennen, daß er mit seiner rücksichtslosen Energie in der Vertretung der privatrechtlichc-- Theorie nicht auch die feine diplomatische Gewandtheit dcS zweiten Vizepräsi denten der Zweiten Kammer in den Kampf führen konnte. Trotzdem wäre der Erfolg vielleicht auf seiner Seite gewesen, wenn nicht in der entscheidenden Sitzung am Dienstag der Minister mit so großer Offen heit erklärt hätte, die Annahme des Antrages v. Querfurth bedeute den Zusammenbruch des Kompromisses. Jetzt ist der Antrag abgelehnt, die ganze Vorlage aber angenommen, und die Rechtsprechung wird das übrige tun. Man darf erwarten, daß sie sich nichr nur an den Wort laut, sondern auch an den Geist halten wird, in dem das Gesetz erlassen wurde. Einen starken Erfolg errangen die Verfechter der agrarischen Theorie (wieder in dem unpolitischen Sinne des Wortes zu verstehen) mit der Annahme des Antrages Stciger-Andrac, der die Quellen von der Enteignung auslchließt. Hier kam ihnen wohl der Umstand zu Hilke, daß auf der Regierungsbank nicht die genügende Zahl von Sach verständigen saß, die zur Abwehr notwendig gewesen wäre. Man hatte das Gefühl, als ob gerade dieses Fach im Ministerium des Innern allein dem Ministerialdirektor Dr. Schelchcr anheimgegeben gewesen sei, der gewiß alles tat, um das große Projekt, dem er so viel Arbeit gewidmet hatte, zum Ziele zu führen. Es mangelte an „Bogcnipannern" am Reqierunastischc. Mehr als einmal mußte der Regierungs kommissar, dessen Leistung in jener Debatte schon rein physisch sehr hoch war, einige Redensarten als Füllung einschicben, wo genaue Zahlen notwendig gewesen wären, z. B. bei dem Kapitel der Wasserversorgung der Städte. Hier konnte er mit einiger Sicherheit sich nur auf Leipzig beziehen, bei Plauen, Zwickau u'w. versagte sein Register, zum Schaden der Sache. So ging der Antrag Steigcr-Andrae durch. Und nun noch ein Wort über die Episode während der Rede des Abg. Tr. Rühlmann, die ja in unserer schnellebigen Zeit schon der Vergangenheit anaehört. Dr. Rühlmann war vielleicht etwas zu heftig und die nationalliberale Fraktion mußte ihn, wollte sie nicht das ganze Ge'etz gefährden und damit der Rechten den größten Liebesdienst er weisen, verleugnen. Er hatte ja auch keinen Auftrag, aber jetzt — nachdem das Gesek unter Dach und Fach ist — kann und muß es ruhig gesagt werden, daß Herr Tr. Rühlmann, wenn nicht der ganzen Frak- tionj so doch denjenigen Mitarbeitern an dem Gesetze aus dem Herzen gesprochen hatte, die durch den — um einen milden Ausdruck zu ge- brauchen — ungewöhnlichen und gewagten Schachzug des Vorsitzenden der Deputation genötigt worden waren, einen Bericht in die Welt gehen zu lassen, mit dem sie in einem seh, wesentlichen Teile nicht einver standen waren. Man braucht nur daran zu denken, daß der Minister des Innern mit großer Schärfe gegen dieses Verfahren Verwahrung einlegte und daß er betonte, die Regierung habe deswegen nicht mehr an der letzten Sitzung teilgenommen. Tas war eine vernichtende Kritik an dem Verfahren eines Vorsitzenden einer Deputation, der ohne Wissen der Mitglieder seine Ansicht am Schlüsse des Berichtes in einer scctzs Seiten langen Abhandlung niederlegeu ließ, und damit — wie der Be richt sagt — die Minderheit ,,überraschte". Jetzt ist trotz aller ^Schwierigkeiten das Gesetz zustande gekommen, und das ist vielleicht neben der^Besoldnngsvorlage der grünte Er- folg der diesjährigen Sitzungsperiode. Man kann nur wünschen, daß die andere große Vorlage, an der jeder einzelne Staats- bürgen ein hervorragendes Interesse hat, ebenso glücklich in den Hafen gesteuert werde. Die Reforsn des Strafvollzuges rrn- Sic Seutseben Gefängnisbearnten. 