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Sonnabend. „:n .":i. . »Vi »etpzig. Dit Zeitung erscheint mitAu-nahmede« Montag« täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr au«, gegeben. Preis für da« Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. 4. Octover 4886 Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslände«, sowie durch die Erpedition i» Leipzig (Querstraße Nr. 8). urä: .cl nW- bst - - V. Deutsche Mgemeim Mung -Wahrheit und Recht, Freiheit und Seschl» Znserttsnsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zur Neuenburger Frage. . IU. tL Bom Rhein. Tritt dagegen der zweite Fall ein, d. h. bezwecken die Unterhandlungen, an die Stelle deS Zustande- vor dem 1. März 1848 «twa-Andere- zu setzen, so kann Letzteres wol nur darin bestehen, daß ent weder Neuenburg ganz preußisch oder ganz schweizerisch werde. Jene- würde -aber am Ende zü keinen ander» Resultaten al- denjenigen führen, wie wir He für den ersten Fall gefunden haben. Allein e- könnte nicht einmal so weit kommen. Denn erstlich wird die Eidgenossenschaft nie darein willigen, daß Neuenburg, dessen Angehörige von jeher Schweizer waren, preußisch werde. Zweiten- ist nicht daran zu denken, daß ein solcher Plan derBil- li-ung sämmtlich« Großmächte sich erfreuen werde. Dritten- steht ihm entgegen, daß seine Ausführung durch eine förmliche Abänderung ker Wie- mer-Schlußacte bedingt wäre. Viertens ist daran zu erinnern, daß ein preu ßische- Neuenburg den Anspruch auf Neutralität verlöre. Fünftens bedürfte dieses Neuenburg einer preußischen Besatzung, um die Republikaner und -Schweizer im Zaume zu halten, und knüpfen sich an diesen Umstand eine Menge Ueuer-Bedenken, zumal wenn man die geographische Lage des Länd chens ins Auge faßt. Wir glauben daher, daß von der Idee, Neuenburg kn eine preußische Provinz, die Neuenburger in Preußen zu verwandeln, Abstand zu NthMe» sei, und wenden uns zu dem Gedanken, Neuenburg ganz schweizerisch zu machen. Wir erblicken in diesem Gedanke» das ein- zige Auskunft-mittel, .Wodurch die neuenburgcr Frage einer glücklichen und brfriedigvlbtll.Lüsung xntgegingcführt werden kann. Wird dasselbe gewählt, bann ist Wh» und FMe in der Schweiz am besten verbürgt, und an der Zustimmung der Mächte ist au- diesem wichtigen Grunde umsoweniger zu zweifeln. Auf solche Zustimmung ist vielmehr um so sicherer zu rechnen, -al- der faetische Zustand der nämliche bleibt, der er jetzt ist, ohne daß wei- 4ere Experimente mit ihren Unsicherheiten und Wagnissen riskirt werden; als eine förmliche Abänderung der Wiener-Eongreßacte vermieden bleibt, weil die neuenburger Frage nach Analogie jener Fälle beuctheilt und behan delt wird, in denen diese Acte bisher Risse bekam, und die Verzichtlcistung von Preußen ohnehin cz. p. e. den Art. 23 au-gleicht; als endlich die Jntegriläts-und Neutralitätsfrage unberührt bleibt und außerdem in der Stel lung und im Verhältniß der Schweiz zu den Mächten nichts geändert wird. Geht man auf einen so ersprießlichen Ausweg ein, so kann es sich «dann nut noch um die Bedingungen handeln, unter welchen Preußen auf seine Rechtsansprüche verzichtet. Es versteht sich dabei von selbst, daß Preußen sich in erster Linie die Amnestie oder Begnadigung aller bei dem Putsche vom 3. Sept. Betheiligten ausbedinge und die Zusicherung ver schaffe, daß nicht- geschehe, wodurch wohlerworbene Rechte der Royalisten, worin sie auch immerhin bestehen möchten, beeinträchtigt würden. In zwei- ter Linie ist dann nur noch der Entschädigungspunkt für Preußen