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Wtcheneli» trscknnm drei Nummern. Prinumer<tti»nt- Prri« 22; Sgr. (Z LMr.) ritrrchjdrtt», 3 Mr. für da« ganze Jahr, ohne Er- hibunz, in allen Meilen der Prenillsihen Monarchie. für die Man »räimmerirr ans diese- T'i»nawr< Blatt in Berlin in der Ereediilrn der Mq. Pr. Slaaea-Aettung s^eiedrievdidr. Rr. 72); in der Provinz so wie im ÄuSlande bei den Wodlldbl. Poll ilemtern. Literatur des Auslandes. 109 Berlin, Mittwoch den 9. Septem der 1840. Frankreich. Wissenschaftliche Illustrationen Frankreichs. P o i s s o u. Durch den Tod Poifson'S hat, wie Arago sagt, Frankreich einen von den Männern verloren, deren Namen jeder Mund nennt, wenn die Nationen sich um den geistigen Vorrang streiten. Seit vierzig Jahren hat er mit unermüdlicher Thätigkeit am Fortschritt der mathematischen Wissenschaften gearbeitet, und Niemand hat sich unterfangen, ihm die Erbschaft Laplace'S streitig zu machen. Simeon Denis Poiffon wurde am 21. Ium 1781 zu PithivierS geboren. Sein Vater hatte als gemeiner Soldat gedient. Als er den Dienst verließ, erhielt er eine Stelle als Gerichtsschreibcr und wurde Friedensrichter während der Revolution. Sein Sohn, der ihn früh verlor, sprach mit der größten Hochachtung von ihm. Daß der künftige Geometer der Wissenschaft erhalten wurde, geschah durch eine Art Wunder. Seine erste Erziehung wurde sehr vernachlässig«, und die rohr Behandlung, die er von seinem ersten Lehrer zu er dulden hatte, ließ in seinem Herzen eine unauslöschliche Erinnerung zurück, die später ihre Früchte trug, als er Einfluß auf Vas Unter- richtswcsen erhielt. Da vie Verhältnisse der Art waren, daß er sich schon früh für einen Stand bestimmen mußte, so wurde er noch sehr jung zu einem seiner Onkel gebracht, der Chirurgus war und der ihn mit väterlicher Liebe in die Anfangsgründe der Heilkunst einweihte. Poissow blieb mehrere Jahre bei seinem Onkel, den er bei seinen Krankenbesuchen begleitete. Derselbe konnte indcß unmöglich große Hoffnungen von seinem Zöglinge fassen, da derselbe beim Anblicke der geringsten Operation in Ohnmacht fiel. So durchlebte der Student der Chirurgie die ersten Jahre der Revolution. Im Jahre «79K forderte sein Onkel seine Zöglinge auf, Vic Vorlesungen über Naturgeschichte bei der neu errichteten Central-Schule zu Fontaine bleau anzuhörcn. Der Professor der Mathematik, Namens Billy, der Mangel an Zuhörern hatte, beredete einen der jungen Leute, daß das Studium der Mathematik unumgänglich nöthig für die Chirurgie scp. Dieser verstand zwar nicht recht, was der Professor sagte, aber er schrieb doch die Hauptsätze nach und theilte sic seinen Kameraden mit. Dies war eine Offenbarung sür Poiffon. Ohne sich je bei dergleichen Betrachtungen aufgehaltcu zu haben, ohne vor gängige Studien löste er die Aufgaben. Von diesem Augenblick an entwickelte sich in ihm die Liebe zur Mathematik. Allgemein bekannt ist eS, wie Pascal, dem sei» Vater das Studium der Geometrie untersagt hatte, denselben umstimmte, indem er im Alter von zwölf Jahren durch die Macht seines Geistes den Beweis zu den ersten Lehrsätzen des EuklideS fand. Diese außerordentliche Thatsachc ist auf viele Zweifler gestoßen, und dennoch ist die DivinationSgabc des jungen Zöglings der Chirurgie ungleich schwerer zu begreifen, be sonders, wenn man bedenkt, baß Pascal fortwährend von Geometrie sprechen hörte, und daß Poifson'S Onkel mit seine» Zöglingen sich nicht von der Algebra zu unterhalten pflegte. Eine Ler Ausgaben, welche Pascal an diesem Tage löste, ist in der Erinnerung einiger Personen geblieben. Jemand, der ein Faß mit zwölf Maaß Wein hat, will die Hälfte oder sechs Maaß einem Freunde schenken. Er hat aber, um diese sechs Maaß abzumeffcn, kein anderes Gcfäß, als eines, welches acht, und ein anderes, welches fünf Maaß hält. Wie hat er cS anzufangcn^ um in das Gefäß, welches acht Maaß hält, sechs Maaß zu bringen ? Für Jemand, der einige Kenntnisse von der Algebra hat, ist diese Aufgabe sehr leicht; daß aber der junge Polston sic löste, ist ein halbes Wunder. Poiffon besaß die Festigkeit des Willens, welche zur Entwicke lung des Genies nothwcndig jst. Nachdem er einmal den mathema tischen Unterricht beim Professor Billy begonnen hatte, der, um den Widerstand seiner Familie zu beseitigen, für ihn Bürgschaft leistete, legte er sich mit solchem Eifer auf das Studium, daß er in zwei Jahren einen vollständigen Kursus der Mathematik durchwachte und glle Preise der Analyse, der Physik und der Chemie davontrug. Der junge Mathematiker hatte die Erlaubniß, sich der Mathematik zu widmen, nur mircr der Bedingung erhalten, daß sich ihm in der Wissenschaft eine vertheilhafte Aussicht eröffne. Zu PithivierS schien man indeß den Versprechungen des Professors Billy kein unbedingtes Zutrauen zu schenken. Um auch die Ungläubigsten zu