11«. Köln, 3. Juni. lTelegraphischer Bericht.) Im Jsabellensaal des Gürzenich trat heute die aus allen Teilen Deutschlands stark besuchte Versammlung des Vereins der deutschen Strafanstaltsbeamten zusammen. Eine große „Zahl von Ver- tretern der Negierungen und Verwaltungsbehörden wohnen den Ver handlungen bei, ferner viele Staatsanwälte. Richter, Anstaltsgeist liche usw. Die Tagesordnung umfaßt die wichtigen Fragen der straf rechtlichen Behandlung der Minderwertigen, die Ausgestaltung der Statistik über die Fürsorgeerziehung, die Anwendbarkeit der amerika nischen Grundsätze über die Behandlung jugendlicher Verbrecher in Deutschland und vor allem die Resorm des Strafvollzuges. Die Ver- Handlungen werden geleitet von Exzellenz Dr. v. Jage mann, dem früheren badischen Gesandten in Berlin. Namens der preußischen Staatsregierung begrüßte Oberpräsident Frhr. o. Schorle in er- Lieser den Kongreß. Die Staatsregierung nehme die Erfahrungen, die auf dem Gebiete der Fürsorgeerziehung und der Behandlung Minder- wertiger gemacht seien, gern entgegen und bringe den Beratungen das größte Interesse entgegen. (Beifall.) Oberlandcsgerichtspräiident Rathjen begrüßte die Versammlung im Auftrage des preußischen Justizministeriums, und Generalstaatsanwalt P r ä t o r i u s - Darm stadt namens der übrigen deutschen Regierungen. Weitere Begrüßungen wurden durch den Sektionschef im ö st e r r i ch i s ch e n Justizministe rium Dr. Edler v. Maier und einen Vertreter der luxemburgi schen Regierung überbracht. Auch die schweizerische Regierung war vertreten. Landeshauptmann Dr. v. Renners lud zur Besichtigung der größten deutschen Ärbeitsanstalt Brauweiler ein. Nachdem hieraus Geh. Oberreqierungsrat Krohne-Berlin und Ministerialrat Dr. Schwabe-Stuttgart zu Ehrenmitgliedern des Vereins ernannt und nach dem noch eine Reihe geschäftlicher Angelegenheiten erledigt waren, wandte man sich bem ersten Punkt der Tagesordnung zu: Wie sind die Minderwertigen im Strafvollzug nach der gegenwärtigen Gesetzgebung am sachgemäßesten zu behandeln? Es sind dazu eine Reihe von Gutachten eingeholt worden, und zwar von Prof. Dr. Aschaftenburg-Köln, Anstaltsbezirksarzt,Dr. Hofmann- Bautzen, Gefängnisinspektor Klnbs-Landsberg, Strafanstaltsdirektor Tr. Pollitz-Düsseldort, Strasanstaltsarzt Dr. Richstein-Freiburg und Oberjustizrat Schwandner-Ludwigsburg. Auf Gründ dieser Gutachten hat der Vorstand folgende Vorschläge ausgearbcitct, die er der Versammlung unterbreitet: I. Personen, deren geistiges Leben, ohne zu einer vollen Geistes- krankheit zu führen, durch angeborene Entwicklung, Störung oder Er werbsschädigung anormal ist, sind als Minderwertige anzufehen, ins besondere z. B. Alkoholiker, Schwachsinnige, Querulanten u. a. m. Solche Zwischenzustände zwischen Gesundheit und Krankheit decken sich nicht mit einer allgemeinen Anwendung der Zurechnungsfähigkeit oder der Fähigkeit zum Ertrage des Strafvollzugs. Vielfach tritt jedoch durch gemindertes Verständnis für die Bestimmungen der Hausordnung, durch geminderte Widerstandskraft in bezug auf Verfehlungen gegen letztere die Notwendigkeit einer dem Einzelzustand angemessenen individuellen Behandlung ein, teils zur billigen Rücksichtnahme, teils zur Erziehung. II. Für die tunlichst frühzeitige