in dem Falle auszutragen, daß der König von Preußen nicht vorziehen sollte, mit seinem Verzicht der Eidgenossenschaft ein Geschenk zu machen. Es ist die ser Punkt zu delikat, als dass wir uns erlauben dürften, ihn einläßlicher -zu besprechen oder den Versuch zu machen, auf die Willensmeinung des -Monarchen irgendwie zu influiren. Allein soviel ist gewiß, daß ein solches Geschenk in der Schweiz und außerhalb derselben als ein Act der Hochher zigkeit begrüßt würde. Unsere Meinungsäußerung hinsichtlich des zweiten .Falls gilt natürlich auch für jenes Abkommen, welches dann zu «reffen wäre, wenn zur Sühne der Rechtsverletzung nur die formelle Restitution vorübergehend stallfände. Nür keine Palliative! Sie schaden mehr wie sie nützen, verwirren anstatt zu entwirren. Die Schweiz wird ihre Bundes verfassung von 4848 nicht fallen lassen und auf die BundcSacte von 1815 zurücksühren. Ein neuen burgischeS Zurücktreten von jener bis zur Vcrträg- lichkeit mit der Wiener Eongreßacte könnte nur ein Provisorium sein, wäh rend «in Unpassen der neuenburger Verfassung an die letztere bei einen« gleichzeitigen Verbleiben in der Bundesverfassung ein Unding wäre und dem Fürsten höchsten- die Rolle eines TitularsouveränS zuthcilen würde. Will man darauf verweisen, daß im Deutschen Bunde vier Freie Städte mit söNvcränen Fürsten verbunden sind, so verkennt man, daß bei der Ver schiedenheit der deutschen und der schweizerischen Verhältnisse, einschließlich der Grundlagen und der Organisationen des Deutschen Bundes und der schweizerischen Eidgenossenschaft, von der Anwendung einer Aehnlichkeits- regel keine Rede sein kann. Weise und feste Entschlüsse vermögen allein retll zu helfen. Oft ist der größte Sieg der, welchen man über sich selbst gewinnt. Er fällt um so leichter, je bewußter man die Früchte nicht von cheute auf morgen, sondern für eine laüat Zukunft zu ernten gedenkt. Sollte man glauben, nur gegen eine Entschädigung auf die Rechtsansprüche ver zichten zu können, so wäre auch damit der Würde von Preußen keineswegs zunah« getreten. WaS dasselbe im Jahre 1805 vertauschte, kann es im Jahre 1856 füglich nach dem «io ut äss aus der Hand geben. Ohnehin kann Der, welcher mit Ehren erwirbt, auch wieder mit Ehren veräußern. Wir erinnern an die Acquisition von den beiden hohenzollernschen Fürsten» thümern. Könnte sich die Eidgenossenschaft und der Canton Neuenburg dazu erheben, baldmöglichst die Betheiligten beim Putsche zu amnestiren und zu begnadigen und mit einem solchen Act der Mäßigung, Großmuch und Politik die Jniiiative zu einer friedlichen Ausgleichung zu ergreifen, dann wäre vielleicht umsoeher bei Preußen eine Saite berührt, die einen Widerhall in unserm Sinne erwarten ließe. Die Eidgenossenschaft und der Canton Neuenburg sollten sich zu einer solchen Initiative noch um so drin gender verpflichtet fühlen, als die öffentliche Meinung darüber einig ist, daß im Jahre 1848 diejenigen Rechts- und Vertragsverletzungen begangen wur den, welche der eingang-erwähnte Artikel im Frankfurter Journal vom staatS- rechtlichen Standpunkte aus nachgewiescn hat. Ueberhaupt kann auch der Eidgenossenschaft für die neuenburger Frage nicht weise Mäßigung genug empfohlen werden. Je mehr dieselbe verhütet, daß der Sieg der Republikaner in Neuenburg zu Ausschreitungen und Un gehörigkeiten misbraucht werde, desto eher macht sie eine gütliche Erledi gung möglich, und eine solche muß doch von ihr gewünscht sein. Bevor wir zum Schluß übergehen, müssen wir noch einen Punkt be rühren. Man bezieht sich