überzeugen, forderte dieser seinen Zögling auf, sich zur Eintritts-Prüfung in die polytechnische Schule zu melden. Poiffon begab sich in einem Alter von l7 Jahren nach Paris, wo er von Labey geprüft wurde und hierauf zu seinen Aeltern zurückkehrtc, um das Resultat abzuwarten. Durch einen Zufall blieb dieses der Ungeduld der Familie lange verborgen. Der Brief war nämlich so gefaltet, daß bei der Oeffnung gerade die Stelle, welche das Schicksal deS jungen Kandidaten mel- dete, zerstört werden mußte. Endlich traf die Nachricht auf einem anderen Wege ein, und man erfuhr, daß der Zögling Billy'S zuerst und außer der Reihe ausgenommen worden war. Damals besaß die polytechnische «schule die Elite der Fran zösischen Gelehrten. Lagrange, Laplace, Monge, Prony, Fourier, Bcrthollet, Fonriroy, Vauquelin, Guyton-Morveau, Cbaptal gehörten derselben an und entflammten den Ehrgeiz der Schüler. Die Einrich tung der Schule war damals eine ganz andere als jetzt. Anstatt kasernirt zu seyn, wie dies seit IM der Fall ist, und anstatt eine Pension zu zahlen, wie dies jetzt geschieht, erhielten die Zöglinge den Sold eines Artillerie-Sergeanten und wohnten in Privathäusern, ohne den strengen Gesetzen der militairischen Disziplin unterworfen zu seyn. ES war eine ganz republikanische Einrichtung. Rach zwei Jahren glänzender Studien wurde Poiffon, auf Hachette'S Vorschlag, von Ler Prüfung zum Eintritt in den Staatsdienst diSpensirt und zum Rcpetitions-Adjunktu- des analytischen Kursus ernannt; der Titular- Profcffor Fourier war damals mit Napoleon in Aegypten. In diescr bescheidenen Stelle konnte er etwas freier ausathmcn, denn in den beiden vergangenen Jahren war er gerade nicht auf Rosen gewandelt. Die Zöglinge erhielten damals 98 Centimes täg- lich, und da Poiffon noch ein kleiner außerordentlicher Zuschuß be- willigt wurde, so stieg sein monatliches Gehalt auf 36 Fr., mit denen er Wohnung, Nahrung, Heizung, mit einem Worte alle Aus gaben, bestreiten mußte, denn seine Familie glaubte ihm schon ein großes Opfer zu bringen, indem sie ihn mit Wäsche versorgte. In feinen späteren Jahren sprach er gern von den Entbehrungen, die er damals zu erdulden hatte. Ma» begreift wohl zur Nöth, daß ein junger Mann, dessen Geliebte die Wissenschaft ist, weder Kälte im Winter noch Wärme im Sommer fühlt, aber schwerer ist cS, zu begreifen, wie er seine Entbehrungen dadurch noch erhöhen konnte, daß er mit aller Gewalt die Mittel aufzubringen suchte, um die Meisterstücke Racine'S und Moliöre'S zu sehen. Poiffon hatte zu Paris einen Verwandten, bei dem er in jeder Dekade einen Tag speiste, an einem anderen Tage aß er nur trockenes Brod, und das Geld sür diese beiden Mahlzeiten fetzte ihn in den Stand, alle zehu Tage einmal das Schauspiel zu besuchen. Da« Gefühl sür da» Schöne, welches sich frühzeitig m ihm entwickelte, ist gewiß ein cha- rakteristischer Zug sür einen Geometer. Bis zu seinem LebcuSende recitirte er Verse, die er im Theater gehört hatte. Seine Leibhaberei sür das Theater trieb ihn an, die Gesellschaft von Schauspielern zu suchen. Wahrend Lagrange dem jungen Gelehrten sein Haus öffnete und Laplace ihn wie einen Sohn ausnahm, bemühten sich Talma und Gerard um die Gesellschaft cincS so geistreichen und liebenswürdigen Geometers. Diejenigen, die ihn erst später kennen lernten, können sich keine Vorstellung davon machen, wie er damals war; aber alle seine älteren Freunde schildern ihn einstimmig als den lebhaftesten und muntersten seiner Kameraden, Lenen er manchen lustigen Streich spielte. Poiffon hatte indeß einen festen Charakter und wußte sich zu beherrschen. Die Wissenschaft blieb immer seine mächtigst« Leidenschaft. Kaum war Poiffon in die polytechnische Schule eingetreten, als eS ihm gelang, einen Beweis Lagranae'S zu ergänzen und zu ver vollständigen. Dieser erste Versuch hatte in einem solchen Grade die Aufmerksamkeit des großen Geometers erregt, daß man nach seinem Tode unter seinen Papieren noch die Notiz fand, welche ibm der unbekannte Zögling der polytechnischen Schule übergeben hatte. Der junge Geometer blieb nicht hierbei stehen. Nachdem er ge- meinschastlich mit Hachette einen Zusatz z» einer Denkschrift Monge'» über die analytische Geometrie auSgearbcitet, reichte er dem Institut in der Sitzung vom 16. Frimaire deS JahrcS IX eine Arbeit über die Differenzial-Gleichungen ein, in welcher er die Methode von Monge und Charle erweiterte und zu neuen Resultaten gelangte. Lacroix und Lagramge erstatteten Bericht darüber und trugen darauf an, den Aufsatz in der Sammlung der ausländischen Gelehrten drucken zu lassen. Noch nie war einem jungen Manne von achtzehn Jahren eine solche Ebre zu Theil geworden. Dieser für ihn so ehrenvolle Bericht stallte Poiffon'S Eifer. Siblaq auf Schlag reichte er nun der Akademie eine Reihe von Denkschriften ein. AiS sr 24