Erkennung der geistigen Minder wertigkeit ist zu fordern: 1) die Benutzung oder Schaffung prophylak- tischcr Bewahranstalten und sonstiger Fürsorge im Polizei-, Vormund schafts- und Wohltätigkeitswesen, um solche Personen von anormaler Beschaffenheit schon außerhalb des Strafvollzugs behandeln zu können, 2) ausgiebige Feststellungen über das Vorleben aus Len Einlieferungs papieren und Akten, ferner Nachrichtenerhebungen, 3) genaue ärztliche Untersuchungen des Körper- und Seelenzustandes und systematische Wetterbeobachtung durch die Gefängnisbeamten, 4) die Hebung des ärzt lichen Dienstes in den Strafanstalten, wo dies noch erforderlich sein sollte, 5) die kriminalpsychologische Ausbildung der Gefängnisober, beamten und Unterweisung des Unterpersonals. IH. Ta die Minderwerftgen zum größten Teil den gewöhnlichen Strafvollzug ertragen und nicht erheblich stören, so sind sie regelmäßig in ihm zu halten und unter Vermeidung von Auffälligkeit oder Ver ziehung zur Ordnung zu gewöhnen. Doch kommt für sie eine besondere ärztliche Fürsorge in Frage, und eine besondere Rücksichtnahme auf die Art ihrer Unterbringung, Beschäftigung und disziplinären Behandlung. Eine zweckmäßige Behandlung ist um so mehr gesichert, je mehr Spiel- raum die Vorschriften für eine bifferenzielle Behandlung gewähren, vor allem nach der Richtung der Gewährung von Erleichterungen. IV. Solche Minderwertigen, die, ohne die Straferstehungsfähigkeft zu verlieren, den gewöhnlichen Strafvollzug nicht ertragen, oder ihn zu erheblich stören, können je nach den Umständen vorübergehend oder dauernd in besonderen Abteilungen oder in besonderen Strafanstalten untergebracht werden. Tiefe Sondereinrichtungen, für welche übrigens auch die körperlich Invaliden in Betracht kommen, erheischen bei der Anhäufung schwieriger Elemente eine verstärkte Obsorge durch ärztlich gebildete Unterbeamte. Mit solchen Einrichtungen sollte auch bei den Anstalten der Fürsorge ein Versuch gemacht werden. (Zwangserziehung.) Ter erste Referent war Medizinalrat Dr. Leppmann (Berlin). Er hielt es für notwendig, demnächst eine genaue Begriffsbestimmung der Minderwertigkeit in bezug auf den Strafvollzug zu geben. Der Kernpunkt der Frage der Minderwertigkeit liege darin, daß das Gehirn entweder, ehe es im Vollbesitz der geistigen Kräfte war, geschädigt wurde, oder, nachdem es den vollen geistigen Besitz erlangt hatte, zurückblieb. Für den ersten Fall seien die Gründe in erster Reche das Abstammen von siechen Vorfahren, ferner Gehirnkrankheit, für den zweiten Fall, hauptsächlich in Frage der chronische AlkoholismuS und das frühzeitige Altern des Gehirns. Dazu kämen dann noch in einzelnen Fällen Kop'- krankheiten. Der Referent erörterte dann die einzelnen Formen, in denen die Minderwertigkeit sich äußert, und stellte dann folgende Forderungen auf: 1) Wir müssen den Begriff der Minderwertigkeit in bezug aus den Strafvollzug prägen. 2) Wir müssen die Minderwertigkeit seststellen bei der Einlieferung durch sorgfältige Beobachtung. 3) Gcfängnisbeamte und Acrzte müssen zusammen arbeiten l) Eine Ausbildung der Gesängnisbeamten über die Grnndziige des Seelenlebens des Menschen ist notwendig, um den gesunden und kranken Menschen unterscheiden zu können. 8) Es ist zu fordern die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Arztes für die Ueberwejsung an Lazarette und Spezialabtcilungen lLebhafter Beifall.)
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