zum Nachweis der Rechtsansprüche Preußen- auch auf da- Londoner Protokoll vom 24. Mai 1852. Eine solche Be zugnahme ist jedoch überflüssig, weil dieses Protokoll sich für Das; was Neuenburg betrifft, immer nur wieder auf die Wiener-Eongreßacte stützt, und in der That ist auch letztere einzig und allein der wahre und eigent liche NechtSboden für Preußen. Die Bezugnahme ist jedoch nicht blos über flüssig; sie ist auch ungeschickt. Denn es wird mit ihr zugleich daran er innert, baß Preußen gegen den neuenburgischen Passus im Protokoll vom 24. Ma! das Protokoll vom 8. Mai unterschrieb und damit die schleswig- holsteinische Angelegenheit seinerseits völlig preisgab. Die Schweiz ist kein mächtiges, aber ein höchst wichtiges Land in Europa. Jede Großmacht muß wünschen, mit der Eidgenossenschaft auf gutem Fuße zu stehen, um in vorkommcnden Fällen je nach Umständen auf sie influiren oder zählen zu können. Die Stellung, welche die preußische Politik bisher in der Schweiz einnahm, war nicht blos eine unnatürliche und geschraubte, sondern eine verfehlte. Wo diese Politik eingriff oder die Diplomatie sich sonst lhätig zeigte, da geschah es unter dem Einfluß und im Sinne der neuenburgischen Aristokratie, die immerfort auf Seiten der Reaktionäre und Ultramontanen, damit aber nie auf Seiten der großen Mehrheit des Schweizervolks zu finden war. Der Artikel im Frankfurter Journal hat Manches angcdeutct. Auch uns gestattet der Raum nicht, näher einzutrcten. Nur soviel sei ge sagt, daß die ganze Haltung von Neuenburg mit auf die Rechnung von Preußen selbst gesetzt ward, und daß man überhaupt eine vollständige So- lidarität zwischen neuenburgischer und preußischer Politik annahm. Folge davon aber war, daß Preuße» in der Schweiz als ein Feind der Eidge nossenschaft, als ein Gegner jeglichen Fortschritts und als ein Feind aller jener Parteien galt, welche nichts mehr und nichts weniger denn die eif rigsten und unversöhnlichsten Feinde von Preußen sind. Preußen wird nun einmal für eine protestantische Großmacht gehalten; allein dasselbe erfüllte nie und nirgends in dieser Eigenschaft weniger seinen Beruf als in der Schweiz, in der doch die Mehrzahl der protestantischen Confessio» angchört, die katholische Confessio» aber stets einen Rückhalt an den katholischen Großmächten hat. Alle diese Uebelstände werden von dem Moment an wegfallen, wo Neuenburg ganz schweizerisch wird. Die preußische Politik kann sich dann nach allen Seiten frei regen und bewegen, entwirren an statt verwirren Helsen, Vertrauen ernten anstatt MiStrauen zu säen. Die Eidgenossenschaft wird in Preußen einen aufrichtigen Freund erkennen, dessen wohlmeinenden Rath sie in gegebenen Fällen einholen und beachten wirb. Damit gewinnt aber Preußen selbst als Großmacht eine ungleich wichtigere und einflußreichere Stellung in ollen Beziehungen, während cs einer Menge von Unannehmlichkeiten und Verlegenheiten überhoben bleibt. Ja, dasselbe kann, gerade weil cs weder an die Schweiz grenzt, noch mehr darin ein Gebiet hat, Frankreich und Oesterreich im Einfluß überflügeln oder wenig stens die Rolle des uneigennützigen Schutzherrn der Integrität und Neu tralität der Schweiz übernehmen. Mit dem Verzichten auf Neuenburg wird sich außerdem Preußen dessen rühmen können, daß eS durch seine Weisheit und Mäßigung zur Befestigung der Ruhe und deS Friebens von Europa namhaft beigetragen habe. Sollte so reeller Gewinn nicht den prccären Besitz eines Ländchens bei weitem aufwiegen, das für die Machtstellung Preußens ohne allen Belang ist?